Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 9. September 1985
Aktenzeichen: 4 TI 1634/85

(Hessischer VGH: Beschluss v. 09.09.1985, Az.: 4 TI 1634/85)

Gründe

I. Die Klägerin und Erinnerungsführerin beantragte am 25.6.1979 die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbetafel an der Außenwand eines Gebäudes im Schießgraben/Ecke Marktstraße 14 in Frankfurt am Main - Stadtteil Bergen-Enkheim. Auf einem dem Bauantrag beigefügten Foto paar der Anbringungsort eingezeichnet. In der Widerspruchsakte befanden sich ebenfalls weitere Fotografien. Im nach Abschluß des Vorverfahrens beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main - Az.: IV/1-E 2351/81 - anhängigen Verwaltungsstreitverfahren zog das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 15.4.1981 alle das Verfahren betreffenden Akten bei. Gegenstand der mündlichen Verhandlung war ein Heiter Bauakten. In der Sitzungsniederschrift vom 11.8.1981 hieß es unter anderem weiter:

"Der Klägerbevollmächtigte erklärt, daß seiner Auffassung nach die von der Beklagten im Widerspruchsverfahren gefertigten Fotos die Lage an Ort und Stelle beschönigten und unzureichend wiedergäben."

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 11.8.1981 die Klage abgewiesen. In dem Urteil heißt es weiter:

"Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der einschlägigen Behördenakte Bezug genommen, die ein von der Klägerin mit Bauantragsunterlagen eingereichtes Foto sowie 5 von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gefertigte Fotografien des geplanten Standorts und seiner unmittelbaren Umgebung enthält und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde."

"Da die Klägerin letztendlich die zutreffende Wiedergabe der Gegebenheiten in der näheren Umgehung durch die im Widerspruchsverfahren getroffenen Feststellungen und angefertigten Fotografien nicht bestreitet, sondern lediglich in der Einschätzung des Gebietscharakters im Rahmen der in der Baunutzungsverordnung genannten Gebietskategorien anhand der örtlichen Gegebenheiten von der Beklagten abweicht, erschien der Kammer die Durchführung einer Augenscheinseinnahme nicht erforderlich".

Auf die Berufung der Klägerin hob der beschließende Senat mit Urteil vom 27.7.1984 das erstinstanzliche Urteil auf und gab der Klage statt.

Am 3.12.1984 reichte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin ein auf den 30.11.1984 datiertes Kostenfestsetzungsgesuch ein, dem für die erste Instanz ein Gegenstandswert von 4.212,-- DM zugrunde lag, und in dem unter anderem eine Beweisgebühr in Höhe von 229,-- DM nebst anteiliger Mehrwertsteuer geltend gemacht wurde. Auf einen Hinweis des Kostenbeamten berichtigte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin in einem weiteren Kostenfestsetzungsgesuch vom 25.2.1985 gemäß dem Beschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 11 .8.1981 den Gegenstandswert auf 3. 744, -- DM und machte nunmehr eine Beweisgebühr von 211,-- DM nebst anteiliger Mehrwertsteuer geltend.

In dem Kostenfestsetzungsbeschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20.5.1985 wurde bestimmt, daß von der Beklagten. 1.535,79 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 3.12.1984 an die Klägerin zu erstatten sind. Die Beweisgebühr in Höhe von 211,-- DM für die erste Instanz nebst anteiliger Mehrwertsteuer wurde mit der Begründung abgesetzt, daß eine Beweisaufnahme in der ersten Instanz nicht stattgefunden habe. Die Behördenakte sowie Fotografien seien beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Gegen diesen am 21.5.1985 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluß hat die Klägerin am 28.5.1985 Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die vorliegenden Bilder hätten für das erstinstanzliche Gericht Beweis dafür erbracht, wie das maßgebliche Gebiet einzuordnen gewesen sei. Diese Besichtigung der Lichtbilder sei eine Augenscheinseinnahme und kein Urkundsbeweis.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat den Antrag mit Beschluß vom 15.7.1985 abgelehnt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, im vorliegenden Fall hätte es weder förmlich Beweis erhoben noch hätten die Beteiligten auf ausdrückliche gerichtliche Aufforderung Fotografien über einen entscheidungserheblichen Gegenstand angefertigt und vorgelegt, um dem Gericht eine Augenscheinseinnahme zu ermöglichen. Allein das Beiziehen von Akten des Vorverfahrens und die Verwertung dort befindlicher Fotografien führten nicht dazu, daß eine Beweisgebühr fällig werde.

