Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 26. November 1996
Aktenzeichen: 5 U 111/95

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 26.11.1996, Az.: 5 U 111/95)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 12. April 1995 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt abgeändert.

Es wird festgestellt, daß die Gesellschafterbeschlüsse der Beklagten vom 22. Mai 1992 und vom 16. November 1993 nichtig sind.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer beträgt für die Beklagte 40.000 DM.

Tatbestand

Der Kläger verlangt die Feststellung der Nichtigkeit zweier Gesellschaftsbeschlüsse.

Der Kläger war Gesellschafter der Beklagten und kündigte das Gesellschaftsverhältnis am 21. Juni 1993 zum 31. Dezember 1993. Die Satzung, auf die zu den Einzelheiten Bezug genommen wird (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 11 - 20 d.A.), sah vor, daß in diesem Fall die Mitgesellschafter die Fortsetzung beschließen und den Gesellschaftsanteil des Kündigenden gegen eine dem Wert entsprechende Entschädigung einziehen können. Ein solcher Beschluß wurde am 7. September 1993 gefaßt. Am 16. November 1993 stellten die verbliebenen Gesellschafter den Jahresabschluß 1992 fest, ohne daß der Kläger dazu eingeladen wurde.

Hinsichtlich des Jahresabschlusses 1991 gibt es ein Gesellschafterversammlungsprotokoll, das die Feststellung dieses Abschlusses in einer Gesellschafterversammlung vom 22. Mai 1992 in B. S. festhält. Zu den Einzelheiten wird auf die Anlage K 5 der Klageschrift (Bl. 27 d.A.) Bezug genommen. Tatsächlich fand an diesem Tag ein Treffen der Gesellschafter bei dem Steuerberater der Gesellschaft in F. statt, wo der Jahresabschluß besprochen wurde.

Der Kläger, dem für sein Ausscheiden bis heute noch keine Entschädigung gezahlt ist, hat den Beschluß vom 16. November 1993 für unwirksam angesehen, weil er zu der Gesellschafterversammlung nicht eingeladen worden sei. Am 22. Mai 1992 habe eine Gesellschafterversammlung bei dem Steuerberater nicht stattgefunden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß die Gesellschafterbeschlüsse der Beklagten vom 22. Mai 1992 und 16. November 1993 nichtig sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, am 22. Mai 1992 sei bei dem Steuerberater B. in F. eine Gesellschafterversammlung durchgeführt worden (Beweis: Zeugnis B.).

Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil die Klage abgewiesen. Nachdem die Gesellschafter bei dem Steuerberater versammelt gewesen seien, hätte der Kläger mit einer Anfechtungsklage gegen eine seine Interessen nicht berücksichtigende Beschlußfassung vorgehen müssen. Dazu habe er die Frist versäumt. Zu der Gesellschafterversammlung vom 16. November 1993 habe der Kläger nicht eingeladen werden müssen, weil dessen Gesellschafterrechte infolge des Einziehungsbeschlusses jedenfalls geruht hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens und des angefochtenen Urteils wird auf dieses Bezug genommen (Bl. 78 - 82 d.A.).

Gegen dieses dem Kläger am 2. Mai 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, die am 1. Juni 1995 bei Gericht eingegangen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. September 1995 mit am 1. September 1995 eingegangenen Schriftsatz begründet worden ist.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint, daß die Gesellschafterrechte zwischen dem Einziehungsbeschluß und der Auszahlung der Abfindung, die unstreitig noch nicht erfolgt ist, gerade nicht ruhten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1.festzustellen, daß der Gesellschafterbeschluß der Beklagten vom 22. Mai 1992 nichtig ist, hilfsweise festzustellen, daß am 22. Mai 1992 keine Beschlußfassung der Gesellschafter zum Jahresabschluß 1991 der Beklagten erfolgte,2.festzustellen, daß der Gesellschafterbeschluß der Beklagten vom 16. November 1993 nichtig ist.Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 29. August 1995 (Bl. 97 - 107 d.A.) und 8. Oktober 1996 (Bl. 123 - 127 d.A.) sowie der Beklagten vom 30. Juli 1996 (Bl. 111 - 114 d.A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Die verbundenen Klagen sind zulässig, die Feststellungsklage zu der Beschlußfassung vom 22. Mai 1992 in Analogie zu § 241 AktG. Soweit in der Fachliteratur problematisiert ist, ob sog. Nichtbeschlüsse oder Scheinbeschlüsse der Nichtigkeitsklage nach § 241 AktG analog unterfallen (vgl. dazu im einzelnen Baumbach/Zöllner, GmbHG, 16. Auflage, Anhang zu § 47 Rz. 13), ist wegen der Rechtskrafterstreckung des § 248 Abs. 1 AktG auf die Gesellschafter, die bei der allgemeinen, gegen die juristische Person gerichteten Feststellungsklage fehlt, die Annahme von Nichtbeschlüssen auf deutliche Ausnahmefälle zu beschränken. So hat auch der Bundesgerichtshof (BGHZ 11, 236) Nichtbeschlüsse nur dort sehen wollen, wo das Fehlen einer Hauptversammlung offensichtlich ist und nur von Scheinversammlungen gesprochen werden könne. Als Beispiel wird hierfür die Einladung wildfremder Passanten zu einer Gesellschafterversammlung genannt.

Dies führt hier zur Anwendung des § 241 AktG analog, weil es jedenfalls ein Zusammentreffen der Gesellschafter aus einem gesellschaftsbezogenen Grund und eine Besprechung gesellschaftsrelevanter Fragen gab. Eine Offensichtlichkeit der Unwirksamkeit ist - auch aus Klägersicht - nicht anzunehmen. Immerhin hat auch das Landgericht das Geschehen als Gesellschafterversammlung mit Beschlußfassung gewertet.

