Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 5. Februar 2009
Aktenzeichen: III-3 Ws 451/08
(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 05.02.2009, Az.: III-3 Ws 451/08)
Tenor
1.
Der mitunterzeichnende Einzelrichter überträgt die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern.
2.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
3.
Die Vergütung des anwaltlichen Zeugenbeistands wird auf 223,72 € festgesetzt.
4.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten wer-den nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Vorsitzende der 11. kleinen Strafkammer des Landgerichts Wuppertal hatte die 16jährige türkische Schülerin N.D. zur Berufungshauptverhandlung vom 24. August 2007 geladen, da sie von der Staatsanwaltschaft als Augenzeugin der dem Angeklagten zur Last gelegten Trunkenheitsfahrt benannt war. Nachdem die Zeugin mit ihrer Aussage begonnen hatte, unterbrach er die Vernehmung, um ihr einen Zeugenbeistand zu bestellen. Zu diesem Zweck rief er Rechtsanwalt S. in W. an, der sich zur sofortigen Übernahme der Beistandsleistung bereit erklärte und etwa eine halbe Stunde später bei Gericht erschien. Der Vorsitzende bestellte ihn gemäß § 68b StPO zum Zeugenbeistand und händigte ihm die Verfahrensakte zur Einsicht aus. Während er die Hauptverhandlung mit der Vernehmung zweier weiterer Zeugen fortsetzte, hatte Rechtsanwalt S. Gelegenheit, mit der Zeugin zu sprechen. Sodann wurde die Zeugin in seinem Beistand zu Ende vernommen und entlassen.
Rechtsanwalt S. hat folgende Gebühren zur Festsetzung angemeldet:
Nr. 4100 VV RVG Grundgebühr 132,00 € Nr. 4124 VV RVG Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren 216,00 € Nr. 4126 VV RVG Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag für das Berufungsverfahren 216,00 € Nr. 7002 VV RVG Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen 20,00 € Nr. 7008 VV RVG Umsatzsteuer auf die Vergütung 110.96 € Gesamtbetrag 694,96 €
Gegen die antragsgemäße Festsetzung der Rechtspflegerin hat der Vertreter der Staatskasse mit der Begründung Erinnerung eingelegt, dem nach § 68b StPO beigeordneten Rechtsanwalt stehe nur die Vergütung einer Einzeltätigkeit entsprechend Nr. 4301 VV RVG in Höhe von 168,00 € zu. Das Landgericht hat die Erinnerung mit Beschluss vom 4. August 2008 als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Vertreters der Staatskasse vom 11. August 2008, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Sätze 1 und 3 RVG zulässige Beschwerde ist begründet. Dem nach § 68b StPO beigeordneten Vernehmungsbeistand der Zeugin steht nur die Gebühr aus Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG nebst Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer zu.
1. Die Zuständigkeit des Senats beruht auf der Übertragung durch den Einzelrichter wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG.
Die Beschwerde ist dem Senat nicht originär in der Besetzung mit drei Richtern angefallen. Die vom Strafkammervorsitzenden gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG ohne Mitwirkung der Schöffen getroffene Entscheidung ist eine Einzelrichterentscheidung im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1, 2. Halbsatz RVG. An der gegenteiligen Auffassung (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Januar 2007 = JMBl. NW 2007, 139 zu § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG) hält der Senat nicht fest.
Der außerhalb der Hauptverhandlung entscheidende Vorsitzende der kleinen Strafkammer wird zwar weder im GVG noch in der StPO als "Einzelrichter" bezeichnet. Dies steht aber, da er tatsächlich als einzelner Richter entscheidet, der Annahme einer Einzelrichterentscheidung im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1, 2. Halbsatz RVG nicht entgegen. Der Umstand, dass er mit der Entscheidung die kleine Strafkammer repräsentiert, begründet systematisch keinen Unterschied zu dem Richter am Amtsgericht, der nach § 30 Abs. 2 GVG außerhalb der Hauptverhandlung das Schöffengericht repräsentiert. Der Sinn und Zweck des § 33 Abs. 8 RVG spricht ebenfalls für dieses Verständnis. Nach dem Willen des Gesetzgebers dient die Zuständigkeit des Einzelrichters in der Beschwerdeinstanz der Vereinfachung und Straffung des kostenrechtlichen Verfahrens und damit der Entlastung der Rechtspflege. Die Begrenzung der Einzelrichterzuständigkeit auf Beschwerden gegen Entscheidungen, die in erster Instanz von einem Einzelrichter getroffen wurden, soll die Akzeptanz der Beschwerdeentscheidungen durch die Betroffenen sicherstellen, indem Entscheidungen eines Kollegialgerichts auch nur durch ein Kollegialgericht korrigiert werden können (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 157 f. zu § 66 Abs. 6 GKG).
