Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Urteil vom 16. Januar 1992
Aktenzeichen: 1 S 3626/88
(VGH Baden-Württemberg: Urteil v. 16.01.1992, Az.: 1 S 3626/88)
1. Die Merkmale des Vereinsbegriffs (§ 2 Abs 1 VereinsG) erfüllt ein überregionaler Motorradclub, der durch den Zusammenschluß verschiedener Clubs aus unterschiedlichen Städten entstanden ist und einen gemeinsamen Namen sowie ein einheitliches Vereinsemblem besitzt.
2. Der Vereinscharakter eines solchen überregionalen Motorradclubs hängt nicht davon ab, daß seine Ortsgruppen die Eigenschaften von Teilorganisationen (§ 3 Abs 3 S 1 VereinsG) besitzen.
3. Das strafgesetzwidrige Verhalten einzelner Mitglieder kann einem überregionalen Verein mit horizontaler Gliederung (Ortsgruppen) zugerechnet werden, wenn es den Charakter des Gesamtvereins im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung prägt.
Tatbestand
Der Kläger ist ein am 11. April 1972 in M gegründeter Verein, der nicht in das Vereinsregister eingetragen ist. Seit 1982 verfügt er über eine Satzung (Verfassung). Nach der Präambel dieser Satzung besteht der Zweck des Klägers in der Förderung und Pflege des Motorsports. Der Kläger führt den Wahlspruch "Einig und Treu" und ein Abzeichen mit dem Schriftzug "G". Mitglied des Klägers kann nach der Satzung jeder Besitzer eines Motorrads werden, der zu dessen Führung berechtigt und dazu bereit ist, die Rechte und Pflichten nach der Satzung zu übernehmen (Art. 2 der Satzung). Über die endgültige Aufnahme eines Mitglieds entscheidet die Clubversammlung nach einer Probezeit von mindestens drei Monaten Dauer (Art. 3 und 5 der Satzung). Die Clubmitglieder sind berechtigt, das Abzeichen auf ihren Jacken zu tragen. Vorstand des Klägers ist dessen Präsident (Art. 10 der Satzung). Dieses Amt übte seit der Vereinsgründung der am 10. September 1955 geborene aus, der durch Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 9. Juni 1983 (4 Kls 8/83) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde.
1982 schlossen sich der Kläger und Motorradclubs aus K und Ka zusammen und faßten den Beschluß, künftig denselben Namen MC-G sowie ein einheitliches Vereinsemblem zu führen. In der Folgezeit wurden Motorradclubs aus R und L aufgenommen. Alle fünf Ortsgruppen haben eigene Vorstände.
Das Innenministerium Baden-Württemberg erließ unter dem 10. November 1988 folgende Verfügung:
1. Der Zweck und die Tätigkeit des Vereins "MC-G" laufen den Strafgesetzen zuwider.
2. Der Verein "MC-G" ist verboten. Er wird aufgelöst.
3. Dem Verein "MC-G" ist jede Tätigkeit verboten. Es ist verboten, Ersatzorganisationen zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen.
4. Das Vermögen des Vereins "MC-G" wird beschlagnahmt und eingezogen.
5. Die sofortige Vollziehung der Nr. 2, 3 und 4 dieser Verfügung wird angeordnet, im Fall der Nr. 4 jedoch nur, soweit dort die Beschlagnahme des Vereinsvermögens verfügt wird.
Zur Begründung wurde in der Verfügung im wesentlichen ausgeführt: Der Club setze sich aus fünf Ortsgruppen (Chapter) zusammen; das Chapter sei als sogenanntes "Mother-Chapter" anzusehen, dessen Präsident allen Präsidenten der anderen Ortsgruppen übergeordnet sei. Bis zur Übernahme als Vollmitglied würden den Kandidaten (sog. "Prospects") Keuschheitsproben abverlangt; hierzu würden sie zielgerichtet in die Begehung von Straftaten verwickelt (z.B. als Kuriere beim Transport von Betäubungsmitteln oder als Teilnehmer von Rollkommandos gegen rivalisierende Motorradgruppen). Die führenden Mitglieder des Vereins betätigten sich als Zuhälter und Betreiber von Bordellen. Eine große Anzahl von Mitgliedern der Ortsgruppen M, Ka und R bestreite den Lebensunterhalt durch die Begehung strafbarer Handlungen. Die Straftaten würden unter dem Schutz des Clubs oder in dessen Auftrag begangen. Die dadurch erlangten Vermögensvorteile würden zumindest teilweise an den Verein abgeführt, wodurch dieser bis heute ein Kapital in Höhe von ca. 500.000,-- DM angesammelt habe. Auf der Grundlage dieses Vermögens übernähmen oder pachteten Vereinsmitglieder unter der Schirmherrschaft des Vereins Lokale im Rotlichtmilieu sowie Bordelle, in denen überwiegend Dirnen von Mitgliedern des Vereins tätig seien. In den Ortsgruppen M und Ka bestehe für Vollmitglieder die Weisung, eine vom Verein gestellte Prostituierte zu übernehmen. Der Verein sei bestrebt, die Herrschaft über das gesamte Milieu in M und Ka zu übernehmen. Vereinsmitglieder hätten für Bordelle in M Preisabsprachen getroffen. Für den sogenannten Straßenstrich in Ka bestünden Gebietsabsprachen, nach denen an genau bestimmten Orten ausschließlich Prostituierte von Mitgliedern des Vereins ihrer Tätigkeit nachgingen. Von Prostituierten anderer Zuhälter würden sogenannte Standgelder erhoben. Die Einhaltung dieser Absprache werde durch massives Auftreten von Mitgliedern des Vereins erzwungen. Das führende Vereinsmitglied habe im Einvernehmen mit dem Präsidenten der Ortsgruppe Ka, und im Einvernehmen mit der Ortsgruppe M mit den ortsansässigen Zuhältern den Abschluß eines Schutzvertrages durchgesetzt, in dem diese sich verpflichtet hätten, dem Verein