Landgericht München I:
Beschluss vom 6. November 2009
Aktenzeichen: 5 HK O 21285/08, 5 HK O 21285/08

(LG München I: Beschluss v. 06.11.2009, Az.: 5 HK O 21285/08, 5 HK O 21285/08)

Tenor

I. Die Anträge der Antragsteller zu 1) und zu 4) auf Durchführung eines Spruchverfahrens werden als unzulässig zurückgewiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

1. Die Hauptversammlung der D... Aktiengesellschaft (im Folgenden: die Gesellschaft) vom 7.8.2008 stimmte unter Tagesordnungspunkt 6 dem Beschlussvorschlag zu, die Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) gemäß dem Verfahren nach §§ 327 a ff. AktG gegen Bewährung einer Barabfindung in Höhe von € 186,88 je Stückaktie der D... Aktiengesellschaft auf den Hauptaktionär, Herrn € zu übertragen. Auf der Hauptversammlung bot der Antragsgegner an, jedem Aktionär, der aufgrund des Übertragungsbeschlusses aus der Gesellschaft ausscheidet, einen weiteren Abfindungsbetrag in Höhe von € 23,12 je Stückaktie zu bezahlen. Der Antragsgegner als Hauptaktionär hatte im Vorfeld einen Unternehmenswert von € 131,27 je Stückaktie ermittelt; die B... AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestätigte diesen Wert in ihrem Prüfungsbericht vom 26.6.2008 als angemessen. Der Beschluss der Hauptversammlung wurde am 13.10.2008 in das Handelsregister eingetragen; die Bekanntmachung der Eintragung erfolgte am 14.10.2008.

Ursprünglich war der Antragsteller zu 4) im Aktienregister der Gesellschaft mit den Aktien Nr. 755 und 854 eingetragener Aktionär, wobei es sich um Namensaktien handelte. Mit notariellem Testament vom 8.2.2006 (Anlage 2 zum Schriftsatz vom 5.8.2009, Bl. 95/96 d.A.) setzte der Antragsteller zu 4) den Antragsteller zu 1) zu seinem alleinigen und ausschließlichen Erben ein. Mit Wirkung zum 18. Geburtstag des Antragstellers zu 1) übertrug der Antragsteller zu 4) in einer Verpflichtungserklärung zum notariellen Testament (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 5.8.2009, Bl. 95/96 d.A.) diese beiden Aktien Nr. 755 und 854 auf den Antragsteller zu 1) im Zuge eines vorgezogenen Erbgangs. Solange und soweit der Antragsteller zu 4) als Inhaber dieser vinkulierten Namensaktien im Aktienregister eingetragen ist, ist der Antragsteller zu 1) nach dieser Vereinbarung bereits Besitzer der Aktien und ermächtigt, im eigenen Namen und für Rechnung des Antragstellers zu 4) die Aktionärsrechte wahrzunehmen und insbesondere gerichtliche Verfahren in Prozessstandschaft zu führen. Am 1.6.2009 trafen die Antragsteller zu 1) und zu 4) eine weitere Vereinbarung über eine gewillkürte Verfahrensstandschaft in Bezug auf dieses Spruchverfahren (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 19.6.2009, Bl. 82/84 d.A.). Der Antragsteller zu 1) wurde nicht in das Aktienregister der Gesellschaft als Aktionär eingetragen.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Testaments und der Verpflichtungserklärung sowie der Vereinbarung über eine gewillkürte Verfahrensstandschaft wird in vollem Umfang auf die Anlagen 2 und 1 zum Schriftsatz vom 5.8.2009 (Bl. 95/96 d.A.) sowie die Anlage 1 zum Schriftsatz vom 19.6.2009 (Bl. 82/84 d.A.) Bezug genommen.

Der Antragsteller zu 1) reichte am 20.11.2008 beim Landgericht Augsburg einen Antrag auf Bestimmung der angemessenen Barabfindung ein, der nach einem Hinweis auf die örtliche Unzuständigkeit und einem entsprechenden Antrag mit Verfügung vom 3.12.2008, Az. 3HK O 4489/09 (Bl. 10 d.A.) an das Landgericht München I abgegeben wurde.

