BSozialgericht:
Urteil vom 2. November 2010
Aktenzeichen: B 1 KR 12/10 R
(BSG: Urteil v. 02.11.2010, Az.: B 1 KR 12/10 R)
1. SGB 1, SGB 10 und SGB 5 regeln den Schutz von Sozialdaten gleichrangig vorbehaltlich ausdrücklich davon abweichender spezialgesetzlicher Kollisionsregeln.
2. Der Anspruch eines Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gegen eine Kassenärztliche Vereinigung auf Auskunftserteilung über die von dieser über ihn gespeicherten Sozialdaten wird durch andere Regelungen des Krankenversicherungsrechts, insbesondere das Recht auf Unterrichtung über die im letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen Leistungen, nicht verdrängt.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Klägers im Revisionsverfahren.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des klagenden Versicherten gegen die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) auf Erteilung einer Auskunft über die von dieser über ihn gespeicherten personenbezogenen Daten.
Der 1972 geborene Kläger war vom 1.2.2001 bis 13.2.2005 Pflichtmitglied einer Krankenkasse (KK). Er bat diese Ende Mai 2005 um Auskunft, welche medizinischen Leistungen während seiner Mitgliedschaft für ihn abgerechnet worden seien; er benötige die Angaben zur Beantragung einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung, zudem sei ihm - wie er später geltend machte - seine Versichertenkarte zwischenzeitlich im Jahr 2003 verloren gegangen, sodass er Missbrauch befürchte. Die KK leitete das Begehren an die beklagte KÄV weiter. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Versichertenauskunft zunächst für das Jahr 2004 und später für das Quartal I/2005, lehnte es aber ab, Daten für Zeiten vor 2004 zu übermitteln, obwohl sie Behandlungsdaten des Geschäftsjahres 2003 elektronisch gespeichert habe; die abschließende Regelung des § 305 SGB V verpflichte nur dazu, über in Anspruch genommene Leistungen und deren Kosten für das jeweils "letzte" Geschäftsjahr zu informieren (Schreiben vom 25.8. und 4.10.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2008).
Das dagegen angerufene SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Auskunft über die bei ihr für das Jahr 2003 über ihn gespeicherten Sozialdaten zu geben; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.8.2009).
Beim LSG haben die Berufung der Beklagten und die (auf weitergehende Auskunftserteilung gerichtete) Anschlussberufung des Klägers keinen Erfolg gehabt: Der für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zuständige LSG-Senat sei zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen, da die begehrte Rechtsfolge ihre materiell-rechtlichen Grundlagen in diesem Bereich habe. Der Kläger habe einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der gespeicherten Sozialdaten des Jahres 2003 gemäß § 83 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB X. § 83 SGB X werde - wie näher ausgeführt wird - nicht durch § 305 SGB V verdrängt (Urteil vom 20.5.2010).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 83 SGB X. Die Anwendung der Bestimmung sei durch § 37 SGB I ausgeschlossen, weil zum Datenschutz Abweichendes in § 305 SGB V geregelt sei; danach seien speziell und allein die KKn gegenüber den Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen und Einschränkungen auskunftsverpflichtet. § 305 SGB V berücksichtige in angemessener Weise den Umstand, dass zwischen Versicherten und KÄV keinerlei Rechtsbeziehungen bestünden. Der 6. Senat des BSG habe über die verdrängende Wirkung der Vorschriften des SGB X für die sachlich-rechnerische Richtigstellung mehrfach entschieden. Die Gesetzessystematik spreche ebenfalls gegen die Anwendung des § 83 SGB X. So sei für den Bereich des Akteneinsichtsrechts von Versicherten gegenüber dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung eine gesonderte Rechtsgrundlage in § 276 Abs 3 SGB V geschaffen worden. Auch § 284 Abs 1 und 4 SGB V verweise für die KKn in Bezug auf die Verwendung von Sozialdaten - anders als zB § 285 Abs 2 SGB V für die KÄVen - nur ergänzend auf das SGB I und das SGB X. Dieser Spezialregelungen hätte es nicht bedurft, wenn Entsprechendes ohnehin aus den allgemeinen Regelungen des SGB X folgen würde.
Die Beklagte beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2010 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. August 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil für zutreffend.
Gründe
Die zulässige Revision der beklagten KÄV ist unbegründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der klagende Versicherte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunft über seine von ihr gespeicherten Sozialdaten aus dem Jahr 2003 hat.
