Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 22. September 2009
Aktenzeichen: I-20 U 15/09
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 22.09.2009, Az.: I-20 U 15/09)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17. Dezember 2008 verkün-dete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts abgeän-dert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aus dem Urteil beitreibbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A)
Hinsichtlich des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Der Kläger ist die Z., die Beklagte eine national und international tätige Verlagsgruppe für Wirtschaftspublizistik. Die Parteien streiten über die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Umschlaggestaltung der Ausgabe Nr. 22 vom 26.05.2008 der von der Beklagten herausgegebenen Zeitschrift "W.". Dieser war mit einer sog. Flappe versehen, d.h. dem eigentlichen Titelblatt der Zeitschrift war ein dieses zur Hälfte überdeckender Vorsatz vorgeheftet. Im oberen Teil findet sich die Wiedergabe des verdeckten Teils des Zeitschriftentitels; darunter steht auf der "Flappe" auf rotem Grund in weißer Schrift: "Deutschlands Manager: 'Wir verplempern zuviel Zeit im Auto und an Flughäfen!'". Im letzten Drittel der "Flappe" wird in deutlich kleinerer Schrift der Abonnent persönlich und unter Nennung seines Namens mit den Worten angesprochen: "Das sehen Sie genauso€ Dann drehen Sie diese Zeitschrift um Herr [Name des Abonnenten]". Auf der Rückseite der "Flappe" und auf der Heftrückseite befindet sich eine Anzeige der D. Hinsichtlich der Einzelheiten der Gestaltung wird auf die Wiedergabe im Tenor und Tatbestands des landgerichtlichen Urteils sowie das als Anlage K1 zu den Akten gelangte Exemplar der Zeitschrift Bezug genommen.
Das Landgericht, dessen Urteil in WRP 2009, 751 ff. veröffentlicht ist, hat mit der angefochtenen Entscheidung die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, im Wettbewerb handelnd Anzeigen zu veröffentlichen, ohne diese eindeutig als "Anzeige" zu kennzeichnen, wenn dies geschieht wie auf dem im Urteilstenor des landgerichtlichen Urteils abgebildeten Umschlag zu der W. Nr. 22 vom 26.05.2008, Werbung der D. mit dem Titel "Deutschlands Manager: 'Wir verplempern zuviel Zeit im Auto und an Flughäfen!'". Ferner hat es dem Kläger einen Anspruch auf Ersatz von 208,65 € vorgerichtlicher Abmahnkosten zuerkannt.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten. Diese meint, die "Flappe" sei ohne weiteres als Anzeige zu erkennen. Sie hebe sich deutlich vom Titelblatt ab. Auch sei es absolut untypisch, dass Zeitschriften auf der Rückseite redaktionelle Beiträge enthielten, weshalb der Leser den Verweis auf die Rückseite ohne Weiteres als Werbung erkenne, da sich auf der Rückseite von Zeitschriften stets Werbung befinde. Auch die persönliche, namentliche Ansprache sei der Leser zwar aus der Werbung, nicht aber aus der redaktionellen Berichterstattung gewohnt, so dass er auch aus diesem Grunde die "Flappe" als Werbung erkenne. Sie behauptet, der Verkehr kenne "Flappen" nur als Werbung, da es keine redaktionellen "Flappen" gebe. Man dürfe die "Flappe" zudem nicht isoliert betrachten, denn diese ergebe ohne die in Bezug genommene Rückseite, die eindeutig als Werbung zu erkennen sei, keinen Sinn. Sie enthalte keine eigene Werbebotschaft, weil der Leser kein beworbenes Objekt erkennen könne. Eine wettbewerblich relevante Irreführung könne nur entstehen, wenn der Leser glaube, er bekomme ein Produkt von der Redaktion empfohlen. Dies sei bei isolierter Betrachtung der "Flappe" aber gerade nicht der Fall, weil die "Flappe" kein Produkt benenne. Bei Einbeziehung der Rückseite sei dem Leser dann aber ohne weiteres klar, dass es sich um eine bezahlte Werbung und nicht um eine Stellungnahme der Redaktion handele. Der Leser erkenne sofort, dass er Werbung vor sich habe, der er kein gesteigertes Vertrauen entgegen bringe. Hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs beanstandet die Beklagte, dass dem Kläger auch die hierauf vermeintlich entfallende Mehrwertsteuer zuerkannt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 17. Dezember 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er macht insbesondere geltend, allein der durch die "Flappe" bewirkte Anlockeffekt reiche aus, um hierin eine unzulässige redaktionelle Werbung zu sehen. Die Verbraucher würden durch die "Flappe" veranlasst, die Anzeige auf der Rückseite wahrzunehmen. Erst dann, wenn der Verbraucher dies getan habe, erschließe sich ihm, dass es sich um eine bezahlte Anzeige handele. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 20. August 2009 macht der Kläger geltend, dass die Gestaltung der "Flappe" auch gegen das Verbot der Nr. 11 des Anhangs zu § 3 UWG verstoße und es daher auf die wettbewerbliche Relevanz nicht ankomme.
Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
B)
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch und demzufolge auch der Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten nicht zu.
Auf den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsantrag findet das UWG in seiner seit dem 30.12.2008 geltenden Fassung Anwendung. Eine Wiederholungsgefahr wird jedoch nur durch solche Verletzungshandlungen begründet, die auch nach dem UWG in der zum jeweiligen Begehungszeitpunkt geltenden Fassung unzulässig waren. Auch der Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten richtet sich nach dem UWG in der bis zum 30.12.2008 geltenden Fassung (nachfolgend als UWG 2004 bezeichnet). Zu berücksichtigen ist bei der Anwendung des UWG 2004 allerdings, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlungen die Umsetzungsfrist der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken bereits abgelaufen war, so dass diese im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen ist. Dies ist von Bedeutung insbesondere im Hinblick auf Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie in Verbindung mit Anhang I Nr. 11, der im Ergebnis § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nr. 11 des Anhangs zu § 3 UWG entspricht, dessen Wertungen folgerichtig daher bei der Auslegung des UWG 2004 zu berücksichtigen sind. Da die hier streitbefangene Veröffentlichung einer Werbeanzeige sowohl eine Wettbewerbshandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 als auch eine - ohnehin weiter zu fassende - geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG darstellt und der hier maßgebliche § 4 Nr. 3 UWG 2004 im Übrigen unverändert geblieben ist, ist eine unterschiedliche Betrachtung nicht geboten.
Der Kläger hat jedoch gegen die Beklagte weder aus § 8 Abs. 1, §§ 3, 4 Nr. 3 UWG 2004 noch aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, Abs. 2, § 4 Nr. 3, § 3 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG einen Anspruch auf Unterlassung der angegriffenen Werbung.
Nach § 3 Abs. 2 UWG sind geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern unzulässig, wenn sie nicht der für Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Nach § 3 Abs. 3 UWG sind die im Anhang aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern stets unzulässig. Nach Nr. 11 des Anhangs ist danach eine unzulässige geschäftliche Handlung der vom Unternehmer finanzierte Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung eindeutig ergibt (als Information getarnte Werbung). Nach § 4 Nr. 3 UWG ist insbesondere unlauter und damit nach § 3 Abs. 1 UWG verboten, den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen zu verschleiern.
Diesen Regelungen liegt insgesamt zu Grunde, dass der Leser im redaktionellen Teil eine objektivkritische, nicht von gewerblichen Interessen geprägte Information einer unabhängigen und neutralen Redaktion erwartet, nicht aber eine von den Eigeninteressen des Werbenden geprägte Reklame. Dementsprechend misst er einem redaktionellen Beitrag, der Äußerungen über ein Unternehmen oder dessen Produkte enthält und Werbewirkung entfaltet, regelmäßig größere Beachtung und Bedeutung bei und steht ihm weniger kritisch gegenüber, als wenn es sich um Äußerungen des werbenden Unternehmens selber handelt (Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 27. Aufl., § 4 UWG Rn. 3.20 m.w.N.; ders. a.a.O. Anh. zu § 3 III Rn. 11.1). Eine als Information getarnte Werbung ist danach letztlich deshalb unzulässig und unlauter, weil der Verbraucher in seiner Erwartung einer neutralen Produkt- bzw. Unternehmensbeurteilung getäuscht wird. Dies ist bei der hier angegriffenen Werbung nicht der Fall, denn die "Flappe" isoliert betrachtet macht nicht kenntlich, für welches Unternehmen oder Produkt geworben wird und bei Betrachtung der "Flappe" zusammen mit der in Bezug genommenen Rückseite des Zeitschriftenhefts erkennt der Verbraucher auf den ersten Blick, dass es sich bei der Gesamtheit von "Flappe" und Heftrückseite um eine Werbeanzeige der D. handelt, so dass er der vermittelten Information angemessen kritisch gegenüber treten wird. Der Schutzzweck der Norm gebietet daher ein Verbot der angegriffenen Werbung nicht.
Die "Flappe" als solche ist zwar als Werbung nicht zu erkennen; befolgt hingegen der Verbraucher den Hinweis, die Zeitschrift umzudrehen, wird der Werbecharakter auch der "Flappe" sogleich offensichtlich, auch ohne dass sich der Leser näher mit der dort befindlichen Werbung befasst.
