Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 12. März 2012
Aktenzeichen: 5 W 32/11
(OLG Stuttgart: Beschluss v. 12.03.2012, Az.: 5 W 32/11)
Tenor
Die im eigenen Namen eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22.06.2011 - Az. 19 T 12/11 - wirdz u r ü c k g e w i e s e n.
Gründe
I.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten begehrt im eigenen Namen die Erhöhung des Streitwerts für die vorliegende Wohnungseigentumssache.
Die klagende Miteigentümerin focht mit der vorliegenden Klage die in der Wohnungseigentümerversammlung vom 14.08.2009 gefassten Beschlüsse über die Jahresabrechnung 2008, die Entlastung der Verwalterin und den Wirtschaftsplan 2009 an. Die Sache endete nach mündlicher Verhandlung vor dem Amtsgericht aufgrund außergerichtlicher Einigung, indem die Klägerin die Klage gegen Verzicht auf Kostenerstattung zurücknahm.
Das Amtsgericht Tübingen (Az. 2 C 973/09 WEG) setzte durch Beschluss vom 10.01.2011 den Streitwert auf 25.000,- EUR fest (Bl. 104 d.A.). Auf die im eigenen Namen eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten begründete das Amtsgericht durch Beschluss vom 10.01.2011 (Bl. 114 ff. d.A.) die Entscheidung damit, dass das kostenmäßige Interesse der Klägerin am Rechtsstreit (§ 49a GKG) unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung bzw. des Wirtschaftsplans, sondern einerseits nach dem Einzelinteresse der Klägerin zu bestimmen sei, nämlich nach dem auf sie entfallenden Anteil der streitgegenständlichen Heiz- und Warmwasserkosten, andererseits nach dem Interesse der Gesamtheit der Eigentümer an der Wirksamkeit der Beschlüsse, das zusätzlich mit einem Viertel der verbleibenden Jahreskosten anzusetzen sei (Hamburger Formel). Maßgeblich sei der in der Klagbegründung konkretisierte Umfang der Anfechtung, nämlich die auf die Heizungs- und Warmwasserkosten entfallenden Beträge. Für die Entlastung der Verwalterin sei das Interesse mit 5 % der strittigen Heizkostenabrechnung zu bewerten, weil die Anfechtung nur unter diesem Gesichtspunkt erfolgt sei. Der Streitwert belaufe sich nach § 49a GKG auf die Hälfte des so ermittelten Interesses.
Im angegriffenen Beschluss vom 22.06.2011 (Bl. 127 ff. d.A.) wies das Landgericht Stuttgart (Az. 19 T 12/11) die Beschwerde des Beklagtenvertreters zurück. Der Wert von Beschlussanfechtungsklagen sei - wie vor der Einführung von § 49a GKG - nicht nach dem Nennwert von Jahresabrechnung oder Wirtschaftsplan zu bestimmen, sondern in der Regel mit einem Bruchteil von 20 bis 25 % davon, und zwar nach dem Umfang der konkretisierten Anfechtung zum Zeitpunkt der Klagbegründung. Das führe vorliegend zu keinem höheren Streitwert als vom Amtsgericht festgesetzt, so dass die Anwendung der Hamburger Formel nicht zu beanstanden sei. Das Interesse an der Anfechtung der Entlastung der Verwalterin decke sich vorliegend weitgehend mit der Anfechtung der Heizkostenabrechnung und sei daher mit 500,- EUR pauschal zu bewerten.
Mit der vom Landgericht zugelassenen weiteren (Rechts-) Beschwerde vom 26.07.2011 macht der Beklagtenvertreter geltend, mit Einführung des klaren 50%-Schnitts habe § 49a GKG die bis dahin bestehenden Unsicherheiten und Unterschiede bei der Bemessung des Kosteninteresses von Beschlussanfechtungsklagen beseitigen wollen. Die Hamburger Formel führe insbesondere bei Teilanfechtungen zu nicht sachgerechten Ergebnissen. Die wirtschaftliche Betrachtung der Vorinstanzen sei falsch, denn nach den am Streitgegenstandsbegriff orientierten zivilprozessualen Grundsätzen richte sich der Wert einer Anfechtung nach dem nominellen Wert des Anfechtungsgegenstands, insbesondere bei dem uneingeschränkt angefochtenen Wirtschaftsplan. Dabei sei vorliegend die Vollanfechtung der Jahresabrechnung in der Klage und nicht die Teilanfechtung der Heizungs- und Warmwasserkosten in der Klagbegründung maßgeblich. Die Anfechtung der Entlastung der Verwalterin sei nach der BGH-Rechtsprechung mit dem Regelbetrag von 1.000,- EUR zu bewerten.
