Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 7. Juli 2010
Aktenzeichen: I-8 U 119/09
(OLG Hamm: Urteil v. 07.07.2010, Az.: I-8 U 119/09)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 9. Juli 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vor-standsmitglied der Beklagten durch Beschluss des Aufsichtsrats der Be-klagten vom 30. Mai 2008 unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungs-gläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A.
Der Kläger, der Vorstandsvorsitzender der Beklagten war, wendet sich gegen den Widerruf seiner Bestellung durch deren Aufsichtsrat sowie gegen eine Beschlussfassung der Hauptversammlung, mit der ihm das Vertrauen entzogen worden war.
Der Kläger war seit 1997 Vorstandsmitglied der Beklagten, zuletzt als Vorstandsvorsitzender neben dem weiteren Vorstand Prof. I3. Sein Amt war im Jahre 2007 bis zum 31. Dezember 2009 verlängert worden. Er hält auch Aktien an der Beklagten, und zwar unter Einschluss der von seiner Ehefrau und seinen Kindern gehaltenen Aktien im Umfang von ca. 15 %.
Der aus dem Mehrheitsaktionär T4 und zwei weiteren Mitgliedern bestehende Aufsichtsrat der Beklagten widerrief mit Beschluss vom 30.05./03.06.2008 die Bestellung des Klägers zum Vorstand mit der Begründung, das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und den Mitgliedern des Aufsichtsrats, insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden T4, sei nachhaltig und irreparabel zerstört. Die Hauptversammlung der Beklagten fasste am 21. Juni 2008 mehrheitlich den Beschluss, dem Kläger als Mitglied des Vorstands das Vertrauen zu entziehen. Am selben Tag bestätigte der Aufsichtsrat unter Hinweis auf diese Vertrauensentziehung den Beschluss über die Abberufung des Klägers. Nach Erhebung der vorliegenden Klage beschloss der Aufsichtsrat am 18. September 2008 erneut die Abberufung des Klägers als Mitglied des Vorstandes. Die beiden letztgenannten Beschlüsse wurden dem Kläger mit Schreiben vom 23. September 2008 zugestellt.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der Widerruf seiner Bestellung zum Vorstand sei unwirksam, da es an einem wichtigen Grund hierfür fehle. Weder habe er seine Pflichten verletzt noch sei er unfähig zur Ausübung seines Amtes. Auch auf den Vertrauensverlust der Hauptversammlung könne die Abberufung nicht gestützt werden, weil das Vertrauen aus offenbar unsachlichem Grund entzogen worden sei. Grund für die Abberufung sei allein das eigensüchtige Interesse des Mehrheitsaktionärs T4 gewesen, ihn aus dem Amt zu entfernen und damit wirtschaftliche Vorteile im Zusammenhang mit Aktienoptionsvereinbarungen zu erlangen. Sachliche Gründe, die einen Vertrauensverlust rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Soweit unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Sachverhalten geäußert worden seien, habe er, der Kläger, jeweils seine Aufgaben im Interesse der Gesellschaft wahrgenommen. Der Kläger hat zudem die Auffassung vertreten, nach der Abberufung vom 30.05./03.06.2008, die zunächst wirksam geworden sei, seien alle nachfolgenden Maßnahmen ins Leere gegangen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, bereits am 30. Mai 2008 habe ein wichtiger Grund zum Widerruf der Bestellung des Klägers vorgelegen, da dieser das Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsrat zerstört und sich insbesondere gegenüber dem Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzenden T4 unangemessen verhalten habe. Jedenfalls nach Entziehung des Vertrauens durch die Hauptversammlung habe der Aufsichtsrat den Kläger wirksam als Vorstandsmitglied abberufen, zumal die Beschlussfassung der Hauptversammlung nicht auf offenbar unsachlichen Gründen beruht habe.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Es hat die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 21. Juli 2008 für unbegründet gehalten. Die Stimmabgabe durch den Aktionärsstamm T4, so das Landgericht, sei nicht treuwidrig gewesen. Aus Sicht der Aktionärsmehrheit hätten sachliche Gründe für den Vertrauensverlust gegenüber dem Kläger vorgelegen. Die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied sei jedenfalls durch den Aufsichtsratsbeschluss vom 18. September 2008 wirksam widerrufen worden. Die Beschlüsse des Aufsichtsrats vom 30.05. und 21.07. hätten sich danach erledigt. Wegen der weiteren Begründung der landgerichtlichen Entscheidung sowie wegen der Darstellung des Parteivorbringens einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen, wonach der Vertrauensentzug auf bloßer Willkür beruht habe und ohne sachlichen Grund geschehen sei. Vielmehr, so der Kläger, habe der Mehrheitsaktionär T4 damit nur eine langfristig verfolgte Strategie umgesetzt, ihn, den Kläger, aus dem Amt des Vorstands zu entfernen, um nicht erheblichen finanziellen Forderungen aus Aktienoptionsvereinbarungen ausgesetzt zu sein. Die den Widerruf der Bestellung zum Vorstand enthaltenden Aufsichtsratsbeschlüsse seien ebenfalls unwirksam, da ein wichtiger Grund nicht gegeben sei. Die Beschlüsse vom 21. Juli und 18. September 2008 seien zudem ins Leere gegangen, nachdem er, der Kläger, mit dem Beschluss vom 30. Mai/3. Juni 2008 zunächst formell wirksam abberufen worden sei.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 9. Juli 2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Münster zu erkennen:
die Widerrufe der Bestellung des Klägers und Berufungsklägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten durch Beschlüsse des Aufsichtsrats der Beklagten vom 30. Mai 2008, 21. Juli 2008 und 18. September 2008 sind unwirksam;
der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 21. Juli 2008, durch welche dem Kläger als Mitglied des Vorstandes der Beklagten das Vertrauen entzogen wurde (Punkt 4 der Tagesordnung) wird für unwirksam erklärt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die zulässige Berufung des Klägers hat nur insoweit Erfolg, als die Unwirksamkeit seiner Abberufung durch Beschlussfassung des Aufsichtsrates vom 30. Mai 2008 festzustellen ist. Die weitergehenden Angriffe des Klägers gegen die Aufsichtsratsbeschlüsse vom 21. Juli und 18. September 2008 sowie den Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 21. Juli 2008 bleiben erfolglos, sodass die Berufung insoweit zurückzuweisen ist.
