Landgericht Bonn:
Urteil vom 25. März 2014
Aktenzeichen: 10 O 299/13

(LG Bonn: Urteil v. 25.03.2014, Az.: 10 O 299/13)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 41.320,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.05.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Rückzahlung einer Anleihe nach erklärter außerordentlicher Kündigung.

Am 29.01.2010 erwarb der Kläger über die E AG eine Inhaberschuldverschreibung im Nominalwert von 40.000 EUR (im Folgenden "Klägeranleihe"). Die Klägeranleihe war mit 6.125% p.a., nachträglich zahlbar am 21.01. eines jeden Jahres, verzinst. Sie hatte eine feste Laufzeit bis zum 21.01.2017. Gleichzeitig mit der Klägeranleihe wurden von der Beklagten weitere Inhaberschuldverschreibungen im Gesamtvolumen von 400.000.000 EUR auf der Grundlage einheitlicher Anleihebedingungen, die als Anlage K 1 und B1 zur Akte gereicht wurden (im Folgenden "Anleihebedingungen"), ausgegeben.

Gemäß § 9 der Anleihebedingungen war der Inhaber (u.a.) dann berechtigt, die Anleihe außerordentlich zu kündigen und deren sofortige Rückzahlung zu ihrem Nennbetrag zuzüglich etwaiger aufgelaufener Zinsen zu verlangen, falls:

"Ein Gericht ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin eröffnet oder die Emittentin ein solches Verfahren einleitet oder beantragt oder eine allgemeine Schuldenregelung zu Gunsten ihrer Gläubiger anbietet oder trifft oder ein Dritter ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin beantragt und ein solches Verfahrens nicht innerhalb einer Frist von 60 Tagen aufgehoben oder ausgesetzt wird."

Gemäß § 1 Abs. 7 der Anleihebedingungen wurde Annex 2 des Emissions- und Zahlstellenvertrags vom 19. Januar 2010 ("Annex 2") in die Anleihebedingungen einbezogen. Annex 2 enthält Verfahrensregelungen, die im Wesentlichen dem Schuldverschreibungsgesetz ("SchVG") nachgebildet sind. In § 11 Abs. 1 der Anleihebedingungen wurden Mehrheitsbeschlüsse über alle gesetzlich zugelassenen Beschlussgegenstände eingeführt, die gemäß § 11 Abs. 2 für alle Gläubiger gleichermaßen verbindlich sind. Gemäß § 11 Abs. 3 der Anleihebedingungen bedurften solche Beschlüsse grundsätzlich einer Mehrheit von 75% der teilnehmenden Stimmrechte.

Am 24.01.2013 gab die Beklagte in einer Adhoc Mitteilung bekannt, dass wegen wettbewerbswidriger Marktbedingungen gravierende Einschnitte bei den Verbindlichkeiten der Gesellschaft, insbesondere bei den ausgegeben Anleihen (neben der Schuldverschreibung, zu der die Klägeranleihe gehörte, hatte die Beklagte 2011 noch eine weitere Anleihe über 150.000.000 EUR begeben), erforderlich würden, dass aber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die erforderlichen finanzwirtschaftlichen Restrukturierungen und notwendigen Maßnahmen operativer Art umgesetzt werden können und somit eine positive Fortführungsprognose bestehe.

Am 17.04.2013 machte der Vorstand die Mitteilung, dass ein Verlust des halben Grundkapitals eingetreten sei.

In einer weiteren Adhoc Mitteilung vom 30.04.2013 gab die Beklagte bekannt, dass mit wesentlichen Schuldscheingläubigern eine vorläufige Einigung über die Restrukturierung der Finanzverbindlichkeiten erzielt worden sei und dass beabsichtigt würde, ca. 60 % der Finanzverbindlichkeiten in Eigenkapital umzuwandeln.

