Landesarbeitsgericht Hamm:
Urteil vom 27. November 2003
Aktenzeichen: 4 Sa 839/03

(LAG Hamm: Urteil v. 27.11.2003, Az.: 4 Sa 839/03)

1. Den Insolvenzverwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich nicht zustande, dann verbleibt es für die Überprüfbarkeit ausgesprochener Kündigungen des Insolvenzverwalters bei den allgemeinen Regelungen und Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes, insbesondere bei der Darlegungs€ und Beweislast des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG.

2. Die Sozialauswahl ist - wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag nicht im Wege des Direktionsrechts in andere Betriebsteile versetzt werden kann - nach Auflösung des bisherigen Gemeinschaftsbetriebes auf den Betrieb seiner Vertragsarbeitgeberin beschränkt. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil der Beklagte zum Insolvenzverwalter aller am bisherigen Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen bestellt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.02.2003 (5 Ca 2197/00) abgeändert:

Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.203,75 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von dem Beklagten wegen Betriebsstillegung ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Die im Zeitpunkt der Klageerhebung 54 Jahre alte, verheiratete Klägerin ist zum 04.04.1966 von der Firma E1x E3xxxxx- und G2xxxxxxxxxxxxxxxx GmbH in H1xxx-E5xxx als Bürokauffrau eingestellt worden. Über das Vermögen der vorgenannten Firma ist in der ersten Hälfte des Jahres 1997 das Konkursverfahren eröffnet worden. Anschließend entstanden drei Auffanggesellschaften, nämlich die E1x A1xxxxxxxxxxxxxx GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH und die E1x E4xxxxxxxxx GmbH. Trotz rechtlicher Selbständigkeit standen diese drei Unternehmen unter einer einheitlichen Leitung und hatten einen gemeinsamen Betriebsrat sowie eine gemeinschaftliche kaufmännische Verwaltung. Über das Vermögen der vorgenannten drei Firmen ist durch Beschlüsse des Amtsgerichts Hagen vom 01.08.2002 – 103 IN 124/02, 103 IN 125/02 und 103 IN 126/02 jeweils das Insolvenzverfahren eröffnet und jeweils der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Auch über das Vermögen der Komplementär GmbH, der E1x I3xxxxxxxx GmbH, ist durch Beschluß des Amtsgerichts Hagen vom 01.08.2002 – 103 IN 127/02 – das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Mit Schreiben vom 07.08.2002 an den "Betriebsrat der E1x-Gruppe" unterrichtete der Beklagte diesen unter Hinweis auf die notwendige Einstellung der Produktion über die von ihm beabsichtigten Kündigungen sämtlicher Mitarbeitern der Insolvenzschuldnerin und der E1x E4xxxxxxxxx GmbH. Zugleich teilte er mit, daß sich für die Produktionsstätte der E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH zwar ein Kaufinteressent gemeldet habe, dieser aber zur Übernahme nur unter Reduzierung des Personalbestandes auf 12 bis 13 Arbeitnehmer bereit sei, weshalb noch eine Auswahlliste erstellt werden müsse. Mit Schreiben vom 22.08.2002 beanstandete der Betriebsrat, daß die Liste mit den zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmern erst am 16.08.2002 übermittelt worden sei. Zwischenzeitlich hatte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 15.08.2002 wie folgt gekündigt:

Ich beziehe mich auf die Freistellung vom 07.08.2002 und kündige hiermit das Arbeits- bzw. Anstellungsverhältnis zum nächstmöglichen Termin.

Nach § 113 InsO beträgt die Kündigungsfrist im eröffneten Insolvenzverfahren höchstens 3 Monate. Sollte Ihre Kündigungsfrist regulär gesetzlich, einzelvertraglich oder tarifvertraglich länger sein, steht Ihnen für den überschießenden Zeitraum ein Schadensersatzanspruch als Insolvenzforderung zu.

