Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 25. November 2004
Aktenzeichen: 4 U 129/04

(OLG Hamm: Urteil v. 25.11.2004, Az.: 4 U 129/04)

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 24. Juni 2004 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.

Die Beschlussverfügung der vorbezeichneten Kammer vom 18. Mai 2004 wird bestätigt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist begründet, weil dem Antragsteller der geltend gemachte Unterlassungsanspruch als Folge eines Wettbewerbsverstoßes unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs zusteht. Das Landgericht hatte die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen, so dass die damalige Verfügung zu bestätigen ist.

1)

Der Unterlassungsantrag ist bestimmt genug im Sinne des § 253 Abs.2 S.2 ZPO. Er geht auch nicht zu weit, weil sich das Verbot auch nach der Erklärung des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf den Vertrieb des Produkts in einer Verpackung, wie sie sich aus der Anlage A 2 ergibt, beschränken soll.

2)

Es besteht ein Verfügungsgrund. Dem Antragsteller kommt hier bei Vorliegen des geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG a. F. (§ 12 Abs.2 UWG) zu Gute. Anhaltspunkte dafür, dass die Vermutung hier widerlegt sein könnte, sind nicht ersichtlich.

3)

Dem Antragsteller steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 8 Abs. 1, 3 Nr. 2, 3, 4 Nr. 11 UWG als Verfügungsanspruch zu.

a)

Der Antragsteller ist zur Geltendmachung des Anspruchs nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG befugt, da ihm eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die auf dem Markt der Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel Waren gleicher oder verwandter Art betreiben.

b)

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 8 Abs. 4 UWG greift nicht durch und wird auch von der Antragsgegnerin in der Berufungsinstanz nicht mehr aufgegriffen. Das gleichgeartete Vorgehen gegen T und die E-Drogeriemärkte als Verkäufer des Präparats mit dem Ziel eines umfassenden Vertriebsverbotes lässt sich auch sachlich rechtfertigen. Gerade im Hinblick auf das bisherige Auftreten des Antragstellers lässt sich aus dem dreifachen Angriff nicht schließen, dem Antragsteller sei es zumindest überwiegend auf die Erzielung von Gebühren angekommen.

c)

Die Antragsgegnerin ist nach § 8 Abs. 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet, weil sie mit der Anpreisung und dem Vertrieb des Mittels "W" dem jetzt geltenden § 3 UWG zuwider gehandelt hat. Diese Wettbewerbshandlung ist unlauter im Sinne dieser Vorschrift, weil die Antragsgegnerin damit einer gesetzlichen Vorschrift zuwider gehandelt hat, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (§ 4 Nr. 11 UWG). Um solche Vorschriften handelt es sich auch bei § 21 AMG (vgl. BGH –Urteil vom 22. Juli 2004 –I ZR 288 / 01 –Johanniskraut, S.7) und § 3 a HWG. Die Werberegeln des HWG dienen dem Schutz der Verbraucher, die als medizinische Laien nicht die notwendige Sachkenntnis haben, um Werbeaussagen über Arzneimittel zutreffend beurteilen zu können, vielmehr eher geneigt sind, solchen Werbeaussagen blind zu vertrauen (Baumbach/ Hefermehl/ Köhler, Wettbewerbsrecht, 23. Auflage, § 4 UWG Rdn. 11.133). Auch § 21 AMG ist als Vorschrift, die die Vermarktung eines Produkts als Arzneimittel zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher von einer vorherigen Zulassung abhängig macht, eine Marktverhaltensregelung. Gegen diese wettbewerbsbezogenen Vorschriften hat die Antragsgegnerin verstoßen.

aa)

Bei dem hier beanstandeten Präparat handelt es sich um ein mangels Zulassung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5, 21 Abs. 1 AMG nicht verkehrsfähiges Arzneimittel. Zwar hat die Antragsgegnerin das Produkt ausdrücklich als Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Verordnung über Nahrungsergänzungsmittel und zur Änderung der Verordnung über vitaminisierte Lebensmittel vom 24. Mai 2004 bezeichnet und will es als Lebensmittel anbieten und vertreiben. Für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel ist aber seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher darstellt (BGH WRP 2004, 1277 –Honigwein). Diese spricht hier in der erforderlichen Gesamtschau dafür, dass ein Präsentationsarzneimittel vorliegt, das ohne Zulassung weder vertrieben noch angeboten und beworben werden darf (vgl. § 3 a HWG).