I. Berufungsantrag zu 1 b): Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses vom 21. Juli 2008.
Die Anfechtung des Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten vom 21. Juli 2008 zu Punkt 4 der Tagesordnung, mit dem dem Kläger als Mitglied des Vorstandes das Vertrauen entzogen wurde, ist unbegründet.
1.
Zwar ist der Kläger anfechtungsbefugt und hat auch die Anfechtungsfrist gewahrt. Nach § 245 Nr. 1 AktG ist zur Anfechtung jeder Aktionär befugt, wenn er gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Der Kläger ist Aktionär der Beklagten und hat Widerspruch gegen sämtliche Beschlussfassungen der Hauptversammlung vom 21. Juli 2008 erheben lassen. Er hat auch die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG gewahrt. Die Klage ist per Fax am 20. August 2008 und damit rechtzeitig beim Landgericht Münster eingegangen. Die damit formell ordnungsgemäß erhobene Anfechtungsklage hat in der Sache aber keinen Erfolg, da es an einem Anfechtungsgrund fehlt.
2.
Nach § 243 Abs. 1 AktG kann ein Hauptversammlungsbeschluss wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung angefochten werden. Solche Gesetzes- oder Satzungsverstöße vermag der Senat hier jedoch nicht festzustellen.
a)
Die Anfechtung kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass bei der Beschlussfassung Stimmen des Stammes T4 abgegeben und berücksichtigt wurden, obwohl diese, wie der Kläger erstinstanzlich gemeint hatte, wegen unterbliebener Anmeldung gemäß § 20 Abs. 7 AktG einem Stimmrechtsausschluss unterlagen. Dieser Anfechtungsgrund kann vom Senat schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er nicht innerhalb der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG vorgebracht wurde. Vielmehr hat der Kläger das angebliche Stimmverbot erst mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2008 und damit nicht innerhalb der am 21. August 2008 endenden Monatsfrist geltend gemacht. Auch wenn die Anfechtungsklage grundsätzlich fristgerecht erhoben wurde, bleiben nachgeschobene Anfechtungsgründe unbeachtlich (Hüffer, AktG, 9. Aufl. § 246 Rdn. 26).
Unabhängig davon hat sich die Rüge des Klägers bereits erstinstanzlich als unzutreffend herausgestellt. Seine Behauptung, der Gesellschafter T4 sowie die T8 GmbH hätten den Umstand ihrer Mehrheitsbeteiligung bzw. einer Beteiligung von mehr als 25 % an der Gesellschaft nicht rechtzeitig mitgeteilt, ist durch die mit Eingangsstempeln der Beklagten versehenen Schreiben vom 11. Juli 2008 (Bl. 296, 297 GA) sowie die schriftliche Darstellung der Zeugin U (Bl. 399 GA) widerlegt worden.
b)
Soweit der Kläger geltend macht, der Beschluss sei ohne sachlichen Grund gefasst worden, liegt darin kein tauglicher Anfechtungsgrund.
Sofern das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist, stellt der Beschluss der Hauptversammlung nach § 84 Abs. 3 S. 2 AktG keinen wichtigen Grund zum Widerruf der Bestellung des Vorstands dar. Daraus folgt aber nur, dass der auf einen solchen Vertrauensentzug gestützte Widerruf seitens des Aufsichtsrats unwirksam ist. Über die Wirksamkeit bzw. Rechtmäßigkeit des Beschlusses der Hauptversammlung und dessen Anfechtbarkeit ist damit noch nichts gesagt. Aus § 84 Abs. 3 AktG ist im Gegenteil nicht abzuleiten, dass die Hauptversammlung einen Vertrauensentzug ohne sachlichen Grund nicht beschließen darf und ein gleichwohl derart gefasster Beschluss einer inhaltlichen Überprüfung im Anfechtungsverfahren unterliegt. Soweit keine sonstigen Satzungs- oder Gesetzesverstöße vorliegen, rechtfertigt der behauptete Vertrauensentzug ohne sachlichen Grund nicht die Anfechtung dieser Beschlussfassung.
c)
Ein Gesetzesverstoß kann jedoch darin liegen, dass ein Beschluss in die Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre eingreift (Hüffer, a.a.O. § 243 Rdn. 24). Die mitgliedschaftliche Treuepflicht der Aktionäre untereinander konkretisiert sich in der Pflicht der den Beschluss tragenden Mehrheit, nur nach Maßstäben der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit in die Mitgliedschaftsrechte einzugreifen. Dadurch wird in bestimmtem Maße eine Inhaltskontrolle von Beschlüssen ermöglicht.
Auf diesen Gesichtspunkt kann sich der Kläger jedoch ebenfalls nicht mit Erfolg stützen. Der Beschluss, mit dem ihm das Vertrauen als Vorstand entzogen worden ist, greift nämlich nicht in seine mitgliedschaftlichen Rechte als Minderheitsaktionär ein, soweit es seine Stellung als Vorstand betrifft. Das Amt des Vorstandes ist nicht Inhalt der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung des Vorstandsmitglieds, selbst wenn er Aktionär ist. Die Wahrung der Rechte des Vorstands etwa vor einer ungerechtfertigten Abberufung wird durch § 84 Abs. 3 AktG abschließend geregelt.
