Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 4. November 2009
Aktenzeichen: 17 U 40/09

(OLG Köln: Urteil v. 04.11.2009, Az.: 17 U 40/09)

1. Ist für einen insolventen ehemaligen Rechtsanwalt (Schuldner) sowohl ein Abwickler als auch ein Insolvenzverwalter bestellt, so stehen die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden oder vom Abwickler eingezogenen Gebühren in der Zeit bis zum Ende der Abwicklung grundsätzlich dem Abwickler zu.

2. Lässt der Insolvenzverwalter während der laufenden Abwicklung ohne Einverständnis des Abwicklers solche Gebühren auf sein Anderkonto transferieren, so steht dem Abwickler gegen den Insolvenzverwalter ein Herausgabeanspruch nach § 55 Abs. 3, § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO zu.

3. Vergütungs- und Auslagenansprüche des Abwicklers gehen analog § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO denjenigen des Insolvenzverwalters vor.

4. Die Beweislast dafür, dass Überschüsse vorhanden sind, die der Abwickler zur Fortführung der Abwicklung nicht benötigt, trifft den Insolvenzverwalter.

5. Der Abwickler hat hingegen keinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Herausgabe auf dem Insolvenzanderkonto eingegangener Honorare und Fremdgelder.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.07.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen - 8 O 480/08 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 4.852,01 € abzüglich eines am 20.05.2008 gezahlten Betrages von 444,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 36 % und die Beklagte 64 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung seitens der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des voll-streckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die andere Partei vor der Vollstre-ckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger, der durch Verfügung der Rechtsanwaltskammer L. vom 24.07.2007 zum Abwickler der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts H.I. bestellt und dessen Bestellung zuletzt bis zum 31.12.2009 verlängert worden ist, nimmt die Beklagte auf Rückgewähr eines Betrages von - zuletzt - 4.407,08 € in Anspruch. Ferner begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei ihr eingehendes Fremdgeld sowie eingehende Honorare, die aus einem Mandatsverhältnis mit dem früheren Rechtsanwalt H.I. resultieren, an ihn auszuzahlen.

Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe als Kanzleiabwickler gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auszahlung der von dieser vereinnahmten Anwaltshonorare aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO zu. Zu den Gegenständen, auf die sich gemäß § 53 Abs. 10 S. 1 BRAO der Herausgabeanspruch des Abwicklers beziehe, gehörten auch Forderungen. Zwar fielen Honorarforderungen von Rechtsanwälten prinzipiell auch in die Insolvenzmasse, so dass ein Konkurrenzverhältnis zwischen insolvenzrechtlichen und berufsrechtlichen Regelungen bestehe, das vorliegend zugunsten des Abwicklers aufzulösen sei. Denn dieser müsse in die Lage versetzt werden, die laufenden Mandate ordnungsgemäß abzuwickeln. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Abwicklungsvorschriften, welche u.a. der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienten. Da der Abwickler berechtigt sei, eingehende Honorare zur Finanzierung des laufenden Kanzleibetriebs zu verwenden und ihm darüber hinaus Vorschüsse auf sein eigenes Honorar zustünden, werde der Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters in der Regel erst nach dem Ende der Abwicklung fällig. Eine Abgrenzung zwischen laufenden und beendeten Mandaten sei sachfremd und führe dazu, dass der Abwickler verpflichtet wäre, nach Beendigung jedes einzelnen Mandats die erzielten Honorare an den Insolvenzverwalter herauszugeben. Dies widerspreche dem Ablauf des Abwicklungsverfahrens, da der Auftrag des Abwicklers nicht lediglich einzelne Mandate, sondern die Kanzlei im Ganzen umfasse. Auch der Bundesgerichtshof sei in der in JR 2007, 109, 110 veröffentlichten Entscheidung vom 23.06.2005 - IX ZR 139/04 - davon ausgegangen, dass der Abwickler während des bestehenden Abwicklungsverhältnisses allenfalls nach § 271 Abs. 1 Fall 2 BGB verpflichtet sein könne, die Überschüsse herauszugeben, die offensichtlich nicht mehr für die weitere Abwicklung benötigt würden. Hierzu sei vorliegend aber nichts vorgetragen. Da die Beklagte danach derzeit nicht Herausgabe des aus der Abwicklung der Kanzlei Erlangten verlangen könne, sondern dieser Anspruch erst nach Beendigung der Abwicklung fällig werde, könne dem klageweise geltend gemachten Anspruch auch nicht nach Treu und Glauben entgegen gehalten werden, dass nicht heraus verlangt werden dürfe, was sofort zurückzugewähren sei. Schließlich bestehe auch ein Feststellungsinteresse des Klägers gemäß § 256 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf den Klageantrag zu 2). Denn der Kläger habe ein Interesse an der Feststellung, wie sich das rechtliche Verhältnis zwischen ihm und der Beklagten im Hinblick auf die Mandantengelder gestalte.