Sollte Ihr Beschäftigungsverhältnis aus welchen Gründen auch immer, regulär unkündbar sein, kündige ich dies vorsorglich außerordentlich mit einer Auslauffrist einer ordentlichen Kündigung, max. also 3 Monate zum Monatsende. Im übrigen verweise ich auf die vorstehenden Ausführungen.

Die Kündigung wird mit der Schließung des Betriebes begründet.

Der Betriebsrat wurde zu dieser Kündigung angehört.

Bitte melden Sie sich bei Ihrem zuständigen Arbeitsamt arbeitslos.

Auch die Mitarbeiterin B4xxxxx aus der kaufmännischen Verwaltung erhielt am 16.08.2002 die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit der Insolvenzschuldnerin, wurde aber zugleich vom Beklagten rückwirkend ab dem 01.08.2002 auf die Gehaltsliste E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH gesetzt und auf dieser Grundlage weiter beschäftigt.

Mit ihr am 26.08.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 23.08.2002 hat sich die Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten zur Wehr gesetzt. Sie hat sich auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung berufen und das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses, insbesondere dem Wegfall ihrer Beschäftigungsmöglichkeit in der kaufmännischen Verwaltung, bestritten. Sie hat sich darauf berufen, daß die Insolvenzschuldnerin mit der E1x E4xxxxxxxxx GmbH und der E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH jedenfalls hinsichtlich aller Verwaltungstätigkeiten einschließlich des Ein- und Verkaufs der Produkte einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet habe. Dies ergebe sich aus der einheitlichen Leitung und der auch gleichzeitigen Bestellung desselben Insolvenzverwalters, dem Bestehen eines gemeinsamen Betriebsrates und der gemeinschaftlichen kaufmännischen Verwaltung, welche zumindest für die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH auch fortgesetzt werde. Deshalb wäre die soziale Auswahl zu ihrer früheren Arbeitskollegin B4xxxxx zu treffen gewesen. Gegenüber der Mitarbeiterin B4xxxxx sei sie aufgrund ihrer neun Jahre längeren Betriebszugehörigkeit und ihres um sechs Jahre höheren Lebensalters allerdings sozial schutzbedürftiger, so daß sie an deren Stellen hätte weiterbeschäftigt werden müssen. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, daß der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Mitteilung an den Betriebsrat hinsichtlich einiger Sozialdaten in der nachträglich überreichten Namensliste sei ebenso falsch gewesen wie im Hinblick auf die angegebene, tatsächlich aber nicht erfolgte endgültige Einstellung der kaufmännischen Verwaltung.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 15.08.2002 beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin im Betrieb der Insolvenzschuldnerin entgegengestanden hätten, bedingt sei. Die Produktion sei zum 10.09.2002 endgültig eingestellt worden, bis zum 30.09.2002 seien dann nur noch Abwicklungsarbeiten vorgenommen worden. Auf die Fortführung des Preßwerkes könne sich die Klägerin dagegen nicht berufen, weil die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH ein rechtlich selbständiges Unternehmen sei, welches mit der Insolvenzschuldnerin und der E1x E4xxxxxxxxx GmbH auch keine wirtschaftliche Einheit gebildet habe. Deshalb sei unerheblich, welches Schicksal das Arbeitsverhältnis der ebenfalls bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigten Mitarbeiterin B4xxxxx genommen habe, da es sich dabei um seine eigene Entscheidung als Insolvenzverwalter der rechtlich selbständigen E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH gehandelt habe. Die Anhörung des Betriebsrats sei mit Schreiben vom 07.08.2002 erfolgt, wobei sich die Übermittlung einer Namensliste ohnehin erübrigt habe, weil alle Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin entlassen worden seien. Der Betriebsrat selbst habe auch keine Perspektive für die Fortführung des Betriebs der Insolvenzschuldnerin gesehen und in seiner Stellungnahme lediglich die unzutreffende Auffassung vertreten, daß eine Kündigung erst am Jahresende möglich sei.

Das Arbeitsgericht Hagen hat durch Urteil vom 11.12.2003 (5 Ca 2197/02), auf welches vollinhaltlich Bezug genommen wird, der Klage antragsgemäß stattgegeben, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 9.203,75 € festgesetzt.