Bei der Ausübung nichteigennütziger Mitgliedschaftsrechte wie etwa des Stimmrechts gebietet es die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft zwar, sich am Gesellschaftswohl zu orientieren und diejenigen Handlungen zu unterlassen, die der Förderung des Gesellschaftszwecks zuwiderlaufen (Hüffer a.a.D., § 53a Rdnr. 16). Dem Aktionär steht insoweit jedoch ein unternehmerisches Ermessen zu; lediglich in Ausnahmefällen, in denen der Sachverhalt nur eine Entscheidung zulässt, tritt eine Ermessensreduzierung auf Null ein, deren Verletzung zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen kann (Wiesner in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 3. Aufl. § 17 Rdnr. 19).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass es dem Gesellschaftsinteresse allein entsprochen hätte, den Kläger im Amt zu belassen, während die Vertrauensentziehung unter keinen Umständen vertretbar war. Soweit der Kläger darauf hinweist, seine mit dem angefochtenen Hauptversammlungsbeschluss vorbereitete Abberufung habe mangels eines Nachfolgers ein Führungsvakuum hinterlassen, das zwangsläufig nachteilige Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit haben musste, entspricht dies nicht der damaligen Situation. Die Nachfolge des Klägers trat nach kurzer Zeit die jetzige Vorstandsvorsitzende Frau G an, was zur Zeit des Hauptversammlungsbeschlusses bereits absehbar war. Dass die Verschlechterung des wirtschaftlichen Ergebnisses der Beklagten allein oder maßgeblich durch den Wechsel im Vorstand verursacht wurde und diese Entwicklung der Hauptversammlungsmehrheit vor Augen stand, kann der Senat nicht feststellen.
d)
Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung stellte die Stimmabgabe durch den Aktionär T4 auch keine sittenwidrige Schädigung des Klägers dar. Eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 4 AktG liegt schon deshalb nicht vor, weil der Beschlussinhalt nicht gegen die guten Sitten verstößt.
Unter Umständen kann allerdings die Stimmabgabe eines Aktionärs nichtig sein, wenn sie vorsätzlich sittenwidrig erfolgt (vgl. Hüffer, a.a.O. § 53 a Rdn. 22). Dies trifft für die Stimmabgabe des Aktionärs T4 jedoch nicht zu. Allein die vom Kläger behauptete Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen durch den Aktionär mag unter Umständen treuwidrig sein, dies rechtfertigt jedoch nicht den Vorwurf vorsätzlich sittenwidrigen Handelns. Das Bestreben, einen missliebigen Vorstand aus dem Amt zu entfernen, indem die Hauptversammlung ihm das Vertrauen entzieht, ist im Aktienrecht vorgesehen und selbst dann, wenn egoistische Interessen und Motive hierfür mitursächlich sein sollten, nicht als sittenwidrig anzusehen.
Die Sittenwidrigkeit kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht damit begründet werden, Herr T4 habe täuschend bei ihm, dem Kläger, die Vorstellung geweckt und zunächst aufrechterhalten, er werde bis Ende 2009 im Amt bleiben; die Abberufung und deren Vorbereitung durch Vertrauensentziehung seien Teil eines einheitlichen Betrugsvorgangs und deshalb als sittenwidrig zu bewerten. Zum einen erstreckten sich die behauptete Täuschung und die dadurch nach Darstellung des Klägers herbeigeführte Vermögensverfügung des Klägers durch Ausübung der Call-Option betreffend Aktien der Bekalgten nicht auf den Vorgang des Vertrauensentzugs, zum anderen vermag der Senat die behauptete Täuschung, vor allem auch den entsprechenden Vorsatz bereits im Jahre 2007, nicht festzustellen. Die im Berufungsverfahren vorgelegte Stundenaufstellung des Rechtsanwalts Dr. I rechtfertigt den Schluss auf eine bereits seit dem Jahre 2007 verfolgte Strategie zur Schädigung des Klägers nicht, worauf noch näher einzugehen sein wird.
e)
Die Beschlussfassung ist auch nicht nach § 243 Abs. 2 AktG anfechtbar. Nach dieser Vorschrift kann die Anfechtung auch darauf gestützt werden, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen sucht. Dies vermag der Senat nicht festzustellen.
Die Wirkung der Abberufung des Klägers war grundsätzlich für alle Aktionäre gleich. Zwar behauptet der Kläger, der Aktionär T4 habe durch das Auswechseln des Vorstands den kurzfristigen Niedergang der Gesellschaft erreichen wollen, damit für den Fall, dass der Kläger und Prof. I3 von ihren sog. Put-Optionen Gebrauch machen sollten, der am Ertrag der Gesellschaft orientierte Kaufpreis geringer sein würde. Diese vom Kläger geäußerte Vermutung lässt sich indes nicht verifizieren. Gegen eine derartige Motivation des Handelns des Aktionärs T4 spricht es, dass bei einem Wertverlust der Gesellschaft in erster Linie gerade Herr T4 einschließlich der ihm zuzurechnenden Aktionäre seines Stammes Nachteile erleiden würde, da er immerhin ca. 69 % der Aktien hielt. Der Senat hat auch erhebliche Bedenken gegen die Plausibilität der Annahme des Klägers, nach seinem Ausscheiden habe etwa durch Aufblähen von Kostenpositionen das Betriebsergebnis bewusst heruntergefahren werden sollen, um es bei passender Gelegenheit später wieder zu erhöhen. Eine solche Vorstellung des Aktionärs T4 erscheint spekulativ und lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Die Realisierung eines solchen Plans wäre mit erheblichen Risiken verbunden, die sich auch und gerade für den Mehrheitsaktionär T4 nachteilig ausgewirkt hätten. Für die Vornahme der vom Kläger gemutmaßten Manipulationen und buchhalterischen Tricks hätte der Mehrheitsaktionär zudem die Unterstützung der neuen Vorstandsvorsitzenden gewinnen müssen, was ihm keineswegs sicher erscheinen konnte, zumal diese ihr Handeln in erster Linie am Wohl der Gesellschaft auszurichten und mögliche Haftungsfolgen aus § 93 AktG zu berücksichtigen hat.
