Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 8. November 1999
Aktenzeichen: 11 S 2472/99

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 08.11.1999, Az.: 11 S 2472/99)

Für ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gerichtet ist, erhält der Rechtsanwalt gemäß § 114 Abs 7 S 1 BRAGO (BRAGebO) drei Zehntel der in § 31 BRAGO (BRAGebO) bestimmten Gebühren.

Gründe

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde (vgl. § 146 Abs. 1 und 3 VwGO) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf die Erinnerung der Antragsgegnerin hin bei der Festsetzung der den Antragstellern zu erstattenden Kosten (vgl. § 164 VwGO) anstelle der vollen Gebühr gemäß § 31 BRAGO nur eine 3/10-Gebühr gemäß § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO zu Grunde gelegt.

Gemäß § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO erhält der Rechtsanwalt im gerichtlichen Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung (des Verwaltungszwangs) drei Zehntel der in § 31 bestimmten Gebühren. Die von den Antragstellern jeweils begehrte "vorläufige Unterlassung der Abschiebung" betrifft einen Akt des Verwaltungszwangs. Dies entspricht, soweit ersichtlich, allgemeiner Auffassung (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.9.1997, BVerwGE 105, 232 = NVwZ 1998, 297). Die von den Antragstellern vorgetragenen Gründe und weitere Gesichtspunkte, die in der Rechtsprechung angeführt werden, können den Senat nicht veranlassen, § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO einengend dahin auszulegen, daß diese Vorschrift im Bereich des ausländerrechtlichen Vollstreckungsrechts im allgemeinen oder jedenfalls in Bezug auf die zeitweise Aussetzung einer Abschiebung (Duldung, vgl. § 55 Abs. 1 AuslG) nicht gelten soll (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.1.1999 - 9 S 3097/98 -, VBlBW 1999, 190, und Beschl. v. 3.5.1999 - 13 S 2427/98 -, EZAR 613, Nr. 37; vgl. auch zur Abschiebungsandrohung: Senatsbeschl. v. 22.9.1998 - 11 S 1469/98 - m.w.N. und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, VBlBW 1996, 152; vgl. weiter Hutschenreuther-von Emden, NVwZ 1998, 714 m.w.N.; a.A. etwa OVG Berlin, Beschl. v. 7.7.1998, NVwZ 1998, 992; OVG Bremen, Beschl. v. 18.12.1998, NVwZ-RR 1999, 701; Bayer. VGH, Beschl. v. 26.10.1998, NVwZ-Beilage I 1999, 12).

Entgegen der Auffassung der Antragsteller findet § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO nicht nur Anwendung, soweit in einem gerichtlichen Verfahren die Vollstreckungsvoraussetzungen allein nach dem (jeweils einschlägigen) Verwaltungsvollstreckungsgesetz geprüft werden. Für eine solche Auslegung bietet der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhaltspunkt. Vielmehr umfaßt dieser ersichtlich jeden Akt des Verwaltungszwangs, unabhängig davon, ob er auf einer Regelung eines Verwaltungsvollstreckungsgesetzes oder auf einer solchen eines besonderen Gesetzes gründet (vgl. Senatsbeschl. a.a.O.). Daß im vorliegenden Verfahren Duldungsgründe gemäß § 55 Abs. 2 und 3 AuslG und in diesem Rahmen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG in Rede standen, ändert nichts daran, daß sich die inhaltliche Prüfung darauf richtete, ob die Antragsteller die zeitweise Aussetzung der Abschiebung beanspruchen konnten.

Nicht zu folgen vermag der Senat auch der Ansicht, die vollstreckungsrechtlichen Vorschriften des Ausländergesetzes hätten sich in wesentlichen Punkten vom allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrecht gelöst und wegen dieser inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten könne die auf das allgemeine Vollstreckungsrecht zugeschnittene Gebührenregelung des § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO nur eingeschränkt Anwendung finden (OVG Bremen a.a.O.). Denn soweit sich wegen der ggf. umfangreichen Prüfung von Abschiebungshindernissen oder wegen der Anknüpfung verschiedener Rechtsfolgen an das Vorliegen einer Duldung (vgl. etwa den Wegfall der Strafbarkeit nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG und die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ohne vorherige Ausreise gemäß § 9 Abs. 2 DVAuslG) solche Besonderheiten ergeben sollten, wäre es jedenfalls Sache des Gesetzgebers, diesen Rechnung zu tragen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.1.1999 a.a.O.; Hutschenreuther-von Emden a.a.O.). Trifft der Gesetzgeber im Rahmen seines insoweit weiten Ermessens eine entsprechende Sonderregelung nicht, können sich die Gerichte darüber - zumal im Bereich des notwendig pauschalierenden Gebührenrechts - nicht hinwegsetzen.

Außerdem erkennt der Senat neben den für eine höhere Gebühr streitenden Gründen auch gegenläufige Gesichtspunkte. So ist durchaus fraglich, ob der Arbeitsaufwand eines Rechtsanwalts in einem Rechtsstreit wegen zeitweiser Aussetzung der Abschiebung typischerweise wesentlich höher ist als in sonstigen öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsverfahren. Zum einen gehen Verfahren wegen Duldung häufig gerichtliche Streitigkeiten etwa wegen einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 AuslG oder wegen einer Abschiebungsandrohung voraus, in denen zumindest zu einem erheblichen Teil derselbe Sachverhalt und dieselben Rechtsfragen zur Überprüfung gestellt werden, etwa das Vorliegen von (zwingenden) Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, BVerwGE 102, 249 = NVwZ 1997, 685). Zum andern ist nicht zu übersehen, daß die als eher schwierig geltenden Fragen des Bestehens von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen sich sehr häufig in einer Vielzahl von Verfahren stellen und daher der Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts für den einzelnen Fall insoweit nicht überdurchschnittlich ist. Schließlich schlägt sich bei der Gebührenbemessung für den Rechtsanwalt günstig nieder, daß in der großen Zahl von Fällen, in denen mehrere Familienangehörige eine Duldung begehren - um einen solchen Fall handelt es sich auch hier -, die Streitwerte ohne Degression addiert werden (§ 5 ZPO), obwohl sich insoweit zu einem erheblichen Teil dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen stellen (vgl. demgegenüber § 83b Abs. 2 Satz 3 AsylVfG), mit der Folge, daß die Streitwerte in diesen Verfahren - im Vergleich zu anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren - oft außergewöhnlich hoch sind.

Im übrigen macht der vorliegende Fall deutlich, daß der Erfolg eines Begehrens auf Erteilung einer Duldung nicht stets von einer unter Umständen aufwendigen Prüfung von Abschiebungshindernissen abhängt. Denn das Verwaltungsgericht hatte die Antragsgegnerin allein deshalb zur zeitweisen Aussetzung der Abschiebung verpflichtet, weil den Antragstellern zu 1 und 2, die Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina sind, (wohl versehentlich) die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien angedroht worden war, insoweit unbestritten ein tatsächliches Abschiebungshindernis bestand und mangels Erweiterung der vorliegenden Abschiebungsandrohung auf Bosnien-Herzegowina eine Abschiebung gegenwärtig nicht zulässig war, und weil die Antragstellerin zu 3 als minderjähriges Kind nicht allein nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Satz 1 und § 25 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 08.11.1999
Az: 11 S 2472/99


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