Mit Anwaltsschreiben vom 10.05.2013 kündigte der Kläger die Klägeranleihe außerordentlich aus wichtigem Grund und verlangte Anerkennung der Rückzahlungspflicht der Anleihesumme zzgl. Zinsen innerhalb einer Frist von 3 Wochen sowie unverzügliche Zahlung des Rückzahlungsbetrags. Mit Schreiben vom 17.05.2013 wies der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Forderung zurück.

Am 20.06.2013 machte die Beklagte im Bundesanzeiger die Einberufung der Anleihegläubigerversammlung, in der über das Restrukturierungskonzept abgestimmt werden sollte, bekannt. Die einberufene Gläubigerversammlung erreichte jedoch nicht das für die Beschlussfähigkeit erforderliche Quorum. Am 12.07.2013 wurde die Einberufung zur zweiten Gläubigerversammlung im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Am 06.08.2013 stimmten die Anleihegläubiger in der zweiten Versammlung mit dem erforderlichen Quorum dem Restrukturierungskonzept, nach welchem sämtliche Anleihen dieser Tranche, und somit auch die Klägeranleihe, in Erwerbsrechte bezüglich von Anleihen mit reduziertem Nennwert sowie bezüglich von neuen Aktien an der Beklagten umgetauscht werden sollten, mit 99,8% der teilnehmenden Stimmen zu. Des Weiteren wurde auf die Ausübung von Kündigungsrechten bis zum 31.12.2014 verzichtet.

Die Hauptversammlung der Beklagten hat am 14.10.2013 die Einbringung von Teilen der Anleiheforderungen gegen die Ausgabe von neuen Aktien im Wege der Sachkapitalerhöhung beschlossen.

Mit Beschluss vom 13.01.2014 hat das OLG Köln den Vollzug des Beschlusses der Gläubigerversammlung trotz anhängiger Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gemäß § 246a AktG freigegeben.

Am 31.01.2014 sind die Schuldverschreibungen der Anleihe, einschließlich der Klägeranleihe, in Vollziehung des Beschlusses der Gläubigerversammlung auf die X AG übertragen worden. Mit Einbringungs- und Erlassvertrag vom 14.02.2014 hat die X AG die Anleihe im Wege des Erlasses unter der aufschiebenden Bedingung der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Eigenkapital der Klägerin eingebracht. Die Kapitalerhöhung ist am 24.02.2014 in das Handelsregister der Klägerin eingetragen worden.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Vorlage des Restrukturierungskonzepts durch die Beklagte als das Angebot einer allgemeinen Schuldenregelung i.S.d. § 9 der Anleihebedingungen anzusehen sei, so dass ein außerordentliches Kündigungsrecht bestanden habe. Jedenfalls habe ein wichtiger Grund gemäß § 314 BGB vorgelegen.

Die erfolgte Umsetzung des Restrukturierungskonzepts bestreitet der Kläger mit Nichtwissen. Der Kläger ist außerdem der Ansicht, dass die zwischenzeitliche Umsetzung des durch die Gläubigerversammlung beschlossenen Restrukturierungskonzept sich auf den aufgrund der erklärten Kündigung der Anleihe entstandenen Rückzahlungsanspruch nicht auswirke, weil die Beklagte sich gemäß § 242 BGB auf den Umtausch der Anleihe nicht berufen dürfe. Jedenfalls bestünde der Anspruch als Schadensersatzanspruch fort.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 41.320,77 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 10.05.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bonn.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe seine Aktivlegitimation jedenfalls durch Umsetzung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung verloren. Seine Schuldverschreibung existiere nicht mehr.

Die Beklagte ist außerdem der Ansicht, aus dem systematischen Zusammenhang ergebe sich, dass mit allgemeine Schuldenregelungen i.S.d. § 9 der Anleihebedingungen nur staatliche insolvenzähnliche Verfahren zur Reorganisation gemeint seien. Die Restrukturierung stelle auch keinen wichtigen Grund i.S.d. § 314 BGB dar. Die Kündigung sei, das Bestehen eines Kündigungsrechts unterstellt, außerdem treuwidrig. Den Anleihegläubiger treffe aus dem SchVG eine Treuepflicht, die es ihm verbiete, sich entgegen der Interessen der Gläubigergemeinschaft einen individuellen Vorteil zu verschaffen.