Das Landgericht hat durch Nichtabhilfebeschluss vom 16.08.2011 die Akten dem Oberlandesgericht vorgelegt.
Der Beklagtenvertreter beantragt,
den Streitwert auf 82.174,70 EUR festzusetzen.
Die Klägerin beantragt,
die weitere Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Beschlüsse der Vorinstanzen für richtig.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Sachverhaltsdarstellungen in den Beschlüssen des AG Tübingen vom 10.01.2011 und des Landgerichts Stuttgart vom 22.06.2011 sowie auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.II.1.
Die weitere (Rechts-) Beschwerde ist gem. §§ 66 Abs. 5, 68 Abs. 1 S. 6 GKG, 32 Abs. 2 RVG zulässig, weil sie vom Landgericht als Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Rechtsbeschwerdegericht ist das Oberlandesgericht (BGH, B. v. 10.07.2007, VIII ZB 27/07, NJW-RR 2008, 121). § 567 Abs. 1 ZPO steht nicht entgegen, da das Verfahren für Streitwertbeschwerden in den §§ 66, 68 GKG gesondert und eigenständig geregelt ist (Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 68 GKG Rn. 3; OLG Stuttgart, B. v. 12.01.2012, Az. 13 W 38/11, OLG Zweibrücken, B. v. 03.09.2009, Az. 7 W 57/09). Die Formerfordernisse und die Fristen sind eingehalten.2.
Die Beschwerde ist jedoch im Ergebnis nicht begründet. Auch nach der Einführung des § 49a GKG ist der Streitwert von Beschlussanfechtungsklagen nach dem hinter der Anfechtung stehenden wirtschaftlichen Interesse und nicht nach dem Nennbetrag des Anfechtungsgegenstands zu bemessen (nachfolgend lit. a). Maßgeblich ist der Umfang der Anfechtung in der Klagschrift (lit. b). Für die Bewertung des Interesses im Einzelfall ist die Anwendung der sog. Hamburger Formel nicht zwingend (nachfolgend lit. c).
a) Interesse bei Beschlussanfechtungsklagen
Gemäß § 49a Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Wohnungseigentumssachen auf 50 % des Interesses der Parteien und aller Beigeladenen an der Entscheidung festzusetzen. Er darf das Interesse des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen an der Entscheidung nicht unterschreiten und das Fünffache des Wertes ihres Interesses nicht überschreiten. Der Wert darf in keinem Fall den Verkehrswert des Wohnungseigentums des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen übersteigen.
Entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters ist das Interesse in Beschlussanfechtungsklagen nicht mit dem Nennbetrag des angefochtenen Beschlussgegenstands gleichzusetzen, sondern unter wirtschaftlicher Betrachtung zu bestimmen. Das entsprach bereits der Rechtsprechung und h.M. zur Zeit der Geltung des § 48 GKG a.F. (BayObLG, B. v. 29.08.1979, Az. BReg 2 Z 40/79, BayObLGZ 1979, 312; OLG Hamm, B. v. 19.05.2000, Az. 15 W 118/00, NZM 2001, 549). Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass es dem Anfechtenden in der Regel (nur) darum geht, anteilige, individuelle Belastungen zu reduzieren, andererseits, dass auch das Interesse der übrigen Eigentümer am Bestand einmal gefasster Beschlüsse betroffen ist, und schließlich, dass es insbesondere in Konstellationen wie der vorliegenden nur um eine andere Umverteilung von in der Summe fest stehenden Lasten geht.