2. Die Tätigkeit des einem Zeugen nach § 68b StPO beigeordneten Vernehmungsbeistands ist entsprechend Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG zu vergüten.
a.
Die Vergütung des beigeordneten Anwalts bestimmt sich gemäß § 48 Abs. 1 RVG nach dem der Beiordnung zu Grunde liegenden Beschluss. Auf den Beistand eines Zeugen sind nach der Vorbemerkung 4 Abs. 1 zu Teil 4 VV RVG die Vorschriften dieses Teils entsprechend anzuwenden. Umstritten ist, ob diese Verweisung im Fall der Beiordnung nach § 68b StPO zur entsprechenden Anwendung von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG führt - Gebühren des Verteidigers, Nr. 4100 ff. VV RVG - oder zur Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 - Einzeltätigkeiten, hier Nr. 4301 Ziff. 4: "Beistandsleistung für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung ...".
aa. Nach verbreiteter Ansicht begründet die Beiordnung nach § 68b StPO grundsätzlich eine volle anwaltliche Vertretung des Zeugen, die den Anwendungsbereich des ersten Abschnitts aus Teil 4 VV RVG eröffnet (so OLG Düsseldorf, 2. Strafsenat, StRR 2008, 78; OLG Köln, 2. Strafsenat, StraFo 2008, 350 f.; OLG Stuttgart, 1. Strafsenat, NStZ 2007, 343 f.; OLG München, 1. Strafsenat, AGS 2008, 120; 4. Strafsenat, AGS 2008, 449 ff.; KG Berlin, 5. Strafsenat, StraFo 2007, 41 f.; OLG Dresden, 2. Strafsenat, AGS 2008, 126 ff.; OLG Hamm, 2. Strafsenat, StraFo 2008, 45 ff.; OLG Koblenz, 1. Strafsenat, NStZ-RR 2006, 254 f.; OLG Schleswig, 1. Strafsenat, NStZ-RR 2007, 126 f.; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Vorbemerkung 4.1 Rnr. 6 ff.; Ignor/Berthenau in Löwe-Rosenberg, 26. Aufl., § 68b StPO Rnr. 33; Rogall in Systematischer Kommentar, 43. Lfg., § 68b StPO Rnr. 35; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rnr. 189).
bb. Nach anderer Ansicht hängt die Anwendung des ersten Abschnitts davon ab, ob der nach § 68b StPO beigeordnete Rechtsanwalt im Einzelfall tatsächlich mehr als eine Einzeltätigkeit entfaltet hat, was etwa bei umfangreichen Vorüberlegungen über den Umfang der rechtlich gebotenen Aussagetätigkeit des Zeugen der Fall sein soll (so OLG Brandenburg, NStZ-RR 2007, 287 f.).
cc. Schließlich wird die Ansicht vertreten, die Beiordnung nach § 68b StPO begründe regelmäßig nur den Auftrag zur einer Einzeltätigkeit, die entsprechend Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG zu vergüten sei (so OLG Stuttgart, 5. Strafsenat, NStZRR 2008, 328; OLG Bamberg, 1. Strafsenat, DAR 2008, 493 f.; OLG Zweibrücken, 1. Strafsenat, StRR 2008, 163; OLG Celle, 1. Strafsenat, NdsRPfl 2007, 351 f.; OLG Dresden, 3. Strafsenat, RVGreport 2008, 265 f.; OLG Frankfurt, 2. Strafsenat, NStZ-RR 2008, 264; 5. Strafsenat, StRR 2007, 83; OLG Hamm, 1. Strafsenat, NStZ-RR 2008, 96; OLG Oldenburg, 1. Strafsenat, NdsRpfl 2007, 222 f.; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., VV 4301 Rnr. 8; Hartung in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., 4301 VV Rnr. 11-14; Lohle, JurBüro 2007, 202 f.).
b. Der Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an:
aa. Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG beschreibt dem Wortlaut nach eine der Beistandsleistung gemäß § 68b StPO entsprechende Tätigkeit, denn die Beistandsleistung "bei einer richterlichen Vernehmung ..." (Nr. 4301 Ziff. 4 VVG) ist vom Wortsinn her nichts anderes als die Beistandsleistung "für die Dauer der Vernehmung" (§ 68b StPO).
bb. Auch die systematische Auslegung spricht für die entsprechende Anwendung der Nr. 4301 Ziff. 4. VV RVG.
