Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. März 2001
Aktenzeichen: 25 W (pat) 108/00
(BPatG: Beschluss v. 15.03.2001, Az.: 25 W (pat) 108/00)
Tenor
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Bezeichnung CELLVIT ist am 1. Juni 1995 für "Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege, diätetische Lebensmittel für medizinische Zwecke, Pflaster, Verbandmaterial; Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Parfümerien, ätherische Öle, Seifen, Zahnputzmittel" in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 15. September 1995.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 3. Dezember 1990 für "Pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich selenhaltige Arzneimittel zur enteralen und parenteralen Anwendung am Menschen, ausgenommen Analgetika" eingetragenen Marke 1 169 004 SELIT, deren Benutzung die Inhaberin der angegriffenen Marke mit Schriftsatz vom 14. Februar 1996 bereits im Verfahren vor dem DPMA bestritten hat. Die Widersprechende hat zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke eine eidesstattliche Versicherung des damaligen Geschäftsführers ihrer Rechtsvorgängerin vom 8. Mai 1996 sowie weitere Unterlagen betreffend den Zeitraum Mai 1995 (Benutzungsaufnahme) bis März 1996 vorgelegt, aus denen sich die Verwendung eines Mineralstoffpräparats "SELIT" mit dem Wirkstoff Natriumselenit und dem Anwendungsbereich eines nachgewiesenen Selenmangels ergibt. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Einrede mangelnder Benutzung mit der Begründung aufrechterhalten, daß die in der eidesstattlichen Versicherung vom 8. Mai 1996 genannten Umsätze von DM 35.700,-- für den Zeitraum Mai bis Dezember 1995 und von DM 32.000,-- für den Zeitraum Januar bis März 1996 nicht zum Nachweis einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke ausreichten, zumal offen bleibe, in welchem Land die Umsätze erzielt worden seien.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in einem Beschluß die Verwechslungsgefahr zwischen den Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Es sei zweifelhaft, ob die - ausdrücklich bestrittene - rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, da keine Rechnungsbelege für Inlandsbestellungen und -lieferungen vorgelegt worden seien und sich die in der eidesstattlichen Versicherung angegebenen Umsätze als sehr gering erwiesen. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, da ausgehend von der möglichen Warenidentität und einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auch bei strengen Anforderungen die jüngere Marke einen hinreichenden Markenabstand einhalte. Im Schriftbild sorgten die unterschiedliche Wortlänge, sowie die zusätzlichen Buchstaben "LV" der jüngeren Marke für eine ausreichende Unterscheidung. Aber auch in klanglicher Hinsicht halte diese einen ausreichenden Abstand zu der Widerspruchsmarke ein. Auch wenn beide Marken in der Silbenanzahl und Lautfolge "elit" übereinstimmten und jeweils einen Zischlaut als Wortanfang aufwiesen, so seien die klanglichen Unterschiede dennoch hinreichend groß, da die jüngere Marke mit einem stimmlosen, scharfen wie "z" artikulierten c-Laut beginne, während die Widerspruchsmarke durch einen stimmhaften s-Laut eingeleitet werde. Hinzu komme, daß die zweite Silbe der angegriffenen Marke in der Widerspruchsmarke keine Entsprechung finde. Auch die verschiedenen Sinngehalte der Wörter wirkten sich verwechslungsmindernd aus. Denn die jüngere Marke sei von "Zelle" (lat: "cella") abgeleitet, während die Widerspruchsmarke auf das Element Selen hindeute.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem (sinngemäßen) Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Unter Berücksichtigung der möglichen Warenidentität und der einzubeziehenden allgemeinen Verkehrskreise seien strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen, welche die jüngere Marke in klanglicher Hinsicht wegen der übereinstimmenden Silbenanzahl und Vokalfolge sowie des ähnlichen Zeichenanfangs nicht einhalte.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
Die sich gegenüberstehenden Marken unterschieden sich nicht nur in optischer Hinsicht durch ihre Wortlänge und jeweiligen Anfangsbuchstaben erheblich, sondern auch in klanglicher Hinsicht, da sie von einem abweichenden Konsonantengerüst geprägt seien und unterschiedlich betont würden, wobei auch die unterschiedlichen Wortlängen zu einem völlig differierenden Klangbild führten. Eine Verwechslungsgefahr bestehe deshalb nicht, zumal der Verkehr auch den jeweiligen, voneinander abweichenden Sinngehalt der Markenwörter erkenne, was ihre Unterscheidung erleichtere.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG). Sie ist jedoch in der Sache nicht begründet, da auch nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Der Widerspruch ist deshalb zu Recht in dem angefochtenen Beschluß zurückgewiesen worden, §§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG.
Der Senat geht bei seiner Entscheidung mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus.