II. Berufungsantrag zu 1 a) betreffend die Feststellung der Unwirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses vom 30. Mai 2008
Entgegen der landgerichtlichen Entscheidung ist die Klage insoweit zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil war deshalb insoweit abzuändern.
1.
Die Klage ist zulässig.
a)
Nach einheitlicher Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist die Abberufung des Vorstandes mit der Gestaltungsklage anzufechten, wenn das Fehlen eines wichtigen Grundes verfolgt wird (Hüffer, a.a.O. § 84 Rdn. 34; Spindler in MünchKomm (AktG) 3. Aufl. § 84 Rdn. 132). Dies beruht auf der Überlegung, dass, sofern eine Beschlussfassung überhaupt erfolgt ist und diese dem Vorstand mitgeteilt wurde, der Widerruf wirksam ist (§ 84 Abs. 3 S. 4 AktG) und es einer gerichtlichen Gestaltung bedarf, um diese Wirkung zu beseitigen. Die Gestaltung liegt in der entsprechenden Feststellung. Da der Kläger selbst nicht vorträgt, ein Aufsichtsratsbeschluss sei gar nicht oder formell fehlerhaft zustande gekommen, was mit der allgemeinen Feststellungsklage geltend zu machen wäre, ist die hier verfolgte Gestaltungsklage statthaft.
b)
Der Rechtsverfolgung des Klägers kann auch nicht das Rechtsschutzinteresse abgesprochen werden. Soweit das Landgericht die Auffassung vertreten hat, jedenfalls durch die Beschlussfassung des Aufsichtsrats vom 18. September 2008 habe sich das Begehren des Klägers erledigt, weil jedenfalls jetzt die Abberufung zulässig erfolgt sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Argumentation des Landgerichts wäre allenfalls dann schlüssig, wenn der Kläger den Beschluss vom 18. September 2008 akzeptiert hätte, was nicht der Fall ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus der vom Landgericht zitierten Literatur (Hüffer, § 84 Rdn. 34) und Rechtsprechung (OLG Stuttgart, Urteil vom 13.03.2002, AG 2003, 211). Dort wird auf die Heilungswirkung einer späteren Beschlussfassung in analoger Anwendung des § 244 AktG abgestellt, die hier jedoch nicht in Betracht kommt. Der Kläger stützt sein Begehren gerade nicht auf das Fehlen eines formell ordnungsgemäßen Beschlusses, sondern auf die materielle Unrichtigkeit, nämlich das Fehlen eines wichtigen Grundes.
Das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der begehrten Feststellung fehlt auch nicht deshalb, weil die Bestellung des Klägers zum Vorstand später durch erneuten Widerruf oder jedenfalls durch Zeitablauf geendet hat. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im vorliegenden Rechtsstreit wäre das Vorstandsamt des Klägers auch ohne Abberufungsbeschlüsse durch Ablauf der bis zum 31. Dezember 2009 erfolgten Befristung planmäßig beendet gewesen. Soweit deshalb in der Literatur zum Teil die Auffassung vertreten wird, nach planmäßigem Ablauf der Amtszeit müsse die Klage für erledigt erklärt werden (Spindler in MünchKomm (AktG), § 84 Rdn. 137) oder sei auf die Feststellung zu beschränken, dass die Abberufung rechtswidrig gewesen sei (Mertens/Cahn in Kölner Kommentar, 3. Aufl. § 84 Rdn. 134, 138) folgt der Senat dem nicht in dieser Absolutheit. Auch wenn nach Ablauf der regulären Amtszeit des Vorstands die rückwirkende Wiederherstellung der Bestellung faktisch nicht mehr möglich ist, kann gleichwohl ein rechtliches Interesse des Vorstandsmitglieds an der angestrebten Feststellung bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, was hier allerdings nicht in Betracht kommt, dass der Anstellungsvertrag an das Vorstandsamt gekoppelt worden ist, oder andere wirtschaftliche Interessen des Vorstandsmitglieds die Feststellung der Unwirksamkeit seiner Abberufung motivieren. Denkbar ist auch ein sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich bedeutsames Interesse an der Wiederherstellung der evtl. beschädigten Reputation.
Letzteres hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung durch den Senat herausgestellt und ausgeführt, sowohl für sich selbst als auch für seine Bewertung durch andere Personen sei die gerichtliche Feststellung, der Widerruf der Bestellung sei zu Unrecht erfolgt, von großer Bedeutung. Durch seinen Prozessbevollmächtigten hat er ergänzend ausführen lassen, die gerichtliche Entscheidung könne auch für evtl. Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder Bedeutung erlangen und deshalb ein rechtliches Interesse begründen. Der Senat hält beide Gesichtspunkte für nachvollziehbar und plausibel mit der Folge, dass der Klage auch nach Ablauf des 31. Dezember 2009 nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlt.
2.
Die Klage ist insoweit auch begründet, da der Widerruf der Bestellung durch Beschlussfassung vom 30.05./03.06.2008 unwirksam war.
a)
Zwar hat der Aufsichtsrat formell ordnungsgemäß den Beschluss zur Abberufung des Klägers gefasst. Die Beschlussfassung im Umlaufverfahren ist in § 108 Abs. 4 AktG grundsätzlich zugelassen. Dass die Satzung der Beklagten dies ausschließt, ist nicht geltend gemacht worden. Der Beschluss ist auch einstimmig gefasst worden. Soweit das Aufsichtsratsmitglied Prof. C sich der Stimme enthalten hat, ist diese Stimme nicht mitzuzählen, insbesondere nicht als Nein-Stimme anzusehen (vgl. Hüffer, § 108 Rdn. 6).
Der Beschluss ist dem Kläger persönlich am 03.06.2008 übermittelt worden.
b)
Es fehlt jedoch an dem nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG erforderlichen wichtigen Grund für den Widerruf der Bestellung. Nach § 84 Abs. 3 S. 2 AktG liegt ein solcher wichtiger Grund namentlich vor bei grober Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder dem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung.