monatlich 12.000,-- DM für die Vertreibung farbiger Prostituierter und deren Zuhälter sowie für künftigen Schutz im Milieu zu bezahlen. Eine weitere Einnahmequelle des Vereins sei die Erpressung von sogenannten Schutzgeldern. Mitglieder des Vereins seien am 24. September 1988 in der Discothek in M aufgetreten und hätten freien Eintritt verlangt. Ähnliche Erfahrungen habe der Wirt des in M gemacht. Außerdem erziele der Verein Einkünfte durch Einfuhr, Schmuggel und Vertrieb von Betäubungsmitteln, die vor allem die Mitglieder und aus Holland und Marokko einführen ließen. Die Betäubungsmittel, insbesondere Haschisch, würden innerhalb des Vereins an Mitglieder und deren Prostituierte abgegeben. Ein weiteres Betätigungsfeld des Vereins sei die Beschaffung von Waffen. Sie erfolge zentral über das Chapter M. Es bestehe der Verdacht, daß in sämtlichen Clubhäusern des Vereins zur Abwehr von Vergeltungsaktionen anderer Rockergruppen Waffen gelagert würden, wobei es sich hauptsächlich um abgesägte Schrotflinten handle. Ferner komme es immer wieder zu tätlichen Auseinandersetzungen mit anderen Rockergruppen. Am 13. Juni 1987 hätten ca. 30 Mitglieder des Vereins mit Baseballschlägern und Schrotflinten bewaffnet in W -M ein Festzelt der Rockergruppe überfallen und drei Personen schwer verletzt. Gegen die Rockergruppe sei das "Probechapter" R am 17. November 1984 in H eingeschritten und habe dadurch erreicht, daß sich diese Rockergruppe aufgelöst habe. In Strafverfahren gegen Mitglieder des Vereins seien Zeugen auf dessen Veranlassung immer wieder massiv bedroht worden. Für alle bedrohten Zeugen habe das Landeskriminalamt Baden-Württemberg Zeugenschutzmaßnahmen veranlassen müssen. Von einer Anhörung des Vereins vor Erlaß der Verfügung sei abgesehen worden, weil die Gefahr bestanden habe, daß der Verein nach einer Anhörung die Beschlagnahme des Vereinsvermögens vereitle.
Die Verfügung wurde den Vorständen der Ortsgruppen am 22. November 1988 ausgehändigt. Außerdem wurde sie im Bundesanzeiger bekanntgemacht.
Am 9. Dezember 1988 hat der Kläger Klage gegen die Verfügung beim Senat erhoben. Er trägt im wesentlichen vor: Sein Zweck und seine Tätigkeit liefen nicht den Strafgesetzen zuwider. Es treffe nicht zu, daß Kandidaten während der Probezeit in Straftaten verwickelt würden. Eine finanzielle Unterstützung von Vollmitgliedern während der Strafhaft finde nicht statt. Keiner der fünf Präsidenten betätige sich in einem Bordell oder bestreite seinen Lebensunterhalt durch strafbare Handlungen. Es würden auch keine aus strafbaren Handlungen erlangten Gelder an den Verein abgeführt. Er finanziere sich ausschließlich durch feste Mitgliedsbeiträge und Einnahmen aus Veranstaltungen. Es sei unrichtig, daß er auf kriminelle Weise ein Vermögen von ca. 500.000,-- DM angesammelt habe. Tatsächlich existiere in M ein Treuhandkonto, auf dem sich vor der Auflösung im Sommer 1988 ein Guthaben von 6.000,-- DM befunden habe. Zu keinem Zeitpunkt habe unter der Schirmherrschaft des Vereins die Übernahme oder Anmietung von Bordellen oder Lokalen im sogenannten Rotlichtmilieu stattgefunden. Es sei unwahr, daß Mitglieder in M und Ka vom Verein gestellte Prostituierte zu übernehmen hätten. Er habe niemals Schutzgelderpressungen geplant oder organisiert. Zu keinem Zeitpunkt seien für den Verein oder für dessen Rechnung Einfuhr, Schmuggel oder Vertrieb von Betäubungsmitteln organisiert oder vermittelt worden. Mit Waffenhandel habe er nichts zu tun. Der Verdacht, daß in seinen Clubhäusern Waffen, insbesondere abgesägte Schrotflinten, lagerten, sei falsch. Er werde durch das Ergebnis der am 22. November 1988 erfolgten Durchsuchung widerlegt. Er inszeniere und organisiere auch keine Übergriffe gegen andere Rockergruppen. Es gebe keinen Fall einer von ihm veranlaßten oder auch nur gebilligten Zeugenbeeinflussung. Die einzelnen Ortsgruppen hätten nach dem Zusammenschluß ihre Selbständigkeit und Eigenständigkeit weitgehend behalten. Sie hätten ihre Satzungen beibehalten und unabhängig voneinander die Wahlen der Vereinsorgane durchgeführt. Jede Ortsgruppe habe ein selbständiges Finanzwesen und ein eigenes Clubleben. Eine Weisungsabhängigkeit bestehe nicht.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 10. November 1988 aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es führt aus: Der Kläger sei ein einheitlich und hierarchisch straff strukturierter Verein, dessen Präsident die Entscheidungsbefugnis innehabe. Dieser sei faktisch in der Lage gewesen, auf die Ziele und die Tätigkeit der übrigen Ortsgruppen einzuwirken. Es sei belanglos, daß der in der Satzung genannte Zweck auf keine strafrechtswidrige Zielsetzung hindeute. Entscheidend sei vielmehr, daß es sich bei dem Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung um eine Organisation gehandelt habe, aus der heraus Straftaten geplant und begangen worden seien. Strafbare Verhaltensweisen seiner Mitglieder habe er gedeckt, indem er ihnen durch eigene Hilfestellung Rückhalt geboten habe.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich an dem Verfahren beteiligt. Einen eigenen Antrag stellt er nicht.