Die Einführung des § 49a GKG hat daran nichts geändert (OLG Stuttgart, B. v. 12.01.2012, Az. 13 W 38/11, juris-Tz. 15; OLG Koblenz, B. v. 30.08.2010, Az. 1 W 54/10, NZM 2011, 813, juris-Tz. 13; OLG Saarbrücken, B. v. 14.07.2009, Az. 5 W 109/09, NZM 2010, 408; a.A. OLG Bamberg, B. v. 29.07.2010, Az. 3 W 94/10 u. 3 W 105/10, ZMR 2011, 887, allerdings für den Fall einer Gesamtanfechtung). Aus der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze (BT-Ds. 16/887, dort S. 53/54) ergibt sich, dass die Halbierung des nach allgemeinen Regeln ermittelten Interesses in § 49a Abs. 1 S. 1 GKG ausschließlich dazu dient, einen Ausgleich zu schaffen für das durch die Reform des Wohnungseigentumsrechts gesteigerte Prozessrisiko. Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt in diesem Zusammenhang die Anwendbarkeit des GKG anstelle der KostenO, den Beibringungsgrundsatz mit verstärkter Einschaltung von Anwälten und die Kostenerstattungspflicht. Diese gesteigerten Risiken betreffen alle Wohnungseigentumssachen. Speziell für Beschlussanfechtungsklagen lässt sich deshalb aus der Gesetzesänderung nichts herleiten. Im Gegenteil: Die Intention des Reformgesetzes, den Streitwert niedrig zu halten, würde geradezu konterkariert, wenn mit § 49a Abs. 1 GKG die bislang anerkannten Bewertungsregeln für Beschlussanfechtungsklagen hätten beseitigt werden sollen, die das für den Streitwert maßgebliche Interesse deutlich unterhalb des Nennwerts des Anfechtungsgegenstands angesiedelt haben. Der Streitwert von Beschlussanfechtungsklagen ist daher dreistufig zu bestimmen, indem zunächst das (wirtschaftliche) Interesse der Parteien ermittelt, dieses in der zweiten Stufe wegen § 49a Abs. 1 S. 1 GKG halbiert und dieser Wert ggf. an die Unter- und Obergrenzen des § 49a Abs. 1 S. 2 GKG angepasst wird.
b) Zeitpunkt der Wertberechnung
Maßgeblich ist der Umfang der Beschlussanfechtung in der Klagschrift, vorliegend das Interesse an der (Un-) Gültigkeit des Beschlusses über die gesamte Jahresabrechnung 2008. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen vermag die in der Klagbegründung vorgenommene Beschränkung auf die Heizungs- und Warmwasserkosten daran nichts zu ändern.
Nach § 40 GKG richtet sich der Streitwert nach den Anträgen zu Beginn des jeweiligen Rechtszugs. Zwar ist anzuerkennen, dass die einmonatige Klagfrist des § 46 Abs. 1 S. 2 WEG (zu) knapp bemessen sein kann, um den zweckmäßigen Umfang einer Beschlussanfechtung abschließend zu beurteilen, insbesondere wenn das jeweilige Versammlungsprotokoll erst mit größeren Verzögerungen verschickt wird. Ausweislich der Begründung des WEG-Reformgesetzes (BT-Ds. 16/887, dort S. 73) hat der Gesetzgeber dieses Problem jedoch gesehen und dem (nur) dadurch Rechnung getragen, dass dem Anfechtenden zwei weitere Monate zur Begründung der Beschlussanfechtung eingeräumt werden (§ 46 Abs. 1 S. 2 WEG). Somit dient diese lange Frist nicht dazu, den Umfang der Anfechtung zu klären, sondern die Begründungslast abzumildern und genügend Zeit einzuräumen, um die Gründe für die Anfechtung darzulegen, insbesondere entsprechenden Sachverhalt vorzutragen (BGH, U. v. 16.01.2009, Az. V ZR 74/08, NJW 2009, 999, juris-Tz. 10). Denn nach Ablauf der Begründungsfrist ist - anders als vor der WEG-Reform - das Nachschieben von Gründen ausgeschlossen (BGH a.a.O.).