Die "Flappe" als solche ist nicht als Werbung zu erkennen. Wie im Senatstermin erörtert ist dem Senat anhand der dort vorgelegten Zeitschriftenexemplare aus dem Besitz eines Senatsmitgliedes, die mit den Parteien erörtert worden sind, bekannt, dass Zeitschriften auch redaktionell gestaltete "Flappen" aufweisen können, so dass sich der Werbecharakter nicht aus der Gestaltung der "Flappe" als solcher ergibt. Die "Flappe" wird vielmehr als gestalterisches Element der Titelseite aufgefasst, in die sie ja auch optisch jedenfalls durch die Fortführung der Titelzeile integriert ist. Auch der Text selber ist in der Form einer typischen Schlagzeile gestaltet und lässt den Werbecharakter nicht erkennen. Schließlich ergibt sich der Werbecharakter auch nicht aus der namentlichen Ansprache des Abonnenten. Diese mag für die Redaktion untypisch sein, sie kann sich aber auch als redaktioneller Einfall darstellen, dem Abonnenten sein "persönliches" Exemplar der Zeitschrift zukommen zu lassen.
Der "Flappe" als solche fehlt aber bei isolierter Betrachtung sowohl der werbende Charakter als auch die bei Anwendung des § 4 Nr. 3 UWG erforderliche Eignung, die Fähigkeit des Verbrauchers zu beeinträchtigen, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden und ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die andernfalls nicht getroffen hätte. Die isoliert betrachtete "Flappe" lässt nämlich nicht erkennen, welches Unternehmen oder Produkt beworben werden soll. Entgegen der Ansicht des Klägers im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20. August 2009 ergibt sich der Bezug zum Produkt "Bahn" nicht bereits aus der "Schlagzeile". Es liegt nämlich keineswegs nahe, aus dem Umstand, dass Deutschlands Manager nach der vermeintlichen Ansicht der W.-Redaktion meinen, zu viel Zeit im Auto und auf Flughäfen zu verplempern, an alternative Verkehrsmittel zu denken. Genauso könnte die Forderung nach einem pünktlicheren Flugverkehr oder einem Ausbau des Autobahnnetzes gefordert werden. Dem Verbraucher wird keine geschäftliche Entscheidung nahe gelegt; er wird lediglich veranlasst, die Zeitschrift umzudrehen, woraufhin sich ihm der Werbecharakter - unstreitig - sofort erschließt. Hierzu bedarf es nicht der näheren Befassung mit dem Inhalt der Anzeige; der kommerzielle Charakter ist vielmehr "auf den ersten Blick" erkennbar. Der Verbraucher wird also entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu veranlasst, sich näher mit einer Anzeige zu befassen, die er ansonsten gar nicht wahrgenommen hätte, sondern erkennt sofort den werbenden Charakter und kann sich dann - informiert - entscheiden, ob er sich mit dem Inhalt der Werbung befassen will oder nicht.
Die isoliert betrachtete "Flappe" mag den Anschein erwecken, sie gehörte zum redaktionellen Inhalt der Zeitschrift. Zwecken der Verkaufsförderung wird aber erst gedient, wenn die "Flappe" nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Heftrückseite betrachtet wird. Nur dann wird nämlich die Aufmerksamkeit auf das Produkt "Bahn fahren" bzw. das Unternehmen D. gelenkt. Dann aber ist im Zusammenhang mit der Heftrückseite der werbende, bezahlte Charakter auch der "Flappe" offensichtlich. Bei der zur Feststellung einer Verkaufsförderung vorzunehmenden Gesamtbetrachtung von Rückseite und "Flappe" erweckt letztere nicht mehr den Eindruck eines redaktionellen Inhaltes.
Da dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zusteht, hat er auch keinen Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO war die Revision zuzulassen, da die Rechtssache über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung hat. Sie gibt Gelegenheit, die grundsätzliche Frage zu beantworten, ob eine verbotene "getarnte Werbung" schon dann vorliegt, wenn - wie der Kläger meint - ein Zeitschrifteninhalt ohne Identifizierung des umworbenen Produktes oder des werbenden Unternehmens auf eine als bezahlte Werbung ganz offensichtlich erkennbare Anzeige nur hinweist und der Zeitschrifteninhalt bei Wahrnehmung auch der Werbung, auf die er hinweist, selbst als bezahltes Inserat erkennbar ist.
Streitwert: 12.500,00 € (entsprechend der von den Parteien nicht angegriffenen erstinstanzlichen Festsetzung)
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 22.09.2009
Az: I-20 U 15/09
Link zum Urteil:
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