Ferner ist die Beklagte der Ansicht, dass, da die Gläubigerversammlung mit einfacher Mehrheit gemäß § 5 Abs. 2 SchVG die Unwirksamkeit einer Gesamtkündigung beschließen könne, ein kollektiv beschlossener Kündigungsverzicht auch dazu führen müsse, dass einer vorher bereits erklärten Individualkündigung die Grundlage entzogen würde.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 05.08.2013, vom 11.12.2013 und vom 04.03.2014 sowie der Beklagten vom 08.10.2013, vom 18.02.2014, bei Gericht am 10.03.2014 undatiert eingegangen, und vom 17.03.2014, jeweils mit den zugehörigen Anlagen, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und - mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung - begründet.

I.

Das Landgericht Bonn ist örtlich zuständig. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten (§ 17 ZPO) ist in Bonn. Die Gerichtstandvereinbarung in § 15 Abs. 2 der Anleihebedingungen begründet nach ihrem Wortlaut keinen ausschließlichen Gerichtsstand, und da der Kläger kein Kaufmann ist, wäre gemäß § 38 Abs. 3 ZPO eine im Vorhinein mit dem Kläger vereinbarte Gerichtsstandvereinbarung ohnehin nicht zulässig.

II

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 41.320,77 EUR aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 Abs. 1 S.1, 287 S. 2 BGB.

Der Kläger hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in der genannten Höhe aus einer Anleihe gemäß § 488 Abs. 1 S. 2 BGB. Dieser Anspruch ist infolge der Durchführung des Beschlusses der Gläubigerversammlung zu einem Zeitpunkt, in welchem die Beklagte mit der Rückzahlungsverpflichtung in Verzug war, wegen Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs.1 BGB untergegangen.

1.

Der Kläger hat die Anleihe mit Schreiben vom 10.09.2010 wirksam außerordentlich gekündigt.

a)

Ein Kündigungsrecht bestand gemäß § 9 Abs. 1 e) der Anleihebedingungen. Die Beklagte hat i.S.d. § 9 d Abs. 1 e) eine allgemeine Schuldenregelung zugunsten ihrer Gläubiger angeboten.

Was genau mit einer "allgemeinen Schuldenregelung zugunsten der Gläubiger" gemeint ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Diese Unklarheit geht gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten der Beklagten. Bei den Anleihebedingungen handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 BGB, weil die Beklagte sie für eine Verwendung in einer Vielzahl von Verträgen, nämlich den Verträgen mit sämtlichen Anleihegläubigern, vorformuliert hatte.

Die Ankündigung eines Restrukturierungskonzepts, bei dem Anleiheforderungen in Eigenkapital umgewandelt werden, kann unschwer als Angebot einer Schuldenregelung bezeichnet werden, weil der Begriff "Schuldenregelung" sehr unbestimmt ist. Zweifelhaft erscheint es sprachlich nur, ob diese mit dem Restrukturierungskonzept durch die Beklagte vorgeschlagene Schuldenregelung als "allgemein" und als "zugunsten ihrer Gläubiger" bezeichnet werden kann. Ein Blick in die unmittelbar neben der deutschen Fassung abgedruckte englische Fassung der Anleihebedingungen legt es durchaus nahe, dass diese Auslegung tatsächlich der Intention des Verwenders entspricht. In der englischen Fassung heißt es: "offers [...] an arrangement for the benefit of its creditors generally". Gemeint ist also, dass ein "Arrangement" zum Wohle der Gläubiger im Allgemeinen angeboten wird. Da die englische Fassung gemäß § 16 der Anleihebedingungen unverbindlich ist, bedarf es keiner Analyse, inwiefern ein Beschluss der Gläubigerverssammlung nach SchVG mit einem "Arrangement" im angloamerikanischen Rechtsverständnis vergleichbar ist. Entscheidend ist aus Sicht der Kammer, dass in den Anleihebedingungen ein Kündigungsrecht für den Fall vorgesehen wurde, dass von Seiten der Beklagten die Initiative zu einer allgemeinen Schuldenregelung ergriffen wird, die - in irgendeiner Art und Weise - den Gläubigern zugutekommt. Da in den Angebotsbedingungen von einem "Angebot" die Rede ist, kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Gläubiger zu der Annahme dieses Restrukturierungskonzepts gezwungen werden können.