Da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 30.05./03.06.2008 ein Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung nicht vorgelegen hat und der Beschluss vom 21. Juli 2008 keine rückwirkende Kraft entfaltet, kann ein wichtiger Grund nur in einer groben Pflichtverletzung oder der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung liegen. In beiden Fällen muss der Grund so schwerwiegend sein, dass die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum regulären Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar war (Hüffer, § 84 Rdn. 26). Dies vermag der Senat hier nicht festzustellen.
Der Aufsichtsrat der Beklagten hat sich bei der Abberufung des Klägers darauf gestützt, dass eine nachhaltige und irreparable Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Kläger und den Mitgliedern des Aufsichtsrats, insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden, vorgelegen habe, was Mitarbeitern der Gesellschaft und Geschäftspartnern bekannt geworden sei; bei Fortsetzung des Organverhältnisses hätte der Gesellschaft ein nachhaltiger Schaden gedroht.
Soweit im Verlauf des Rechtsstreits zu den Gründen für die Abberufung ergänzend vorgetragen worden ist, kann der Senat bei der Beschlussfassung nicht berücksichtigte Gründe bei seiner Würdigung nicht einbeziehen. Die Beklagte hat folgende Umstände angeführt, aus denen sie das Vorliegen eines wichtigen Grundes ableitet:
ein Eingriff des Klägers in die Personalkompetenz des Aufsichtsrats, die eigenmächtige Änderung der Ausschüttungspolitik, die Einflussnahme auf die Wahl des Abschlussprüfers, unangemessenes Verhalten gegenüber anderen Organmitgliedern und die Verknüpfung der Eigeninteressen mit der Nachfolgeregelung.
Dass sich die Beschlussfassung allein auf das unangemessene Verhalten gegenüber anderen Organmitgliedern, insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden T4 gestützt hat, folgt nicht nur aus der Formulierung des Beschlusstextes, sondern lässt sich auch dem Schreiben des Aufsichtsratsmitglieds Prof. T2 vom 14. Juli 2008 an den Kläger (Bl. 233 GA) entnehmen, wonach der im Beschluss genannte Vertrauensverlust allein auf der "unwürdigen, bloßstellenden und diffamierenden Haltung" gegenüber dem Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzenden T4 beruht habe. Weitergehende Gründe für die Abberufung können im Rechtsstreit aber allenfalls dann nachgeschoben werden, wenn der Aufsichtsrat durch entsprechende Beschlussfassung zu erkennen gibt, dass er auch darauf den Widerruf stützen will (Hüffer, § 84 Rdn. 34). Das vermag der Senat im Hinblick auf die weiteren oben genannten Umstände jedoch nicht festzustellen. Eine derartige Willensäußerung, dass auch die weiteren Vorwürfe der Beklagten gegen den Kläger, wie sie im Rechtsstreit vorgebracht werden, die Abberufung durch den Aufsichtsrat tragen sollen, ist nicht dargelegt. Sie können in die Beurteilung des Senats, ob ein wichtiger Grund für die Abberufung am 30.05.2008 vorgelegen hat, somit nicht einbezogen werden.
Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen sind die weiteren dargestellten Umstände auch nicht derart bedeutsam, dass unterstellt, sie ließen sich in tatsächlicher Hinsicht feststellen deshalb die Fortsetzung des Organverhältnisses für den Aufsichtsrat bis zum Ende der regulären Amtszeit des Klägers unzumutbar wäre. An dieser Stelle soll davon abgesehen werden, die im Verhandlungstermin dargestellten Erwägungen hierzu im Einzelnen wiederzugeben, da die Beurteilung für die Entscheidung des Senats im Ergebnis ohne Bedeutung ist.
Als wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers, der im vorliegenden Rechtsstreit berücksichtigt werden kann, verbleibt danach das von der Beklagten behauptete unangemessene Verhalten des Klägers gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden T4. Als Unfähigkeit zur Amtsführung wird in Rechtsprechung und Literatur u.a. ein feindseliges Verhalten von Vorstandsmitgliedern untereinander angenommen, wenn dies die Gesellschaft schädigen kann, oder unüberbrückbare Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über grundsätzliche Fragen der Unternehmenspolitik (Spindler in MünchKomm (AktG) § 84 Rdn. 121). Eine vergleichbare Situation lässt sich den Vorwürfen der Beklagten, wie sie im Rechtsstreit konkretisiert worden sind, jedoch nicht entnehmen. Die Beklagte wirft dem Kläger insbesondere vor,
dieser habe sich in einer Besprechung am 27.05.2008 despektierlich über die Kindheit und die geschiedene Ehe des Herrn T4 geäußert, er habe in einer EMail an Herrn I3, die der Assistentin U zugänglich gemacht worden sei, T4 eine völlig unprofessionelle Geschäftseinstellung und Inkompetenz vorgeworfen und ihn als unzuverlässig und intrigant bezeichnet, er habe in einer E-Mail vom 22.04.2008 an T4 diesem vorgeworfen, er sei einer Unternehmerpersönlichkeit unwürdig.
Gegenüber Geschäftspartnern soll er sich ebenfalls negativ über T4 geäußert haben, wozu ein Gesprächsprotokoll der Herrn W2 und Prof. S vom 30.04.2008 (Bl. 234 GA) vorgelegt worden ist.