Der Antragsteller zu 4) stellte mit Schriftsatz vom 9.1.2009 an das Landgericht Augsburg, per Telefax dort eingegangen am selben Tag, einen Antrag auf Einleitung eines Spruchverfahrens. Mit Verfügung vom 13.1.2009, Az. 1HK O 58/09 (Bl. 17 d.A. im hinzuverbundenen Verfahren 5HK O 3395/09) wies der zuständige Vorsitzende dieser Kammer auf die ausschließliche Zuständigkeit des LG München I hin und fragte nach, inwieweit Abgabe an das zuständige Gericht beantragt wird. Nach der Zustellung des Antrags und Anhörung zu einem zwischenzeitlich eingegangenen Verweisungsantrag erklärte sich das Landgericht Augsburg mit Beschluss vom 20.2.2009 (Bl. 21 d.A. im hinzuverbundenen Verfahren 5HK O 3395/09) für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München I, wo die Akten am 25.2.2009 angelegt wurden.

2. Die Antragsteller zu 1) und zu 4) halten ihre Anträge für zulässig. Die gewillkürte Verfahrensstandschaft werde auch im Spruchverfahren anerkannt; dabei genüge es, wenn deren Voraussetzungen zum Schluss der mündlichen Verhandlung gegeben seien. Sowohl bei der Antrags- als auch bei der Antragsbegründungsfrist handele es sich um materiell-rechtliche Ausschlussfristen, während der Zeitpunkt der Antragsberechtigung in Squeeze out-Fällen in § 3 Abs. 2 SpruchG nicht geregelt sei. Auch genüge es, wenn der Antragsteller die Aktionärseigenschaft erst nach Antragstellung erwerbe. Die Einreichung der Antragsschrift durch den Antragsteller zu 4) beim Landgericht Augsburg wahre die Frist, weil die Zustellung demnächst erfolgt sei und die Vorschrift des § 281 ZPO eingreife.

3. Der Antragsgegner erachtet die Anträge der Antragsteller zu 1) und zu 4) als unzulässig. Angesichts der fehlenden Eintragung des Antragstellers zu1) in das Aktienregister fehle ihm die Antragsbefugnis. Eine gewillkürte Verfahrensstandschaft müsse vorliegend als unstatthaft angesehen werden, weil nur der ausgeschiedene Aktionär im Spruchverfahren antragsbefugt sei; jedenfalls aber fehle es an der Wahrung der Antragsfrist; eine nachträgliche Ermächtigung führe nicht zu einer rückwirkenden Wahrung der am 13.1.2009 abgelaufenen Antragsfrist, zumal sich der Antragsteller zu 1) in seiner Antragsschrift ausdrücklich auf seine eigene Aktionärstellung berufen habe. Die Frist von drei Monaten könne nur durch den Eingang des Antrags innerhalb dieser Frist beim zuständigen Gericht gewahrt werden; die Einreichung beim unzuständigen Gericht wirke nicht fristwahrend.

4. Am 13.8.2009 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der Fragen der Zulässigkeit der Anträge erörtert worden sind; der gerichtlich bestellte Abfindungsprüfer wurde in diesem Termin zu den erhobenen Bewertungsrügen angehört. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des wechselseitigen Sachvortrags wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.8.2009 (Bl. 103/112 d.A.).

II.

Die Anträge der Antragsteller zu 1) und zu 4) sind unzulässig.

1. Der Antragsteller zu 1) ist nicht antragsbefugt, weil die Voraussetzungen des § 3 Satz 1 Nr. 2 SpruchG nicht erfüllt und nicht innerhalb der Frist von drei Monaten geltend gemacht worden sind.