Die Beklagte hatte im vorliegenden Fall ein generelles Restrukturierungskonzept vorgelegt, das erforderlich war, um eine positive Fortführungsprognose stellen zu können. Für die Anleihegläubiger, die die wesentlichen Fremdkapitalgeber waren, handelte es sich dabei um eine allgemeine Regelung. Da durch diese Maßnahme der Fortbestand der Beklagten gesichert werden sollte, lässt sich auch sagen, dass diese Schuldenregelung zumindest in gewisser Weise auch zugunsten der Gläubiger insgesamt getroffen werden sollte.

Aus der Überschrift "Insolvenz o.ä." ist aus Sicht der Kammer nicht abzuleiten, dass diese Kündigungsregelung nur im Falle von insolvenzähnlichen, sämtliche Gläubiger einbeziehenden staatlichen Verfahren anwendbar sein soll (dagegen LG Frankfurt, Urteil vom 22.01.2014 - 2-17 O 104/13 - nicht veröffentlicht). Ein überhaupt erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstehendes Kündigungsrecht wäre wirtschaftlich völlig sinnlos. Eine Maßnahme, mit der die Schuldnerin zur Abwendung einer Insolvenz die wesentlichen Gläubigergruppen dazu aufruft, per Mehrheitsbeschluss auf Teile ihrer Forderung zu verzichten, kann außerdem nach Meinung der Kammer durchaus als ein insolvenznahes Verfahren betrachtet werden. Ein solcher Verzicht erfolgt niemals wirklich freiwillig. Gläubiger, die dem Verzicht zustimmen, werden dies nur unter dem Eindruck des anderenfalls drohenden Insolvenzverfahrens tun.

b)

Neben dem Kündigungsrecht gemäß der Anleihebedingungen bestand ein Kündigungsrecht außerdem, wie das LG Köln (Urteile vom 26.01.2012 - 30 O 13/11, 30 O 14/11, 30 O 63/11 - die letztgenannte Entscheidung veröffentlich in BB 2012, 1821) in ähnlichen Verfahren zutreffend ausgeführt hat, auch gemäß § 314 BGB (dagegen LG Frankfurt, Urteil vom 22.01.2014 - 2-17 O 104/13; Trautrims, BB 2012, 1823ff.).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Anwendbarkeit des § 314 BGB im vorliegenden Fall nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil - anders als in den vom LG Köln (a.a.O.) entschiedenen Fällen - in den Anleihebedingungen ein Katalog von Kündigungsrechten vereinbart war. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund kann (über die Regelung des § 5 Abs. 5 SchVG hinaus, auf die näher unter 2.b) eingegangen wird) nicht wirksam in den Anleihebedingungen beschränkt werden (vgl. Horn, BKR 2009, 446,450). Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, dass die Anleihebedingungen im vorliegenden Fall eine solche Beschränkung beabsichtigt haben.

2.