Der Senat hat durch zwei Beschlüsse vom 31.7.1989 (1 S 3675/88 und 1 S 3776/88) die Anträge von zwei Mitgliedern des Vereins auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen die Verbotsverfügung abgelehnt.
Das Landgericht Karlsruhe hat durch rechtskräftige Urteile vom 02.04.1990 (Strafkammer II, V KLs 11/89), vom 04.04.1990 (Strafkammer III, V KLs 19/89) und vom 19.12.1990 (Strafkammer IV, V KLs 18/89) verschiedene Vereinsmitglieder unter anderem wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Zuhälterei, wegen Förderung der Prostitution und wegen versuchter Nötigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sind alle Angeklagten in den Strafurteilen vom 2.4. und 4.4.1990 freigesprochen worden.
Mit Beschluß vom 10.4.1990 hat das Landgericht Karlsruhe (Strafkammer IV, V KLs 18/89) bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Vereinsmitglieder wegen dieses Vorwurfs abgelehnt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Schriftsätze Bezug genommen. Dem Senat liegen die einschlägigen Verwaltungsakten sowie die Strafurteile des Landgerichts Karlsruhe vom 2.4., 4.4. und 19.12.1990 vor. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen, und sowie des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 9. und 18.12.1991 sowie vom 7.1.1992 verwiesen.
Gründe
Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, obwohl der Vertreter des öffentlichen Interesses in den mündlichen Verhandlungen nicht erschienen war (zunächst unter Hinweis auf eine Vorlesungsverpflichtung, zuletzt ohne Angabe von Gründen); denn auf diese Möglichkeit ist er in der ordnungsgemäß bewirkten Ladung hingewiesen worden (§§ 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO). Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtene Verfügung des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 10. November 1988 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zwar ist das Vereinsverbot in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (1). Die materiellen Voraussetzungen eines Vereinsverbots sind aber nicht erfüllt (2).
1. Das Vereinsverbot ist frei von formellen Mängeln erlassen worden.
a) Das Innenministerium Baden-Württemberg war als oberste Landesbehörde (§ 3 LVG) für den Erlaß der Verbotsverfügung zuständig. Die im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung am 10. November 1988 für die Verbotsbehörde erkennbare Organisation und Tätigkeit des MC-G beschränkten sich nämlich auf das Gebiet des Landes Baden-Württemberg (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG). Eine Organisation oder Tätigkeit, die sich über das Gebiet des Landes Baden-Württemberg hinaus erstreckt und die Zuständigkeit des Bundesministers des Innern begründet hätte (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 VereinsG), war im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung, auf den in diesem Zusammenhang abzustellen ist, für das Innenministerium Baden- Württemberg nicht erkennbar (vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 3 VereinsG, RdNr. 28). Aus den vom beklagten Land vorgelegten Akten ergibt sich, daß das Innenministerium bei Erlaß seiner Verfügung nach den ihm damals vorliegenden Erkenntnissen davon ausgehen konnte, daß der Verein aus fünf in Baden-Württemberg ansässigen Ortsgruppen besteht. Eine weitere Ortsgruppe F war im damaligen Zeitpunkt noch nicht in den Verein aufgenommen worden. Eine nach Erlaß der Verbotsverfügung eventuell erfolgte Ausweitung der Organisation oder Tätigkeit des Vereins auf ein weiteres Bundesland läßt die einmal begründete Zuständigkeit der obersten Landesbehörde unberührt (vgl. Schnorr aaO., § 3 VereinsG, RdNr. 28).
b) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Innenministerium von einer Anhörung vor Erlaß der Verbotsverfügung abgesehen hat. Eine sofortige Entscheidung ohne vorherige Anhörung durfte es nämlich im öffentlichen Interesse für notwendig halten (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG). Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der mit der beabsichtigten Maßnahme bezweckte Erfolg durch die mit einer Anhörung verbundene Unterrichtung der Betroffenen über den bevorstehenden Eingriff gefährdet würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.1988, "Hell's Angels", Buchholz 402.45, VereinsG Nr. 13). Das Innenministerium ist zu Recht davon ausgegangen, daß im Falle einer Anhörung ein Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen und Unterlagen des Vereins und folglich eine Vereitelung des Vollzugs der Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens zu befürchten war.
2. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der von der Verbotsverfügung erfaßte Verein MC-G ist zwar eine Vereinigung im Sinne der Verbotsbestimmung (a). Es läßt sich jedoch nicht feststellen, daß bei Erlaß der Verbotsverfügung die Verbotsvoraussetzungen bereits erfüllt waren (b).
a) Verein im Sinne der Verbotsbestimmung ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat (§ 2 Abs. 1 VereinsG). Der nach dem Tenor und den Gründen der angefochtenen Verfügung des Innenministeriums vom Verbot erfaßte MC-G erfüllt alle Merkmale dieses Vereinsbegriffs. Bei ihm handelt es sich um einen überregionalen Verein, der in den 80er Jahren durch einen Zusammenschluß von Motorradclubs aus M, Ka, K, R und L entstanden ist. Ein Zusammenschluß im Sinne des Vereinsbegriffes setzt ein gewolltes Handeln in bezug auf die Vereinsgründung voraus. Die Verbindung von natürlichen oder juristischen Personen muß durch einen konstitutiven Akt zustandegekommen sein, der unter den Mitgliedern ein rechtliches Band schafft. Ein solcher konstitutiver Akt setzt keinen Vertrag voraus. Vielmehr ist jeder rechtserhebliche Akt zur Vereinsgründung ausreichend. Auch ein stillschweigendes Übereinkommen genügt zur Vereinsbildung, wenn aus den Umständen des Einzelfalls der Wille zur Vereinsgründung hervorgeht (vgl. Schnorr aaO., § 2 VereinsG, RdNr. 7). Möglich ist auch ein Zusammenschluß nicht rechtsfähiger Vereine zu einem nicht rechtsfähigen Gesamtverein (vgl. Reichert/Dannecker/Kühr, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 3. Aufl., RdNr. 2277).
Nach den Angaben des Vertreters des Klägers anläßlich seiner Beschuldigtenvernehmung vor dem Landeskriminalamt am 20.12.1988, die der Kläger dem Senat vorgelegt und zum Inhalt seines eigenen Vortrags gemacht hat, steht fest, daß sich Anfang der 80er Jahre die Motorradclubs in M, K und Ka und in den Folgejahren auch Motorradclubs aus R und L in diesem Sinne zu dem überregionalen Verein MC-G zusammengeschlossen haben. Nach diesen Angaben ist davon auszugehen, daß die Mitglieder des Motorradclubs in M, der bereits 1972 gegründet wurde und seit 1982 über eine Satzung verfügte, und die Mitglieder der Motorradclubs in K und Ka nach ersten Kontakten in den Jahren 1981/82 den Entschluß gefaßt haben, einen gemeinsamen, überregionalen Club zu gründen. Daß der daraufhin erfolgte Zusammenschluß nicht auf einem Vertrag beruht und ohne den Erlaß einer neuen, gemeinsamen Satzung erfolgte, steht der Vereinsgründung nicht entgegen (vgl. Schnorr, aaO., § 2 VereinsG, RdNr. 8). Am Willen, einen neuen überregionalen Verein mit einem gemeinsamen Zweck zu gründen, besteht nach den Angaben des Vertreters des Klägers in seiner Beschuldigtenvernehmung kein Zweifel. Danach wurde nämlich über die wichtigsten Punkte, die den durch Zusammenschluß entstandenen Verein insgesamt betreffen, Übereinstimmung erzielt und die Führung eines gemeinsamen Namens beschlossen. Nach einer Probezeit wurden schließlich in den Folgejahren die Mitglieder der Clubs aus R und L in den Verein aufgenommen.
Schließlich ist auch davon auszugehen, daß sich die Mitglieder des überregionalen Vereins MC-G einer organisierten Willensbildung unterworfen haben. Eine solche organisierte Willensbildung, durch die sich der Verein im Sinne des Vereinsgesetzes von bloßen Versammlungen und ähnlichen lockeren Zusammenschlüssen unterscheidet, liegt immer dann vor, wenn der Verein eine vom Willen jedes einzelnen Mitglieds losgelöste Gesamtwillensbildung besitzt und das einzelne Mitglied kraft der Verbandsdisziplin dieser Gesamtwillensbildung unterworfen ist (vgl. Schnorr, aaO., § 2 VereinsG, RdNrn. 17 und 18). Angelegenheiten des Gesamtvereins wurden in Sitzungen der Vorstände der einzelnen Ortsgruppen, die in regelmäßigen Abständen abgehalten wurden, besprochen. Daneben fanden sogenannte Präsidententreffen statt. Für eine organisierte Willensbildung sprechen auch die Modalitäten, nach denen neue Mitglieder in den Verein aufgenommen wurden. Der Zeuge, der etwa im Jahr 1983/84 Mitglied des MC-G geworden ist, hat dem Senat bei seiner Vernehmung glaubhaft versichert, daß sich Bewerber um eine Mitgliedschaft bei allen Ortsgruppen vorstellen mußten, bevor sie Vollmitglied werden konnten. Bestätigt wird dieses Aufnahmeverfahren durch das vom beklagten Land in der Sitzung vom 9.12.1991 vorgelegte handschriftliche Protokoll der Ortsgruppe K. In diesem Protokoll, das der Präsident der Ortsgruppe K nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung gefertigt hat, heißt es ebenfalls, daß eine Vorstellung des Bewerbers bei allen anderen Ortsgruppen vor einer endgültigen Aufnahme erforderlich war.
Der Vereinscharakter des überregionalen Vereins MC-G tritt auch äußerlich deutlich dadurch zutage, daß er ein einheitliches Emblem besitzt, das die Mitglieder sämtlicher Ortsgruppen auf ihrer Kleidung trugen.
