Bundespatentgericht:
Urteil vom 25. April 2001
Aktenzeichen: 3 Ni 26/99

(BPatG: Urteil v. 25.04.2001, Az.: 3 Ni 26/99)

Tenor

Das Patent DD 244 545 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 20. Dezember 1985 angemeldeten DD-Wirtschaftspatents 244 545 (Streitpatent), das ein Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten betrifft und nach beschränkter Aufrechterhaltung gemäß § 12 Abs 3 ErstrG 4 Patentansprüche umfasst.

Patentanspruch 1 hat danach folgende Fassung:

"1. Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten, gekennzeichnet dadurch, dass Industrieschlämmen mit einem Wasser-Feststoff-Verhältnis > 1,3 ein stark wasserbindender, die Erhärtung beeinflussender Stoff in Mengen von 20 bis 60 Ma.-%, bezogen auf das entscheidende Gemisch, zugegeben wird."

Wegen des Wortlauts der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er gegenüber dem Stand der Technik nicht mehr neu sei, und beruft sich im wesentlichen auf folgende Veröffentlichungen:

K 1 Neue Bauwelt 1948, Heft 24, S. 378, 379: Braunkohlenaschen als Bindemittel, K 2 DE 29 25 882 C2, K 3 Putting Industrial Sludges in Place - Environmental Science & Technology, Vol 6, Nr 10, S 847, 848, Oktober 1972, K 4 The Stabilization Game - Environmental Science & Technology, Vol 9, Nr 7, S 622, 623, Juli 1975, K 5 DE 23 57 407 A1, K 6 EP 0 050 371 A1, K 7 US 4 226 630, K 8 US 4 028 130, K 9 EP 0 135 147 B1.

Die Klägerin beantragt, das Patent DD 244 545 für nichtig zu erklären.

Der Beklagte II hat mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1999 erklärt, dass er das Streitpatent nur noch auf der Grundlage der eingereichten neuen Patentansprüche 1 bis 4 verteidige. Patentanspruch 1 soll danach folgenden Wortlaut haben:

"1. Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten, dadurch gekennzeichnet, dass Industrieschlämmen mit einem Wasser-Feststoff-Verhältnis > 1,3 Braunkohlenflugasche in Mengen von 20 bis 60 Ma.-%, bezogen auf das entstehende Gemisch, derart zugegeben wird, dass eine vollständige Hydratation des in der Braunkohlenflugasche enthaltenen aktiven Anteils erreicht wird."

Wegen des Wortlauts der sich hieran anschließenden Patentansprüche 2 bis 4 wird auf die Anlage zum Schriftsatz des Beklagten 2 vom 15. Oktober 1999 Bezug genommen.

Der Beklagte II beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.

Zur mündlichen Verhandlung ist der Beklagte II nicht erschienen.

Die Beklagte I erklärt sich mit den in den neuen Patentansprüchen vorgenommenen Änderungen nicht einverstanden, weil die in den neuen Patentanspruch 1 aufgenommene Formulierung "derart zugegeben wird" eine unzulässige Erweiterung beinhalte und die Ausführbarkeit in Frage stelle und weiterhin das Hydratisieren von aktiven Aschebestandteilen und die Behandlung von salzhaltigen, sauren Wässern mit aktiver Braunkohlenflugasche vorbekannt sei. Im wesentlichen stützt sie sich hierbei auf BK 1 A Erste Anwenderinformation Flugaschebindereinsatz im Straßenund Ingenieurtiefbau, Mai 1985, VE Tiefbaukombinat Cottbus, ORC REB-Institut für Kraftwerke, BK 1 B Fachbereichstandard TGL 190-72/08 August 1985, BK 1 C DD 244 472, BK 1 D DD 232, BK 1 E DD 1893.

Die Beklagte I beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Klägerin enthalten die verteidigten Patentansprüche des Beklagten II eine unzulässige Änderung. Der Gegenstand des neuen Patentanspruchs 1 sei ebenfalls nicht patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents wegen fehlender Neuheit (§§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 1 PatG iVm §§ 4 Abs 1, 5 Satz 1 ErstrG iVm § 5 Abs 2 PatG DDR 1983).

Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Schutzvoraussetzungen des Streitpatents sind nach § 4 ErstrG iVm Kap III Sachgeb E Abschn II §§ 3, 13 EinVertr in materiellrechtlicher Hinsicht die für das Streitpatent zum Zeitpunkt der Anmeldung maßgeblichen Regelungen des Patentgesetzes der DDR. Danach findet auf das am 20. Dezember 1985 angemeldete Streitpatent das DDR-Patentgesetz von 1983 Anwendung (vgl amtl Begr zum ErstrG BlPMZ 1992, 213, 228 zu § 12 ErstrG). Die Frage der Patentfähigkeit ist dort in § 5 geregelt. Mit Ausnahme des Kriteriums des technischen Fortschritts, das im vorliegenden Fall keine Rolle spielt, ergibt sich aus der Anwendbarkeit des PatG DDR 1983 keine Abweichung zu der im Nichtigkeitsverfahren herrschenden Praxis der Überprüfung der Patentfähigkeit.