Gegen das am 20.05.2003 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.05.2003 Berufung eingelegt und diese am 08.07.2003 begründet.

Er hält das angefochtene Urteil für rechtsfehlerhaft und trägt vor, das Arbeitsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei den drei Betrieben um ein Gemeinschaftsbetrieb gehandelt habe. Zumindest aber sei ein möglicher Gemeinschaftsbetrieb dadurch aufgelöst worden, daß er sämtliche Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter aller drei Betriebe wegen beabsichtigter endgültiger Einstellung des Geschäftsbetriebs gekündigt habe. Erst nach Ausspruch der Kündigung habe sich für ihn die Möglichkeit eröffnet, den Betrieb der Firma E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH zu veräußern. Eine Übernahme sei zum 01.04.2003 erfolgt. Wäre diese Übernahme nicht zustande gekommen, hätte er auch diesen Betrieb einstellen müssen. Nach seiner Auffassung bleibe bei einer derartigen Konstellation für eine Sozialauswahl kein Raum. Es müsse der fortgeführten E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH freigestellt sein, einen Arbeitnehmer nach ihrer Wahl einzustellen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.02.2003 – 5 Ca 2197/02 – abzuändern und die Klage abzuweisen sowie den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und rügt im Übrigen, daß sich die Berufungsbegründung nicht mit dem gebotenen Maße mit dem erstinstanzlichen Urteil auseinander setze. Die Sachdarstellung in der Berufungsbegründung sei falsch, teilweise sogar grob fehlerhaft. Dies gilt zunächst für die Frage der Veräußerung des Betriebes der E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH. Da hier nur eine Personalreduzierung in Frage stand, habe der Beklagte sich an die Betriebsratsvorsitzende N2xxxxx gewandt und dem Betriebsrat die Namensliste der von der Kündigung betroffenen Mitarbeitern zugeleitet. Da die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH eine Person benötigte, die die Arbeiten der kaufmännischen Verwaltung durchführen sollte, habe er der Mitarbeiterin B4xxxxx am 16.08.2002 bei der Insolvenzschuldnerin gekündigt, jedoch rückwirkend ab 01.08.2002 auf die Lohnliste des Preßwerkes gesetzt, und zwar ohne Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG. Zwischen ihr und der Mitarbeiterin B4xxxxx hätte eine Sozialauswahl vorgenommen müssen, die zu ihren Gunsten hätte ausfallen müssen. Ihr erstinstanzlicher Vortrag, daß die Arbeitnehmerin B4xxxxx bei ihrer jetzigen Tätigkeit innerhalb des Preßwerks keinerlei Tätigkeiten ausübe, mit welchen sie, die Klägerin, nicht ebenfalls vertraut wäre, sei unstreitig geblieben, auch durch zweitinstanzlichen Vortrag nicht bestritten worden. Sie habe die Mitarbeiterin B4xxxxx in den gesamten Tätigkeitsbereich eingearbeitet. Sie wäre dementsprechend ohne jede Einschränkung sofort in der Lage gewesen, diese Arbeiten wieder aufzunehmen, dabei sogar in anderen Bereichen der kaufmännischen Verwaltung, insbesondere dem Bereich Einkauf, gemachte Erfahrungen mit einzubringen.

Die Klägerin hat am 04.06.2003 Klage gegen die Firma M2xxxxxxxxxxxx H4xxxxxxxxxx GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer T1xxxx S4xxxxxxx, erhoben und diese als Betriebsnachfolgerin der E1x M2xxxxxxxxxxxx auf Zahlung der Gehälter ab 01.08.2002 und auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen. Das Arbeitsgericht Hagen hat mit Beschluß vom 31.07.2003 (1 Ca 1714/03) das Verfahren bis zum rechtmäßigen Abschluß des Rechtsstreits 5 Ca 2197/02 ausgesetzt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Urkunden Bezug genommen.