Die Ausübung des Kündigungsrechts verstößt auch nicht gegen § 242 BGB.

a)

Anders als unter Gesellschaftern, existieren unter Gläubigern keine Treuepflichten (LG Köln, a.a.O.; kritisch Paulus, WM 2012, 1109, 1111). Das SchVG schafft eine gesetzliche Grundlage dafür, Gläubiger einer Anleihe Mehrheitsbeschlüssen unterwerfen zu können. Dies kann nach Auffassung der Kammer jedoch nicht als gesetzliche Wertentscheidung dahingehend verstanden werden, dass Anleihegläubiger grundsätzlich verpflichtet sind, im Falle von finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners die Restrukturierung gemeinsam loyal zu tragen (anders wohl Paulus, WM 2012, 1109ff.).

b)

Aus der Regelung des § 5 Abs. 5 SchVG ergibt sich nach Meinung der Kammer hingegen ein starkes systematisches Argument dafür, dass die Einzelkündigung des Gläubigers grundsätzlich zulässig bleibt. Die in § 5 Abs. 5 SchVG vorgesehene Möglichkeit, die Kündigung in den Anleihebedingungen dahingehend zu beschränken, dass diese nur einheitlich durch eine gemeinsame Erklärung von mehreren Schuldverschreibungsgläubigern (allerdings maximal 25%) ausgeübt werden kann, setzt voraus, dass die Einzelkündigung ohne eine solche Beschränkung zulässig bleibt. Sofern die §§ 5 bis 21 des SchVG in den Anleihebedingungen für anwendbar erklärt werden, kann von ihnen auch nicht zum Nachteil der Gläubiger abgewichen werden. Die einzige zulässige Beschränkung des Kündigungsrechts der Anleihegläubiger ergibt sich demnach aus § 5 Abs. 5 SchVG. Da von dieser Beschränkung im vorliegenden Fall kein Gebrauch gemacht wurde, stand es dem Kläger frei, die Kündigung aus wichtigem Grund zu erklären und darauf zu hoffen, auf diese Weise mehr zurückzuerhalten als nach einer Durchführung des Restrukturierungskonzepts erwarten durfte.

c)

Der Kündigung des Klägers wurde auch nicht die Grundlage dadurch entzogen, dass nach der Kündigung durch die Gläubigerversammlung kollektiv ein Kündigungsverzicht beschlossen wurde. Anstatt, wie die Beklagte es vertritt, aus § 5 Abs. 5 SchVG den Schluss zu ziehen, dass, wenn die Gläubigermehrheit sogar die Wirkung einer erklärten "Gesamtkündigung" aufheben kann, dies für eine einzelne Kündigung erst Recht gelten müsse (ähnlich auch Paulus, WM 2012, 1109, 1112), hält die Kammer den zuvor unter b) ausgeführten Umkehrschluss für viel naheliegender. Die Gläubigerversammlung kann nur beschließen, wozu sie gemäß §§ 5ff. SchVG bzw. (zulässigerweise) in den Anleihebedingungen ermächtigt wurde. Für die Aufhebung der Wirkung einer Einzelkündigung fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

d)

Auch das von Beklagtenseite angeführte Argument, einzelne Gläubiger würden sich durch die Kündigungsmöglichkeit ggf. einen Sondervorteil verschaffen, greift nach Ansicht der Kammer nicht durch. Es steht - in Ermangelung anderslautender Regelungen - sämtlichen Gläubigern das Recht zu, die Anleihe zu kündigen. Führt dies zu einer Insolvenz der Schuldnerin, stellen Insolvenzvorschriften und insbesondere Anfechtungsvorschriften sicher, dass eine Gleichbehandlung der Gläubiger gewahrt bleibt. Es liegt somit in der Hand der Gläubiger, ob sie das Restrukturierungskonzept mittragen oder über das Schicksal der Schuldnerin "mit den Füßen" abstimmen wollen. Der Emittent, der sich in eine finanzielle Schieflage gewirtschaftet hat, kann hingegen nicht unter Berufung auf § 242 BGB Schutz seiner außergerichtlichen Sanierungsbemühungen verlangen, wenn es dafür keine ausdrückliche gesetzliche oder vertragliche Grundlage gibt.