Gegen den am 29.7.1985 versandten Beschluß hat die Erinnerungsführerin am 8.8.1985 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Sie trägt ergänzend vor, hier sei die Behördenakte vom Gericht nicht nur zur Ermittlung des Sachverhaltes sondern erkennbar zu Beweiszwecken beigezogen worden. In einem solchen Fall werde eine Beweisgebühr aber auch gemäß § 34 Abs. 2 BRAGO fällig.

Die Beklagte und Erinnerungsgegnerin entgegnet, die Besichtigung der Lichtbilder stelle sich als Augenscheinseinnahme deshalb nicht dar, weil sie nur der Ergänzung und Erläuterung des Parteivortrages gedient habe. Das Gesicht habe auch keine Veranlassung gesehen, das streitige Gebiet in Augenschein zu nehmen, und zwar nicht deshalb, weil streitige Tatsachen aufgrund der Lichtbilderbesichtigung als bewiesen hätten angesehen werden können, sondern weil aus gerichtlicher Sicht zwischen den Beteiligten Übereinstimmung hinsichtlich der bei der Gebietsqualifizierung relevanten tatsächlichen Umstände bestanden haben.

Die Akte VG Frankfurt - Az. IV/1 E 2351/81 - ist beigezogen worden und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden.

Ziegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Akte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Kostenbeamte hat es zu Recht abgelehnt, in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluß für das Verfahren in erster Instanz eine Beweisgebühr anzusetzen. Der zum Bevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt erhält eine volle Gebühr nach § 11 BRAGO für die Vertretung eines Beteiligten in dem Beweisaufnahmeverfahren (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO). An einer solchen Vertretung in einem Beweisaufnahmeverfahren fehlt es aber hier. Unstreitig ist dabei zwischen den Beteiligten, daß es auf der Grundlage eines von dem Verwaltungsgericht erlassenen Beweisbeschlusses nicht zu einer förmlichen Beweiserhebung gekommen ist.

Entgegen der Ansicht der Erinnerungsführerin hat hier auch keine Augenscheinseinnahme als eine Form der denkbaren Beweiserhebung dadurch stattgefunden, daß das Gericht zwar ausdrücklich keinen Beweisbeschluß erlassen hat, aber aus dem Inhalt der Sitzungsniederschrift, des Urteilstatbestandes und/oder der Entscheidungsgründe ermittelt werden kann, daß das Gericht den Willen hatte, eine solche Beweisaufnahme vorzunehmen und dann entsprechend verfahren ist. Denn gebührenrechtlich soll der Mehraufwand des Bevollmächtigten an Zeit, Mühe und Verantwortung, den eine Beweisaufnahme mit sich bringt, mit der Beweisgebühr abgegolten werden, (Gerold-Schmidt BRAGO B. Aufl. Rdnr. 82 und 97 zu § 31 m.w.N.). Dieser Zweck kann es rechtfertigen, Verfahrenshandlungen des Gerichts, die der Tatsachenermittlung dienen, auch dann als Beweisaufnahme anzusehen, wenn sie diese Funktion haben, aber fehlerhaft sind. Die Besichtigung von Lichtbildern kann dabei sich als Augenscheinseinnahme darstellen (OLG Frankfurt am Main, Beschluß vom 12.3.1980 - 20 W 104/80 - AnwBl 80, 367 f.).