Gegen dieses ihr am 31.03.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.04.2009 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.07.2009 mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Sie macht geltend: Das Landgericht habe sich nicht mit ihrem Sachvortrag auseinandergesetzt, wonach zwischen den Parteien eine Absprache über die einvernehmliche Aufteilung der Akten der Anwaltskanzlei I. getroffen worden sei. Dementsprechend habe sie absprachegemäß die abgeschlossenen Akten in Besitz genommen, in denen sich Titel über ausstehendes Anwaltshonorar befunden hätten, die gegenüber den vormaligen Mandanten des Insolvenzschuldners durchzusetzen gewesen seien. Die Herausgabe dieser Akten habe der Kläger bis heute nicht gefordert. Auch sei im Rahmen der Absprache zwischen den Parteien keine Regelung getroffen worden, wonach eingezogene Gelder an den Kläger auszukehren seien.

Darüber hinaus habe das Landgericht das zwischen der Kanzleiabwicklung und der Abwicklung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners I. bestehende Spannungsverhältnis nicht ausreichend berücksichtigt. Der Kläger habe nämlich nicht dargetan, dass er das von ihr - der Beklagten - eingezogene Geld benötige, um die bei ihm befindlichen Akten zu Ende führen zu können.

Schließlich habe das Landgericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2005 - IX ZR 139/04 - fehlinterpretiert und verkannt, dass diese Entscheidung nicht die Herausgabepflicht bezüglich des verbliebenen Vermögens nach Abschluss der Kanzleiabwicklertätigkeit betroffen habe, sondern über einen Herausgabeanspruch betreffend die verwalteten Barmittel, mithin während der Kanzleiabwicklungstätigkeit, befunden worden sei. Zudem habe das Landgericht die Beweislast falsch bewertet, indem es ausgeführt habe, es sei nichts dazu vorgetragen worden, ob Überschüsse vorhanden seien, die der Kläger nicht mehr zur weiteren Verfahrensabwicklung benötige. Ihr - der Beklagten - sei nicht bekannt, ob der Kläger Überschüsse aus der Abwicklung verwalte oder bei ihm verwaltete Beträge bereits zur Insolvenzmasse auskehren könne, da der Kläger die Auskunftserteilung hierzu verweigere. Es sei Sache des Klägers, zu beweisen, dass er Anspruch auf die bei ihr verwaltete Masse habe.

Die Beklagte beruft sich schließlich auf die doloagit - Einrede und vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, der Kläger müsse die eingeklagten Beträge im Fall des Obsiegens unverzüglich wieder an sie zurückerstatten, da er diese nach seinem eigenen Vortrag nicht zur Fortführung der Abwicklungstätigkeit bzw. zur Deckung seiner Vergütungsansprüche benötige. Die Beklagte meint, aufgrund dessen stehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht an den vereinnahmten Geldern zu, bis die Vergütung des Klägers festgesetzt worden sei und dieser nachgewiesen habe, dass die bei ihm verwaltete Masse nicht ausreiche.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und trägt ergänzend vor: Er benötige die von der Beklagten vereinnahmten Gelder. Die von ihm "vereinbarten" Honorare würden seine Vergütung nicht abdecken, weshalb er die zuständige Rechtsanwaltskammer L. als Bürgin habe in Anspruch nehmen müssen, welche Abschläge auf die Abwicklervergütung zahle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2) begründet. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

1.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Herausgabeanspruch aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO zusteht.