Den Anfechtungsanträgen fehlt nicht das Rechtsschutzinteresse, denn der Abfindungsanspruch des Klägers ist von der Feststellung der Jahresabschlüsse betroffen. Der Einwand der Beklagten, dem Kläger fehle das Rechtsschutzinteresse an der Nichtigkeitsfeststellung zum Gesellschafterbeschluß vom 22. Mai 1992, weil er jedenfalls als Geschäftsführer dem Jahresabschluß bei dem Steuerberater B. damals zugestimmt habe, greift nicht durch. Denn durch die Kündigung und den anschließenden Ausschließungsbeschluss hat sich die Interessenlage des Klägers geändert. Bei Bewertungs- und Ansatzwahlrechten wird er nun an einer Ausübung interessiert sein, die seinem Abfindungsanspruch günstig ist.

Die Klage ist zum Antrag zu 1. begründet, denn die Beklagte hat die Durchführung einer Gesellschafterversammlung am 22. Mai 1992 und die Beschlußfassung durch die Gesellschafter nicht ausreichend vorgetragen. Nachdem die Gesellschafterversammlung nicht einberufen war und der Kläger die Durchführung einer solchen überhaupt bestreitet, hätte die Beklagte deren Voraussetzungen näher darlegen müssen, d. h. vortragen müssen, daß vor dem Steuerberater B. Einigkeit bestanden habe, eine Gesellschafterversammlung unter Verzicht auf die Einberufungsvorschriften durchzuführen, und daß die Gesellschafter schließlich im Bewußtsein eines Gesellschafterbeschlusses dem Jahresabschluß zugestimmt hätten. Dazu hätte jedenfalls der Vortrag gehört, daß über die Durchführung einer sofortigen Gesellschafterversammlung gesprochen worden sei. Das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten, am 22. Mai 1992 habe eine Gesellschafterversammlung stattgefunden (Schriftsatz vom 29. November 1994, S. 3, Bl. 45 d.A.), genügt als auf einen Rechtsbegriff verkürzter Tatsachenvortrag gegenüber dem Bestreiten des Klägers nicht.

Auch der Klageantrag zu 2., bezogen auf den Beschluß vom 16. November 1993, ist begründet. Der Gesellschafterbeschluß ist nichtig (§ 241 Nr. 1 AktG analog i.V.m. § 51 GmbHG,), weil der Kläger zu der Gesellschafterversammlung nicht eingeladen wurde.

Trotz des Einziehungsbeschlusses vom 7. September 1993 war der Kläger noch Gesellschafter. Denn die Satzung sah die Zwangseinziehung nach Kündigung nur gegen Entschädigung vor (§ 6 Nr. 4 der Satzung). Wegen der Kapitalerhaltungspflicht nach §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG ist der Gesellschafter aber bis zur wirksamen Leistung des Einziehungsentgelts noch nicht ausgeschieden und behält seine bisherigen Rechte (BGHZ 9, 173; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Auflage, § 34 Rz. 12; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Rz. 34; Rowedder, GmbHG, 2. Auflage, § 34 Rz. 57; Münchener Handbuch-Kort, Band 3, § 28 Rz. 40).

Die Gesellschafterrechte ruhen auch in der Zeit zwischen dem Einziehungsbeschluß und der Auszahlung nicht (vgl. BGHZ 88, 325), denn der Gesellschafter ist in dieser Situation noch an den Geschicken der GmbH interessiert. Beschlüsse in der Wartezeit des Ausscheidenden können sich nämlich nachteilig auf die Ertragskraft der GmbH auswirken, so daß der Entschädigungsanspruch und damit das Ausscheiden insgesamt in Frage steht (vgl. BGH, wie vor).

Eine unter Umständen schwer erträgliche Dauer des Schwebezustands muß hingenommen werden, weil Alternativlösungen nicht zur Verfügung stehen. Sieht man das Ausscheiden als auflösend bedingt an, so daß die Gesellschafterstellung wieder auflebt, wenn sich herausstellt, daß zur Abfindung bei gleichzeitiger Kapitalerhaltung nicht genügend finanzielle Mittel vorhanden sind (so Ulmer in Hachenburg, GmbG, 8. Auflage 1992, § 34 Rz. 60), wird das Risiko einer Entwertung der Gesellschafterstellung dem Ausscheidenden auferlegt. Die Gesellschaft könnte bei dieser Situation durch Mißwirtschaft geschädigt werden, ohne daß der Ausscheidende dagegen vorzugehen in der Lage wäre. Ein späteres Wiederaufleben und ein evtl. Schadensersatzanspruch, für den eine rechtliche Grundlage ohnedies fraglich erscheint, stellen kein ausreichendes Äquivalent für dieses Risiko dar. Demgegenüber wird die Aufrechterhaltung der Gesellschafterrechte eher zu einer Beschleunigung der Abwicklung beitragen, weil die verbleibenden Gesellschafter bestrebt sein werden, die Trennung endgültig zu vollziehen. Denn an unternehmerischen Neuerungen hat der Ausscheidende naturgemäß kein Interesse, weil dies seine Abfindung in Frage stellen könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die sonstigen Nebenentscheidungen erfolgten aus § 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 26.11.1996
Az: 5 U 111/95


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/8a9fc3bbc08a/OLG-Frankfurt-am-Main_Urteil_vom_26-November-1996_Az_5-U-111-95




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share