Selbst wenn das dargestellte Verhalten des Klägers in dieser Weise zutreffen sollte, sieht der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände nicht, dass darin ein wichtiger Grund liegt, der dazu geführt hat, dass das Fortdauern des Vorstandsamtes des Klägers für die Gesellschaft unzumutbar geworden war. Ein solcher Fall könnte etwa dann vorliegen, wenn zwischen Aufsichtsrat und Vorstand keinerlei zielgerichtete Kommunikation mehr möglich gewesen wäre. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Aufsichtsrat in erster Linie Kontrollgremium ist und es einer engen Zusammenarbeit wie etwa in einem Kollegialgremium nicht bedarf. Auch in einer nicht konfliktfreien Situation kann der Aufsichtsrat seine Aufgaben gegenüber dem Vorstand in gesetz- und satzungskonformer Weise wahrnehmen. Soweit es vereinzelt zu verbalen Entgleisungen des Klägers gekommen sein sollte, haben diese nicht ein solches Gewicht, dass ihretwegen anschließend jegliche Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Vorstand unmöglich wäre oder den Aufsichtsratsmitgliedern nicht mehr zugemutet werden könnte. Bedeutsam ist hierbei auch, dass ganz überwiegend die behaupteten Äußerungen des Klägers intern geblieben und nicht nach außen gedrungen sind, wodurch der Gesellschaft Schaden hätte zugefügt werden können. Allein der Vorfall, der Gegenstand des Gesprächsprotokolls W2/Prof. S vom 30.04.2008 ist, rechtfertigt nicht eine andere Beurteilung.
III. Beschlussfassung des Aufsichtsrats vom 21. Juli 2008
Soweit der Kläger die Unwirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses vom 21. Juli 2008 festgestellt wissen will, bleibt seine Berufung ohne Erfolg.
a)
Der Beschluss vom 21. Juli 2008 ist vom Aufsichtsrat formell ordnungsgemäß gefasst worden. Soweit er eine Bestätigung des Beschlusses vom 30. Mai 2008 ausspricht, ist er dahin auszulegen, dass die Wirkung des früheren Beschlusses nunmehr auf der Grundlage der Vertrauensentziehung herbeigeführt werden soll. Falls der frühere Beschluss nicht wirksam gewesen sein sollte, sollte nunmehr ein neuer, nunmehr wirksamer Beschluss gefasst werden. Dieser Beschluss ist dem Kläger mit Schreiben vom 23. September 2008 zugestellt worden. Diese späte Zustellung führt nicht dazu, dass die Beklagte damit ihr Recht verwirkt hätte, denn sie konnte bis zur Klageerhebung im vorliegenden Verfahren davon ausgehen, dass der Kläger den Widerruf akzeptieren würde. Das Landgericht hat deshalb mit zutreffender Begründung die Verwirkung verneint, ohne dass der Kläger dies im Berufungsverfahren angreift.
Zu Unrecht meint der Kläger, der Beschluss gehe ins Leere, da er, der Kläger, zu jenem Zeitpunkt nicht mehr habe abberufen werden können, weil der Widerruf seiner Bestellung vom 30.05.2008 bis zur rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit wirksam gewesen sei, § 84 Abs. 3 S. 4 AktG. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Selbst wenn das Gesetz davon ausgeht, dass aus Gründen der Rechtssicherheit die Abberufung zunächst Wirksamkeit entfaltet, bis ihre Unwirksamkeit festgestellt worden ist, lässt sich daraus nicht schlussfolgern, dass der Aufsichtsrat etwa gehindert wäre, vor Feststellung der Unwirksamkeit durch ein möglicherweise langwieriges Gerichtsverfahren erneut den Widerruf der Bestellung zu erklären. Es wäre nicht nur vom Ergebnis her inakzeptabel, sondern auch dogmatisch keineswegs zwingend, dass in dem Fall, dass nach einer Abberufungsentscheidung neue Gründe auftreten, die die erneute Abberufung rechtfertigen, das zuständige Organ erst abwarten müssten, bis ein möglicher Rechtsstreit über den ersten Beschluss beendet wäre, bevor ein weiterer Abberufungsbeschluss mit neuen, möglicherweise überzeugenderen Gründen gefasst werden könnte. Diese Auffassung entspricht auch ganz überwiegender Meinung in der aktienrechtlichen Literatur, wo etwa ausgeführt wird, dass Gründe, die erst nach Erklärung des Widerrufs entstanden seien, nur geltend gemacht werden können, wenn ein Widerruf neu ausgesprochen und auf den zwischenzeitlich aufgetretenen Grund gestützt wird (Hüffer, § 84 Rdn. 34). Auch die von dem Kläger wiederholt zitierte Entscheidung des Landgerichts Darmstadt (AG 1987, 318) geht davon aus, dass jedenfalls eine Bestätigung des früheren Beschlusses durch einen neuen Aufsichtsratsbeschluss auf Grund zwischenzeitlichen Vertrauensentzugs zulässig sei.
Nach alledem war der Aufsichtsrat der Beklagten berechtigt, trotz Vorliegens eines formell vorerst wirksamen Beschluss eine erneute Abberufung mit anderer Begründung zu beschließen.
b)
Der Aufsichtsrat der Beklagten hat sich bei der Beschlussfassung vom 21. Juli 2008 auch zu Recht auf einen wichtigen Grund gestützt, nämlich auf den Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung vom 21.07.2008. Hat die Hauptversammlung dem Vorstand das Vertrauen entzogen, liegt darin ein wichtiger Grund i. S. d. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG.
Nach der gesetzlichen Gestaltung bedarf der Vertrauensentzug keiner Rechtfertigung (vgl. Spindler in MünchKomm (AktG) § 84 Rdn. 126 m.w.N.). Er ist nur dann nicht bedeutsam, wenn das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. Dies ist vom Vorstand darzulegen und zu beweisen. Unsachlichkeit in diesem Sinne ist dann gegeben, wenn ein Vertrauensentzug nur als Vorwand dient, willkürlich oder wegen des damit verfolgten Zwecks rechtswidrig ist, insbesondere gegen Treu und Glauben verstößt (BGH NJW 1954, 998, 999; Spindler in MünchKomm (AktG) § 84 Rdn. 128 m.w.N.). Spielen mehrere Gründe in dem Antrag auf Vertrauensentzug eine Rolle und sind sachliche darunter, ist nur auf diese abzustellen (Spindler in MünchKomm (AktG) § 84 Rdn. 128).
Unter Würdigung des Vorbringens des Klägers vermag der Senat nicht festzustellen, dass der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung aus offenbar unsachlichen Gründen erfolgt ist.