Gründe

Die aufgrund entsprechender Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig ordnungsgemäß begründete Berufung des Beklagten hat Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Insolvenzschuldnerin ist durch die Kündigung des Beklagten vom 15.08.2002 wegen Stillegung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin mit Ablauf des 30.11.2002 rechtswirksam beendet worden.

1. Wie sich aus § 15 Abs. 4 KSchG ergibt, kann in der Krise des Unternehmens die Betriebsstillegung als geradezu "klassischer" Fall (Hillebrecht, ZIP 1985, 257, 261) eines berechtigten dringenden betrieblichen Erfordernisses i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG für eine betriebsbedingte Kündigung angesehen werden (BAG v. 11.03.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879 = ZIP 1998, 1284; BAG v. 11.03.1998 – 2 AZR 415/97, ZInsO 1998, 191; BAG v. 11.03.1998 – 2 AZR 416/97, ZAP ERW 1998, 180). Damit hängt der Ausgang des Rechtsstreits davon ab, ob die Kündigung vom 15.08.2002 "wegen Betriebsstillegung" ausgesprochen worden ist. Dies wiederum hängt davon ab, ob die auf eine Betriebsstillegung gerichtete unternehmerische Entscheidung des Beklagten als Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare" Formen angenommen und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose gerechtfertigt hatte, daß bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist der Kläger als Arbeitnehmer hat entbehrt werden können (BAG v. 18.01.2001 – 2 AZR 167/00, BAGReport 2002, 104 = ZInsO 2001, 822).

1.1. Unter Stillegung eines Betriebsteils ist die Auflösung der insoweit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, daß der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen und endgültigen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Zwecks dauernd oder zumindest für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen (BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, NJW 1984, 38 = ZIP 1983, 1492; BAG v. 22.05.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050 = ZIP 1997, 1555; BAG v. 22.01.1998 – 8 AZR 358/95, ZInsO 1998, 237 = ZAP ERW 1998, 190). Für die Frage der Sozialwidrigkeit einer "wegen" Betriebsstillegung ausgesprochenen Kündigung kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und nicht auf die vom Insolvenzverwalter gegebene Begründung an. Eine vom Insolvenzverwalter mit einer Stillegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn die geplante Maßnahme sich auch rechtlich als Betriebsstillegung und nicht etwa deshalb als Betriebsveräußerung darstellt, weil die für die Fortführung des Betriebes wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstillegung bewertet. Bei der Auflösung der Betriebsorganisation im Falle einer Betriebsstillegung ist der Insolvenzverwalter nicht gehalten, eine Kündigung erst nach deren Durchführung auszusprechen (BAG v. 22.05.1997 – 8 AZR 103/96, EzA § 613a BGB Nr. 157; BAG v. 22.05.1997 – 8 AZR 118/96, ZInsO 1998, 93). Vielmehr kann er die Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung wirksam bereits dann erklären, wenn die betrieblichen Umstände schon "greifbare Formen" angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, daß bis zum Ablauf der einzuhaltenden Kündigungsfrist die Stillegung durchgeführt sein wird (BAG v. 23.03.1984 – 7 AZR 407/82, AuR 1984, 154; BAG v. 23.03.1984 – 7 AZR 409/82, ZIP 1984, 1524; BAG v. 22.07.1992 – 2 AZR 84/92, BuW 1992, 732; BAG v. 25.09.1997 – 8 AZR 493/96, KTS 1998, 487 = NZA 1998, 640 = ZAP ERW 1998, 114 = ZIP 1998, 253). Die "greifbaren Formen" können je nach den Umständen des Einzelfalles die Gründe für die Stillegungsabsicht oder auch ihre Durchführungsformen betreffen (BAG v. 19.06.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891 = ZIP 1991, 1374; BAG v. 22.01.1998 – 8 AZR 775/96, DZWIR 1998, 334 = NZA 1998, 638 = ZIP 1998, 924). Maßgebend sind allein die Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (BAG v. 27.09.1984 – 2 AZR 309/83, NZA 1985, 493 = ZIP 1985, 698; BAG v. 05.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522 = ZIP 1986, 795).

