Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Dezember 2000
Aktenzeichen: 30 W (pat) 66/00
(BPatG: Beschluss v. 18.12.2000, Az.: 30 W (pat) 66/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Oktober 1999 aufgehoben, soweit die Löschung der jüngeren Marke angeordnet worden war.
Der Widerspruch aus der Marke 394 08 044 wird erneut zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Bezeichnung ARDEYBIOTIK ist als Marke für folgende Waren im Markenregister eingetragen worden:
"Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie chemische Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für Kinder und Kranke; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von Unkraut und schädlichen Tieren; Fleisch, Fisch, Geflügel, Wild, auch in Form von Extrakten oder Gallerten sowie als Konserven oder in getrockneter oder tiefgekühlter Form; Obst und Gemüse in Form von Extrakten oder Gallerten sowie als Konserven oder getrockneter oder tiefgekühlter Form; Konfitüren; Trockenei- und Flüssigkeitszubereitungen; Milch und Milchprodukte, nämlich Butter, Käse, Sahne, Joghurt und Milchpulver für Nahrungszwecke; Speiseöle und -fette; (alle obengenannten Waren unter Zusatz von lebenden Bakterienkulturen oder Stoffwechselprodukten aus Bakterien als nichtmedizinische Nahrungsergänzungsmittel); Kaffee-, Tee und Kakao-Extrakte und -zubereitungen; Mehle und Getreidepräparate (ausgenommen Futtermittel), Brot, feine Back- und Konditorwaren, Speiseeis; Senf; Würzen, Saucen (ausgenommen Salatsaucen), Gewürzzubereitungen, Salatsaucen; (alle obengenannten Waren unter Zusatz von lebenden Bakterienkulturen oder Stoffwechselprodukten aus Bakterien als nichtmedizinische Nahrungsergänzungsmittel); Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken; (alle obengenannten Waren unter Zusatz von lebenden Bakterienkulturen oder Stoffwechselprodukten aus Bakterien als nichtmedizinische Nahrungsergänzungsmittel); Weine; Spirituosen und Liköre; alkoholhaltige Getränke auf Spirituosen- oder Weingrundlage; (alle obengenannten Waren unter Zusatz von lebenden Bakterienkulturen oder Stoffwechselprodukten aus Bakterien als nichtmedizinische Nahrungsergänzungsmittel)"
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der rangälteren Marke 394 08 044 Agiobiotikdie für folgende Waren eingetragen ist:
"diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke, insbesondere Nahrungsergänzungsmittel, diätetische Lebensmittel für medizinische Zwecke, Präparate für die Gesundheitspflege".
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- (und Marken)amts hat mit Erstbeschluß den Widerspruch zurückgewiesen, mit Zweitbeschluß überwiegend eine Verwechslungsgefahr bejaht und die Löschung der jüngeren Marke mit Ausnahme der Waren "Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von Unkraut und schädlichen Tieren" angeordnet. Zur Begründung ist ausgeführt, wegen der stark ähnlichen bis identischen Waren sowie des Umstands, daß sich die Waren an das breite Publikum wenden, sei ein deutlicher Markenabstand erforderlich. Dieser werde nicht eingehalten, denn die Marken würden deutliche Übereinstimmungen in Silbenzahl, Betonung, Laut- und Vokalfolge besitzen.
Die Inhaberin der jüngeren Marke hat Beschwerde erhoben. Sie ist der Ansicht, der identische Bestandteil "biotik" sei beschreibend und könne daher zur Unterscheidungskraft der Marken nur untergeordnet beitragen. Stelle man aber die anderen Markenbestandteile gegenüber, so würden diese sich wegen der Abweichungen in Silbenfolge, Wortmelodie und Konsonantenfolge signifikant unterscheiden.
Die Markeninhaberin hat keinen förmlichen Antrag gestellt; die Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Beschlüsse der Markenstelle sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Es besteht auch bei identischen Waren keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, so daß der Erinnerungsbeschluß des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben war, soweit er die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet hat. Der Widerspruch aus der Marke 394 08 044 war entsprechend dem Erstbeschluß zurückzuweisen.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt durch Gewichtung von in Wechselbeziehung zueinander stehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke. Ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren kann somit durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (stRspr, zB EuGH MarkenR 1999, 20 - CANON; BGH MarkenR 2000, 359 - Bayer/BeiChem). Nach der maßgeblichen Registerlage können sich die Marken, was die zurückgewiesenen Waren der Klasse 5 betrifft (pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie chemische Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für Kinder und Kranke), auf identischen Waren begegnen; zu den übrigen Waren besteht wohl Warennähe. Die jeweiligen Erzeugnisse richten sich an die allgemeinen Verkehrskreise, so daß als Maßstab der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher anzusetzen ist (vgl hierzu BGH MarkenR 2000, 140 - ATTACHÉ/TISSERAND).
