Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 23. März 2001
Aktenzeichen: 6 U 214/00
(OLG Köln: Urteil v. 23.03.2001, Az.: 6 U 214/00)
Tenor
Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 27. Oktober 2000 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 167/00 - wird zurückgewiesen. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das vor-genannte Urteil geändert: Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Antragstellerin. Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig.
Gründe
Die selbständigen Berufungen der Parteien sind zulässig. Erfolg hat indes nur das Rechtsmittel der Antragsgegnerin. Denn zu Unrecht hat das Landgericht sie unter gleichzeitiger Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, wie in der nachstehend (verkleinert) wiedergegebenen Werbeanzeige aus der F. Allgemeine Zeitung vom 23.06.2000 einen Preisvergleich zu bewerben und/oder bewerben zu lassen. Dagegen erweist sich die angefochtene Entscheidung als zutreffend, soweit das Landgericht den Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen hat, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, im Zusammenhang mit einem die T-O.- und A.-Entgelte darstellenden Vergleich die Angabe
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"Bis zu 50% günstiger ins Internet"
wie nachstehend wiedergegeben zu verwenden und/oder verwenden zu lassen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Antragstellerin war deshalb zurückzuweisen.
Das Landgericht hat der Argumentation der Antragstellerin folgend angenommen, der typische "Internet-Einsteiger", ein "Wenig-Surfer", verbringe üblicherweise nicht rund 10, sondern lediglich etwa 3 Stunden pro Monat im Internet, vor diesem Hintergrund handele es sich bei dem von der Antragsgegnerin beworbenen Tarif "A. Start" nicht um einen typischerweise für Einsteiger geeigneten Tarif. Der mit dem Internet nicht vertraute, hieran aber interessierte Nutzer rechne deshalb damit, er werde typischerweise 10 Stunden pro Monat im Internet verbringen. Er werde deshalb davon ausgehen, der Tarif der Antragsgegnerin sei für ihn der richtige. In Wirklichkeit überzahle er seine Internetpräsens und werde deshalb von der Werbung der Antragsgegnerin im Sinne des § 3 UWG irregeführt. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Nach der inzwischen geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat gefolgt ist (vgl. z.B. seine Urteile vom 01.12.2000 und 16.02.2001 in den Rechtsstreiten 6 U 103/00 und 6 U 121/00), ist vergleichende Werbung der vorliegenden Art nunmehr grundsätzlich zulässig, sofern die in Art. 3 a) Abs. 1 lit. a) bis h) der Richtlinie 97/95 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung genannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. hierzu: BGH GRUR 1999, 1100 ff. "Generika-Werbung"; BGH GRUR Int. 1999, 453 ff. = WRP 1999, 414 ff. "Vergleichen Sie" und BGHZ 138, 55 ff. = ZIP 1998, 1084 ff. "Testpreis-Angebot"). Etwas anderes gilt nur dann, wenn mit dem Werbevergleich, also einer Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar macht (vgl. Art. 2 Nr. 2 a der vorgenannten Richtlinie und jetzt § 2 Abs. 1 UWG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1. September 2000, BGBl. I S. 1374 f.), Aussagen einhergehen, die der angesprochene Mitbewerber aus anderen Gründen wettbewerbsrechtlich nicht hinzunehmen verpflichtet ist, zum Beispiel, wenn die vergleichende Werbung im Sinne des Art. 3 a) Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 97/95/EG bzw. § 3 UWG irreführt. Maßstab für die Beurteilung einer etwa vorliegenden Irreführung des Verkehrs ist nicht der flüchtige, sondern der aufmerksame und durchschnittlich informierte Verbraucher (EuGH WRP 2000, 289 "Lifting-Creme"). Dabei beurteilt sich der Grad der notwendigen Aufmerksamkeit nach den Umständen des Einzelfalles, vornehmlich nach dem Gegenstand des Angebotes und die daraus resultierende Gewichtigkeit der Entscheidung des Verbrauchers (BGH WRP 2000, 517 "Orient-Teppichmuster").