11a. Nach der Regelung in § 3 Satz 1 Nr. 2 SpruchG ist in dem hier gegebenen Verfahren nach § 1 Nr. 3 SpruchG antragsbefugt jeder ausgeschiedene Aktionär. Dies trifft auf den Antragsteller zu 1) nicht zu, weil es vorliegend um (vinkulierte) Namensaktien geht und der Antragsteller zu 1) unstreitig nicht im Aktienregister der Gesellschaft als Aktionär eingetragen ist. Die Vorschrift des § 67 Abs. 2 AktG, aufgrund derer im Verhältnis zur Gesellschaft als Aktionär nur gilt, wer als solcher im Aktienregister eingetragen ist, muss bei der Beurteilung der Antragsberechtigung analog angewandt werden, auch wenn sich der Antrag im Spruchverfahren gegen den Alleinaktionär und nicht gegen die Gesellschaft richtet. Der Normzweck des § 67 Abs. 2 AktG umfasst auch die hier gegebene Sachverhaltskonstellation. zwar hat die Eintragung in das Aktienregister keine konstitutive Wirkung, sondern nur deklaratorische Bedeutung. Es wird eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung für die Aktionärseigenschaft der eingetragenen Person sowohl zu deren Gunsten als auch zu deren Lasten begründet. Diese Legitimationswirkung des § 67 Abs. 2 AktG bezieht sich nach ihrem Sinn und Zweck auf die Ausübung aller mitgliedschaftlichen Rechte, die sich aus der Aktionärsstellung ergeben. Nicht erfasst werden sollen im Unterschied hierzu die Rechtsbeziehungen zu Dritten, für die es allein auf die materielle Rechtslage ankommt. Auch wenn sich das Spruchverfahren in formeller Hinsicht nach der Regelung in § 5 SpruchG bei einem Squeeze out gegen den Hauptaktionär richtet, hat es seine Grundlage doch in dem mitgliedschaftlichen Verhältnis des Aktionärs zu der Gesellschaft, die Namensaktien ausgegeben hat. Deshalb ist § 67 Abs. 2 AktG auch auf die Berechtigung zur Einleitung eines Spruchverfahrens anwendbar, da hiermit ein höherer Anspruch auf Abfindung gerade wegen des Verlusts des Mitgliedschaftsrechts angestrebt wird (vgl. OLG Frankfurt NZG 2006, 667, 669 € Celanese AG; OLG Hamburg NZG 2004, 45; KG AG 2000, 364; Leuering in: Simon, SpruchG, 1. Aufl., Rdn. 13 zu § 3; Wasmann in: Kölner Kommentar zum SpruchG, 1. Aufl., Rdn. 24 zu § 3; Bezzenberger in: Schmidt/Lutter, AktG, Rdn. 13 zu § 67; Weingärtner in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., Rdn. 15 zu § 3 SpruchG; Lieder NZG 2005, 159 ff.; Leuering EWiR 2003, 1165; a.A. Dißars BB 2004, 1293).