I.

1) Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten. Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift sind aus dem Stand der Technik ein Verfahren zur Verwendung von Filterasche als Bindemittel (DD-PS 104 600), die Herstellung von Aschegranulat und Verwendung als Zuschlagstoff bzw Bindemittel (DD-PS 35 222, DD-PS 223 699) sowie ein Verfahren zum Abfüllen und Abdichten von Oberflächenlagerplätzen mit Abfällen aus Kraftwerken (DD-PS 201 816) bekannt. Nachteile dieser Verfahren werden darin gesehen, dass zum einen in den meisten Fällen Treib- und Verfallserscheinungen der unter Verwendung von aufgemahlener Asche hergestellten Baustoffe nicht beseitigt werden können und in vielen Fällen nicht die vollständige Hydratation des in den Aschen enthaltenen aktiven Anteils erreicht werden kann. Als weiterer Nachteil der bekannten Verfahren wird der nicht unbeträchtliche apparative Aufwand genannt. Generell steht bei diesen Verfahren die Substitution von Zuschlagstoffen und nicht die Erreichung neuer Qualitätsmerkmale und die Erschließung neuer Einsatzgebiete im Vordergrund. Schließlich ist ein Verfahren zum Entwässern von Bindemittel-Wasser-Gemengen bekannt (DD-PS 227 694), das auf die Ermittlung des günstigsten Zeitpunktes zum Entwässern gerichtet ist, wodurch das "Bluten" des Betons durch Abfluß überschüssigen Bindemittels verhindert werden soll.

2) Dem Streitpatent liegt somit das Problem zugrunde, ein Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten zu entwickeln, bei dem die Wirkungen von zementschädlichen Bestandteilen der Abprodukte durch den Einsatz eines resistenten Bindemittels verhindert wird.

3) Patentanspruch 1 in der nach § 12 Abs 3 ErstrG beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung beschreibt demgemäß

ein Verfahren zur Herstellung von Betonmassen aus Abprodukten, 1. wobei Industrieschlämmen mit einem Wasser-Feststoff-Verhältnis > 1,3 2. ein stark wasserbindender, die Erhärtung beeinflussender Stoff 3. in Mengen von 20 bis 60 Ma.-%, bezogen auf das entscheidende Gemisch, (gemeint ist ersichtlich das entstehende Gemisch) zugegeben wird.

II.

Ein Verfahren mit den vorstehend mit 1. bis 3. bezeichneten Maßnahmen ist gegenüber der Lehre der amerikanischen Patentschrift 4 226 630 nicht mehr neu.

Nach dieser Entgegenhaltung werden wässrige Industrieschlämme mit Flugasche zu einem Brei vermischt, der zu einem festen auslaugbeständigen Körper aushärtet (Anspruch 1 iVm Sp 1 Z 7 bis 16 u 31 bis 47). Nach den Beispielen 1 bis 3 enthält der Industrieschlamm 81 Gew.-% wässrige Lösung/29 Gew.-% Feststoff, 78 Gew.-% wässrige Lösung/22 Gew.-% Feststoff und 69 Gew.-% wässrige Lösung/31 Gew.-% Feststoff. Dies entspricht einem Lösungs/Feststoff-Verhältnis von 2,8, 3,5 und 2,2 und daher jedenfalls einem Wasser-Feststoff-Verhältnis > 1,3, welches bei > 56,5 Gew.-% Wasser und < 43,5 Gew.-% Feststoff + in Wasser gelöste Anteile verwirklicht ist. Damit ist das Merkmal 1. gemäß vorstehender Merkmalsanalyse erfüllt. Das 2. Merkmal ist vorweggenommen, weil die Flugasche ein stark wasserbindender, die Erhärtung beeinflussender Stoff im Sinne des Streitpatents ist, vgl hierzu insbesondere dessen Patentanspruch 3 und beide Beispiele. Die Flugasche wird nach den Angaben in der US-Patentschrift in Mengen von 60, 40 und 65 Gew.-% (vgl Beispiele), 10 bis 70 Gew.-% (Patentansprüche 5, 7 und 9) bzw 40 bis 60 Gew.-% (Patentansprüche 6, 8 und 10), jeweils bezogen auf das entstehende Gemisch, zugegeben. Damit kann auch der in der Merkmalsanalyse unter 3. aufgeführte Mengenbereich die Neuheit nicht begründen (vgl BGH GRUR 1992, 842 - Chrom-Nickel-Legierung).