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich, denn sie besitzt zwar beschreibende Anklänge (Agio deutet auf lat. agitare = antreiben hin, biotik auf biotisch = iSv das Leben betreffend, durch Organismen hervorgerufen), in der Zusammensetzung jedoch ist die Marke zur Produktidentifikation geeignet.
Diese eine Verwechslungsgefahr fördernden Faktoren bedingen einen deutlichen Abstand der Kennzeichnungen, der hier jedoch aus Rechtsgründen eingehalten ist. Bei Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den Gesamteindruck der beiden Marken abzustellen, denn der Verkehr unterzieht eine Marke regelmäßig keiner analysierenden Betrachtung (stRspr, zB BGH MarkenR 2000, 130 - comtes/ComTel). Beschreibende Bestandteile einer Marke können zwar Auswirkungen auf den Gesamteindruck haben, vermögen aber alleine eine Verwechslungsgefahr nicht zu begründen. Trifft der Verkehr auf einen beschreibenden Markenteil, so wird er verstärkt auf die sonstigen Bestandteile der Marke achten. Bei dem in der Widerspruchsmarke enthaltenen Bestandteil "biotik" handelt es sich um einen solchen beschreibenden und damit eher untergeordneten Markenteil. In der Werbung und Produktbeschreibung finden sich vermehrt Hinweise auf sog. "probiotische" Merkmale. Unter Probiotika versteht man lebende Mikroorganismen, zB Milchsäurebakterien, die meist in Drinks oder Joghurt enthalten sind und die die Darmwand vor schädlichen Bakterien schützen sollen. Es gibt sogenannte Prebiotika, das sind Lebensmittel, die mit nicht verdaulichen Zutaten ein Wachstum spezieller Bakterien fördern und so die Abwehrkräfte steigern sollen. Symbiotika bedeutet eine Kombination oben genannter Biotika ebenfalls mit dem Ziel, das Wachstum erwünschter Bakterien zu fördern. Der Bestandteil "biotik" in der Widerspruchsmarke weist also als Oberbegriff in Richtung auf "das Leben betreffende gesundheitsfördernde Wirkung" hin. Die Übereinstimmung in eben diesem Bestandteil könnte eine Verwechslungsgefahr nur dann fördern, wenn auch die übrigen Markenbestandteile ausreichend Gemeinsamkeiten aufweisen würden. Das ist hier aber nicht der Fall. "Agio" und "ARDEY" haben lediglich denselben Anfangsbuchstaben, weichen aber im übrigen deutlich voneinander ab. Der Ardey ist ein bewaldeter Höhenzug am westlichen Ausläufer der Haar, zwischen Witten und Schwerte gelegen. Wer diesen Höhenrücken kennt, wird die beiden Marken nicht miteinander verwechseln. Wem der Name unbekannt ist, der geht von einer Phantasiebezeichnung aus, die wegen des y allerdings recht ungewöhnlich ist. Die Markenteile unterscheiden sich in der Buchstaben- und auch in der Silbenzahl. Die Vokalfolgen aio bzw aei sind deutlich unterschiedlich, es fehlt auch an Gemeinsamkeiten im Konsonantengerüst. Insgesamt sind bis auf das gemeinsame A alle übrigen 3 bzw 4 Buchstaben unterschiedlich. Selbst wenn die Übereinstimmung in dem beschreibenden Bestandteil "biotik" nicht völlig unberücksichtigt bleibt, so reicht diese aus Rechtsgründen weniger Gewicht zukommende Gemeinsamkeit für die Bejahung einer Verwechslungsgefahr nicht aus. Bei einem schriftbildlichen Vergleich sind Verwechslungen wegen der auffälligen Unterlänge des "y" in der jüngeren Marke ebenfalls nicht zu befürchten.
Zuletzt fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine gedankliche Verwechslungsgefahr wegen einer Markenserie auf Seiten der Widersprechenden. Im Beschwerdeverfahren hat sie hierzu nichts vorgetragen, lediglich im Verfahren vor dem Erstprüfer hat sie auf mehrere Marken mit dem Bestandteil "biotik" hingewiesen. Es fehlt aber jegliche Angabe über das Alter dieser Marken, die Art der geschützten Waren sowie den Umfang der Benutzung, so daß nicht ersichtlich ist, weshalb sich der Verkehr an eine Markenserie gewöhnt haben sollte. Im übrigen ist der Markenbestandteil "biotik" aufgrund seines beschreibenden Inhalts ohnehin kaum geeignet, Stammbestandteil einer Markenserie zu sein.
Die Beschwerde ist deshalb erfolgreich.
Für die Kosten gilt § 71 Abs 1 MarkenG.
Dr. Buchetmann Winter Schwarz-Angele Mü/Hu
BPatG:
Beschluss v. 18.12.2000
Az: 30 W (pat) 66/00
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