Der Vereinscharakter läßt sich nicht mit der Erwägung in Frage stellen, die Ortsgruppen verfügten über teilweise unterschiedliche Satzungen, hätten eigene Organe und seien untereinander gleichberechtigt. Diese Gesichtspunkte mögen es ausschließen, die Ortsgruppen in Ka, K, R und L als Teilorganisationen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG) der Ortsgruppe M anzusehen. Denn von einer Teilorganisation eines verbotenen Vereins, auf die sich die Verbotsverfügung kraft Gesetzes erstreckt, kann nur gesprochen werden, wenn diese in die Gesamtorganisation eingebunden ist und im wesentlichen von ihr beherrscht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.1988, Buchholz 402.45, VereinsG Nr. 12; BVerwG, Urteil vom 13.5.1986, Buchholz 402.45, VereinsG Nr. 8; BVerwGE 74, 176, 188). Der Vereinscharakter des durch Zusammenschluß von fünf Motorradclubs entstandenen überregionalen Vereins MC-G, der durch eine horizontale Gliederung in verschiedene Ortsgruppen gekennzeichnet ist, hängt jedoch nicht davon ab, daß einzelne Ortsgruppen die Merkmale erfüllen, die vorliegen müssen, um sie als Teilorganisationen der Ortsgruppe M ansehen zu können.
b) Der Senat kann nach dem Inhalt der ihm vorliegenden Akten und Unterlagen sowie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Gewißheit feststellen, daß die materiellen Voraussetzungen für ein Vereinsverbot vorliegen. Nach Art. 9 Abs. 2 GG ist eine Vereinigung unter anderem dann verboten, wenn ihr Zweck oder ihre Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft. Dazu bedarf es nach § 3 Abs. 1 VereinsG einer besonderen Verfügung der Verbotsbehörde. Trotz erheblicher Verdachtsmomente steht nicht mit der für eine Bestätigung der angefochtenen Verfügung notwendigen Gewißheit fest, daß Zweck oder Tätigkeit des MC- G im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung, auf den es maßgeblich ankommt, den Strafgesetzen zuwiderlief.
aa) Die Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung des Innenministeriums wird allerdings - worauf das beklagte Land zu Recht hinweist - nicht bereits dadurch in Frage gestellt, daß das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer II - in seinem rechtskräftigen Urteil vom 2.4.1990 (V KLS 11/89) sowie das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer III - in seinem rechtskräftigen Urteil vom 4.4.1990 (V KLS 19/89) die Mitglieder des MC-G, gegen die die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) erhoben hatte, insoweit freigesprochen hat, und das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer IV - mit Beschluß vom 10.4.1990 (V KLS 18/89) bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen weitere Vereinsmitglieder wegen dieses Vorwurfs abgelehnt hat. Für das Verbot einer strafgesetzwidrigen Vereinigung ist nämlich die Einleitung eines Strafverfahrens oder eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) nicht erforderlich. Zwar wird der Verbotstatbestand (Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG) durch die Strafbestimmung des § 129 StGB pönalisiert. Der Senat ist aber weder formell noch materiell an die rechtliche Würdigung der Strafgerichte gebunden (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 18.10.1988, aaO.).
Der strafgesetzwidrige Zweck oder die strafgesetzwidrige Tätigkeit einer Vereinigung ergibt sich vielmehr aus den Absichten und Verhaltensweisen der Mitglieder; denn eine Vereinigung ist als solche nicht straffähig. Straffähig können nur natürliche Personen sein, da Strafbarkeit Schuldzurechnungsfähigkeit voraussetzt und diese nur natürlichen Personen zukommt. Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist gleichwohl rechtlich möglich, weil diese durch ihre Mitglieder und die sie repräsentierenden Vereinsorgane einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen bilden und insofern eine eigene Zweckrichtung festlegen sowie selbständig handeln kann. Ergibt sich aus dieser eigenen Zweckrichtung oder dem selbständigen Handeln einer Vereinigung ein Verstoß gegen Strafgesetze, so ist der Verbotstatbestand erfüllt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß das Verhalten der Mitglieder der Vereinigung zugerechnet werden kann. Eine durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit muß den Charakter der Vereinigung prägen. Eine Vereinigung kann gleichzeitig verschiedene Zwecke, insbesondere neben dem satzungsmäßig ausgewiesenen legalen Zweck auch strafrechtsrelevante Ziele anstreben und durch das Verhalten ihrer Mitglieder verwirklichen. In diesem Falle ist es zur Erfüllung des Verbotstatbestands nicht erforderlich, daß die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht. Ebensowenig muß eine Strafgesetzwidrigkeit auf Dauer bestehen. Es genügt vielmehr, wenn eine Vereinigung erst im Laufe der Zeit strafgesetzwidrig wird oder die Strafgesetzwidrigkeit zeitlich begrenzt ist. Die Strafgesetzwidrigkeit ist auch dann gegeben, wenn die Mitglieder der Vereinigung zwar spontan und aufgrund eines eigenen Entschlusses Straftaten begehen, dabei aber immer wieder geschlossen als Vereinigung auftreten, so daß die Straftaten sich nach außen als Vereinsaktivitäten darstellen, und die Vereinigung diesen Umstand kennt und billigt oder jedenfalls widerspruchslos hinnimmt. Der Vereinigung zurechenbar sind ferner solche strafbaren Verhaltensweisen der Vereinsmitglieder, die die Vereinigung deckt, indem sie ihren Mitgliedern durch eigene Hilfestellung oder Hilfestellung anderer Mitglieder Rückhalt bietet (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.10.1988, aaO.; Schnorr, aaO., § 3 VereinsG, RdNr. 6).
Daß die Zwecke oder die Tätigkeit des MC-G nach diesen genannten Kriterien den Strafgesetzen zuwiderlaufen, vermag der Senat nach den ihm vorgelegten Akten und Unterlagen sowie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen.
bb) Für die Bewertung, ob der Verein diese Verbotsvoraussetzungen erfüllt, ist es allerdings ohne Bedeutung, daß der in den Satzungen der Ortsgruppen M und K, die dem Senat vorliegen, niedergelegte Zweck (Förderung und Pflege des Motorradsports) in keiner Weise auf eine strafgesetzwidrige Zielrichtung hinweist; denn strafgesetzwidrige Zwecke werden üblicherweise nicht in einer Satzungsbestimmung offengelegt oder auf andere Weise ausdrücklich proklamiert. Ausreichend ist vielmehr, daß ein strafgesetzwidriger Zweck oder eine strafgesetzwidrige Tätigkeit dem Verein faktisch zugerechnet werden kann (vgl. Scholz, in Maunz-Dürig, Komm. zum GG, Art. 9, RdNr. 123).