1.2. Den Insolvenzverwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich nicht zustande, dann verbleibt es für die Überprüfbarkeit ausgesprochener Kündigungen des Insolvenzverwalters bei den allgemeinen Regelungen und Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes (so bereits Warrikoff, BB 1994, 2338, 2341; Däubler/Klebe/Kittner, Anh. §§ 111–113 BetrVG: § 125 InsO Rn. 2; Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, § 125 InsO Rn. 2; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177), insbesondere bei der Darlegungs und Beweislast des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG (Uhlenbruck/Berscheid, § 125 InsO Rn. 9). Danach hat der Beklagte dem Grundsatz nach nicht nur die Stillegungsabsicht darzulegen, sondern auch im Bestreitensfall auch zu bewiesen. Eine auf den Entschluß des Insolvenzverwalters beruhende Betriebsstillegung ist eine Unternehmerentscheidung, die nicht auf ihre Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit (BAG v. 20.02.1986 – 2 AZR 212/85, NZA 1986, 823; BAG v. 22.05.1986 – 2 AZR 612/85, NZA 1987, 125 = ZIP 1986, 1410), sondern nur daraufhin nachprüfbar ist, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG v. 24.10.1979 – 2 AZR 940/77, MDR 1980, 787 = NJW 1981, 301 = ZIP 1980, 379; BAG v. 30.04.1987 – 2 AZR 184/86, NZA 1987, 776 = ZIP 1987, 1274; BAG v. 06.08.1987 – 2 AZR 559/86, RzK I 5c Nr. 22). Voll nachprüfbar ist dagegen, ob die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs und Produktionsgemeinschaft dauerhaft oder zumindest für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne durchgeführt worden ist. Ist die Stillegungsabsicht nicht endgültig, so liegt nur eine rechtlich unerhebliche Betriebspause oder Betriebsunterbrechung vor, die nicht zur Kündigung berechtigt (BAG v. 07.06.1984 – 2 AZR 602/82, NZA 1985, 121 = ZIP 1984, 1517; BAG v. 19.06.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891 = ZIP 1991, 1374). Die Stillegung des Betriebs wird nach außen durch Auflösung der Betriebsorganisation dadurch zum Ausdruck gebracht, daß weitere Stillegungsakte –wie z.B. Kündigung der Miet oder Pachträume, der Strom und Wasseranschlüsse, des Telefon und Telefaxanschlusses – hinzukommen, die auf die Auflösung der Betriebsorganisation schließen lassen (BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, NZA 1987, 382 = ZIP 1987, 734; BAG v. 12.02.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170 = ZIP 1987, 1478). Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Falle vor und sind – zumindest zweitinstanzlich – zwischen den Parteien unstreitig.

2. Letztendlich geht der Streit der Parteien allein um die Frage, ob die Klägerin oder die Mitarbeiterin B4xxxxx im Preßwerk habe weiterbeschäftigt werden müssen. Die Klägerin meint, zwischen ihr und der Mitarbeiterin B4xxxxx hätte eine Sozialauswahl vorgenommen müssen, die zu ihren Gunsten hätte ausfallen müssen. Demgegenüber sieht das Berufungsgericht das Problem in der Frage der Zuordnung von Mitarbeitern aus den zentralen Dienste zu den einzelnen Betrieben. Hierauf sind die Parteien durch Zwischenverfügung vom 01.09.2003 hingewiesen worden. Dabei gibt es vorliegend noch die Besonderheit, daß die im Zuge des Konkurses der Firma E1x E3xxxxx- und G2xxxxxxxxxxxxxxxx GmbH im Jahre 1997 entstanden drei Auffanggesellschaften, nämlich die E1x A1xxxxxxxxxxxxxx GmbH (Insolvenzschuldnerin), die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH und die E1x E4xxxxxxxxx GmbH bis zur Insolvenz im Jahre 2002 – trotz rechtlicher Selbständigkeit – unter einer einheitlichen Leitung gestanden und einen gemeinsamen Betriebsrat sowie eine gemeinschaftliche kaufmännische Verwaltung gehabt haben. Es ist zwar anerkannt, daß die Notwendigkeit, eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl vorzunehmen, nicht nur dann entfällt, wenn der bisherige Gemeinschaftsbetrieb im Zeitpunkt der Kündigung bereits nicht mehr besteht, sondern bereits dann, wenn im Zeitpunkt der Kündigung einer von mehreren Betrieben, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits "greifbare" Formen angenommen hat, aber feststeht, daß er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird (BAG v. 18.09.2003 – 2 AZR 79/02, NZA 2004, 375, 378). Es geht jedoch vorliegend nicht um die Weiterbeschäftigung bei der Insolvenzschuldnerin, sondern bei einem anderen Betrieb des ehemaligen Gemeinschaftsbetriebes, daß sich nicht das Problem der Sozialauswahl stellt. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Klägerin aufgrund ihrer Ttägiekit dem Preßwerk zuzuordnen war oder ob der Beklagte im Zuge der Auflösung des Gemeinschaftsbetriebes frei zwischen den beiden Mitarbeiterinnen hat wählen können. Letzteres ist der Fall.

