Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. August 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 384/03

(BPatG: Beschluss v. 09.08.2004, Az.: 11 W (pat) 384/03)

Tenor

Das Patent 42 07 292 wird widerrufen.

Gründe

I Die unter Inanspruchnahme der Inneren Priorität G 91 09 120.9 vom 24. Juli 1991 am 7. März 1992 beim Deutschen Patentamt eingereichte Anmeldung, die am 28. Januar 1993 offengelegt wurde, hat zum Patent 42 07 292 mit der Bezeichnung "Aktenvernichter" geführt, dessen Erteilung am 26. Juni 2003 veröffentlicht worden ist.

Gegen das Patent ist am 24. September 2003 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Patents sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, und er beruhe darüber hinaus nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Am 15. März 2004, hat die Einsprechende ihren Einspruch zurückgenommen. Sie ist damit nicht mehr am Verfahren beteiligt.

Mit Verfügung des Senats vom 25. Mai 2004 wurde der Patentinhaberin anheim gegeben, sich dennoch auf den Einspruch zu äußern, da gegen die Zulässigkeit des zurückgenommenen Einspruchs keine Bedenken bestünden und deshalb das Verfahren von Amts wegen ohne die Einsprechende fortzusetzen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass im Einspruch eine im Prüfungsverfahren noch nicht berücksichtigte Druckschrift genannt worden ist, die dem Patentgegenstand näher kommen dürfte als das vom Patentamt entgegengehaltene Material und welche dem Fachmann den Weg zur Erfindung weisen könne.

Daraufhin bittet die Patentinhaberin um Entscheidung nach Aktenlage.

Patentanspruch 1 lautet gemäß Patentschrift:

1. Aktenvernichter mit einem, Informationsträger wie Papier oder papierähnliches Material zerkleinernden Schneid- oder Reißwerk und einem dieses über ein Getriebe antreibenden Asynchronmotor, dadurch gekennzeichnet, dass der Asynchronmotor ein polumschaltbarer Einphasen-2/4-Polmotor mit einem Motorkondensator ist, welcher dem Motor mindestens im Reversierbetrieb zum Erhöhen seines Anfangsdrehmomentes zugeschaltet ist, dessen Ständerwicklungen (11, 16) so gestaltet sind, dass sein Drehmoment mit steigender Polzahl wächst.

Wegen der Unteransprüche 2 bis 11 sowie weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II In dem gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG fortzusetzenden Einspruchsverfahren ist gemäß § 147 Abs. 3 PatG durch den Technischen Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

Der frist- und formgerecht erhobene sowie hinreichend substantiierte Einspruch ist gem. § 59 Abs. 1 PatG zulässig.

Der Einspruch führt aus den nachfolgend dargelegten Gründen zum Widerruf des Patents.

Die Erfindung betrifft einen Aktenvernichter. Ihr liegt das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde, die Drehzahl ohne Schaltgetriebe umschaltbar zu gestalten, in allen Lastfällen einen Dauerbetrieb zu ermöglichen und die maximal zur Verfügung stehende Leistung auszuschöpfen.

Die Lösung dieser Aufgabe wird in einem Aktenvernichter nach Anspruch 1 gesehen.

Im Erteilungs- und Einspruchsverfahren sind u.a. nachfolgende Dokumente genannt worden:

D1 CH 655 866 A5 D2 DE 32 08 676 A1 Als Fachmann ist hier ein Diplom-Ingenieur mit wenigstens Fachhochschulabschluss in der Elektrotechnik, Studienrichtung elektrische Maschinen- und Antriebstechnik anzusehen, der über hinreichende Berufserfahrung in der Auslegung von Antrieben von Zerkleinerungsmaschinen, insbesondere Aktenvernichtern verfügt.

Für einen solchen Fachmann ist die Erfindung im Patent so deutlich und vollständig offenbart, dass sie ausführbar ist; denn er weiß grundsätzlich, wie Kondensatoren je nach ihrem Zweck (Anlaufkondensator, Betriebskondensator, Hilfskondensator, Zusatzkondensator) an Elektromotoren anzuschalten sind.

Der aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und 3 entstandene erteilte Anspruch 1 ist ebenso wie die weiteren auf die ursprünglichen Ansprüche zurückzuführenden Ansprüche 2 bis 11 zulässig.

Die Neuheit des gewerblich anwendbaren Aktenvernichters gemäß Anspruch 1 kann dahinstehen, denn es fehlt der Erfindung jedenfalls die zu fordernde erfinderische Tätigkeit.