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
cc) Die Verbotsverfügung des Innenministeriums enthält gravierende Vorwürfe, die im Falle ihrer Bestätigung die Verfügung ohne weiteres rechtfertigten. Zweck oder Tätigkeit eines Vereins, der Mitglieder während der Probezeit vor einer endgültigen Aufnahme zielgerichtet in Straftaten verwickelt (sog. "Keuschheitsproben") und ihnen z.B. abverlangt, als Kuriere bei illegalen Transporten von Betäubungsmitteln tätig zu werden oder sich an "Rollkommandos" gegen rivalisierende Motorradgruppen zu beteiligen, laufen den Strafgesetzen zuwider. Das gleiche gilt für die weitere Annahme in der Verbotsverfügung, aus Straftaten einzelner Mitglieder erlangte Vermögensvorteile seien an die Vereinskasse teilweise abgeführt worden. Diese Vorwürfe in der Verbotsverfügung haben sich indes nicht bestätigt. Nach den Feststellungen, die die Strafkammern II und III des Landgerichts Karlsruhe in ihren rechtskräftigen Urteilen vom 2. und 4. April 1990 getroffen haben, steht vielmehr fest, daß es derartige "Keuschheitsproben" vor der Aufnahme von Probemitgliedern im Verein MC-G nicht gegeben hat. Daß der Verein das Ziel verfolgt, sich durch Straftaten einzelner Mitglieder oder durch den von ihm selbst organisierten Schmuggel und Vertrieb von Betäubungsmitteln sowie durch Schutzgelderpressung illegale Einkünfte zu verschaffen, hat sich in den Hauptverhandlungen ebenfalls nicht bestätigt. Keine Bestätigung in den Strafverfahren haben schließlich auch die Vorwürfe in der Verbotsverfügung gefunden, der Verein beschaffe sich zentral über das Chapter M illegal Waffen und sei als Organisation bestrebt, die Herrschaft über das gesamte Rotlichtmilieu in M und Ka zu erlangen.
Der Senat legt die Feststellungen, die die Strafgerichte zu diesen Vorwürfen in der Verbotsverfügung nach zahlreichen Verhandlungstagen, einer umfangreichen Beweisaufnahme und einer eingehenden Beweiswürdigung getroffen haben, seiner Entscheidung zugrunde. Es fehlt jeder Anhaltspunkt, der zu der Annahme berechtigte, daß die Feststellungen in den Strafurteilen durch eine Beweisaufnahme des Senats hätten erschüttert werden können, zumal die Beteiligten hierzu Beweisanträge nicht gestellt haben, sich vielmehr mit einer Verwertung der Feststellungen einverstanden erklärt haben.
dd) Die erwiesenen Verstöße zahlreicher Vereinsmitglieder gegen Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes rechtfertigen das Vereinsverbot ebenfalls nicht, weil sie dem Verein nach den oben genannten Kriterien im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung des Innenministeriums Baden-Württemberg noch nicht zugerechnet werden können.
Nach dem Inhalt der Akten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht allerdings fest, daß Vereinsmitglieder im Clubhaus der Ortsgruppe Ka in erheblichem Umfang illegal Betäubungsmittel konsumiert haben. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem Senat angegeben, daß im Clubhaus des Chapters Ka bei Clubsitzungen oder anderen Vereinsveranstaltungen regelmäßig Betäubungsmittel konsumiert worden seien. Das Rauchen von Haschisch innerhalb des Clubhauses sei "normal" gewesen. Andere Betäubungsmittel, wie Speed oder Kokain, sind nach den Angaben des Zeugen von Vereinsmitgliedern in einem kleinen Nebenraum des Clubhauses konsumiert worden. Ein Verbot, Betäubungsmittel im Clubhaus zu konsumieren, habe der Vorstand des Chapters Ka nicht ausgesprochen. Dieser sei vielmehr bei Clubabenden, an denen Betäubungsmittel konsumiert worden seien, anwesend gewesen.
Wie das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer IV - in seinem rechtskräftigen Urteil vom 19.12.1990 geht auch der Senat davon aus, daß an der Glaubwürdigkeit des Zeugen durchgreifende Zweifel nicht bestehen. Seine Angaben vor dem Senat zum Betäubungsmittelkonsum im Clubhaus des Chapters Ka weisen keine Widersprüche zu seinen Angaben bei seiner polizeilichen Vernehmung auf. Diese Konstanz der Aussage wertet auch der Senat als Indiz dafür, daß der Zeuge den Umfang des Betäubungsmittelkonsums im Clubhaus aufgrund seiner eigenen Wahrnehmungen während seiner Mitgliedschaft wahrheitsgemäß geschildert hat. Eine Tendenz, den Konsum von Betäubungsmitteln übertrieben darzustellen, ist für den Senat nicht erkennbar geworden. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit hat der Senat berücksichtigt, daß der Zeuge in das Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts Baden-Württemberg aufgenommen worden ist, im Dezember 1989 nach § 1 des Gesetzes über die förmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen - Verpflichtungsgesetz - vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469/547) verpflichtet worden ist, dem Senat deswegen eine Aussagegenehmigung des Landeskriminalamts vom 4. Dezember 1991 vorgelegt hat und bei seiner Vernehmung mit einer Rechtsanwältin als Zeugenbeistand erschienen ist. Diese Umstände sind bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit zu berücksichtigen, vermögen diese jedoch nicht zu erschüttern.
