Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 18. November 2011
Aktenzeichen: 6 U 119/11

(OLG Köln: Urteil v. 18.11.2011, Az.: 6 U 119/11)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin* wird das am 05.05.2011 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist einer der führenden deutschen Anbieter von Tee und Teepro­­dukten. Die Beklagte vertreibt Erfrischungs­getränke; seit Mai 2010 bringt sie ein „Sparkling Tea“ genanntes neues Produkt auf den Markt, das aus je nach Sorte variierenden Tee-Extrakten, kohlensäurehaltigem Wasser, Aromen und weiteren Bestandteilen besteht. Hinsichtlich der Aufmachung wird auf die Abbildung in der Klageschrift (S. 3) Bezug genommen. Sie warb dafür im konzerneigenen Mitteilungsblatt (Anlage K 1, S. 5) und in Lebensmittel-Fachzeitschriften (Anlage K 2) mit dem Slogan „Der Tee mit Zzischh“. Die Klägerin macht geltend, die Beklagte erwecke mit der konkreten Produktaufmachung und Werbung den unzutreffenden Eindruck, ihre Getränkeserie basiere nicht nur auf Tee-Extrakten, sondern auf aufgebrühtem Tee im Sinne der Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches.

Auf ihren Antrag hat das Landgericht die Beklagte nach vorauslaufender einstweiliger Verfügung - 31 O 239/10 - verurteilt, den Vertrieb und die Bewerbung des Produktes in der vorbezeichneten Aufmachung sowie die Werbung in vorbezeichneter Form zu unterlassen, Auskunft zu erteilen sowie die Abmahnkosten der Klägerin zu erstatten. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin das angefochtene Urteil verteidigt. Die Parteien vertiefen schriftsätzlich ihre widerstreitenden Standpunkte.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Unter Würdigung aller Umstände des Streitfalles vermag der Senat eine der Beklagten nach §§ 3, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG zu untersagende Irreführung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB oder § 5 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1, Abs. 3 UWG nicht festzustellen; auch der geltend gemachte Auskunfts- und Kostenerstattungsanspruch der Klägerin besteht nicht.

1. Es kann mangels praktischer Auswirkungen dahingestellt bleiben, ob der lebensmittelrechtliche Irreführungstatbestand als Spezialregelung Vorrang beansprucht (so Senat, Urteil vom 18.01.2008 - 6 U 144/07 = MD 2008, 288 - Fruit2day; Meyer / Streinz, LFGB, § 11 Rn. 15; Piper / Ohly / Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 5 Rn. 23) oder das allgemeine lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot daneben anwendbar bleibt (so Wehlau, LFGB, § 11 Rn. 166; Köhler / Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 5 Rn. 1.45, 1.73). Denn im Bereich der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.03.2000, wonach die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln und die Werbung hierfür nicht geeignet sein dürfen, den Käufer irrezuführen, und zwar insbesondere nicht über Eigenschaften wie Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart (Art. 2 Abs. 1 lit. a Nr. i, Abs. 3 Nr. a und b), sind beide Tatbestände übereinstimmend richtlinienkonform auszulegen.

2. Der danach an die Verkehrserwartung anzulegende Maßstab ist der des Durchschnittsverbrauchers, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung der Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Erwägungs­grund 18 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken; Wehlau, a.a.O., Rn. 23 ff.; Meyer / Streinz, a.a.O., § 11 Rn. 29; Köhler / Bornkamm, a.a.O., § 5 Rn. 1.46 ff. m.w.N.). Dieses Verkehrsverständnis kann der Senat auf Grund seiner Erfahrung in Wettbewerbssachen und wegen der Zugehörigkeit seiner Mitglieder zu den angesprochenen Verbrauchern selbst feststellen.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht hat sich die Beurteilung nicht etwa in erster Linie am Deutschen Lebensmittelbuch (§ 15 LFGB) - hier den Leitsätzen für Tee, teeähnliche Erzeugnisse, deren Extrakte und Zubereitungen vom 02.12.1998 (Anlage K 4) - zu orientieren. Die dort niedergelegten Leitsätze mögen als sachverständige Beschreibung der für die Verkehrsfähigkeit bedeutsamen Herstellung, Beschaffenheit und sonstigen Merkmale von Lebensmitteln unter Umständen entsprechende bestehende oder künftig herauszubildende Erwartungen der Verbraucher nahelegen können, sind aber weder verbindliche Rechtsnormen noch in jedem Fall zuverlässige Abbilder des aktuellen Verbraucherverständnisses (vgl. Senat, MD 2008, 288 [292] - Fruit2day; Wehlau, a.a.O., § 15 Rn. 28; Meyer / Streinz, a.a.O., § 15 Rn. 9 ff.). Es kommt hinzu, dass die Leitsätze für Tee, in denen das in Deutschland seit längerem unter der Bezeichnung „Rooibos“ oder „Rotbuschtee“ bekannte teeähnliche Getränk übrigens nicht einmal erwähnt wird, ausweislich des beigegebenen Sternchenhinweises solche „Getränke, die in Bezeichnung oder Aufmachung auf Tee hinweisen (z.B. Eistee),“ gerade nicht berücksichtigen und zu der streitentscheidenden Frage, ob eine auf Tee hinweisende Bezeichnung und Aufmachung von Getränken bei den angesprochenen Verbrauchern unzutreffende Erwartungen weckt, schon deshalb nichts beitragen können.