Nach diesen Vorschriften ist der Abwickler berechtigt, die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. Er hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch das Recht, eingehende Gebühren in Besitz zu nehmen und sie im Rahmen des Erforderlichen für Aufwendungen und Vorschüsse auf die spätere Vergütung zu verwenden (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005, IX ZR 139/04). Die diesbezügliche Zugriffsberechtigung des Kanzleiabwicklers ergibt sich aus dessen gesetzlich normierter Verfügungsberechtigung.

Allerdings war im Streitfall auch die Beklagte als Insolvenzverwalterin über das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts I. berechtigt, dessen Bankguthaben einzuziehen. Diese war nämlich bereits vor der am 24.07.2007 erfolgten Bestellung des Klägers zum Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei I. durch Beschluss vom 20.07.2007 zur vorläufigen Insolvenzverwalterin über das Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts I. mit Zustimmungsvorbehalt bestellt und ermächtigt worden, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die streitgegenständlichen Gelder befanden sich auch nicht auf einem gesonderten Abwicklungskonto, sondern wurden auf das vormals von dem Schuldner unterhaltene Privat- und Geschäftskonto überwiesen und von dort auf das von der Beklagten eingerichtete Insolvenzanderkonto transferiert.

a)

Da sich weder aus den Vorschriften der BRAO noch aus denjenigen der Insolvenzordnung entnehmen lässt, dass einer der Parteien hinsichtlich des Rechts zur Inbesitznahme der auf dem Geschäftskonto eingehenden Gelder der Vorrang gebührt (so auch Sattler/Rickert, ZInsO 2006, 76; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340), ergibt sich in derartigen Situationen - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Kanzleiabwickler und dem Insolvenzverwalter, die gleichermaßen zur Verfügung über die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden Honorare berechtigt sind. Dieses Konkurrenzverhältnis ist auch nach Auffassung des Senats dahin aufzulösen, dass die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden oder von dem Abwickler eingezogenen Gebühren bis zum Ende der Abwicklung bei dem Abwickler zu verbleiben haben, der hieraus die laufenden Ausgaben bestreiten sowie Vorschüsse auf seine Vergütung entnehmen darf.

Anderenfalls würde zum Einen das Institut der Abwicklung, das durch die Insolvenz eines Rechtsanwalts nicht entbehrlich wird, da beide Amtsträger unterschiedliche Ziele verfolgen, in sinnwidriger Weise entwertet. Die Bestellung eines Kanzleiabwicklers dient dem Zweck, eine "verwaiste" Kanzlei nach dem Tod bzw. Zulassungsverlust des Kanzleiinhabers einem möglichst schnellen Ende zuzuführen (vgl. Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 55 BRAO Rn. 3). Der Kanzleiabwickler soll im Interesse der Mandanten und der Rechtssicherheit die laufenden Angelegenheiten sicherstellen, fortführen und abwickeln (vgl. Sattler/Rickert, ZInsO 2006, 76; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339; Nolzen. Die Abwicklung einer Rechtsanwaltskanzlei, Diss. 2008, S. 20 ff.). Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist dagegen auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger gerichtet. Seine auch dem öffentlichen Interesse, nämlich der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft, dienenden Aufgaben kann der Abwickler nur sinnvoll wahrnehmen, wenn er über alle für die Abwicklung benötigten Gegenstände, Güter, Unterlagen und Einrichtungen verfügen kann (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 30.11.2006, 6 U 220/06, BeckRS 2007, 04456).