Die Verurteilung zahlreicher Mitglieder der Ortsgruppe Ka wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ist nach Auffassung des Senats ein Indiz dafür, daß die Angaben des Zeugen zur Art und Weise sowie zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums innerhalb des Clubhauses zutreffen. Nach den rechtskräftigen Urteilen der Strafkammern II, III und IV des Landgerichts Karlsruhe vom 2., 4. April und 19. Dezember 1990 sowie nach den Auskünften aus dem Zentralregister, die das beklagte Land vorgelegt hat und gegen deren Verwertung durch den Senat keine rechtlichen Bedenken bestehen (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BZRG), steht fest, daß allein aus dem Chapter Ka 10 Personen, deren Mitgliedschaft eingeräumt wurde, einschlägig vorbestraft sind. Zu erheblichen Freiheitsstrafen wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln und wegen gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln wurden durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Karlsruhe - Strafkammer IV - vom 19. Dezember 1990 insbesondere die Mitglieder der Ortsgruppe Ka, und sowie das Mitglied der Ortsgruppe M verurteilt.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann der illegale Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln innerhalb von Clubräumen der Verbotsbehörde grundsätzlich Anlaß geben, gegen die Vereinigung selbst durch Erlaß einer Verbotsverfügung einzuschreiten; denn der Zweck oder die Tätigkeit eines Vereins kann den Strafgesetzen zuwiderlaufen, wenn die auf diese Weise durch Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit (vgl. etwa § 29 Abs. 1 Nr. 3 BTMG) den Charakter des Vereins prägt, indem er in zurechenbarer Weise in vereinseigenen Räumen die Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch oder Erwerb von Betäubungsmitteln gewährt (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 10 2. Alt. BTMG). Daß diese Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verbotsverfügung erfüllt waren, kann der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und dem Inhalt der ihm vorliegenden Akten indes nicht feststellen. Die besondere Struktur und Organisation des vom Verbot betroffenen überregionalen Vereins MC-G mit insgesamt fünf Ortsgruppen und mehr als einhundert Mitgliedern setzt nämlich voraus, daß der Charakter des gesamten Vereins und nicht lediglich einer Ortsgruppe durch das gegen die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (§§ 29 ff. BTMG) verstoßende Verhalten einzelner Mitglieder geprägt wird. Zwar steht nach der Beweisaufnahme fest, daß Betäubungsmittel auch im Clubhaus der Ortsgruppe M in gewissen Umfang von Vereinsmitgliedern illegal konsumiert worden sind. Der Zeuge, der seit 1975 Mitglied der Ortsgruppe M ist und bis zum Vereinsverbot die Funktion des Kassenwarts innehatte, hat bei seiner Vernehmung durch den Senat angegeben, daß einzelne Vereinsmitglieder trotz eines entsprechenden Verbots immer wieder Betäubungsmittel in den Clubräumen konsumiert haben. Bestätigt wurde durch die Vernehmung dieses Zeugen auch, daß bei einer Weihnachtsfeier im Clubhaus der Ortsgruppe M ein Weihnachtsbaum aufgestellt worden ist, der mit Haschisch-Joints behängt war, die von einem Teil der anwesenden Mitglieder konsumiert worden sind. Der nach dem Inhalt der Behördenakten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehende illegale Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln in den Clubräumen der Ortsgruppen Ka und M rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, der Charakter des gesamten Vereins sei bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung durch dieses strafgesetzwidrige Verhalten von Vereinsmitgliedern geprägt worden. Daß der Verein in den Clubräumen seiner Ortsgruppen R, L und K den unerlaubten Besitz und Konsum von Betäubungsmitteln durch Vereinsmitglieder in ähnlichem Umfang wie etwa im Clubhaus der Ortsgruppe Ka in zurechenbarer Weise ermöglicht hat, ist durch das Ergebnis der Ermittlungen im Verbotsverfahren und durch die Beweisaufnahme vor dem Senat nicht belegt. Zwar steht nach der Vernehmung der Kriminalhauptkommissare und sowie der Vernehmung des Sachverständigen fest, daß Zigarettenrückstände, die bei der Durchsuchung der Clubräume der Ortsgruppen K und R sichergestellt wurden, Haschischinhaltsstoffe (Tetrahydrocannabinol) enthielten. Für den Nachweis eines dem Verein zurechenbaren illegalen Konsums von Betäubungsmitteln in den Clubräumen reicht dies jedoch nicht aus. Es läßt sich nämlich bereits nicht ausschließen, daß die beschlagnahmten Zigarettenrückstände von Personen stammen, die nicht Mitglieder des Vereins sind. Der zum Konsum von Betäubungsmitteln im Clubhaus der Ortsgruppe L vom Senat vernommene Zeuge, der ca. ein Jahr Mitglied dieser Ortsgruppe war, hat Angaben über eigene Wahrnehmungen zum Betäubungsmittelkonsum in den Clubräumen nicht gemacht.
Danach steht mit der für eine Bestätigung des Vereinsverbots erforderlichen Gewißheit nicht fest, daß das gegen die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes verstoßende Verhalten von Vereinsmitgliedern, insbesondere aus den Ortsgruppen K und M, den Charakter des gesamten Vereins im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung bereits geprägt hat.
ee) Die Beteiligung mehrerer Mitglieder der Ortsgruppe Ka an einem Angriff gegen die Rockergruppe kann das Vereinsverbot ebenfalls nicht rechtfertigen.