Insbesondere hat der Gesetzgeber die Beschlussanfechtung nicht nach dem Modell des Berufungsverfahrens in Zivilsachen ausgestaltet, in dem der Umfang der Anfechtung ausdrücklich erst mit Ablauf der Begründungsfrist klargestellt werden muss (vgl. § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Das hat zur Folge, dass Teilrücknahmen zwischen Berufungseinlegung und (rechtzeitiger) Berufungsbegründungsschrift keine Kostenfolgen haben (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 520 Rn. 29 u. § 516 Rn. 6) und bei der Bemessung des Streitwerts außer Betracht bleiben. Bei der Beschlussanfechtung nach dem WEG verhält es sich dagegen anders: Wie bei der aktienrechtlichen Beschlussanfechtungsklage, der die Beschlussanfechtung nach dem WEG nachgebildet ist, muss im Interesse der Rechtssicherheit und Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bereits mit Ablauf der Klagfrist fest stehen, in welchem Umfang Beschlüsse angegriffen sind (vgl. etwa Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 246 Rn. 26; Abramenko in Riecke/Schmid, Fachanwaltskommentar WEG, 2. Aufl. § 46 Rn. 12 m.w.N.).
Dass eine Reduzierung des Umfangs der Anfechtung zwischen Klagfrist und Klagbegründungsfrist im WEG-Verfahren als Teilrücknahme anzusehen ist, die u.U. Kostenfolgen auslöst, entspricht auch der breiten Auffassung von Rechtsprechung und Literatur (BayObLG, B. v. 30.05.1995, Az. 2Z BTR 41/95, NJW-RR 1995, 1166, 1167; OLG Köln, B. v. 02.02.1998, Az. 16 Wx 337/97, NZM 1998, 970, 971; Jennißen/Suilmann, WEG, § 46 Rn. 87 u. § 49a GKG Rn. 18; Abramenko in: Riecke/Schmid a.a.O.). Soweit etwa ein unklares oder verspätetes Versammlungsprotokoll Ursache einer zu weitgehenden Anfechtung war, können die Mehrkosten wie bisher anteilig dem Verwalter auferlegt werden, § 49 Abs. 2 WEG (BayObLG, B. v. 25.11.1993, Az. 2Z BR 81/93, WuM 1994, 160; Abramenko a.a.O.). Die im Beschluss des AG Tübingen vom 10.01.2011 angeführte Literaturstimme (Jennißen/Suilmann, WEG, § 49a GKG Rn. 18), wonach bei Teilanfechtungen der Betrag der von vornherein beschränkten Anfechtungsklage maßgeblich ist, spricht nicht dagegen, weil die hiesige Klägerin ihren Antrag erst nachträglich beschränkt hat. Aus der vom Landgericht zitierten BGH-Entscheidung (U. v. 27.03.2009, Az. V ZR 196/08, NJW 2009, 2132) ergibt sich ebenfalls nicht, dass sich der Umfang der Anfechtung erst aus der Begründungsschrift ergeben dürfte, sondern setzt sich nur mit den Anforderungen an diese auseinander.