In der Literatur wird angenommen, dass ein Vertrauensentzug missbräuchlich sein kann, wenn die Hauptversammlung ihn nur ausspricht, weil sie befürchtet, dass die Gründe, auf die der Aufsichtsrat die Abberufung zunächst gestützt hat, sich als nicht stichhaltig erweisen könnten (Mertens/Cahn in Kölner Kommentar, 3. Aufl. § 84 Rdn. 127). Ungeachtet der Frage, ob im Streitfall eine entsprechende Motivation der Mehrheit der Hauptversammlung vorgelegen hat, vermag der Senat der genannten Literaturauffassung nicht zu folgen. Der Hauptversammlung steht es frei, einem Vorstandsmitglied das Vertrauen aus denselben Umständen zu entziehen, auf Grund derer der Aufsichtsrat zuvor den Widerruf beschlossen hatte. Ob damit die Vorstellung der Hauptversammlung verbunden ist, die Gründe könnten möglicherweise nicht ausreichen, eine grobe Pflichtverletzung und damit einen wichtigen Grund zum Widerruf der Bestellung zu begründen, scheint nicht von wesentlicher Bedeutung zu sein, solange die zugrunde gelegten Umstände nicht willkürlich sind oder der mit ihnen verfolgte Zweck rechtswidrig ist. Nach der gesetzlichen Gestaltung bedarf der Vertrauensentzug gerade keiner Rechtfertigung. Dann aber spricht nichts dagegen, einen Vertrauensverlust auch im Rahmen des § 84 Abs. 3 AktG zu akzeptieren, der auf Umstände gestützt wird, auf die der Aufsichtsrat zuvor einen Widerruf gegründet hatte, auch wenn die Gründe entweder objektiv oder in der Vorstellung der Hauptversammlung nicht genügen, einen wichtigen Grund zur Abberufung darzustellen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Entscheidung der Hauptversammlung in einer solchen Fallgestaltung auch nicht als Genehmigung eines vorangegangenen Abberufungsbeschlusses des Aufsichtsrats anzusehen, sondern eröffnert dem Aufsichtsrat lediglich die Prüfung und Willensbildung für einen erneuten Beschluss.
Selbst wenn die Hauptversammlungsmehrheit im Streitfall auch eigennützige Gründe verfolgt haben sollte, die als offenbar unsachliche zu qualifizieren wären, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass der Vertrauensentzug nicht auch auf sachliche Gründe gestützt wurde. Das aber genügt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte verpflichtet war, die Motive der Hauptversammlung darlegen, um zu erläutern, dass die Abberufung nicht auf unsachlichen Gründen beruhte. Dieser Frage kommt im vorliegenden Rechtsstreit keine entscheidende Bedeutung zu, da die Beklagte mehrere Gründe dargelegt hat, die nicht als offenbar unsachlich bewertet werden können.
aa)
Der bereits im Zusammenhang mit dem Widerruf der Bestellung vom 30. Mai 2008 erörterte unangemessene Umgang des Klägers insbesondere mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats T4, der zumindest dem Anschein nach auch nach außen gedrungen war und für Irritationen gesorgt hatte, wie dem Gesprächsprotokoll der Herren W2/Prof. S vom 30.04.2008 zu entnehmen ist, stellt sich als sachlicher Grund dar, der die Mehrheit der Hauptversammlung dazu veranlassen konnte, dem Kläger das Vertrauen zu entziehen. Die Mehrheit der Hauptversammlung muss es nicht ohne weiteres hinnehmen, dass zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem eine sachorientierte Kommunikation beeinträchtigt ist, selbst wenn die weitere Zusammenarbeit nicht derart gestört ist, dass ein Fortbestehen der Situation bis zum Ende der regulären Amtszeit des Vorstands für die Gesellschaft unzumutbar wäre. Wenn die Hauptversammlung dies zum Anlass nimmt, dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen, liegt darin ein sachlicher Grund, der weder vorgeschoben noch rechtsmissbräuchlich erscheint. Das gilt selbst dann, wenn die Spannungen auch durch das Verhalten des Vorstandsvorsitzenden mitverursacht worden sein sollten. Auf Verschulden oder alleinige Verursachungsbeiträge kommt es nicht an.
bb)
Auch die deutlich gewordenen Unterschiede in strategischen Fragen, insbesondere der Frage, ob ein Börsengang kurzfristig angestrebt werden sollte, kann nicht als unsachlicher Grund gewertet werden. Selbst wenn sich alle Beteiligten ursprünglich und grundsätzlich auf das Ziel des Börsenganges geeinigt hatten, bleibt es der Mehrheit der Hauptversammlung unbenommen, ihre Meinung zu ändern oder zumindest die zeitliche Perspektive anders einzuschätzen als dies offenbar der Kläger tat. Dass hier ein Konfliktpunkt zwischen dem Kläger und dem Aufsichtsrat und damit auch der Hauptversammlungsmehrheit lag, lässt sich der E-Mail des Aufsichtsratsmitglieds Prof. T2 vom 24. April 2008 entnehmen (Bl. 201 GA), die er an Herrn T4 und nachrichtlich an den Kläger gesandt hat.
cc)
Dem Kläger ist es nicht gelungen darzulegen und nachzuweisen, dass der Vertrauensentzug ausschließlich durch eigennützige Interessen des Herrn T4 motiviert und das Ergebnis einer langfristig verfolgten Strategie war.
Der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beschlussfassung in der Hauptversammlung allein durch die Stimmabgabe des Herrn T4 herbeigeführt wurde und damit dem Beschluss die erforderliche Legitimation fehle, ist unzutreffend und unerheblich. Die Stimmabgabe ist den in der Beklagten geltenden Regeln und Mehrheitsverhältnissen gefolgt. Danach sind die Stimmen weitgehend gepoolt mit der Folge, dass alle Stimmen im Aktienpool nur einheitlich abgegeben werden können. Wenn es im Pool zu einer Mehrheit für den Vertrauensentzug gekommen ist, die durch den Mehrheitsaktionär T4 herbeigeführt wurde, entspricht dies den Regeln und nimmt der Stimmabgabe nichts von ihrer Legitimität.