Auf der Basis dieser Kriterien findet eine Irreführung des Verkehrs entgegen den anderslautenden Feststellungen des Landgerichts nicht statt, soweit die Antragsgegnerin ihren Tarif "A. Start" als Tarif "für Einsteiger, 10 Stunden Nutzung" beworben und diesem Tarif alsdann die Tarife "T-O. eco" und "T-O. by call" unter jeweiliger Preisangabe gegenübergestellt hat. Der Argumentation der Antragstellerin, ein Internet-Neuling verbringe typischerweise nur etwa 3 Stunden pro Monat im Internet, dagegen suggeriere die Werbung der Antragsgegnerin eine übliche Nutzungsdauer von 10 Stunden und spiegele dem potenziellen Interessenten vor, der Abschluss eines auf mindestens 10 Stunden pro Monat angelegten Nutzungsvertrages in Form des A.-Start-Tarifs sei für ihn richtig und günstig, jedenfalls günstiger als die Inanspruchnahme der Tarife T-O. eco oder T-O. by call der Antragstellerin, kann schon in tatsächlicher Hinsicht nicht gefolgt werden. Vielmehr ist es zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem Senat, auf den maßgeblich abzustellen ist, schon nicht mehr überwiegend wahrscheinlich und folglich nicht im Sinne der §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht, dass ein Internet-Einsteiger typischerweise tatsächlich lediglich 3 Stunden pro Monat im Internet verbringt. Denn ungeachtet der Frage, ob - wie die Antragstellerin im einzelnen vorträgt - die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Schaltung ihrer Werbeanzeige in der F. Allgemeine Zeitung selbst von einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von etwa 3 Stunden pro Monat ausgegangen ist, hat die Antragsgegnerin nunmehr, und zwar durch Vorlage eines Berichtes der Stiftung Warentest (Blatt 217 d.A.) und einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Online-Today (Blatt 219/220 d.A.), glaubhaft gemacht, dass keineswegs unterstellt werden kann, der Internet-Neuling verbringe typischerweise lediglich 3 Stunden pro Monat im Internet. Nähere Ausführungen hierzu sind jedoch entbehrlich. Denn die von der Antragstellerin behauptete Irreführungsgefahr geht von der Werbung der Antragsgegnerin, was die Mitglieder des Senats als potenzielle und - überwiegend - auch tatsächliche Internetnutzer aus eigener Sachkunde und Erfahrung zu beurteilen in der Lage sind, selbst dann nicht aus, wenn es eine "Faustregel" des Inhalts geben sollte, der typische Interneteinsteiger wende pro Monat lediglich 3 Stunden Zeit auf, um die Vorteile des Internets online zu nutzen. Der Werbeanzeige der Antragsgegnerin entnimmt der angesprochene Verkehr nämlich nicht, dass sich ein "Einsteiger" typischerweise 10 Stunden pro Monat im Internet aufhält. Die konkrete, mit dem Verfügungsantrag beanstandete Werbung der Antragsgegnerin verlangt dem angesprochenen Verkehr vielmehr lediglich eine "Selbsteinschätzung" in dem Sinne ab, dass er entscheiden muss, wieviel Zeit er seiner Auffassung nach voraussichtlich im Monat aufwenden kann und wird, um sich mit dem Internet und seinen Angeboten vertraut zu machen und diese alsdann zu nutzen. Dem durchschnittlich aufmerksamen Leser der Werbung der Antragsgegnerin erhellt sich dabei ohne weiteres, dass er mindestens 30 Stunden im Monat "online" sein muss, bevor sich der Tarif "A. Top" für ihn rechnet. Auch ist ihm klar, dass er in jedem Fall mindestens 16,80 DM zahlen muss, wenn er den Tarif "A. Start" der Antragsgegnerin wählt, und zwar unabhängig davon, ob er lediglich 1 Stunde oder 10 Stunden pro Monat im Internet surft, und dass sich der Preis ab der Minute "601" um 2,8 Pfennige je Minute erhöht. Der von der Werbung der Antragsgegnerin angesprochene Internet-Neuling wird nicht glauben, mit Rücksicht darauf, dass die Antragsgegnerin ihrem Einsteigertarif eine Mindestnutzungsdauer von 10 Stunden pro Monat zugrundelegt, werde er als Interneteinsteiger vermutlich auch 10 Stunden pro Monat Zeit aufwenden, um sich mit diesem für ihn neuen Medium zu befassen. Ein durchschnittlich informierter, aber mit dem Internet noch nicht vertrauter Verbraucher erkennt vielmehr, dass die individuelle Nutzungsdauer nicht davon abhängt, ob er "Einsteiger" oder erfahrener Nutzer ist. Der "Einsteiger" ist nämlich nicht zwangsläufig "Wenigsurfer" oder "Minimalnutzer", sondern kann gerade wegen seiner Unerfahrenheit und auch seiner Neugier wesentlich mehr Zeit im Internet verbringen als der versierte, mit den Angeboten des Internets bestens vertraute Vielsurfer. Der von der Werbung der Antragsgegnerin angesprochene Verbraucher wird die im Verfügungsverfahren angegriffene Werbung der Antragsgegnerin deshalb nicht dahin verstehen, als Einsteiger müsse er mit einer Mindestnutzungsdauer von 10 Stunden pro Monat rechnen, sondern wird sich selbst fragen, wieviel Zeit zur Internetnutzung er als Einsteiger pro Monat aufzuwenden willens und in der Lage ist. Diese Entscheidung kann unter anderem maßgeblich von der persönlichen und auch beruflichen Situation abhängen, in der sich der von der Werbung der Antragsgegnerin angesprochene potenzielle Interessent befindet. So wird ein mit mondernsten Kommunikationstechniken bereits aufgewachsener und insoweit interessierter Schüler oder Informatikstudent als Internet-Einsteiger im Zweifel in der Woche und auch am Wochenende wesentlich mehr Zeit im Internet verbringen, als eine im Beruf stark angespannte Person, die vielleicht abends oder auch nur am Wochenende Zeit findet, sich in dem für sie unbekannten Datennetz zu bewegen und sich mit den im Internet vorherrschenden Usancen vertraut zu machen. Die Antragsgegnerin spricht beide Interneteinsteiger werblich an, suggeriert ihnen aber nicht eine durchschnittliche oder typischerweise vorzufindende Nutzungsdauer von 10 Stunden pro Monat.