12b. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, der Antragsteller zu 1) trete in gewillkürter Verfahrensstandschaft für den Antragsteller zu 4) auf, der im Aktienregister als Aktionär eingetragen ist bezüglich der beiden Aktien. Zwar wird davon auszugehen sein, dass eine gewillkürte Verfahrensstandschaft im Spruchverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Daher kann ein Antragsteller ein fremdes Recht in einem Spruchverfahren auch im eigenen Namen geltend machen (vgl. Wasmann in: Kölner Kommentar zum SpruchG, a.a.O., Rdn. 25 zu § 3; Klöcker/Frowein, SpruchG, Rdn. 30 zu § 3; Büchel NZG 2003, 793, 795). Allerdings ist dabei die Frist des § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SpruchG einzuhalten, wonach innerhalb einer Frist von drei Monaten ab der Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister der Antrag begründet sein muss und die Antragsbegründung die Darlegung der Antragsberechtigung zu enthalten hat. Daher muss gegenüber dem Gericht innerhalb der Antragsfrist zumindest im Ansatz dargelegt werden, dass der Antragsteller nicht ein eigenes, sondern ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend macht. Die Kammer geht davon aus, dass die Offenlegung innerhalb der Ausschlussfrist des § 4 Abs. 1 und Abs. 2 SpruchG erfolgen muss (so auch Klöcker/Frowein, SpruchG, Rdn. 30 zu § 3). Die Antragsbegründung muss insbesondere die Darlegung der Antragsberechtigung nach § 3 SpruchG aufgrund der Vorgaben des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SpruchG enthalten. Erfolgt die Begründung nicht oder nicht rechtzeitig, so ist der Antrag unzulässig (vgl. Leuering in: Simon, SpruchG, a.a.O., Rdn. 17 zu § 4; Puszkajler in: Kölner Kommentar Zum SpruchG, a.a.O, Rdn. 10 zu § 11; Wasmann in: Kölner Kommentar zum SpruchG, a.a.O., Rdn. 4 zu § 1 sowie Vorb. zu § 1 Rdn. 4; Weingärtner in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., Rdn. 15 zu § 4). Daraus ist dann aber der Schluss zu ziehen, dass auch die Verfahrensstandschaft innerhalb der Antragsfrist offengelegt werden muss. Soweit hierzu zum Teil eine abweichende Auffassung vertreten wird (vgl. OLG Stuttgart NZG 2001, 854, 856), muss die Kammer nicht abschließend entscheiden, ob dieser Ansicht in der Allgemeinheit zu folgen wäre, weil selbst nach dieser Ansicht im vorliegenden Fall ein anderes Ergebnis nicht zu rechtfertigen ist. Die antragsfristwahrende Wirkung tritt im Falle der gewillkürten Prozess- bzw. Verfahrensstandschaft grundsätzlich erst in dem Augenblick ein, in dem diese offengelegt wird (vgl. BGH NJW 1972, 1580; NJW 1993, 669, 670 f.; BayObLGZ 1981, 50, 53f.; KG NJW-RR 1995, 147). Dies soll nach der Ansicht des OLG Stuttgart indes dann nicht gelten, wenn die bereits bei Verfahrensbeginn bestehende Verfahrensstandschaft offenkundig bzw. für die Beteiligten ohne Weiteres erkennbar ist, etwa aus dem vorgerichtlichen Schriftwechsel (vgl. BGHZ 78, 1, 6; 94, 117, 122; 125, 196, 201; BGH NJW 1999, 3707, 3708). Während eine nachträgliche Ermächtigung eine rückwirkende Wahrung der Antragsfrist nicht bewirkt (vgl. Lindacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl., vor § 50 Rdn. 72), soll einer zuvor erteilten Ermächtigung fristwahrende Wirkung zukommen (vgl. OLG Stuttgart NZG 2001, 854, 856). Angesichts der Bedeutung der Frist von drei Monaten hat die Kammer erhebliche Bedenken, ob dieser Auffassung zu folgen wäre; dies muss indes nicht abschließend entscheiden werden. Von einer rechtzeitig erteilten Ermächtigung kann vorliegend nämlich nicht ausgegangen werden. Die Begründung der Verfahrensstandschaft in Bezug auf das konkrete Spruchverfahren erfolgte erstmals in der Vereinbarung vom 1.6.2009 und damit nach Ablauf der Antragsfrist. Eine allgemein gehaltene und insbesondere gegenüber der Gesellschaft und dem Antragsgegner nicht offen gelegte Ermächtigung, wie sie in der Vereinbarung vom Juli 2008 gesehen werden könnte, kann die Auswirkungen einer fristwahrenden Verfahrensstandschaft nicht haben. Die Darlegung der auf die Vereinbarungen gestützten Verfahrensstandschaft erfolgte erst nach Ablauf der Frist von drei Monaten. In seinem Antragsschriftsatz vom 20.11.2008 stützte der Antragsteller zu 1) seine Antragsberechtigung unter Hinweis auf ein Schreiben der depotführenden C... AG eindeutig auf seine Stellung als Aktionär. Daher war auch bei Antragstellung nicht erkennbar, dass er fremde Rechte im eigenen Namen geltend machen wolle.

Demzufolge ist der Antrag des Antragstellers zu 1) unzulässig.