Als nächstkommenden Stand der Technik sieht der Fachmann in der DE 32 08 676 A1 [D4] einen dort als Reißwolf bezeichneten Aktenvernichter. Dieser besitzt eine Papierbogen (S. 15, Z. 6) also Informationsträger wie Papier oder papierähnliches Material zerkleinernde Schneideinheit 15, demnach ein Schneidwerk. Der bekannte Aktenvernichter verfügt auch über ein Getriebe (Drehzahluntersetzungsgetriebe 17) und einen zum Antrieb vorgesehenen Motor 16. Gemäß den Figuren 5 und 7 ist der Motor als Einphasenasynchronmotor mit einem Motorkondensator (Kapazität 31, 31a, 31b) ausgeführt, wobei der Kondensator dem Motor im Reversierbetrieb zum Erhöhen seines Anfangsdrehmomentes (S. 17 unten, S. 22 unten) zugeschaltet ist. Der Motor 16 gemäß der D4 besitzt zwei Ständerwicklungen, nämlich eine Hauptwicklung 26 und eine Hilfswicklung 27, wobei letztere mehr Windungen aufweist. Es fehlt dort eine weitere, zuschaltbare Antriebswicklung, somit ist der Motor 17 der D4 nicht polumschaltbar im Sinne des Streitpatents, doch gewährleistet die höhere Windungszahl der im Reversierbetrieb wirksamen Antriebswicklung, nämlich der Hilfswicklung 27 wie beim Streitpatent ein gegenüber dem Vorwärtsbetrieb weiter erhöhtes Drehmoment.

Demzufolge unterscheidet sich der Aktenvernichter des Anspruchs 1 des Streitpatents von dem aus der D4 bekannten Stand der Technik durch einen polumschaltbaren 2/4-Polmotor, dessen Ständerwicklungen so geschaltet sind, dass sein Drehmoment mit steigender Polzahl wächst.

Polumschaltbare Asynchronmotoren in Ausführungen mit Polpaaren unterschiedlicher Anzahl sind dem Fachmann hinlänglich bekannt. In der Praxis kommen diese zwar überwiegend als Drehstrommotoren zum Einsatz, doch sind derartige Motoren auch für den einphasigen Betrieb am 230 V Wechselstromnetz bekannt und gebräuchlich.

In der CH 655 866 A5 [D1] findet ein polumschaltbarer 2/4-Asynchronmotor in einem Aktenvernichter Verwendung, dessen Ständerwicklungen so geschaltet sind, dass das Drehmoment mit steigender Polzahl wächst (S. 3, linke Spalte, Z. 45 - 53). Zwar ist jene Erfindung im Ausführungsbeispiel mit einem Drei-Phasen-Drehstrom-Motor dargestellt. Doch geht die dem Fachmann an die Hand gegebene Lehre der D1 über das Ausführungsbeispiel hinaus; denn in Anspruch 1 der D1 ist lediglich ein Antriebsmotor mit einer parallel zuschaltbaren Ständerwicklung vorgegeben. In der Beschreibung findet der Fachmann zudem auch den Hinweis auf einen einfachen Wechselstrom-Motor (wenn auch für einen Zwei-Phasen-Wechselstrom) mit einer zuschaltbaren zweiten Antriebswicklung (S. 3, Linke Spalte, Z. 31 - 35).

Dem auf dem einschlägigen Gebiet tätigen Fachmann ist hinreichend bekannt, dass dort, wo Aktenvernichter regelmäßig eingesetzt werden, nämlich in Büroräumen, oft nur Ein-Phasen-Wechselstrom zur Verfügung steht. Um die Forderung zu erfüllen, einen Aktenvernichter auch für einen solchen einphasigen Betrieb anzubieten, bedarf es eines geeigneten Motors. Gerade deshalb fasst er die Lehren der D1 und der D4 zusammen und erkennt, dass bei einem Aktenvernichter, der im Ein-Phasen-Wechselstromnetz einsetzbar ist, wie er ihn aus der D4 kennt, in naheliegender Weise alternativ auch ein Asynchronmotor einsetzbar ist, der statt einer höheren Windungszahl der im Reversierbetrieb wirksamen Antriebswicklung der D4 eine parallel zuschaltbare, zweite Antriebswicklung wie bei der D1 aufweist, also einen 2/4-Polmotor für einphasigen Betrieb darstellt. Mit der D1 als Vorbild ist für den Fachmann das Vorsehen eines polumschaltbaren 2/4-Polmotors als Einphasen-Asynchronmotor eine dem Vorschlag der D4 äquivalente Lösung und damit naheliegend. Erfinderischer Tätigkeit bedarf es dazu nicht.

Mangels erfinderischer Tätigkeit kann der erteilte Anspruch 1 somit keinen Bestand haben.

Die weiteren Ansprüche 2 bis 11, die besondere Ausgestaltungen des Aktenvernichters nach Anspruch 1 zum Inhalt haben, sind vom Anspruch 1 abhängig und teilen dessen Schicksal.

Nach alledem kann das Patent nicht bestehen bleiben.

Dellingerv. Zglinitzki Skribanowitz Schmitz Hu






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Beschluss v. 09.08.2004
Az: 11 W (pat) 384/03


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