(1) Gesetzestechnisch regelt die Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG für die darin genannten Tätigkeiten eine Generalverweisung auf die Vorschriften des vierten Teils VV RVG, die es dem Gesetzesanwender überlässt, der einzelnen Tätigkeit entsprechende Gebührentatbestände nach den allgemeinen Regeln der Auslegung und Analogiebildung aus der Gesamtheit der bezogenen Vorschriften zu ermitteln.
Soweit demgegenüber argumentiert wird, die Nennung des Zeugenbeistands in der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG verbiete die Anwendung der Nr. 4301 VV RVG, weil der Gesetzgeber den Zeugenbeistand anderenfalls dort aufgeführt hätte (so OLG Köln, 2. Strafsenat a.a.O.), vermag dies nicht zu überzeugen. Hätte der Gesetzgeber den Abschnitt 3 ausklammern und eine Vergütung des Zeugenbeistands nach Abschnitt 1 festschreiben wollen, hätte es nahegelegen, den Zeugenbeistand in die Vorbemerkung 4.1 zu Teil 4 Abschnitt 1 aufzunehmen und damit die entsprechende Anwendung der Vorschriften dieses Abschnitts anzuordnen.
(2) Eröffnet die Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG demnach den Zugriff auf sämtliche Gebührentatbestände aus Teil 4 VV RVG, so gebieten Art. 3 Abs. 1 GG und die aus ihm abzuleitende Grundregel jeder Analogiebildung die entsprechende Anwendung derjenigen Vorschrift, die eine der Beistandsleistung gemäß § 68b StPO am ehesten vergleichbare Tätigkeit erfasst. Das ist Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG, denn hier wie dort geht es darum, den Betroffenen unter Beschränkung auf eine einzelne Vernehmung in der Wahrnehmung seiner Befugnisse zu unterstützen, wo seine schutzwürdigen Interessen dies erfordern. Dass die Beiordnung nach § 68b StPO auch ein Vorgespräch mit dem Zeugen umfasst (vgl. Meyer-Goßner, 51. Aufl., § 68b StPO Rnr. 5), weil eine sachgerechte Beistandsleistung sonst nicht möglich wäre, unterscheidet diese Tätigkeit nicht von derjenigen eines Beschuldigtenbeistands im Sinne der Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG. Die Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG umfasst das Vorgespräch, ohne das auch einem Beschuldigten der Vernehmungsbeistand nicht sachgerecht geleistet werden kann, denn sie fällt schon mit der Informationsgewinnung oder der Terminsvorbereitung des Rechtsanwalts an, selbst wenn es gar nicht mehr zu der Zeugenvernehmung kommt (vgl. Hartmann a.a.O.). Ebenso wie beim Vernehmungsbeistand des Beschuldigten endet die Beiordnung nach § 68b StPO mit dem Abschluss der Vernehmung. Wird eine nochmalige Vernehmung des Zeugen erforderlich, bedarf es einer erneuten Entscheidung nach § 68b StPO (vgl. Meyer-Goßner a.a.O.; Senge in Karlsruher Kommentar, 6. Aufl., § 68b StPO Rnr. 4).
Die zeitliche und inhaltliche Beschränkung unterscheidet die Beistandsleistung gemäß § 68b StPO grundlegend von der in Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG erfassten Tätigkeit des Verteidigers, der sich umfassend in den Rechtsfall einarbeiten, eine Verteidigungsstrategie entwickeln und dem Betroffenen während der gesamten Hauptverhandlung beistehen muss.