3. Bei der angegriffenen Aufmachung der Beklagtenprodukte liegt eine relevante Irreführung der angesprochenen Verbraucher im Ergebnis fern.

a) Unstrei­tig werden die verschiedenen Sorten „Sparkling Tea“ allerdings nicht etwa so hergestellt, dass bei der Sorte „Black Tea“ fermentierte, bei der Sorte „Green Tea“ unfermentierte Blätter, Blattknospen und zarte Stiele des Teestrauches Camellia sinensis L.O. Kuntze im Sinne der Leitsätze für Tee (Nr. I Buchst. A Nr. 1 und Buchst. D Nr. 1) oder bei der Sorte „Rooibos“ entsprechende Bestandteile der gleichnamigen südafrikanischen Pflanze mit kochendem Wasser übergossen und das in dieser Weise frisch aufgebrühte Getränk abgekühlt, mit Kohlensäure und Geschmacksstoffen versetzt und anschließend auf Flaschen gezogen wird. Doch wird ohnehin kein relevanter Teil der Verbraucher in diese Richtung gehende Vorstellungen entwickeln.

Vielmehr ist der Verbraucher daran gewöhnt, dass unter zusammengesetzten Bezeichnungen mit dem Bestandteil „Tee“ oder (englisch) „Tea“ außer zum Aufbrühen bestimmten Zubereitungen in Tüten oder Aufguss­beuteln verschiedene „Tee“-Produkte angeboten werden, die erkennbar anders hergestellt worden sind. Er kennt seit langem Instantprodukte wie den Markenartikel „Nestea Zitronentee“ (vgl. die der Produktgruppe Tee zugeord­nete Fernsehwerbung von 1971 und 1974 im Historischen Werbefunkarchiv der Universität Regensburg, hwa.uniregenburg.de) sowie „Eistee“ oder „Ice Tea“ genannte Erfrischungsgetränke (vgl. Anlagen B 19 und ASt 13). Diese werden - wie die Berufungserwiderung einräumt - häufig unter Verwendung von Tee-Extrakten hergestellt, während eine Zubereitung aus frisch aufgebrühtem Tee ersichtlich die Ausnahme bildet, weshalb sie in der Werbung des betreffenden Anbieters (Anlage K 7) auch besonders hervorgehoben wird. Darüber hinaus begegnet der Verbraucher seit einiger Zeit weiteren auf den Markt drängenden (sogenannten „Near Water“) Erfrischungsgetränken mit Tee-Extrakt und Geschmacksbezeichnungen wie „Weißtee“, „Grüner Tee“ oder „Roter Tee“ (Anlagen AG 2 bis 6). Der durch moderne Kommunikations- und Transportmittel geförderte Austausch mit frem­den Kulturen, wo die Teezubereitung aus Tee-Extrakt die Regel und das frische Aufbrühen die Ausnahme ist, tut ein Übriges, so dass der Verbraucher ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht überrascht und in seinen Erwartun­gen enttäuscht sein wird, wenn er erfährt, dass ein in Flaschen abgefülltes und - unter anderem - mit dem Wort „Tea“ bezeichnetes Getränk mit Tee-Extrakt statt mit frisch aufgebrühtem Tee hergestellt worden ist.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei dem verwendeten Tee-Extrakt - wie es bei dem Produkt der Beklagten unstreitig der Fall ist - um einen gemäß den Leitsät­zen für Tee (Nr. I lit. A Nr. 5) seinerseits aus pflanzlichen Bestandteilen des Tee- oder Rooibosstrauches gewonnenen wässrigen Auszug handelt, dem Wasser entzogen ist.

b) Diese im Ausgangspunkt auch vom Landgericht (Urteil vom 26.08.2010 - 31 O 239/10 - sub Nr. II 1) geteilte Sicht wird durch die besonderen Umstände des Streitfalles nicht in Frage gestellt. Die Abwägung aller Merkmale der konkreten Produktaufmachung rechtfertigt nicht die Annahme, dass damit der Eindruck hervor­gerufen und verstärkt würde, es handele sich bei „Sparkling Tea“ um ein mit frisch aufgebrühtem Tee hergestelltes Getränk.