c) Bewertungsmethoden
Bei der Bestimmung des Interesses der Parteien und aller Beigeladenen an der Entscheidung im Sinn des § 49a Abs. 1 Satz 1 GKG steht dem Gericht ein - pflichtgemäß auszuübendes - Ermessen zu (OLG Stuttgart, B. v. 12.01.2012, Az. 13 W 38/11; OLG Koblenz, B. v. 30.08.2010, Az. 1 W 54/10 a.a.O.; Hartmann, a.a.O., § 49a GKG Rn. 2). Zwar wäre im Rahmen der vorliegenden weiteren Beschwerde vor dem Rechtsbeschwerdegericht eigentlich nur zu prüfen, ob die Entscheidung des (Erst-) Beschwerdegerichts auf einer Verletzung des Rechts im Sinne der §§ 546, 547 ZPO beruht (§ 66 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 5 GKG), also ob das Beschwerdegericht das ihm eingeräumte Ermessen nicht oder nicht richtig gebraucht hat (OLG Stuttgart v. 12.01.2012 a.a.O., OLG Koblenz v. 30.08.2010 a.a.O.). Weil das Landgericht seiner Entscheidung aber nicht den Wert der Anträge zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage zu Grunde gelegt hat, ist die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung dieser Korrektur erneut zu treffen. Diese Beurteilung kann der Senat anstelle des Landgerichts selbst vornehmen, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten und keine Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die das Landgericht übersehen oder für unerheblich gehalten hat, so dass mit weiterem Sachvortrag der Parteien nicht zu rechnen ist (st.Rspr., z.B. BGH, U. v. 25.09.2006, Az. VIII ZR 172/95, NJW 1996, 3338, 3341; MünchKomm-ZPO/Wenzel, 3. Aufl., § 563 Rn. 21 zur gleichgelagerten Frage im Rahmen der Rechtsbeschwerde nach der ZPO):
Teil der am Einzelfall orientierten Ermessensentscheidung über die Höhe des Streitwerts ist bereits die Wahl der Methode, nach der das (wirtschaftliche) Interesse sowohl der anfechtenden Partei als auch der Gemeinschaft der übrigen Wohnungseigentümer bestimmt wird. Neigen süddeutsche Gerichte eher zur pauschalen Quote von 20 bis 25 % aus dem Nennbetrag des Anfechtungsgegenstands (so zuletzt OLG Stuttgart, B. v. 12.01.2012, allerdings für den Fall einer Gesamtanfechtung; OLG Koblenz, B. v. 30.08.2010 a.a.O.; LG Nürnberg-Fürth, B. v. 13.04.2010, Az. 14 T 2469/10 WEG; aber auch OLG Hamm, B. v. 19.05.2000, Az. 15 W 118/00 a.a.O. (Gesamtanfechtung)), ermitteln vorwiegend norddeutsche Gerichte bei der hier interessierenden Teilanfechtung das Interesse anhand der Hamburger Formel, nämlich aus dem Einzelinteresse der anfechtenden Partei zuzüglich eines Bruchteils von 25 % des (nach Abzug des Einzelinteresses) verbleibenden Gesamtinteresses, was zu tendenziell höheren Werten führt (vgl. z.B. OLG Hamburg, B. v. 17.06.2010, Az. 9 W 34/10, ZMR 2010, 943; LG Hamburg, B. v. 17.09.2009, Az. 318 T 34/09, ZMR 2010, 144). Daneben wird auch vertreten, das Einzelinteresse im Hinblick auf das daneben bestehende Gesamtinteresse zu verfünffachen (OLG Saarbrücken, B. v. 14.07.2009, Az. 5 W 109/09 a.a.O.).
Zwar weist die Hamburger Formel den Vorzug auf, das Verhältnis von Einzel- und Gesamtinteresse im Streitwert mit abzubilden, während die Pauschallösung auf die Größe des Miteigentumsanteils des Anfechtenden keine Rücksicht nimmt und daher Anfechtungsklagen von Eigentümern mit ganz geringer Beteiligung im Grundsatz gleichstellt mit Anfechtungsklagen eines Mehrheitseigentümers. Andererseits ist die Bemessung nach einer pauschalen Quote einfach, flexibel und praktikabel, weshalb im Rahmen der Ermessensausübung zulässigerweise auch auf diese Methode zurückgegriffen werden kann. Deshalb ist - je nach dem konkreten Fall - das Ermessen der Gerichte nicht von vornherein dahin reduziert, dass das Interesse stets und ausschließlich nach der Hamburger Formel ermittelt werden muss.
Dies gilt umso mehr, als auch Varianten der genannten Ansätze zu einer korrekten Ermessensentscheidung führen können. So erscheint es in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden, in der der Umfang der Jahresabrechnung der Eigentümergemeinschaft nicht im Streit ist (also nicht um die Berechtigung von Forderungen gestritten wird, denen die ganze Eigentümergemeinschaft ausgesetzt ist oder die sie gegen Dritte möglicherweise hat), nicht zwingend, das Bestandsinteresse der Gemeinschaft gerade mit 25 % zu bewerten. Vielmehr erscheint ein Ansatz mit 20 % ausreichend und angemessen, und zwar unabhängig davon, ob diese Quote aus dem Nennwert der gesamten Jahresabrechnung ermittelt wird (süddeutsche Methode) oder aus dem auf die nicht anfechtenden Eigentümer entfallenden Anteil (Hamburger Formel).