3.

Der Rückzahlungsanspruch aus der Klägeranleihe ist durch Einbringung der Klägeranleihe in das Vermögen der Beklagten jedoch gemäß § 275 BGB untergegangen. Die Klägeranleihe existiert nicht mehr.

a)

Gemäß § 5 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 5 SchVG i.V.m. § 11 Abs. 1 und 2 der Anleihebedingungen kann die Gläubigerversammlung mit Mehrheitsbeschluss für alle Gläubiger derselben Anleihe verbindlich einen Umtausch der Schuldverschreibungen beschließen. Ein solcher Beschluss ist am 06.08.2013 wirksam zustande gekommen. Die gemäß § 11 Abs. 3 der Anleihebedingungen erforderliche Mehrheit von 75% der teilnehmenden Stimmrechte wurde erreicht.

Der Kläger war auch Inhaber einer von diesem Mehrheitsbeschluss betroffenen Anleihe. Durch die Kündigung ist das entsprechende Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht unmittelbar erloschen. Die Klägeranleihe war, im Gegensatz zu den nicht außerordentlich gekündigten Anleihen, lediglich sofort zur Rückzahlung fällig. Die Regelungen des SchVG bleiben jedoch nach zutreffender Ansicht anwendbar, wenn die Laufzeit der individuellen Anleihe durch Kündigung vorzeitig beendet wurde, jedenfalls solange die Rückzahlung noch nicht erfolgt ist (vgl. Horn, BKR 2009, 446, 448).

b)

Der Beschluss war auch nicht nichtig. Es ist davon auszugehen, dass Beschlüsse der Gläubigerversammlung, die an schweren und offenkundigen Mängeln leiten, ohne Weiteres nichtig sind (vgl. Maier-Reimer, NJW 2010, 1317, 1319; Podewils, DStR 2009, 1914, 1918). Ein solcher schwerwiegender Beschlussmangel ist jedoch nicht ersichtlich. Daher kann dahinstehen, ob der Beschluss, nachdem er mittlerweile aufgrund der Freigabe durch das OLG Köln umgesetzt wurde, überhaupt noch rückgängig gemacht werden könnte.

c)

Das Bestreiten der Durchführung des Beschlusses der Gläubigerversammlung durch den Kläger mit Nichtwissen ist gemäß § 138 Abs. 4 ZPO nicht zulässig. Zumindest das Ergebnis der Durchführung war Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung. Nach seinem eigenen Vortrag wurden ihm im Austausch für die Klägeranleihe Erwerbsrechte gutgeschrieben.

d)

Die Beklagte ist, entgegen der Ansicht des Klägers, auch nicht gemäß § 242 BGB daran gehindert, sich auf den zwischenzeitlich erfolgten Umtausch der Klägeranleihe zu berufen.

Die Beklagte macht nicht, wie der Kläger meint, gemäß § 797 BGB den formalen Einwand geltend, dass der Kläger die über die Klägeranleihe ausgestellte Urkunde nicht mehr Zugum-Zug gegen Zahlung aushändigen könne. Vielmehr beruft die Beklagte sich zutreffend darauf, dass die Klägeranleihe, wie alle Anleihen dieser Schuldverschreibung, nach dem Vollzug des Beschlusses der Gläubigerversammlung nicht mehr existiert.

4.

Zu dem Zeitpunkt der Einbringung der Klägeranleihe in das Vermögen der Beklagten, durch welche die Rückzahlung an den Kläger unmöglich wurde, befand die Beklagte sich gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB allerdings in Verzug, weil die Beklagte mit Schreiben vom 17.05.2013 die Rückzahlung ernsthaft und endgültig verweigert hatte. Anhaltspunkte für ein fehlendes Vertretenmüssen der Beklagten sind nicht ersichtlich.

5.