Entscheidend kommt zum Anderen hinzu, dass kein berechtigtes Interesse der Masse daran besteht, dass der Insolvenzverwalter die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden Gelder bereits während der Abwicklung in Besitz nimmt. Unter der Geltung der Konkursordnung wurde aus der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 6 KO, nach der diejenigen Aufwendungen, die zur Erhaltung und Mehrung des Nachlasses eingesetzt wurden, als Masseschulden vorrangig zu befriedigen waren, gefolgert, dass auch die Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche des Abwicklers Vorrang vor sonstigen Masseschulden haben, da der amtlich bestellte Kanzleiabwickler eine Art besondere Nachlasspflegschaft übernehme (vgl. Sattler/Rickert, ZInsO 2006, 76, 77; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340; LG Hamburg, NJW 1994, 1883 f.). Nach §§ 53, 54, 55, 209 InsO sind zwar die Vergütungs- und Auslagenansprüche des Insolvenzverwalters neben den Gerichtskosten als einzige Kosten des Insolvenzverfahrens privilegiert. Gleichwohl ist der Senat mit der herrschenden Meinung der Auffassung, dass Vergütungs- und Auslagenansprüche des Abwicklers - nunmehr analog § 324 Abs. 1 Nr. InsO - denjenigen des Insolvenzverwalters vorgehen (vgl. OLG Celle, BRAK-Mitteilungen 2002, 198 f.; Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 Rn. 84; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340; Siegmann in: Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl., § 324 Rn. 12; Marotzke in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2002, § 1967 Rn. 38; vgl. auch OLG Rostock, a.a.O., für den Fall, dass der Abwickler vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt wurde; vgl. auch Ueberfeldt, DStR 2008, 2386, 2388 für die Abwicklung einer Steuerberaterpraxis a. A. wohl Nolzen, a.a.O., S. 226 f., der eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise vertritt, die indes weder praktikabel noch aus Gründen der Rechtssicherheit vertretbar erscheint). Hierfür spricht zunächst, dass die Abwicklung auch der Insolvenzmasse zugute kommen kann, soweit aus ihr Honorarforderungen entstehen, die als Überschuss in die Insolvenzmasse eingehen (vgl. auch Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 Rn. 84). Darüber hinaus rechtfertigt auch der Umstand, dass die Tätigkeit des Abwicklers öffentlichen Interessen dient, eine Privilegierung der Vergütungsforderungen des Abwicklers. Könnte der Abwickler wegen seines Vergütungsanspruchs nur quotale Befriedigung aus der Masse erlangen, so könnte dieser die Rechtsanwaltskammer, welche eine nachrangige Bürgenhaftung trifft, in Anspruch nehmen. Es erscheint aber nicht gerechtfertigt, dass die Rechtsanwaltschaft - finanziell - das Risiko der Insolvenz eines ihrer früheren Mitglieder zu tragen hat, obwohl die Abwicklung, die gerade auch die Sicherheit des Rechtsverkehrs bezweckt, im allgemeinen Interesse liegt. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass die Übernahme der Abwicklung nicht im Belieben des Abwicklers steht. Dieser kann die Übernahme vielmehr nach § 55 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 53 Abs. 5 S. 3 und 4 BRAO nur aus wichtigem Grund ablehnen, wozu u.a. Arbeitsüberlastung, gesundheitliche Gründe und die Gefährdung seiner eigenen Leistungsfähigkeit zählen können, nicht aber die Liquiditätsschwäche der abzuwickelnden Rechtsanwaltskanzlei (vgl. Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 BRAO Rn. 26; Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl. 2008, § 55 Rn. 3). Da die Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer nur hinsichtlich der Vergütung des Abwicklers, nicht jedoch bezüglich seiner Aufwendungsersatzansprüche besteht (vgl. Kleine-Cosack, a.a.O., § 55 Rn. 7), müsste der Abwickler, der nur quotale Befriedigung aus der Masse erlangt, das Risiko tragen, mit seinen Aufwendungsersatzansprüchen teilweise auszufallen. Gegen eine Gleichstellung der Abwicklervergütung mit den Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO spricht letztlich auch, dass diese auf Handlungen des Insolvenzverwalters beruhen oder in anderer Weise aus der Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Masse in der Verantwortung des Verwalters entstanden sind, was auf die Tätigkeit des Abwicklers nicht zutrifft (vgl. OLG Celle, a.a.O.).

