Landgericht Göttingen:
Beschluss vom 20. Dezember 2005
Aktenzeichen: 2 KLs 4/05
(LG Göttingen: Beschluss v. 20.12.2005, Az.: 2 KLs 4/05)
Tenor
1. Das Verfahren wird gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG von der Kammer übernommen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Kammer mangels vergleichbarer Verfahren noch keine gefestigte Rechtsprechung entwickeln konnte.
2. Die Erinnerung des Verteidigers wird zurückgewiesen.
3. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 477,92 €
Gründe
Rechtsanwalt B. war in dem vorliegenden Strafverfahren als beigeordneter Verteidiger für den ehemals Angeklagten M. B. tätig, der mit Urteil des Landgerichts Göttingen vom 28.06.2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Mit Schriftsatz vom 04.07.2005 legte der Verteidiger namens seines Mandanten form- und fristgerecht Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein. Noch vor Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe und Abfassung einer Revisionsbegründung nahm er jedoch am 09.08.2005 mit ausdrücklicher Ermächtigung des Verurteilten die Revision zurück. Der Revisionsrücknahme vorangegangen war eine durch Vermittlung des Landgerichts zustande gekommene Übereinkunft mit der Staatsanwaltschaft, dass auch sie die von ihr eingelegte Revision zurücknehmen werde.
Mit Schriftsatz vom 17.08.2005 beantragte der Verteidiger, die Gebühren und Auslagen für das Revisionsverfahren festzusetzen, wobei er neben einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG eine weitere Gebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG in Höhe von 412,- € zzgl. 16 % USt (insg. 477,92 €) geltend machte. Der Rechtspfleger des Landgerichts jedoch lehnte die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG ab, da diese nicht entstanden sei. Gegen diese, ihm am 01.12.2005 bekannt gemachte Entscheidung, wendet sich der Verteidiger mit seinem als Erinnerung auszulegenden €Rechtsmittel€ vom 02.12.2005, beim Landgericht eingegangen am selben Tage. Für das Entstehen der Zusatzgebühr nach Nr. 4141 VV RVG reiche es aus, wenn der Rechtsanwalt dem Mandanten nach Einlegung der Revision rate, diese zurückzunehmen.
Die Erinnerung ist zulässig gemäß §§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 - 8 RVG, jedoch in der Sache nicht begründet.
Gemäß Nr. 4141 VV RVG entsteht eine zusätzliche Gebühr für den Verteidiger, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. In Absatz 1 Nr. 3 der Anmerkung zu diesem Gebührentatbestand wird dazu ausgeführt, die Gebühr entstehe unter anderem, wenn sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Revision des Angeklagten erledige. Dieser Grundsatz allerdings wird durch Absatz 2 der Erläuterung eingeschränkt: Die Gebühr entstehe nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Verteidigers nicht ersichtlich sei. Offen bleibt nach dem Gesetzeswortlaut, welche Anforderungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht an die anwaltliche Mitwirkung zu stellen sind, um die Entstehung der Zusatzgebühr bejahen zu können.
Zwar legt die Anmerkung Absatz 1 Nr. 3 eine großzügige Zulassung der Zusatzgebühr nahe, indem als Voraussetzung ihrer Entstehung lediglich die Rücknahme der Revision genannt wird. Einschränkend weist der Gesetzgeber durch die Erläuterung in Absatz 2 jedoch darauf hin, dass der Verteidiger eine auf Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit entfaltet haben müsse. Diese Einschränkung deutet darauf hin, dass der Verteidiger sich inhaltlich mit dem Verfahren beschäftigt und zumindest Anstrengungen unternommen haben muss, es in sachlicher Hinsicht zu fördern, um einen Anspruch auf die Zusatzgebühr zu erwerben. Seine Tätigkeit darf sich mithin nicht allein in der Beendigung des Verfahrens an sich - z.B. in der Erklärung, die Revision zurückzunehmen - erschöpfen. Anderenfalls hätte die Kommentierung des Absatzes 1 Nr. 3 VV RVG zur Erläuterung des Begriffes der €Mitwirkung€ ausgereicht; die Anmerkung des Absatzes 2 hingegen wäre dann überflüssig.