Die Größe der entfernt an asiatische Pinselschriften erinnernden Buchstaben des Produktnamensbestandteils „Tea“, dessen dadurch bewirkte blickfangartige Hervorhebung und die Wiederholung des Wortes „Tea“ in zwei von drei Sortenbezeichnungen kann für eine solche Annahme angesichts der weiten Verbreitung von „Tee“- oder „Tea“-Produk­ten auf Tee-Extrakt-Basis nicht genügen, zumal von einem völligen Zurücktreten der auf ein Erfrischungsgetränk hindeutenden Angabe „Sparkling - mit Kohlensäure“ im Gesamteindruck keine Rede sein kann. Die Abbildungen von Teilen des Tee- bzw. Rooibosstrauchs (sowie auf die weiteren Geschmacksanteile hinweisender Früchte und Pflanzenteile) auf den Flaschen und die mit der natürlichen Farbe frisch aufgebrühten Schwarzen, Grünen oder Rooibos-Tees über­ein­stim­mende Getränkefarbe betonen zwar die natürliche Herkunft der Grundzutaten; eine relevante Irreführung über die Art der Herstellung des unstreitig unter Verwendung pflanzlicher Tee-Extrakte (nicht allein mit chemischen Mitteln) erzeugten Getränks folgt daraus jedoch nicht. Dage­gen deuten die für Erfrischungsgetränke typische Darreichungsform (durch­­sichtige Flaschen), die Kenn­zeichnung mit der eher für solche Getränke als für herkömmliche Teezubereitungen bekannten Beklagtenmarke und der unübersehbare Hinweis auf den Kohlensäuregehalt auf eine neue, weniger an eine traditionelle ostfriesische Teezeremonie als an spezielle Limonaden erinnernde Art von Teegetränk hin.

4. Bei dem Slogan „Der Tee mit Zzischh“ in den beiden antragsgegenständlichen konkreten Verwendungsformen droht eine Irreführung der Werbeadressaten schon deshalb nicht, weil das Verständnis des für sich allein eher unspezifischen Begriffs „Tee“ dort hinreichend erläutert wird.

a) Die interessierten Fachkreisen den Verkaufsstart des Produkts „Sparkling Tea“ ankündigende Zeitschriftenwerbung (S. 5 der Klageschrift) zeigt den Slogan rechts neben der Produktabbildung, wobei die Worte „der tee mit“ oberhalb der blick­fangartig hervorgehobenen lautmalerischen Buchstabenfolge „ZZISCHH“ erscheinen. Die dadurch geweckte Aufmerksamkeit des in seinen Erwartungen noch nicht ein­deutig festgelegten und zum Nachdenken angeregten Lesers wird sich sogleich auf den folgenden aufklärenden Text „Mit Kohlensäure, Tee-Extrakt und natürlichem Aroma“ richten. Dass die fachkundigen unmittelbaren Werbeadressaten oder die zu ihren Abnehmern gehörenden Verbraucher den Slogan vor diesem Hintergrund als Auslobung eines aus frisch aufgebrühtem Tee hergestellten kohlesäurehaltigen Getränks verstehen werden, hält der Senat für ausgeschlossen.

b) Im konzerneigenen Mitteilungsblatt der Beklagten (S. 4 der Klageschrift) befindet sich im Blickfang neben der Produktabbildung nur die Buchstabenfolge „ZZISCHH“, während der Slogan „Der Tee mit Zisch“ erst als zweite Zeile einer mit „Unique im Near Water Regal“ beginnenden Zwischenüberschrift sowie im nachfolgenden Fließtext unterhalb der Abbildung erscheint. Der bei der Lektüre bis zu diesem Teil der Werbung vorgedrungene Werbeadressat ist jedoch bereits im vorangegangenen Fließtext darüber aufgeklärt worden, dass es sich bei dem Produkt um ein „auf Tee basierendes Erfrischungsgetränk“ und „eine einzigartige Kombination aus verschiedenen Tee-Extrakten, die mit Kohlensäure versehen wurden“, handelt, so dass der Slogan bei ihm nicht mehr die mit der Klage geltend gemachte Fehlvorstellung auslösen wird.

5. Kann eine der Beklagten zuzurechnende Irreführung nach alledem nicht festgestellt werden, so entfällt damit zugleich die Grundlage für den vom Landgericht zuerkannten Auskunftsanspruch aus § 242 BGB in Verbindung mit § 9 UWG.

Eine Erstattung von Abmahnkosten aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG oder §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB scheitert aus demselben Grund und im Übrigen auch deshalb, weil die Klägerin die Beklagte erst nach Erwirkung der einstweiligen Verfügung vom 19.05.2011 am 20.05.2011 abgemahnt hat, was nach Lage der Dinge weder erforderlich sein noch im Interesse der Beklagten liegen konnte (vgl. BGH, GRUR 2010, 257 = WRP 2010, 258 - Schubladenverfügung; Senat, WRP 2008, 379).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Es besteht kein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Das Urteil beruht auf der tatrichterlichen Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze in einem Einzelfall, ohne dass der Sache grundsätzliche Bedeutung zukommt oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof erfordert.

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

wird gemäß § 319 ZPO die Urteilsformel des am 18.11.2011 verkündeten Urteils des Senats wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers dahin geändert, dass es dort im ersten Absatz heißen muss:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 05.05.2011 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln abgeändert: …

Köln, den 13. Dezember 2011






OLG Köln:
Urteil v. 18.11.2011
Az: 6 U 119/11


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