Sind danach Vergütungs- und Aufwendungsansprüche des Abwicklers vorrangig vor sonstigen Masseschulden zu befriedigen, so wird die Masse nicht geschmälert, wenn dem Abwickler die eingehenden Gebühren - bis auf einen sich bei Ende der Abwicklung ergebenden Überschuss, der dann ohnehin herauszugeben ist - zur Fortführung seiner Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden. Damit besteht grundsätzlich auch kein Interesse des Insolvenzverwalters daran, die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden Gebühren bereits während der Abwicklung zur Masse zu ziehen.

b)

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Abwickler Überschüsse erwirtschaftet, die offensichtlich für die weitere Abwicklung nicht benötigt werden, bedarf keiner Entscheidung. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die darlegungspflichtige Beklagte keine Tatsachen vorgetragen hat, die darauf schließen lassen, dass vorliegend entsprechende Überschüsse erwirtschaftet worden sind.

Die Beklagte trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Überschüsse vorhanden sind, welche zur Fortführung der Abwicklung nicht benötigt werden. Würde nämlich die Beklagte einen Herausgabeanspruch aus § 667 BGB gegen den Kläger geltend machen, müsste sie dessen Voraussetzungen beweisen. In diesem Fall träfe den Kläger auch nicht die Beweislast dafür, dass auf dem Geschäftskonto des Schuldners vorhandenes Guthaben für die weitere Abwicklung benötigt wird, da der Auftraggeber für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs aus § 667 BGB beweispflichtig ist, während der Auftragnehmer nur die bestimmungsgemäße Verwendung der Gelder beweisen muss (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005, IX ZR 139/04, zitiert nach juris; vgl. auch Nolzen, a.a.O., S. 212). Die Beklagte könnte sich insofern auch nicht mit Erfolg auf die Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse berufen, da ihr gemäß § 666 BGB ein Auskunftsanspruch über den Stand der Geschäfte zusteht (vgl. auch BGH, a.a.O.; Nolzen, a.a.O.). Diesen muss sie gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen.

Die Tatsache, dass die Beklagte die Gelder bereits auf das von ihr geführte Anderkonto hat transferieren lassen, vermag an dieser Beweislastverteilung nichts zu ändern. Es ist allgemein anerkannt, dass - auch über die Fälle der Eingriffskondiktion hinaus (vgl. hierzu Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 812 Rn. 370) - derjenige, der Verfügungen über fremde Konten bzw. Sparbücher trifft, die Beweislast für seine Verfügungsberechtigung trägt (vgl. BGH, NJW 1986, 2107, 2108; OLG Bamberg, ZEV 2004, 207, 208; OLG Köln, NJW 1993, 939 f.). Dieser Grundsatz ist wegen der vergleichbaren Interessenlage auf den Streitfall übertragbar.

c)

Auch die von der Beklagten vorgetragene Vereinbarung, wonach besprochen worden sei, dass der Kläger die "laufenden" Akten übernehme, während sie diejenigen Unterlagen in Besitz nehme, in welchen Forderungen gegen Mandanten aus abgeschlossenen Akten offen stünden, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Nach der Sachdarstellung der Beklagten haben die Parteien lediglich die Besitzverhältnisse bezüglich der Akten geregelt. Eine derartige Regelung besagt aber nicht, dass die Parteien rechtsverbindlich vereinbart haben, der Beklagten sollten die Honorare auf Dauer zufließen. Soweit die Beklagte schließlich in der Berufungsbegründung ausführt, bei der Aufteilung der Akten sei keine Regelung darüber getroffen worden, dass die eingezogenen Gelder an den Kläger auszukehren seien, trägt sie selbst nicht vor, der Kläger sei damit einverstanden gewesen, dass die Gelder ihr zufließen sollten.