Nachdem die Inhaberin der angegriffenen Marke die nach § 43 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG nebeneinander mögliche Einrede mangelnder Benutzung der Widerspruchsmarke (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 19, 25 ff) uneingeschränkt und zulässig bereits im Verfahren vor dem DPMA erhoben hat, können bei der Entscheidung über den Widerspruch nur die Waren berücksichtigt werden, für die eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke glaubhaft gemacht worden ist (§ 43 Abs 1 Satz 3 MarkenG). Soweit danach von der Widersprechenden eine Verwendung der Widerspruchsmarke zur Kennzeichnung eines Mineralstoffpräparats mit dem Wirkstoff Natriumselen behauptet und Unterlagen zur Glaubhaftmachung vorgelegt worden sind, betreffen diese hinsichtlich der Umsatzabgaben lediglich den Zeitraum Mai 1995 bis März 1996. Ebenso datiert die eidesstattliche Versicherung vom 8. Mai 1996 und kann deshalb den hier nach § 43 Abs 1 Satz 2 MarkenG maßgeblichen Zeitraum der letzten fünf Jahre vor Erlaß der (Beschwerde)Entscheidung nicht mehr - bzw nur noch unzureichend für wenige Tage - abdecken. Bereits aus diesem Grund dürfte es an der hinreichenden Glaubhaftmachung einer ernsthaften Benutzung der Widerspruchsmarke fehlen, aus welcher sich die Verwendung der Marke nach Art, Zeit, Ort und Umfang ergeben muß (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 43 Rdn 42), zumal auch die angegebenen Umsätze nur teilweise den relevanten Benutzungszeitraum betreffen können (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 6. Aufl, § 43 Rdn 50; zu Ausnahmen BPatG GRUR 2001, 58, 59 - COBRA CROSS). Da die Ausgestaltung des Benutzungszwanges im Widerspruchsverfahren dem Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz unterstellt ist, oblag es jedoch der Widersprechenden, alle zur rechtlichen Beurteilung erforderlichen tatsächlichen Umstände darzulegen und glaubhaft zu machen. Auch waren insoweit - insbesondere im Hinblick auf das ausdrückliche Bestreiten der Inhaberin der angegriffenen Marke und die ausgeführten Bedenken im angefochtenen Beschluß des DPMA - keine gerichtlichen Hinweise veranlaßt (vgl hierzu auch BPatG MarkenR 2000, 288, 289 - Neuro-Vibolex).
Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht entscheidend an, da der Widerspruch auch bei unterstellter rechtserhaltender Benutzung der Widerspruchsmarke für ein Mineralstoffpräparat mit dem Wirkstoff Natriumselen mangels bestehender Verwechslungsgefahr zurückzuweisen ist. Danach ist, da auch die Widersprechende selbst eine Verwendung der Widerspruchsmarke nur zur Kennzeichnung eines Mineralstoffpräparat mit dem Wirkstoff Natriumselen behauptet, im Rahmen der Integrationsfrage auf Seiten der Widerspruchsmarke von Mineralstoffpräparaten (Arzneimittelverzeichnis "Rote Liste" Hauptgruppe 62) ganz allgemein und mangels entgegenstehender Festschreibung im Warenverzeichnis ohne Beschränkung auf eine Rezeptpflicht, eine bestimmte Darreichungsform oder enthaltene Wirkstoffe auszugehen (st Rspr, vgl BPatG Mitt 1979, 223 - Mastu; BPatG GRUR 1995, 488, 489 APISOL / Aspisol; vgl allgemein zur Integrationsfrage BGH GRUR 1990, 39 ff - Taurus - und GRUR 1999, 164, 165 - JOHN LOBB). Diese Arzneimittel können wegen der weiten Oberbegriffe "Arzneimittel, pharmazeutische Erzeugnisse" jedenfalls mit einem Teil der von der jüngeren Marke beanspruchten Waren identisch sein und sind im übrigen jedenfalls ähnlich.
Auch wenn unter Berücksichtigung dieser gesamten Umstände an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erforderlichen Markenabstand - jedenfalls soweit Warenidentität möglich ist - strenge Anforderungen zu stellen sind, ist die Ähnlichkeit der Marken nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausgeprägt, daß die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen wäre.
Klanglich - und nur soweit kommt eine Verwechslungsgefahr ernsthaft in Betracht - weisen die wie "zellvit" und "selit" gesprochenen gut überschaubaren Markenwörter bereits in den deutlich voneinander abweichenden Anfangskonsonanten einen wesentlichen, auch im jeweiligen Gesamteindruck der Wörter hörbaren Klangunterschied auf, der bei der jüngeren Marke wegen der zusätzlichen, in der ersten Sprechsilbe enthaltenen Konsonanten "ll" noch verstärkt wird und zugleich wegen der hiermit verbundenen unterschiedlichen Artikulation des jeweiligen Silbenvokals "e" den Klangcharakter der ersten Sprechsilbe stark verändert. Dieser Unterschied in der Silbenstruktur und im Wortklang wird deshalb nicht unbemerkt bleiben, zumal erfahrungsgemäß der Wortanfang stärker beachtet wird als die weiteren Wortbestandteile. Gemeinsam mit der weiteren, im jeweiligen konsonantischen Anlaut der zweiten Sprechsilbe bestehenden Klangabweichung reichen deshalb nach Auffassung des Senats die insgesamt bestehenden Unterschiede der Markenwörter aus, ihre hinreichend sichere Unterscheidbarkeit selbst im Hinblick auf die vorliegend gebotenen strengen Anforderungen zu gewährleisten. Dies gilt auch dann, wenn man ungünstigere Übermittlungsbedingungen oder eine wenig artikulierte Aussprache einbezieht und berücksichtigt, daß die Verkehrsauffassung eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird (st Rspr vgl EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints). Eine zusätzliche Orientierungshilfe und Erinnerungsstütze bieten schließlich die in der jüngeren Marke für jedermann ohne weiteres erkennbaren Hinweise von "CELL" auf "Zelle" und "OVIT" für "Vitamin" oder "vital", die in der Widerspruchsmarke keine Entsprechung finden und denen deshalb auch in gewissem Umfang eine verwechslungsmindernde Bedeutung zukommt. Eine Verwechslungsgefahr besteht demnach nicht.
Nach alledem war die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Knoll Engels Pü
BPatG:
Beschluss v. 15.03.2001
Az: 25 W (pat) 108/00
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