Im vorliegenden Fall sind keine Lichtbilder in Augenschein genommen worden. Die Kammer hat lediglich die beigezogenen Akten des Vorverfahrens zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In diesen Akten befanden sich auch Lichtbilder (1 Fotografie in der Bauakte, 5 Fotografien in der Widerspruchsakte), die von den Mitgliedern des Gerichts angesehen wurden und die bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielten, wie die Ausführungen in den Entscheidungsgründen ausweisen. Die Beiziehung und die Verwertung von Behördenakten ist jedoch keine Beweiserhebung im gebührenrechtlichen Sinne. Gerade in Verfahren mit Amtsermittlung kann nicht jede Sachaufklärung des Gerichts als Beweisaufnahme angesehen werden, sonst würde in solchen Verfahren jede Anfrage an Beteiligte, jede Auflage zur Stellungnahme, jede Aktenbeiziehung u. s. w. bereits Beweisaufnahme sein. Auch für das Gebührenrecht muß die Beweisaufnahme im Grundsatz Ermittlungstätigkeiten mit den zugelassenen Beweismitteln und in dem vorgeschriebenen Verfahren sein. (Beschluß des Senats vom 12.1+.19r5 - Az. 4 TI 45/84 -).

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Maßnahme des Gerichts, die der Erforschung des Sachverhaltes dient und die sich im Verwaltungsstreitverfahren im Rahmen einer gerichtlichen Tätigkeit vollzogen hat, die durch den Untersuchungsgrundsatz geprägt ist, wie er in den §§ 86, 95 und 104 VwGO seinen Niederschlag gefunden hat. So dient im Verwaltungsprozeß die Auswertung von Akten des Vorverfahrens ähnlich wie die Anhörung eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung der Wahrheitsfindung. Sie bildet sodann eine Grundlage für eine Entscheidung, ohne daß es zu einer Beweiserhebung im gebührenrechtlichen Sinne kommen wußte. Dies ist auch dann der Fall, wenn sich im Vorverfahren Lichtbilder befinden, die der Aufklärung des Streitstoffes dienen. Insbesondere bei Bauanträgen auf Erteilung der Baugenehmigung für das Anbringen einer Anlage der Außenwerbung - wie im vorliegenden Fall - ist es nichts Außergewöhnliches, daß dem Bauantrag Fotografien beigefügt werden, auf denen häufig der genaue Standort für eine geplante Werbetafel eingezeichnet ist. Dies dient dann - insbesondere in Baugenehmigungsverfahren - zum Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen. In einer solchen Situation findet aber keine Beweisaufnahme statt. Dies gilt auch für den Fall, daß die Behörde im Widerspruchsverfahren weitere Fotografien anfertigt, die dann inhaltlich zu diesen Akten gehören.

Dieser Grundsatz gilt auch für den vorliegenden Fall. Hinzukommt noch - und dies gilt insbesondere für die Bewertung der 5 in der Widerspruchsakte befindlichen Fotografien -, daß die Kammer, wie sie in den Entscheidungsgründen niedergelegt hat, keine Augenscheinseinnahme durch Besichtigung von Fotografien durchgeführt hat. Sie hielt eine solche Art der Beweisaufnahme auch für entbehrlich, da sie davon ausging, daß der Sachverhalt zwischen den Beteiligten außer Streit sei. Ob sie dabei zu Unrecht unstreitige Tatsachen, wie die Erinnerungsführerin meint, ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat, spiele keine Rolle. Maßgeblich ist hier allein, daß weder förmlich noch tatsächlich eine Beweiserhebung durch die Kammer stattgefunden hat.

Aus diesem Grunde ist eine Beweisgebühr auch nicht gemäß § 34 Abs. 2 BRAGO entstanden. Denn werden Akten beigezogen,. so erhält nach dieser Bestimmung ein Rechtsanwalt die Beweisgebühr nur, wenn die Akten durch Beweisbeschluß oder sonst erkennbar zum Beweis beigezogen oder als Beweis verwertet werden. Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Beschwerdewert ist gemäß §§ 13, 14 analog, 25 GKG in Höhe der streitigen Gebühren nebst Mehrwertsteuer festzusetzen.

Hinweis: Der Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 09.09.1985
Az: 4 TI 1634/85


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