142. Der Antrag des Antragstellers zu 4) ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der Frist von drei Monaten bei Gericht eingegangen ist. Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Fristwahrung ergebe sich aus dem am 9.1.2009 erfolgten Eingang beim Landgericht Augsburg. Die Frage, inwieweit die Einreichung beim unzuständigen Gericht als fristwahrend anzusehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Eine Mindermeinung in der Literatur geht davon aus, dass auch die Einreichung beim örtlich unzuständigen Gericht die Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG wahre, weil auch dieses den Antragsgegner über den Eingang informieren müsse und daher sein Interesse, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Klarheit darüber zu erhalten, ob die Kompensation unverändert bleibe, gewahrt sei; auch müsse berücksichtigt werden, dass der Zugang zu den Gerichten gerade in Spruchverfahren wegen der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG nicht unzumutbar erschwert werden dürfe (vgl. Drescher in: Spindler/Stilz, AktG, Rdn. 9 zu § 4 SpruchG). Die Kammer vermag sich indes dieser Ansicht nicht anzuschließen, weil die besseren Gründe für die von der Gegenmeinung vertretene Auffassung sprechen, der Antrag müsse innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingegangen sein; anderenfalls sei der Antrag unzulässig (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 4.5.2009, Az. 20 W 84/09; OLG Düsseldorf NZG 2005, 719; Wasmann in: Kölner Kommentar zum SpruchG, a.a.O., Rdn. 6 zu § 4; Leuering in: Simon, SpruchG, a.a.O., Rdn. 32 zu § 4; Volhard in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl., Rdn. 7 zu § 4; Weingärtner in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., Rdn. 11 zu § 4; Hüffer, AktG, 8. Aufl., Anh § 305 Rdn. 5 zu § 4 SpruchG; Klöcker/Frowein, SpruchG, Rdn. 13 zu § 4). Zwar ist zu beachten, dass das Spruchverfahren ein echtes Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist und der Rechtsgedanke des § 281 Abs. 2 Satz 3 AktG dafür sprechen könnte, aufgrund des dort geregelten Grundsatzes der Verfahrenseinheit und der Fortwirkung früherer Prozesshandlungen den Eingang beim unzuständigen Gericht als ausreichend anzusehen (so BGHZ 166, 329, 333 ff. = BGH NZG 2006, 426, 427 f. = AG 2006, 414 f. = ZIP 2006, 826, 827 f. = WM 2006, 909, 910 f. = DB 2006, 1046, 1047 = BB 2006, 1069 f. für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes). Indes vermag dies nicht zur Zulässigkeit des Antrags führen. Das Spruchverfahrensgesetz enthält für diese Problematik keine eindeutige Regelung. Allerdings ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG der Fall normativ geregelt, dass in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 2 SpruchG € also der Zuständigkeit mehrerer Landgerichte € die Frist durch Einreichung bei jedem zunächst zuständigen Gericht gewahrt wird. Aus dieser Regelung ist dann aber der Schluss zu ziehen, dass nicht § 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO herangezogen werden dann, sondern vielmehr der Rechtsgedanke, der der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG zugrunde liegt, wonach die Frist nur durch Einreichung des Antrags bei einem zuständigen Gericht gewahrt werden kann. Es wäre nicht einsichtig, warum im Fall der Zuständigkeit mehrerer Landgerichte nur der Antrag bei einem der zunächst zuständigen Gerichte die Frist wahrt, wie dies in § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG geregelt ist, ansonsten aber ein Antrag an irgendein Gericht € welchen Gerichtszweigs auch immer € genügen soll. Die Rechtslage unterscheidet sich somit erheblich von der, die vor Inkrafttreten des Spruchverfahrensgesetzes galt, weshalb die Rechtsprechung des BGH hier nicht entgegensteht.

Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht wird nicht dadurch verletzt, wenn ein Antrag beim unzuständigen Gericht als nicht fristwahrend angesehen wird. Die Ausübung der Grundrechte besteht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Ordnung. Auch wenn dabei das Verfahrensrecht so auszulegen ist, dass die Grundrechte ihre Wirkkraft entfalten können und auch das Verfahrensrecht die Grundrechte schützen soll, vermag die Kammer nicht zu erkennen, warum hier eine verfassungskonforme Auslegung geboten sein soll. Es gibt eine klare gesetzliche Regelung über die Zuständigkeit des Landgerichts München I für alle Spruchverfahren für Gesellschaften mit dem Sitz im Bezirk des Oberlandesgerichts München, die auch allgemein zugänglich ist. Wenn dann ein Antragsteller seinen Antrag beim unzuständigen Gericht einreicht, so hat er dies selbst zu verantworten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Rechte des Antragstellers zu 4) über die Gemeinsame Vertreterin der nicht als Antragsteller am Verfahren beteiligten ehemaligen Aktionäre hinreichend gewahrt werden, auch wenn sein Antrag unzulässig ist.

Da es sich bei der Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, kommt auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf NZG 2005, 719; Leuering in: Simon, SpruchG, a.a.O., Rdn. 20 zu § 4; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., Rdn. 3 zu § 4 SpruchG; Wasmann in: Kölner Kommentar zum SpruchG, a.a.O., Rdn. 4 zu § 4 SpruchG). Daher muss die Kammer nicht entscheiden, ob die Frist ohne Verschulden versäumt wurde oder nicht und ob den Schriftsätzen ein entsprechender Antrag überhaupt zu entnehmen ist.

Demzufolge musste die Zulässigkeit der Anträge der Antragsteller zu 1) und zu 4) verneint werden. Da indes die weiteren Anträge der Antragsteller zu 3) und zu 4) zulässig sind und eine Beweisaufnahme zum Wert der Gesellschaft notwendig ist, konnte auch noch nicht über die Kosten entscheiden werden, weil insbesondere der endgültig festzusetzende Streitwert noch offen ist, dieser indes die Basis für den Umfang der zu erstattenden Kosten bildet.






LG München I:
Beschluss v. 06.11.2009
Az: 5 HK O 21285/08, 5 HK O 21285/08


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