Auch die vom Kläger umfangreich dargelegten angeblichen wirtschaftlichen Interessen des Mehrheitsgesellschafters T4 an dem Ausscheiden des Klägers lassen sich letztlich nicht feststellen. Jedenfalls hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Vertrauensentzug allein auf solchen Überlegungen beruhte. Wie bereits zuvor ausgeführt, hält der Senat das vom Kläger behauptete Bestreben des Herrn T4, dass nach dem Ausscheiden des Klägers die Ergebnisse der Gesellschaft reduziert und damit geringere Zahlungsansprüche des Klägers bei der Geltendmachung der sog. Put-Option begründet werden sollten, keineswegs für zwingend. Diese vom Kläger vermutete Strategie wäre mit erheblichen anderweitigen Risiken auch für Herrn T4 verbunden gewesen, sodass ein rational denkender Kaufmann jedenfalls zögern würde, sie ernsthaft zu verfolgen. Soweit der Kläger im Verhandlungstermin ausgeführt hat, Herr T4 habe sich allein von irrationalen Gründen leiten lassen, sieht der Senat auch dafür keine hinreichenden Anhaltspunkte.
dd)
Im Berufungsverfahren stützt sich der Kläger in erheblichem Maße auf eine Auflistung von Beratungsstunden, die Rechtsanwalt Dr. I als damaliger Berater des Herrn T4 wohl als Anlage seiner Honorarrechnung gefertigt hat (Bl. 594 ff GA) und aus der sich entnehmen lässt, dass Rechtsanwalt Dr. I bereits seit Januar 2008 Besprechungen mit Herrn T4 geführt hat, die sich mit der Möglichkeit des Widerrufs der Bestellung des Klägers befassten. Der Kläger will daraus ableiten, dass Herr T4 bereits wenige Tage nach seiner, des Klägers, erneuten Bestellung zum Vorstand Ende 2007 eine langfristige Strategie entwickelt habe, ihn abzuberufen. Die zur Begründung des Vertrauensentzugs genannten Umstände, so der Kläger, seien deshalb nur vorgeschoben.
Der Senat hält diese Argumentation nicht für zwingend und kann nicht feststellen, dass deshalb die Beschlussfassung der Hauptversammlung allein auf unsachlichen Gründen beruht hat.
Selbst wenn Herr T4 aus welchen Gründen auch immer schon Anfang des Jahres 2008 die Möglichkeit einer Trennung vom Kläger auslotete, besagt dies nicht, dass nicht schon damals die später genannten Gründe erkennbar geworden sind oder von T4 befürchtet wurden. Die vom Kläger dargelegte treuwidrige Strategie, ihn erst an die Gesellschaft zu binden, um deren Entwicklung weiter zu fördern, und gleichzeitig ihn Aktien aus einem Optionsprogramm kaufen zu lassen, um ihn später kurzfristig wieder abzuberufen, hat nicht die vom Kläger dargestellte Plausibilität. Dagegen spricht bereits, dass ein solches Vorgehen für die Gesellschaft mit ganz erheblichen Kosten verbunden gewesen wäre, da eine angeblich nur aus taktischen Gründen erfolgte Verlängerung der Amtszeit sowie des Anstellungsvertrages des Klägers eine erhebliche Kostenbelastung zur Folge gehabt hätte, die vermeidbar gewesen wäre, wenn sogleich von einer Verlängerung des Amtes abgesehen worden wäre. Jedenfalls ist es keineswegs zwingend, dass der Mehrheitsaktionär T4 dies in Kauf genommen hat, nur um seinen Plan zu verfolgen, der auch nach der Darstellung des Klägers vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten unterworfen war. Der vorgelegten Stundenaufstellung des Rechtsanwalts Dr. I lässt sich somit nicht hinreichend entnehmen, dass der spätere Vertrauensentzug der Hauptversammlung allein aus offenbar unsachlichen Gründen erfolgt ist.
Wenn der Aufsichtsrat den Hauptversammlungsbeschluss sodann zum Anlass nahm, den Widerruf der Bestellung des Klägers als Vorstand zu beschließen, war dieser Beschluss wirksam.
IV. Beschlussfassung des Aufsichtsrats vom 18. September 2008
Mit Beschluss vom 18. September 2008 hat der Aufsichtsrat erneut und vorsorglich den Widerruf beschlossen, und zwar auf der Grundlage des Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung. Die hiergegen gerichtete Klage des Klägers ist zwar zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Solange nicht feststeht, dass der Widerruf vom 21. Juli 2008 wirksam war, ist der Kläger berechtigt, Klage auch gegen den weiteren Widerrufsbeschluss zu erheben.
Die Feststellungsklage ist jedoch nicht begründet.
Der Aufsichtsrat der Beklagten war nicht gehindert, unter dem 18. September 2008 die erneute Beschlussfassung mit gleichem Inhalt wie diejenige vom 21. Juli 2008 vorzunehmen. Hierfür bestand ein Anlass, da wegen der erst verspäteten Vollziehung des Beschlussinhalts vom 21.07.2008 Bedenken gegen die Wirksamkeit gehegt werden konnten. Solange die Beschlussfassung nicht schikanös erfolgt ist und allein durch die wiederholte Entscheidung Rechte des Klägers nicht beeinträchtigt worden sind, gibt es keinen Grund, den Beschluss vom 18. September 2008 für unzulässig oder rechtswidrig zu halten.
Die Abberufung des Klägers auch durch diesen Beschluss war wirksam, da in dem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung vom 21.07.2008 ein wichtiger Grund gegeben war. Zur Begründung verweist der Senat auf die vorstehenden Ausführungen zu Ziff. III.
V.
Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Entgegen der Anregung des Klägers war die Revision nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
OLG Hamm:
Urteil v. 07.07.2010
Az: I-8 U 119/09
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