2.1.Zunächst ist festzuhalten, daß der Zweck einer Vereinbarung über die gemeinsame Betriebsführung allein die Koordination der Tätigkeit der verschiedenen Gesellschaften gegenüber den Arbeitnehmern. Mit ihr wird regelmäßig nicht die Befugnis, das Direktionsrecht auszuüben, auf die Betriebsführungsgesellschaft übertragen. Vielmehr wird nur das weiterhin bei den einzelnen Unternehmen liegende Direktionsrecht in seiner faktischen Ausübung koordiniert. Auf die Betriebsführungsgesellschaft wird nichts, was die Identität einer wirtschaftlichen Einheit ausmacht, übertragen. Das schließt einen Betriebsübergang bei Gründung des Gemeinschaftsbetriebes aus (BAG v. 24.02.2000 – 8 AZR 162/99, ZInsO 2001, 383). Mit dem Ausscheiden eines Unternehmens als Teilhaber eines Gemeinschaftsbetriebs aus demselben kann ein Teilbetriebsübergang verbunden sein. So können etwa die verbleibenden Unternehmen gemeinsam oder einzelne von ihnen oder auch ein neu eintretendes Unternehmen den bisher von dem ausscheidenden Unternehmen geführten Teilbetrieb übernehmen und fortführen. Bei einer unveränderten Fortführung des Gesamtbetriebs liegt einer dieser Fälle zwingend vor; denn dann wird auch der Teilbetrieb unverändert fortgeführt, so daß ein Teilbetriebsübergang anzunehmen ist (BAG v. 24.02.2000 – 8 AZR 162/99, ZInsO 2001, 383). Auch diese Voraussetzungen sind in der vorliegenden Fallgestaltung nicht erfüllt, denn die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH führt nicht den ehemaligen Gesamtbetrieb, sondern nur – wie bereits ihr Firmennamen sagt – das Preßwerk als Teilbetrieb weiter.