Durch die Unmöglichkeit der Rückzahlung ist dem Kläger ein Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden. Darauf, dass in der durch das OLG Köln freigegebenen Durchführung des Beschlusses der Gläubigerversammlung kein Verschulden der Beklagten gesehen werden kann, kommt es nicht an, weil gemäß § 287 S. 2 BGB die Beklagte auch für den zufälligen Untergang haftete.

Der Umstand, dass dem Kläger im Gegenzug für die verlorene Klägeranleihe Erwerbsrechte zugeschrieben wurden, mindert den Schaden nicht, da der Kläger der Beklagten die Übertragung dieser Rechte angeboten hat. Der Kläger muss sich nicht darauf einlassen, die Erwerbsrechte zu behalten und nur - gegebenenfalls - die Wertdifferenz zu seinem erloschenen Rückzahlungsanspruch als Schaden geltend zu machen.

6.

Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht gemäß § 254 BGB wegen eines Mitverschuldens des Klägers ausgeschlossen.

a)

Der Kläger war nach Meinung der Kammer nicht verpflichtet, das Unmöglichwerden der Rückzahlung der Anleihe durch Anfechtung des Beschluss der Gläubigerversammlung gemäß § 20 SchVG bzw. § 11 des Annex 2 zu verhindern. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Sinn der durch das SchVG eingeführten Anfechtungsmöglichkeit weniger darin besteht, einen Rechtsschutz zu eröffnen, als vielmehr darin, ihn zu beschränken und ihn zu kanalisieren und dadurch Rechtssicherheit für den Schuldner und alle gegenwärtigen und künftigen Anleihegläubiger zu schaffen (Maier-Reimer, NJW 2010, 1317). Die Interessen der Beklagten und der übrigen Schuldner sind jedoch nach Meinung der Kammer hinreichend dadurch gewahrt, dass der Beschluss als solcher ohne eine Anfechtung durch einen Gläubiger nicht rückgängig gemacht werden kann.

Eine Anfechtung durch den Kläger hätte die Durchführung des Beschlusses im vorliegenden Fall außerdem aller Voraussicht nach nicht verhindert. Es ist davon auszugehen, dass das OLG Köln auch bei Anhängigkeit einer Anfechtungsklage des Klägers gemäß § 246a AktG die Freigabe beschlossen hätte und der Kläger deshalb ohnehin auf Schadensersatzansprüche verwiesen gewesen wäre (§ 246a Abs. 4 AktG i.V.m. § 20 Abs. 3 SchVG bzw. § 11 Abs. 3 Annex 2).

b)

Der Vorschrift des § 246a Abs. 4 AktG kann auch keine Sperrwirkung dergestalt entnommen werden, dass ein Schadensersatzanspruch ausscheidet, wenn ein Beschluss, dessen Umsetzung einen Anspruch gemäß §§ 280, 287 BGB auslöst, nicht angefochten wurde. Dies ergibt sich schon daraus, dass nicht sicher ist, ob der Kläger die Unwirksamkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung überhaupt erfolgreich hätte geltend machen können. Dass ein fälliger Anspruch des Klägers aus der Anleihe durch die Umsetzung des Beschlusses untergeht, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Beschluss Rechte des Klägers verletzt.

III.

Ein Anspruch auf Verzugszinsen gemäß § 288 Abs. 1 BGB besteht erst seit dem 18.05.2013, weil Verzug gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB erst mit der Erfüllungsverweigerung der Beklagten eingetreten ist. In dem Schreiben des Klägers vom 10.05.2013 war eine Frist von drei Wochen gesetzt, so dass dieses keinen unmittelbaren Verzugseintritt begründen konnte. Seit dem Entfallen des ursprünglichen Rückzahlungsanspruchs folgt der Anspruch auf Verzinsung aus § 291 BGB.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Streitwert: 41.320,77 €






LG Bonn:
Urteil v. 25.03.2014
Az: 10 O 299/13


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