2.

Die Berufung ist hingegen begründet, soweit die Beklagte sich gegen die Feststellung wendet, sie sei verpflichtet, bei ihr eingehendes Fremdgeld und eingehende Honorare, die aus einem Mandatsverhältnis mit dem früheren Rechtsanwalt H.I. resultieren, an den Kläger zu zahlen.

a)

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte Honorarzahlungen, die auf ihrem Insolvenzverwalteranderkonto eingehen, an ihn auskehrt. Ein solcher Anspruch lässt sich nicht aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO herleiten. Danach darf der Abwickler "die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts" in Besitz nehmen. Ausstehende Gebühren sind aber weder "zur Kanzlei gehörende Gegenstände" noch "Treugut". Zwar ist unter einem "Gegenstand" alles zu verstehen, was Objekt von Rechten sein kann (vgl. Nolzen, a.a.O., S. 123; Heinrichs/Ellenberger in: Palandt, BGB, 68. Aufl., vor § 90 Rn. 2). Auch ist der Kanzleiabwickler nach § 55 Abs. 3 BRAO berechtigt, ausstehende Honroraransprüche einzuziehen. Hiervon ist aber ein Herausgabeverlangen gegenüber einem Dritten, der die Außenstände bereits berechtigterweise eingezogen hat, zu unterscheiden. Auch aus der Tatsache, dass der Abwickler nach § 55 Abs. 3 BRAO zur Einziehung ausstehender Honoraransprüche des früheren Rechtsanwalts nicht verpflichtet ist, lässt sich entnehmen, dass Außenstände nicht schlechthin dem Zugriff des Abwicklers unterliegen. Vielmehr gehört die Einziehung ausstehender Honorare nicht primär zu den Aufgaben des Abwicklers, sondern fällt in den Pflichtenkreis des früheren Anwalts, seiner Erben bzw. seines Nachlassverwalters (vgl. auch Schwärzer, BRAK-Mitteilungen 2008, 108). Treugut können schließlich nur solche Gegenstände sein, die bereits vorhandenes Treugut der konkreten Kanzlei sind (so auch Nolzen a.a.O., S. 124). Das ergibt sich bereits daraus, dass es sich um der anwaltlichen Verwahrung unterliegende Werte handeln muss.

b)

Auch ein Herausgabeanspruch des Klägers hinsichtlich zukünftig bei der Beklagten eingehender Fremdgelder besteht nicht.

Insoweit steht den Mandanten des Insolvenzschuldners gegen diesen ein Herausgabeanspruch aus § 667 BGB zu. Diesen muss die Beklagte, soweit Fremdgelder bei ihr eingehen, nach § 80 InsO erfüllen (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005, IX ZR 139/04, zitiert nach juris). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger zum Abwickler der Kanzlei des Insolvenzschuldners bestellt worden ist, da hiervon die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen des Insolvenzschuldners nicht berührt werden. Vielmehr bestehen die gesetzlichen Pflichten des Abwicklers unabhängig von und neben den privatrechtlichen Pflichten des Insolvenzschuldners (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1999, VIII ZR 131/98, zitiert nach juris).

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4.

Der Senat lässt die Revision zu, da die Frage, ob dem Kanzleiabwickler hinsichtlich des Rechts zur Inbesitznahme der auf dem Geschäftskonto des früheren Rechtsanwalts eingehenden Gelder bei einer sich zeitlich mit der Abwicklung überschneidenden Bestellung eines Insolvenzverwalters der Vorrang gebührt, grundsätzliche Bedeutung hat und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2005 - IX ZR 139/04 - nicht abschließend geklärt ist.






OLG Köln:
Urteil v. 04.11.2009
Az: 17 U 40/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/9108125dd745/OLG-Koeln_Urteil_vom_4-November-2009_Az_17-U-40-09




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