(1)

Die Verkehrsanschauung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihre Anwendung an, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben (BGH GRUR 2000, 528, 529 –L-Carnitin). Dabei wird die maßgebliche Verkehrsanschauung regelmäßig, und zwar insbesondere dann, wenn bereits vergleichbare Mittel auf dem Markt sind, nicht allein durch das konkret in Rede stehende Produkt, sondern in erster Linie durch die gattungsmäßige Zweckbestimmung des Mittels geprägt (BGH WRP 2001, 542, 543 f. –Franzbranntwein-Gel). Erst im Weiteren kann dann die Vorstellung der Verbraucher auch durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, und zwar ebenso wie durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie schließlich durch die Aufmachung, in der das Produkt dem Verbraucher allgemein entgegentritt.

(2)

Fragt man dem gemäß zunächst nach einer schon bestehenden Auffassung des Verkehrs über den Zweck vergleichbarer Mittel, so ergibt sich aus dem detaillierten Vorbringen des Antragstellers, welches die Antragsgegnerin nicht substantiiert bestritten hat, dass sich auf dem Markt schon zahlreiche Vitamin E-Präparate befinden, die teilweise auch –gemessen an der empfohlenen Tagesaufnahmemenge von 10 bis 15 mg- hochdosiert sind. Unstreitig sind seit 1999 alle Vitamin E-Präparate mit einer höheren Dosis als 97,3 mg als Arzneimittel zugelassen und vertrieben worden. Selbst wenn die Zulassung nur vorsorglich aufgrund einer früheren und inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung zur Relevanz einer mehr als dreifachen Tagesdosis beantragt und erfolgt sein sollte, gelten sie nach § 2 Abs. 4 AMG als Arzneimittel und prägen in gleichem Maße die allgemeine Verkehrsauffassung im Hinblick auf die Zweckbestimmung solch hochdosierter Vitaminpräparate. Von Bedeutung ist dabei auch, dass das von der Antragsgegnerin angeführte und für die Rechtsprechungsänderung maßgebliche Strafurteil vom 25. April 2001 stammt, während Zulassungen als Arzneimittel noch bis November 2003 beantragt worden sind. Mitgeprägt wird die gattungsmäßige Zweckbestimmung hochdosierter Vitamin E –Präparate als Arzneimittel auch durch die beiden eingeführten Präparate der Antragsgegnerin mit geringeren Dosierungen von 200 und 400 mg. Gerade vor diesem Hintergrund wird der Verkehr schwerlich erwarten, dass ein weiteres Mittel der Antragsgegnerin mit einer noch höheren Dosis von 600 mg einen anderen Zweck verfolgen sollte als den eines Arzneimittels mit noch größerer Wirkung.

(3)