Der vom Beklagtenvertreter hilfsweise angestrebte Streitwert von 30.000,- EUR ergäbe sich nur dann, wenn man die Anträge aus der Klagschrift nach der Hamburger Formel mit der üblichen 25 %-Quote bewertete, wie in der Beschwerdeschrift - in sich folgerichtig - dargestellt wird. Legte man einer Bewertung nach der Hamburger Formel - hier zu Demonstrationszwecken - stattdessen eine Quote von 20 % zu Grunde, ergäbe sich stattdessen ein Streitwert bis 25.000,- EUR wie folgt:
TOP 4/JahresabrechnungEinzelinteresse7.515,59 Gesamtinteresse45.053,47 verbleibendes Gesamtinteresse37.537,88 davon 20 %7.507,58 Summe Einzel-/ant. Gesamtinteresse 15.023,17 Streitwert (§ 49a GKG, d.h. 50 %)7.511,58 TOP 5/Verwalterentlastung nach BGH (s.u.)1.000,00 TOP 8/WirtschaftsplanEinzelinteresse8.269,35 Gesamtinteresse116.255,00 verbleibendes Gesamtinteresse107.985,65 davon 20 %21.597,13 Summe Einzel-/ant. Gesamtinteresse29.866,48 Streitwert (§ 49a GKG, d.h. 50 %)14.933,24 Summe 23.444,82
Dagegen würde eine Bewertung nach der Pauschalmethode zu einem Streitwert von 17.130,88 EUR führen, wenn man die Quote mit 20 % annimmt, und zu einem Streitwert von 21.163,55 EUR, wenn die Quote 25 % beträgt. Alle Bewertungen blieben innerhalb der Korrekturgrenzen des § 49a Abs. 1 S. 2 u. 3 GKG.
Wie dargelegt wird eine der Methoden, die mit 20 % quotiert, der Sache am besten gerecht. Ob generell der Pauschalmethode der Vorzug gebührt gegenüber der Hamburger Formel, kann jedoch offen bleiben. Denn nachdem der Rechtsstreit in der Hauptsache bereits länger als sechs Monate rechtskräftig erledigt ist, ist eine nach der Pauschalmethode u.U. gebotene Herabsetzung des Streitwerts von Amts wegen ausgeschlossen, vgl. § 63 Abs. 3 GKG.
d) Verwalterentlastung
In die oben dargestellten Bewertungen hat der Senat den Teilstreitwert für die Anfechtung des Beschlusses über die Entlastung der Verwalterin (TOP 4) mit 1.000,- EUR eingestellt mit Rücksicht auf die Entscheidung des BGH vom 31.03.2011 (Az. V ZB 236/10, NJW-RR 2011, 1026). Ob dieser vergleichsweise hohe Wert, der einem Interesse (im Sinn von § 49a GKG) in Höhe von 2.000,- EUR entspricht, allen Fallgestaltungen gerecht werden kann, insbesondere bei kleineren Wohnanlagen, braucht nicht entschieden zu werden, weil sich nach den oben dargestellten Zahlen an der einschlägigen Streitwertstufe (22.000,- bis 25.000,- EUR) auch dann nichts ändern würde, wenn - wie dies häufig geschieht - das entsprechende Interesse pauschal mit 500,- EUR oder 250,- EUR bewertet würde. Nach Anwendung von § 49a Abs. 1 GKG ergäbe sich daraus ein Teilstreitwert mit lediglich 250,- EUR oder 125,- EUR, was für die Begründetheit der vorliegenden Beschwerde aber keine Rolle mehr spielt.III.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
OLG Stuttgart:
Beschluss v. 12.03.2012
Az: 5 W 32/11
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