Die Tätigkeit des Zeugenvernehmungsbeistands entspricht auch nicht derjenigen eines sog. Terminsvertreters, der dem Angeklagten anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers nur für einen Termin beigeordnet wird. Dessen Tätigkeit ist zwar in zeitlicher Hinsicht ähnlich begrenzt, unterliegt aber keiner inhaltlichen Beschränkung. Während sich die Beistandsleistung gemäß § 68b StPO auf die Wahrung der Zeugenrechte bei einer einzelnen Vernehmung beschränkt, insbesondere aus §§ 52 ff., 238 Abs. 2, 242 StPO und §§ 171b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 174 Abs. 1 Satz 1 GVG, schuldet der Terminsvertreter die umfassende Wahrnehmung der verfahrensmäßigen Rechte des Angeklagten in dem Termin unabhängig von dessen Gegenstand. Soweit diese Funktion es erfordert, ist er ebenso wie der verhinderte Verteidiger gehalten, Einsicht in die Verfahrensakten zu nehmen und sich anhand der Akten in den Rechtsfall einzuarbeiten (vgl. OLG Dresden, 2. Strafsenat, AGS 2007, 618 f.; OLG Hamm, 3. Strafsenat, AGS 2007, 37 f. sowie Senatsbeschluss vom 27. Mai 2008 = JurBüro 2008, 587 f. zum Pflichtverteidiger im Strafbefehlsverfahren). Dem Vernehmungsbeistand des Zeugen steht demgegenüber allenfalls ein eingeschränktes Recht zur Akteneinsicht zu, weil er nicht mehr Befugnisse als der Zeuge selbst hat (vgl. Meyer-Goßner a.a.O.; Senge a.a.O. Rnr. 9 m.w.N.).
(3) Der Einwand, die Beschränkung der Tätigkeit des Zeugenbeistands auf einen Teilbereich des Strafverfahrens erlaube nicht den Schluss auf eine Einzeltätigkeit, weil die "Angelegenheit" im Sinne des § 15 RVG, in welcher der Rechtsanwalt hier tätig werde, nur der Bereich der Beistandsleistung sei, in welchem er "voller Vertreter" sei, auf den daher Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG anzuwenden sei (so OLG Hamm, 2. Strafsenat a.a.O. im Anschluss an Burhoff a.a.O. Rnr. 7), trägt im Fall der Beiordnung nach § 68b StPO nicht. Zum einen ist weithin anerkannt, dass die inhaltliche Beschränkung der Tätigkeit das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung von Einzeltätigkeit und umfassender Vertretung liefert (vgl. OLG Dresden, 2. Strafsenat a.a.O.; OLG Hamm, 3. Strafsenat a.a.O.). Zum anderen hat der Gesetzgeber in Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG klar zum Ausdruck gebracht, dass die Beistandsleistung zu einer einzelnen Vernehmung eine Einzeltätigkeit ist. Dies bei § 68b StPO mit der Begründung zu bestreiten, die Tätigkeit des Zeugenbeistands sei "sui generis beschränkt", es sei "eine besondere Eigenart der Tätigkeit des Zeugenbeistands, dass dieser nur eingeschränkt tätig wird" (so Burhoff a.a.O. Rnr. 7/8), überzeugt nicht.
(4) Auch die Erwägung, dem Rechtsanwalt werde in der Regel die volle Vertretung übertragen, während die Beauftragung mit einer Einzeltätigkeit die Ausnahme sei (so OLG Hamm, 2. Strafsenat a.a.O.; Burhoff a.a.O. Rnr. 7), begründet keinen beachtlichen Einwand. Abgesehen davon, dass ein solches Regel- Ausnahmeverhältnis empirisch nicht belegt ist, würde es auch nichts für die Frage besagen, ob der gesetzlich speziell geregelte Fall der Beistandsleistung nach § 68b StPO eine Einzeltätigkeit ist.
cc. Aufschlussreich und unter dem Gesichtspunkt der historischen Auslegung beachtlich sind demgegenüber die Gesetzesmaterialien zu § 68b StPO, hier die Begründung des Gesetzentwurfs zum Zeugenschutzgesetz vom 11. März 1997, BT-Drucks. 13/7165, S. 5 und 9:
"Der Vorschlag des Entwurfs zur Bestellung eines Zeugenbeistandes auf Staatskosten (§ 68b StPO) wird, soweit die Voraussetzungen der §§ 397a, 406g Abs. 4. StPO gegeben sind, kosten- und aufwandsneutral sein und insoweit auch keine Mehrbelastung der Strafjustiz mit sich bringen. Im Übrigen sind gewisse zusätzliche Belastungen, die im Interesse des Zeugenschutzes hinzunehmen sind, nicht gänzlich auszuschließen. Mit der Beschränkung des Zeugenbeistands auf die Dauer der Vernehmung ist darauf Bedacht genommen worden, diese Mehrbelastung auf ein Minimum zu reduzieren [S. 5] ... Der Entwurf schlägt vor, die Bestellung des anwaltlichen Zeugenbeistandes auf die Dauer der Zeugenvernehmung zu beschränken. Die Gebühren des anwaltlichen Zeugenbeistandes sollten sich nach § 91 BRAGO richten [S. 9]."