Die Auffassung, bei so hoch dosierten Vitamin E-Präparaten handele es sich ihrem Zweck nach gattungsmäßig um Arzneimittel, hat zudem auch einen sachlichen Hintergrund und stützt sich nicht allein auf die bislang übliche Bezeichnung als solche. Denn bei den auf dem Markt schon vorhandenen vergleichbaren Erzeugnissen ist als Zweck die allgemeine Leistungssteigerung angegeben, so zum Beispiel bei dem Arzneimittel W2 (mit einer Dosis von 400 mg) der Antragsgegnerin (vgl. Anlage A 4) die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Muskel- und Nervenzellen. Damit soll das Präparat auch für die Verbraucher die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers in anderer Weise als durch die übliche Nahrungsaufnahme beeinflussen und könnte damit Arzneimittel nach § 2 Abs. 5 AMG sein. Auch die sonstigen Hinweise, insbesondere die Warnhinweise auf den Beipackzetteln der zeitlich früheren Präparate der Antragsgegnerin, lassen nur den Schluss auf ein "echtes" Arzneimittel zu. Dies gilt insbesondere, wenn die Antragsgegnerin bei längerer Einnahme von Dosen über 400 mg oder jedenfalls 600 mg eine Senkung des Schilddrüsenhormonspiegels für möglich hält, und bei noch höheren Dosen von 800 mg vor Magen- und Darmbeschwerden warnt. Wenn aber gerade mit so hohen und nach der eigenen früheren Einschätzung nicht risikofreien Dosen, die sich als eine Vielzahl des üblichen Tagesbedarfs darstellen, auf den Körper eingewirkt werden sollte, nimmt der Verkehr nicht an, bei dem neuen Mittel mit der noch höheren Dosis gehe es nun nur darum, den täglichen Bedarf zu decken oder diese Deckung durch Speichern eines Vorrats sicherzustellen. Auch wenn etwa pharmakologische Wirkungen des Vitamins bei hoher Dosierung im polyarthritischen und anämischen Bereich und prophylaktische Fähigkeiten zur Vermeidung von Risiken wie Herzinfarkt oder Gelenkrheuma bislang zwar ernsthaft diskutiert, aber nicht nachgewiesen wurden, bezieht der Verbraucher auch solche Möglichkeiten insbesondere bei physiologisch völlig sinnlosen Dosen in seine Zweckbestimmung mit ein. Dabei ist ohnehin zu berücksichtigen, dass auch aus Sicht der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft eine den ernährungsphysiologisch erforderlichen und möglichen Bedarf um ein Vielfaches –hier den nach dem von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung angegebenen Bedarf von 12 mg um das 50 fache- übersteigende Dosierung nach wie vor auch generell einen deutlichen Hinweis auf eine Wertung als Arzneimittel geben kann (vgl. BGH WRP 2004, 1024, 1028 –Sportlernahrung II).

(4)

An der allgemeinen Verkehrsauffassung, die entsprechend hochdosierte Vitamin E-Präparate als gattungsmäßige Arzneimittel wertet, ändert sich auch nichts durch die Aufmachung, in der dem Verkehr das konkrete Mittel hier entgegen tritt. Die Hinweise der Antragsgegnerin zu dem beanstandeten Mittel sind nämlich zu einer solchen Änderung nicht in der Lage. Zwar bezeichnet die Antragsgegnerin dieses Produkt nun ausdrücklich als "Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin E" und gibt als Zweckbestimmung an: "Zur täglichen Nahrungsergänzung mit Vitamin E natürlichen Ursprungs". Das reicht aber im Hinblick auf den bekannten Zweck der anderen als Arzneimittel zugelassenen hochdosierten Vitamin E-Präparate nicht aus. Die Aufmachung des Mittels und die Funktionsangaben unterscheiden sich von denen auf den anderen beiden Präparaten nicht so wesentlich, dass der Verbraucher ernstlich annimmt, es gehe hier um etwas ganz Anderes. Das beschriebene Entgegenwirken bei Umweltgiften und schädlichen freien Radikalen ist auch nicht typisch für Nahrungsergänzungsmittel. Das gilt erst recht bei dem Hinweis, dass Personen, die an Krankheiten leiden oder in ärztlicher Behandlung sind, vor dem Verzehr ihren Arzt befragen sollen, ob das Produkt für sie geeignet ist. Ein solcher Warnhinweis steht auch gerade nicht in dem Katalog der Angaben nach § 4 Abs. 2 Nrn. 1 – 5 der Nahrungsergänzungsmittel VO vom 24. Mai 2004. Es ist auch kaum ein Fall denkbar und es wird auch kein spezielles Anwendungsgebiet genannt, in dem aus rein physiologischen Gründen die tägliche Einnahme einer solch hohen Dosis einen Sinn haben und zur Abrundung einer gesunden Ernährung beitragen könnte. Deshalb werden die Verbraucher sich mangels sinnvoller anderer Zweckbestimmung in diesem bestimmten Fall weiter an der allgemeinen Zweckbestimmung orientieren und auch dieses Präparat nicht für ein Lebensmittel halten, selbst wenn es der Bezeichnung nach als Nahrungsergänzungsmittel angeboten wird.

bb)

Ob in dem Präparat wegen der behaupteten pharmakologischen Wirkungen auch ein Funktionsarzneimittel zu sehen ist, kann deshalb dahinstehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10,

711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 25.11.2004
Az: 4 U 129/04


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