Dieses Verständnis der Regelung Nr. 4141 VV RVG wird bestätigt durch die teleologische Auslegung des Gebührentatbestandes. Dieser übernimmt den Grundgedanken der früheren Regelung des § 84 Abs. 2 BRAGO und erweitert ihn auf Verfahrenserledigungen, die durch Revisionsrücknahmen eintreten. In der Gesetzesbegründung zu § 84 Abs. 2 BRAGO heißt es: €Bisher bieten die Gebührenkonstruktionen in Strafverfahren eher den Anreiz, die Verteidigungsbemühungen auf die Hauptverhandlung zu konzentrieren. Eine intensive und zeitaufwendige Mitwirkung des Rechtsanwalts im Ermittlungsverfahren, die dazu führt, dass eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, ist gebührenrechtlich wenig attraktiv (Anm.: da auf diese Weise die Hauptverhandlungsgebühr entfällt). Im neuen Absatz 2, der eine andere Bestimmung im Sinne von Absatz 1 1. Halbsatz darstellt, wird deshalb eine gebührenrechtliche Verbesserung entsprechender Tätigkeiten des Rechtsanwalts vorgeschlagen.€ (BT-Drucksache 12/6962, S. 106). Auch diese Begründung legte nahe, dass sich der Verteidiger in der Sache mit dem Verfahren beschäftigt haben muss, um die Zusatzgebühr Nr. 4141 VV RVG entstehen zu lassen.
Aufgrund der oben dargestellten Auslegung des Wortlautes des Gebührentatbestandes Nr. 4141 VV RVG und seiner Anmerkungen sowie unter Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes dieser Norm ist die Kammer der Auffassung, dass die Zusatzgebühr nur dann entsteht, wenn der Verteidiger sich inhaltlich mit dem Verfahren beschäftigt und zumindest Anstrengungen unternommen hat, es in sachlicher Hinsicht zu fördern. Ob es dafür im Falle der Beendigung von Revisionsverfahren durch Rücknahme des Rechtsmittels notwendig ist, zunächst eine Revisionsbegründung zu fertigen (so KG, Beschluss vom 28.06.2005, 5 Ws 311/05), oder ob eine bloße Erörterung der Erfolgsaussichten der Revision mit dem Mandanten ausreicht (so OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2005, III-1 Ws 288/05), kann vorliegend dahinstehen, wobei die Kammer sich den Hinweis erlaubt, dass sie aus Gründen der Rechtsklarheit mit den Erwägungen des KG übereinstimmt.
Denn die Entstehung der Zusatzgebühr würde im vorliegenden Verfahren zumindest voraussetzen, dass sich der Verteidiger mit seinem Mandanten über die Erfolgsaussichten der Revision ernsthaft beraten hat. Doch eine solche Tätigkeit als Mindestvoraussetzung der Zusatzgebühr ist weder ersichtlich, noch wahrscheinlich. Denn zum Zeitpunkt der Rücknahme der Revision waren den Verfahrensbeteiligten noch keine Ausfertigungen der schriftlichen Urteilsgründe zur Verfügung gestellt worden. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Erfolgsaussichten einer Revision jedoch ist ohne eine genaue Analyse des schriftlichen Urteils nicht möglich. Denn etwaige Verletzungen materiellen Rechts, beispielsweise Lückenhaftigkeiten der Sachverhaltsdarstellung, sind allein aufgrund der mündlichen Darstellung der Urteilsgründe kaum feststellbar. Dementsprechend hat der Verteidiger auch nicht vorgetragen, sich mit seinem Mandanten über die Erfolgsaussichten der Revision beraten zu haben.
Aus diesem Grunde ist die Zusatzgebühr Nr. 4141 VV RVG im vorliegenden Verfahren nicht entstanden. Insbesondere reichte die bloße Erklärung, die Revision zurückzunehmen sowie eine allein auf diese Erklärung gerichtete Korrespondenz mit dem Gericht nach den obigen Ausführungen zur Entstehung der Zusatzgebühr nicht aus.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde anfechtbar, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt.
LG Göttingen:
Beschluss v. 20.12.2005
Az: 2 KLs 4/05
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