Nach den Feststellungen, die das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer IV - zu diesem Komplex in seinem rechtskräftigen Urteil vom 19.12.1990 getroffen hat, steht fest, daß mehrere Vereinsmitglieder der Ortsgruppe Ka eine Veranstaltung der Rockergruppe im Hafengebiet von W aufgesucht und Mitglieder dieser Gruppe mit Holzknüppeln und Baseballschlägern angegriffen haben, wobei eine Person durch einen Schlag auf den Kopf mit einem Prügel erheblich verletzt wurde. Die Mitglieder der Ortsgruppe Ka, und wurden deshalb durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Karlsruhe wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Derartige erhebliche Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit scheiden als Anlaß für ein Einschreiten der Verbotsbehörde gegen eine Vereinigung nicht bereits deshalb aus, weil sie sich im Rahmen der unter rivalisierenden Rockergruppen üblichen Art der Auseinandersetzung halten. Eine Vereinigung, die derartige Gewalttaten organisiert oder deren Funktionsträger sie zumindest billigen, kann vielmehr die Voraussetzungen des Verbotstatbestands erfüllen. Das strafgesetzwidrige Verhalten von Mitgliedern der Ortsgruppe Ka ist dem Verein nach den oben genannten Kriterien indes nicht zurechenbar. Es existieren keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Überfall auf die Rockergruppe, an dem sich nach den Feststellungen des Landgerichts Karlsruhe der Vorstand der Ortsgruppe Ka nicht beteiligt hat, sei mit Kenntnis und Billigung von Mitgliedern oder Funktionsträgern anderer Ortsgruppen des Vereins erfolgt. Der Senat geht deshalb - wie das Landgericht Karlsruhe in seinem rechtskräftigen Urteil - davon aus, daß es sich um eine "isolierte Aktion" von Mitgliedern des Chapters Ka gehandelt hat, die dem vom Verbot erfaßten gesamten Verein MC-G nicht zugerechnet werden kann.
ff) Daß der Zweck oder die Tätigkeit des MC-G den Strafgesetzen zuwiderläuft, folgt schließlich auch nicht aus dem Verhalten einiger Vereinsmitglieder, das zu rechtskräftigen Verurteilungen wegen versuchter Nötigung (§ 240 StGB) geführt hat.
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Verurteilung des Vereinsmitglieds, der nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.12.1990 versucht hat, die im Strafverfahren als Zeugin aufgetretene durch massive Drohungen zu bewegen, ihre belastenden Aussagen vor der Polizei zurückzunehmen. Relevant ist ferner die Verurteilung des Vereinsmitglieds, der nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts Karlsruhe vom 2.4.1990 ebenfalls versucht hat, den im Strafverfahren als Zeugen aufgetretenen durch Drohungen zur Zahlung von 10.000,-- DM zu veranlassen.
Derartige strafbare Verhaltensweisen von Vereinsmitgliedern, insbesondere die Versuche, das Aussageverhalten von Zeugen durch Drohungen zu beeinflussen, stellen zwar grundsätzlich verbotsrelevante Taten dar. Von einem Verein organisierte, gebilligte oder zumindest widerspruchslos hingenommene Bedrohungen Dritter, durch die rechtswidrig Einfluß auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren genommen wird, stellen sogar eine besondere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dar, die ein Einschreiten gegen die Vereinigung rechtfertigt. Durch ein solches Verhalten kann nämlich das Verantwortungsgefühl einzelner Mitglieder gemindert, die individuelle Hemmschwelle zum Begehen von Straftaten abgebaut und der Anreiz zu neuen Straftaten geweckt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8.10.1988 aaO.).
Das strafgesetzwidrige Verhalten der Vereinsmitglieder kann dem verbotenen Verein aber nicht zugerechnet werden. Eine strafrechtliche Verurteilung von Funktionsträgern wegen Nötigung liegt nicht vor. Nach dem Inhalt der vorliegenden Akten, den Feststellungen der Strafkammern in den rechtskräftigen Urteilen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch nicht mit der erforderlichen Gewißheit fest, daß das strafgesetzwidrige Verhalten einzelner Mitglieder bei Funktionsträgern des Vereines oder bei einer nicht unerheblichen Zahl von Mitgliedern bereits im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung bekannt war. Auch der Senat kann deshalb - wie das Landgericht Karlsruhe - Strafkammer II - in seinem Urteil vom 2.4.1990 - nicht ausschließen, daß es sich bei den Bedrohungen von Zeugen um Einzelaktionen verschiedener Vereinsmitglieder gehandelt hat, die dem gesamten Verein nach den hierfür maßgeblichen Kriterien noch nicht zugerechnet werden können.
Wenn somit eine Prägung des gesamten Vereins durch das strafgesetzwidrige Verhalten von Mitgliedern bei Erlaß der Verfügung noch nicht nachgewiesen werden konnte, so bedeutet dies nicht, daß die Zurechenbarkeit bei einer Fortsetzung dieses Verhaltens auch in Zukunft ohne weiteres wegen der fehlenden Kenntnis der Funktionsträger oder der Mitglieder entfiele. Denn die erheblichen Verstöße mehrerer Vereinsmitglieder gegen Strafbestimmungen sind jetzt bekannt.
3. Ist das Vereinsverbot danach rechtswidrig und aufzuheben, können auch die Anordnung der Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens, die Untersagung der Vereinstätigkeit sowie das Verbot, Ersatzorganisationen zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen (§§ 3 Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 1 VereinsG) in den Nrn. 3 und 4 der Verfügung des Innenministeriums vom 10.11.1988 keinen Bestand haben.
VGH Baden-Württemberg:
Urteil v. 16.01.1992
Az: 1 S 3626/88
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