2.2. Diesem Teilbetrieb waren weder die Mitarbeiterin B4xxxxx noch die Klägerin zuzuordnen. Vielmehr gehörten beide Mitarbeiterinnen zur Insolvenzschuldnerin, die die gesamte kaufmännische Verwaltung einschließlich des Ein- und Verkaufs der Produkte für den ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb erledigt hat. Weder die E1x E4xxxxxxxxx GmbH noch die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH beschäftigten auch nur einen einzigen Mitarbeiter im kaufmännischen Bereich. Mit andren Worten, die Verwaltungsabteilung des ehemaligen Gemeinschaftsbetriebes war bei der Insolvenzschuldnerin angesiedelt. Ihr waren auch die Zeugin B4xxxxx und die Klägerin als Mitarbeiterinnen zugeordnet. Die Sach und Rechtslage bei Auflösung des Gemeinschaftsbetriebes ist vergleichbar dem Fall der Veräußerung von Betrieben eines Filialunternehmens mit Zentralverwaltung. Mitarbeiter der zentralen Verwaltung eines Autohauses mit mehreren Betriebsstätten bspw. sind nicht den einzelnen Betriebsstätten, sondern nur dem Betriebsteil Verwaltung zugeordnet. Bei einer Veräußerung der einzelnen Betriebsstätten gehen die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter der Verwaltung nicht auf die Erwerber über. Dies gilt auch für die Veräußerung der Betriebsstätte, an der die Verwaltung geführt wird (LAG Düsseldorf v. 14.12.2000 – 2 Sa 1333/00, ZInsO 2001, 869). Etwas anders mag für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern gelten, die in zentralen Unternehmensbereichen tätig waren, wenn ihre Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend den übergehenden Betriebsteilen zugute kam (LAG Köln v. 02.03.2001 – 11 Sa 1386/00, ZInsO 2001, 868; LAG Köln v. 08.06.2001 – 11 Sa 281/01, ZInsO 2002, 96). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall, denn die Mitarbeiterin B4xxxxx und die Klägerin haben die kaufmännische Verwaltung für den gesamten ehemaligen Gemeinschaftsbetrieb erledigt, ohne daß eine der beiden Mitarbeiterinnen nach der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich oder überwiegend für die E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH tätig bzw. oder nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages allein für das Preßwerk zuständig gewesen wäre. Für die Zuordnung ist es nicht ausreichend, wenn ein Mitarbeiter, ohne dem Betriebsteil anzugehören, als Beschäftigter einer Verwaltungsabteilung des Unternehmens (hier: Buchhaltung), die selbst nicht übertragen wurde, Tätigkeiten für den übertragenen Teil des Unternehmens verrichtet (BAG v. 21.01.1999 – 8 AZR 298/98, ZInsO 1999, 361). Infolge der Auflösung des Gemeinschaftsbetriebes, die der Beklagte mit Schreiben vom 07.08.2002 an den "Betriebsrat der E1x-Gruppe" dadurch bekanntgegeben hat, daß er diesen über die von ihm beabsichtigten Kündigungen von sämtlichen Mitarbeitern der Insolvenzschuldnerin und der E1x E4xxxxxxxxx GmbH unter Hinweis auf die notwendige Einstellung der Produktion unterrichtet hat, bestand keine Möglichkeit mehr, die Klägerin kraft Direktionsrecht von der Insolvenzschuldnerin zur E1x M2xxxxxxxxxxxx GmbH zu versetzen. Die Sozialauswahl ist – wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag nicht im Wege des Direktionsrechts in andere Betriebsteile versetzt werden kann – auf den Betrieb oder Betriebsteil beschränkt, in dem der Arbeitnehmer bislang tätig gewesen ist (LAG Köln v. 08.10.2003 – 8 Sa 131/03, EzA-SD 2004, Nr. 5 S. 12). Daher hat der Beklagte vorliegend frei zwischen beiden Arbeitnehmerinnen wählen können. Die Tatsache, daß er zum Insolvenzverwalter aller Unternehmen der "E1x-G4xxxx" bestellt worden ist, führt nicht zu einer anderen Beurteilung, denn sie bewirkt keine "Klammerwirkung" dergestalt, daß die weggefallene einheitliche Leitung trotz rechtlicher Auflösung des Gemeinschaftsbetriebes weiter aufrechtgehalten würde.

3. Nach alledem hat die Berufung des Beklagten in vollem Umfang Erfolg und führt zur Abweisung der Klage. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes war nach § 25 Abs. 1 GKG, § 9 BRAGO in Verbindung mit § 12 Abs.7 ArbGG auf das Vierteljahreseinkommen der Klägerin festzusetzen. Der Streitwertbeschluß hat mit der Urteilsformel verbunden werden können. Die Revision war nach § 72 Abs. 1 ArbGG zuzulassen.

Berscheid Feldkamp Berhorst






LAG Hamm:
Urteil v. 27.11.2003
Az: 4 Sa 839/03


Link zum Urteil:
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