Vergegenwärtigt man sich, dass § 91 Nr. 2 BRAGO die in Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG übernommene Vergütungsregelung für den Vernehmungsbeistand des Beschuldigten war und die Beschränkung der Beiordnung nach § 68b StPO auf die Dauer der Vernehmung vom Entwurf zum Gesetz geworden ist, wird deutlich, dass der Gesetzgeber die gemäß § 68b StPO übertragene Beistandsleistung im Kosteninteresse nach dem Vorbild des § 91 Nr. 2 BRAGO als Einzeltätigkeit ausgestalten wollte und deshalb auf die Dauer der Vernehmung beschränkt hat. Damit erweisen sich die gegen eine Einzeltätigkeit und für die Vergütung entsprechend dem Verteidiger angeführten Argumente, in der Diskussion hätten fiskalische Erwägungen außer Betracht zu bleiben (so OLG Hamm, 2. Strafsenat a.a.O.), Billigkeitserwägungen spielten keine Rolle (so Burhoff a.a.O.), ein etwaiges Missverhältnis zwischen geringem Aufwand und hoher Vergütung des Zeugenbeistands müsse als Folge des Systems der pauschalen Vergütung gerichtlich bestellter oder beigeordneter Rechtsanwälte hingenommen werden (so OLG München, 4. Strafsenat a.a.O.), als haltlos.
Dass der Gesetzgeber die bei der Einführung des § 68b StPO beabsichtigte Vergütung als Einzeltätigkeit durch das RVG ändern wollte, lässt sich den Gesetzesmaterialien hierzu nicht entnehmen.
In der Entwurfsbegründung zum Kostenmodernisierungsgesetz heißt es zur Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG zunächst, die Regelung entspreche im Wesentlichen dem § 94 Abs. 1 und § 95 BRAGO, allerdings mit der Neuerung, dass im Interesse der Stärkung der Stellung des Opfers im Strafverfahren die Begrenzung der Gebühren des Vertreters oder Beistands des Verletzten in § 95 Halbsatz 2 BRAGO entfalle, zumal nicht ersichtlich sei, dass dessen Tätigkeit grundsätzlich weniger umfangreich ist (BT-Drucks. 15/1971, S. 220).
Diese Neuerung berührt die Vergütung des nach § 68b StPO beigeordneten Anwalts nicht, da er früher nicht nach § 95 BRAGO vergütet wurde, sondern nach § 91 Nr. 1 oder Nr. 2 in Verbindung mit § 97 Abs. 1 BRAGO (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2000 = StV 2001, 126; OLG Hamburg, StraFO 2000, 142; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., § 68b StPO Rnr. 1; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, BRAGO, 20. Aufl., "Beistand" Anmerkung 4; Meyer, JurBüro 2000, 69 f.; a.A. OLG Hamm, StV 2001, 125 und 126).
Zwar wird in der Entwurfsbegründung auf S. 220 weiter ausgeführt:
"Neu ist, dass der Rechtsanwalt auch im Strafverfahren als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. Damit wird die für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten und für Streitigkeiten vor den Gerichten der öffentlichrechtlichen Gerichtsbarkeit in Absatz 1 der Vorbemerkung 3 (zu Teil 3) vorgesehene Regelung auch für das Strafverfahren übernommen. Damit sollen erstmals auch im Strafverfahren die Gebühren des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich geregelt werden. Die Gleichstellung mit dem Verteidiger ist sachgerecht, weil die Gebührenrahmen ausreichenden Spielraum bieten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen".
Dieser Passus zwingt aber entgegen verbreiteter Ansicht (etwa OLG Köln, 2. Strafsenat a.a.O.; OLG Dresden, 2. Strafsenat a.a.O.; OLG Koblenz, 1. Strafsenat a.a.O.; OLG Schleswig, 1. Strafsenat a.a.O.) nicht zu dem Schluss, der Gesetzgeber habe nicht nur den Wahlbeistand eines Zeugen dem Verteidiger gleichstellen wollen, sondern auch den nach § 68b StPO beigeordneten Vernehmungsbeistand. Dagegen spricht, dass nur der Wahlbeistand die Voraussetzung erfüllt, unter welcher der Gesetzgeber die Gleichstellung für sachgerecht erachtet hat: Dass die Gebührenrahmen ausreichenden Spielraum bieten, dem typischerweise geringeren Arbeitsaufwand des Zeugenbeistands bei der Gebührenfestsetzung Rechnung zu tragen. Das ist beim beigeordneten Rechtsanwalt nicht möglich, weil er nach festgelegten Gebührensätzen abrechnet.