Der Einwand des Beklagten II, daß die Entgegenhaltung im Gegensatz zum Streitpatent keine Herstellung von Betonmassen betreffe, kann nicht überzeugen. Zwar trifft es zu, daß in der US-Patentschrift dieser Begriff nicht wörtlich genannt ist. Bei Einsatz anspruchsgemäßer Ausgangsstoffe und Einhaltung der im Patentanspruch festgelegten Maßnahmen muß sich aber zwangsläufig das identische Verfahrenserzeugnis ergeben; eine lediglich sprachlich abweichende Bezeichnung kann ihm nicht zur Neuheit verhelfen.

Patentanspruch 1 des Streitpatents kann somit mangels Neuheit keinen Bestand haben.

Die von der Klägerin mit Sachvortrag angegriffenen Unteransprüche, für deren Gegenstände ein eigenständiger erfinderischer Gehalt weder geltend gemacht worden noch ersichtlich ist, fallen mit dem Hauptanspruch der Nichtigkeit anheim.

Auch die vom Beklagten II mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1999 vorgeschlagene Beschränkung des Patentanspruchs 1, die der Senat mangels einer übereinstimmenden Erklärung der als notwendige Streitgenossen im Sinne des § 62 ZPO geltenden Beklagten (Busse, PatG, 5. Aufl., § 81 Rdnr. 101 mwN; BPatGE 40, 276 - Verstellvorrichtung nicht hatte berücksichtigen können, wäre ohne Erfolg geblieben. "Braunkohlenflugasche" als "stark wasserbindender, die Erhärtung beeinflussender Stoff" als sowie die Maßgabe "daß eine vollständige Hydratatio... erreicht wird" sind in der Streitpatentschrift nicht wörtlich offenbart. Eine dahingehende Einschränkung wäre aber nicht zu beanstanden gewesen, weil sie sich dem Fachmann aus dem Gesamtinhalt der Streitpatentschrift bei verständiger Würdigung erschließt. Die Neuheit eines derart präzisierten Verfahrens bedarf keiner näheren Erörterung, weil die zur Einschränkung in Aussicht genommenen Merkmale jedenfalls die erfinderische Tätigkeit nicht begründen könnten. Die nach der Entgegenhaltung verwendete Flugasche stammt aus bituminöser bzw steinkohlenähnlicher Braunkohle (vgl gutachtlich Wörterbuch Chemie VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim 1992, S 1339 unter "subbituminous coal") spezieller amerikanischer Provenienz, die zwischen Steinkohle und (holziger) Braunkohle einzuordnen sein soll und Brennwerte im Bereich von 8.300 bis 13.000 BTU/lb aufweist (Sp 2 Z 56 bis 61). Es bedarf keines erfinderischen Zutuns, anstelle dieser Flugasche eine Flugasche aus Braunkohle beliebiger Herkunft, zB aus mitteleuropäischen Vorkommen, einzusetzen, die nach ISO-Klassifikation durch einen Brennwert unterhalb von 10 260 BTU/lb definiert ist, vgl gutachtlich Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry, 5th Edition, 1987, Volume A7, S 161 liSp leAbs. Die nach der amerikanischen Patentschrift 4 226 630 entstehende Masse soll zu einem (druck)festen, auslaugbeständigen Körper aushärten (Patentansprüche 1 u 2 iVm Sp 4 Z 57 bis 61). Ob diese Vorgehensweise zwangsläufig und regelmäßig zu einer vollständigen Hydratation des in der Flugasche enthaltenen aktiven Anteils führt, kann dahinstehen, da eine solche im Stand der Technik als erstrebenswert angesehen worden ist und ihr Erreichen durch Einhaltung eines Mindestwasseranteils daher dem Fachmann nahegelegt war (vgl Streitpatentschrift S 1 Z 17 bis 15 von unten; Erste Anwenderinformation Flugaschebindereinsatz im Straßen- und Ingenieurtiefbau, Mai 1985, S 4 Abs 2 iVm S 8 unter 1), S 9 Abs 2 Z 9 bis 19, S 10 Z 1 bis 3, S 13 unter 3), S 20 unter 1); Fachbereichstandard TGL 190-72/08 August 1985, S 7, 5.1).

Der vom Beklagten II mit Schriftsatz vom 15. Oktober eingereichte Patentanspruch 1 wäre nach alledem zu einer beschränkten Verteidigung des Streitpatents nicht geeignet gewesen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 100 Abs 1 ZPO. Danach haben die Beklagten als notwendige Streitgenossen die Kosten des Rechtsstreits nach Kopfteilen zu tragen (vgl BGH GRUR 1998, 138 - Staubfiltereinrichtung). Ein Anhaltspunkt, der die Regelung des § 100 Abs 1 ZPO als unbillig im Sinne des § 84 Abs 2 Satz 2 PatG erscheinen liesse, weil sich zB die Beklagten im Verfahren in unterschiedlichem Umfang an der Verteidigung des Streitpatents beteiligt haben, ist hier nicht ersichtlich.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Dr. Wagner Dr. Jordan Sredl Dr. Proksch-Ledig Ja






BPatG:
Urteil v. 25.04.2001
Az: 3 Ni 26/99


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