Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Juli 2005
Aktenzeichen: 21 W (pat) 24/05

(BPatG: Beschluss v. 18.07.2005, Az.: 21 W (pat) 24/05)

Tenor

Der Beschluss der Patentabteilung 1.44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 12. November 2004 wird aufgehoben. Den Antragstellern wird für das Patenterteilungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Patentanwalt Dipl.-Ing. K... in B..., als Vertreter beigeordnet.

Gründe

I Die Anmelder haben am 16. Juli 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt die Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Extensionsvorrichtung" eingereicht und zugleich beantragt, für das Anmeldeverfahren einschließlich der anfallenden Jahresgebühren Verfahrenskostenhilfe zu gewähren sowie Patentanwalt Dipl.-Ing. K... in B..., als Vertreter beizuordnen.

Mit Beschluss vom 12. November 2004 hat die Patentabteilung 1.44 des Deutschen Patent- und Markenamts nach Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Antragssteller die Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe gegenüber sämtlichen Antragsstellern zurückgewiesen, da keine hinreichende Aussicht auf Erteilung des Patents bestehe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber dem bisher ermittelten, in den nachfolgend aufgeführten Entgegenhaltungen E1 bis E3 beschriebenen Stand der Technik nicht neu bzw. beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

E1 DD 221 638 A1 E2 DE 203 07 043 U1 E3 US 5 901 581.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelder. Eine Begründung der Beschwerde ist nicht erfolgt.

Die Anmelder beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und Verfahrenskostenhilfe für das Patenterteilungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt und Beiordnung eines Vertreters zu bewilligen.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Extensionsvorrichtung bestehend aus einer Liegefläche, Schiene oder Brett, Stützstange, Rolle und Gelenk, dadurch gekennzeichnet, dassan einem senkrecht oder nahezu senkrecht angeordneten Gestell (2) oder an zwei starr miteinander verbundenen Stützen (2) oben und schräg nach unten weisend mindestens eine Schiene (12) angeordnet ist auf der eine waagerechte oder nahezu waagerechte Liegefläche (8, 16) gleitbar, oder abrollbar und brems- und fixierbar angeordnet ist, derart, dass diese in einer waagerechten oder nahezu waagerechten Position bei der Bewegung verbleibt."

II Die gebührenfreie Beschwerde der Antragssteller gegen den Beschluss der Patentabteilung 1.44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 12. November 2004 ist zulässig (§§ 73, 135 Abs 3 PatG). Der Senat geht insoweit auch davon aus, dass über die Anträge der drei Mitanmelder zutreffender Weise nur einheitlich (§ 62 ZPO) durch einen gemeinsamen - allerdings den Anmeldern jeweils zuzustellenden - Beschluss entschieden worden ist, auch wenn sich der Akte weitere, an die einzelnen Antragssteller gerichtete Beschlussentwürfe entnehmen lassen.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Im Verfahren zur Erteilung des Patents erhalten Anmelder gemäß §§ 130 ff PatG auf Antrag unter entsprechender Anwendung der §§ 114 bis 116 ZPO Verfahrenskostenhilfe, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten des Verfahrens nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können und eine hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents besteht. Handelt es sich - wie vorliegend - um eine Anmeldermehrheit, so müssen alle Anmelder diese Voraussetzungen erfüllen, § 130 Abs 3 PatG.

1. Wie bereits im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt aufgrund der von den Anmeldern eingereichten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft und zutreffend festgestellt worden ist, sind sämtliche Antragssteller bedürftig im Sinne von § 130 Abs 1 PatG iVm § 115 ZPO und haben auch keine Monatsraten oder sonstige Zahlungen auf die Verfahrenskostenhilfe zu leisten.

2. Entgegen der vom Deutschen Patent- und Markenamt vertretenen Auffassung bietet die Anmeldung auch hinreichende Aussicht auf Erteilung, denn die beanspruchte Extensionsvorrichtung erscheint neu, da sie aus den bisher ermittelten Entgegenhaltungen E1 bis E3 nicht bekannt ist, und auch auf erfinderischer Tätigkeit zu beruhen, da sie durch diesen Stand der Technik nicht nahegelegt ist.

Dabei dürfte als Fachmann ein in der Entwicklung von mechanischen medizintechnischen Geräten tätiger Techniker anzusehen sein, der objektiv mit der Aufgabe betraut sein dürfte, eine Extensionsvorrichtung zu schaffen, bei der der Patient nicht mit dem Kopf nach unten liegen muss (vgl S 1 Abs 4 der Beschreibung).

Mit Gliederungspunkten versehen lautet der Anspruch 1:

A Extensionsvorrichtung bestehend aus einer Liegefläche, Schiene oder Brett, Stützstange, Stütze, Rolle und Gelenk, dadurch gekennzeichnet, dass B an einem senkrecht oder nahezu senkrecht angeordneten Gestell (2) oder an zwei starr miteinander verbundenen Stützen (2)

C oben und schräg nach unten weisend mindestens eine Schiene (12) angeordnet ist D auf der eine waagerechte oder nahezu waagerechte Liegefläche (8, 16) gleitbar, oder abrollbar und brems- und fixierbar angeordnet ist, E derart, dass diese in einer waggerechten oder nahezu waagerechten Position bei der Bewegung verbleibt.