Auch die Intention einer Angleichung der Vergütungsregeln im Strafverfahren an diejenigen in bürgerlichrechtlichen und öffentlichrechtlichen Verfahren erfordert keine Erstreckung der Verteidigergebühren auf den beigeordneten Vernehmungsbeistand, denn die anderen Verfahrensordnungen enthalten keine § 68b StPO entsprechende Regelung.
Am schwersten aber wiegt, dass der Wille des Gesetzgebers zu einer aufwandsgerechten Vergütung bei entsprechender Anwendung des ersten Abschnitts aus Teil 4 VV RVG in sein Gegenteil verkehrt würde. Der Zeugenvernehmungsbeistand erhielte im Vergleich zum Vernehmungsbeistand eines Beschuldigten bei entsprechendem Aufwand ein Mehrfaches an Vergütung und im Vergleich zu dem die gesamte Last der Verteidigung tragenden Anwalt für einen Bruchteil des Aufwandes die gleiche Vergütung (ähnlich OLG Stuttgart, 5. Strafsenat a.a.O.; OLG Bamberg, 1. Strafsenat a.a.O.; OLG Zweibrücken, 1. Strafsenat a.a.O.; OLG Dresden, 3. Strafsenat a.a.O.).
Dazu nötigt auch nicht die Vorbemerkung 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG, wonach für die Tätigkeit als Beistand eines Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die gleichen Gebühren entstehen wie für die entsprechende Beistandsleistung in einem Strafverfahren des ersten Rechtszugs vor dem Oberlandesgericht. Dass diese Verweisung keinen Sinn macht, wenn man dem beigeordneten Zeugenbeistand lediglich die Festgebühr gemäß Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG zubilligt (so OLG Schleswig, 1. Strafsenat a.a.O.), trifft nicht zu. Ihren Sinn hat die Verweisung für den Wahlbeistand des Zeugen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, indem sie ihm eine erhöhte Vergütung ermöglicht, wenn die entsprechende Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht erhöht vergütet würde. Darüber hinaus auch dem nach § 68b StPO auf Staatskosten beigeordneten Vernehmungsbeistand die Verteidigergebühren und deren Erhöhung zuzubilligen wäre nicht sachgerecht, weil seine Tätigkeit im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht genauso auf die Wahrung der Zeugenrechte beschränkt ist wie im Verfahren vor dem Amts- und Landgericht. Sie ist daher nicht mit den besonderen Schwierigkeiten belastet, die eine Verteidigung in erstinstanzlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht typischerweise mit sich bringt und deren erhöhte Vergütung rechtfertigt. Die hohen Gebühren des "OLG-Verteidigers" nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG verdient ein Zeugenbeistand nur, wenn er als Wahlbeistand mit der umfassenden Vertretung und Beratung des Zeugen beauftragt ist, die ihn eine nach Schwierigkeit und Umfang der Verteidigung entsprechende Tätigkeit entfalten lässt. Dasselbe gilt für den Zeugenbeistand im parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Zu diesem restriktiven Verständnis der Vorbemerkung 2 Abs. 2 Satz 2 VV RVG passt auch die Erläuterung in der Entwurfsbegründung. Dort heißt es nicht etwa, der Zeugenbeistand im parlamentarischen Untersuchungsausschuss sei stets nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und Nr. 4118 ff. VV RVG zu vergüten, sondern deutlich zurückhaltender: "Hier kommen Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 und nach Nummern 4118 ff. VV RVG-E in Betracht (BT-Drucks. 15/11971, S. 205)."
c.
Soweit die Vergütung des nach § 68b StPO beigeordneten Zeugenbeistands mit einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG im Einzelfall, z.B. wegen aufwändiger Vorbereitung oder langer Vernehmungsdauer, dem erbrachten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht gerecht wird und sich daher als unzumutbar darstellt, kann der Rechtsanwalt auf Antrag eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG beanspruchen (vgl. OLG Stuttgart, 5. Strafsenat a.a.O.; OLG Celle, 1. Strafsenat a.a.O.; OLG Dresden, 3. Strafsenat a.a.O.).
3. Vorliegend berechnet sich die Vergütung danach wie folgt:
Nr. 4301 VV RVG Verfahrensgebühr 168,00 € Nr. 7002 VV RVG Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen 20,00 € Nr. 7008 VV RVG Umsatzsteuer auf die Vergütung 35,72 € Gesamtbetrag 223,72 €
4. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 u. 3 RVG).
OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 05.02.2009
Az: III-3 Ws 451/08
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