Findet demgemäss die von der Antragstellerin insoweit behauptete Irreführung des Verkehrs nicht statt und konnte das angefochtene Urteil deshalb insoweit keinen Bestand haben, erweisen sich die in der Berufung geführten Angriffe der Antragstellerin als unbegründet, soweit bereits das Landgericht ihren weitergehenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen hat. Insoweit schließt auch der Senat aus, dass relevante Teile des Verkehrs die in der konkreten Verletzungsform zu sehende und in einen bestimmten Zusammenhang gestellte Aussage "Bis zu 50% günstiger ins Internet" auch so verstehen könnte, bei Wahrnehmung des Angebots der Antragsgegnerin könnten sie im Vergleich zu den Angeboten der Konkurrenz und damit auch der Antragsgegnerin bis zu 50% sparen. Ein solches Verkehrsverständnis ist in Anbetracht des konkreten Zusammenhangs, in der die angegriffene Aussage gestellt ist, auch aus Sicht des Senats ausgeschlossen. Vielmehr versteht der angesprochene Verkehr die Aussage "Bis zu 50% günstiger ins Internet" zutreffend dahin, die für den 1. August 2000 angekündigten neuen A. Spar-Tarife seien um bis zu 50% günstiger als die bis dahin geltenden A. Tarife. Jedenfalls ist ein abweichendes Verkehrsverständnis nicht überwiegend wahrscheinlich und deshalb von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Wie der Senat mit den Parteien bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.03.2001 ausführlich erörtert hat, mag die konkrete graphische Gestaltung der Werbeanzeige einem flüchtig lesenden und desinformierten Verbraucher im Einzelfall den Eindruck vermitteln, die A. Spartarife seien um bis zu 50% günstiger als die der Konkurrenz und namentlich die der in der Werbeanzeige ausdrücklich genannten Tarife "T-O. eco" und T-O. by call" der Antragsgegnerin. Für einen durchschnittlich informierten, durchschnittlich verständigen und durchschnittlich aufmerksamen Verbraucher besteht die Gefahr einer solchen Fehlvorstellung indes nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn man bei Werbevergleichen der vorliegenden Art einen relativ strengen Prüfungsmaßstab anlegt. Der verständige Verbraucher nimmt nämlich allein durch den in etwa die Hälfte der Werbeanzeige ausmachenden Blickfang "A. Spar-Tarife" wahr, dass die Antragsgegnerin zunächst einmal ihre eigenen Tarife "A. Start" und A. Top" bewirbt, um alsdann diesen beiden Tarifen die Tarife "T-O. eco" und "T-O. by call" gegenüberzustellen, wobei diese Gegenüberstellung durch die helle, rechteckige Unterlegung optisch von dem übrigen Text getrennt ist. Die alsdann folgende Aussage "Bis zu 50% günstiger ins Internet" wird dann vom angesprochenen Verkehr nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem unmittelbar davor stehenden und in derselben Schriftgröße geschriebenen Satz
"Ab 1. August kommen die neuen A. Spar-Tarife"
gelesen. Dann aber versteht der Verkehr die angegriffene Aussage richtig als Eigenvergleich in dem Sinne, dass die Antragsgegnerin ankündigt, ihre neuen, ab einem bestimmten Zeitpunkt geltenden A. Spar-Tarife seien bis zu 50% günstiger als ihre eigenen vorherigen A. Tarife. Namentlich wegen des unmittelbaren räumlichen Zusammenhangs, in dem die Aussage "Bis zu 50% günstiger ins Internet" steht, liegt die Annahme, ein verständiger Verbraucher könne die Aussage auch auf die Angebote der Konkurrenz und insbesondere diejenigen der Antragstellerin beziehen, wenig nahe. Das gilt um so mehr, als einem verständigen Verbraucher ohne weiteres ersichtlich ist, dass die konkret beworbenen und miteinander verglichenen Tarife der Antragsgegnerin einerseits und der Antragstellerin andererseits keine Preisdifferenz von auch nur annährend 50% ausmachen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 23.03.2001
Az: 6 U 214/00
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