Aus der E1 (Titel, Anspruch 1, Figur 1 iVm Beschreibung S 5f) ist eine Extensionsvorrichtung bekannt, die aus einer Liegefläche (Körperauflage 1), Schiene (das ist im weitesten Sinne entweder die Einrichtung, mit der der Kippschemel 11 mit Hilfe der Spindelmutter 8 entlang der Stütze 7 nach oben oder unten verfahren werden kann, oder der schienenartige, in Figuren 1 und 2 bei Pos 4, links und rechts, ersichtliche Grundrahmen der Körperauflage 1; vgl. S 5 vorletzter Abs Zn 1 bis 3), Stützstange (das ist die mit 7 bezeichnete senkrecht stehende Stange, die den Kippschemel 11 abstützt) und Gelenk (das ist das in Figur 3 ersichtliche zentrale Element, um das der Kippschemel 11 um den Winkel /2 verkippt werden kann). Da es sich laut Titel bzw. Anspruch 1 um eine mobile Einrichtung handeln soll, dürfte diese Extensionsvorrichtung auch eine oder mehrere Rollen zum Verfahren aufweisen.

Damit mag zwar die Merkmalsgruppe A im Oberbegriff des Anspruchs 1 insgesamt aus dieser Entgegenhaltung bekannt sein. Es findet sich dort aber kein Hinweis dahingehend, zur Lösung der zugrunde liegenden Aufgabe an der senkrecht angeordneten Stütze bzw. Stützstange 7 oben und schräg nach unten weisend mindestens eine Schiene anzuordnen, um darauf die Liegefläche waagrecht oder nahezu waagrecht gleitbar oder abrollbar und brems- und fixierbar anzuordnen, so dass diese waagrechte Position bei der Bewegung verbleibt, wie im Kennzeichen des Anspruchs 1 gemäß der Kombination der Merkmale B bis E angegeben ist.

Und auch eine kinematische Umkehr, wie in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, kann vorliegend nichts an dieser Betrachtung ändern. Denn eine solche Überlegung würde den Fachmann höchstens dazu führen, den Schlitten 11 in einer bestimmten Höhe zu fixieren und die Extension durch eine Höhenverstellung der Liege 1, also durch eine senkrechte Bewegung, zu verwirklichen. Dann würde sich jedoch keinesfalls die schräg nach unten weisende Schiene gemäß Merkmal C ergeben, durch die beim Verfahren auch eine waagrechte Bewegung erzeugt wird.

Die E2 beschreibt einen höhenverstellbaren, universell anpassbaren Stuhl (Titel und Figur 1 iVm zugehöriger Beschreibung und Anspruch 1) und betrifft somit einen völlig anderen Gegenstand als die Patentanmeldung. Allein deshalb ist dieser Stand der Technik schon nicht neuheitsschädlich. Dieser Stuhl weist des weiteren zwar von oben und schräg nach unten weisend zwei Schienen auf (das sind die nach oben ragenden freien Schenkel des Trägers 1), auf der eine waagerechte Sitzfläche 4 bzw. Spielplatte 3 bzw. Fußauflage 5 mit Höhenverstellern 6 gleitbar und fixierbar angeordnet ist, derart, dass diese Fläche in einer waagrechten Position bei der Verschiebung entlang dem Träger 1 verbleibt, wie es in den Merkmalen C bis E angegeben ist. Eine Anregung, diesen bekannten Mechanismus auf die Extensionsvorrichtung mit Liegefläche gemäß E1 zu übertragen, und damit eine Liegefläche wie in den Merkmalen D und E anzuordnen und zu verfahren findet sich indes dort nicht.

In der E3 geht es um eine Vorrichtung zur Rehabilitation von Patienten mit Lähmung der unteren Körperteile ("paralytic lower limb") und geht somit ebenfalls in eine ganz andere Richtung als die vorliegende Erfindung. Wie aus der Zusammenfassung und der Figur 4 iVm Sp 2 Zn 60 bis 65 hervorgeht, weist diese Vorrichtung ein transversal bewegliches Schubkurbelgetriebe 2 ("transversely movable slider mechanism"), eine Vorrichtung 3 ("thigh supporting/moving mechanism") zum Unterstützen bzw. Bewegen eines Schenkels und eine Vorrichtung 4 ("sole supporting/moving mechanism") zum Unterstützen bzw. Antreiben der Sohle des Patienten auf, wobei diese Vorrichtungen auf einem Grundrahmen 1 montiert sind. Der transversale Antrieb erfolgt mit einem Motor 52 über die Gewindestange 27 und den Schieber 35 (Sp 3 Zn 4 bis 13). Über die Verknüpfung dieser Vorrichtung mit einer waagrecht bewegbaren Liegefläche zu einer Extensionsvorrichtung ist dort ebenso wenig zu finden wie ein Hinweis zu einer Anordnung der Liegefläche auf einer von oben und schräg nach unten weisenden Schiene (Merkmal D und E).

Somit scheinen die bisher in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen zumindest im Rahmen der bei VKH-Anträgen lediglich summarisch vorzunehmenden Prüfung auf Erfolgsaussicht weder für sich genommen noch in einer Zusammenschau dem Fachmann eine Anregung in Richtung der im Anspruch 1 angegebenen Lösung zu geben, so dass eine Patenterteilung nicht ausgeschlossen erscheint.

3. Den Anmeldern ist auf ihren Antrag Patentanwalt Dipl.-Ing. K... in B..., beizuordnen, da eine Vertretung des Anmelders zur sachdienlichen Erle- digung des Erteilungsverfahrens erforderlich erscheint (§ 133 S 1 PatG).

4. Bei dieser Sachlage erübrigte sich ein Abwarten der von den Anmeldern im Übrigen selbst gesetzten Äußerungsfrist vom 30. August 2005.

Dr. Winterfeldt Engels Dr. Maksymiw Dr. Morawek Pr






BPatG:
Beschluss v. 18.07.2005
Az: 21 W (pat) 24/05


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