1. Der für die Angelegenheiten der GKV zuständige 1. Senat des BSG - und nicht der nur zur Entscheidung in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts berufene 6. Senat des BSG - ist für die Entscheidung des Revisionsverfahrens geschäftsplanmäßig zuständig.
Maßgeblich für die Zuordnung von Streitigkeiten zu den jeweiligen Gebieten ist, ob die begehrte Rechtsfolge nach ihren einschlägigen materiell-rechtlichen Grundlagen dem Bereich der Krankenversicherung oder des Vertragsarztrechts zuzuordnen ist (so BSG <1. Senat> SozR 4-1500 § 10 Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG <3. Senat> SozR 4-2500 § 139 Nr 4 RdNr 10 ff). Da der Kläger hier Ansprüche als Versicherter der GKV geltend macht, indem er Auskunft über die Sozialdaten begehrt, die der Beklagten aufgrund seiner Eigenschaft als Versicherter der GKV bekannt geworden sind und die diese über ihn gespeichert hat, handelt es sich um eine Angelegenheit der Krankenversicherung. Für eine Zuordnung der Sache zum Vertragsarztrecht ist nämlich eine bloße mittelbare Betroffenheit von Vertragsärzten als Systembeteiligte nicht ausreichend, zumal dann nicht, wenn gar keine vertragsärztliche Leistungserbringung im Streit steht (vgl BSG SozR 4-2500 § 139 Nr 4 RdNr 12; aA BSG <6. Senat> BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 21 f). Die Streitigkeit ist danach nicht dem Vertragsarztrecht iS von § 10 Abs 2 SGG zuzuordnen. Dies gilt im Ergebnis auch nach der Ansicht des für Vertragsarztangelegenheiten zuständigen 6. Senat, der seine Zuständigkeit jedenfalls dann verneint, wenn - wie hier - ein Versicherter Ansprüche gegen eine dem Vertragsarztrecht zugehörige Institution geltend macht (vgl BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2, RdNr 29).
2. SG und LSG haben in der Sache zutreffend entschieden, dass der Kläger einen Auskunftsanspruch hinsichtlich seiner von der Beklagten gespeicherten Sozialdaten des Jahres 2003 hat. Dieser Anspruch folgt aus § 83 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 2 und 4 SGB X. § 83 Abs 1 SGB X begründet ein Auskunftsrecht Betroffener über die zu ihrer Person gespeicherten Sozialdaten, welches durch das Auskunftsrecht nach § 305 Abs 1 SGB V nicht verdrängt wird. Schon nach ihrem Wortlaut sind § 83 Abs 1 SGB X und § 305 Abs 1 SGB V nebeneinander anwendbar (dazu a). Dem entsprechen Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Regelungszweck (dazu b und c). Die dagegen gerichteten Angriffe der Beklagten greifen nicht durch (dazu d). Die Voraussetzungen des Auskunftsrechts des Klägers sind auch erfüllt (dazu e).
a) § 83 SGB X macht das Auskunftsrecht nicht davon abhängig, dass kein Fall des § 305 SGB V gegeben ist, sondern bestimmt ua Folgendes:
"(1)
Dem Betroffenen ist auf Antrag Auskunft zu erteilen über
1.
die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten, ...
...
In dem Antrag soll die Art der Sozialdaten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher bezeichnet werden. ... Die verantwortliche Stelle bestimmt das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunftserteilung, nach pflichtgemäßem Ermessen. § 25 Abs 2 gilt entsprechend.
(2)
Für Sozialdaten, die nur deshalb gespeichert sind, weil sie auf Grund gesetzlicher, satzungsmäßiger oder vertraglicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen, oder die ausschließlich Zwecken der Datensicherung oder der Datenschutzkontrolle dienen, gilt Absatz 1 nicht, wenn eine Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.
...
(4)
Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit
1.
die Auskunft die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der verantwortlichen Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde,
2.
die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder
3.
die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen,
und deswegen das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung zurücktreten muss."
Auch § 305 Abs 1 SGB V schließt die Anwendbarkeit des § 83 SGB X nicht aus. Vielmehr unterrichten - so der Wortlaut des § 305 Abs 1 Satz 1 SGB V - die KKn die Versicherten auf deren Antrag über die im jeweils letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten. Weiter heißt es dort in Satz 2 bis 5:
"Die Kassenärztlichen und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen übermitteln den Krankenkassen in den Fällen des Satzes 1 die Angaben über die von den Versicherten in Anspruch genommenen ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen und deren Kosten für jeden Versicherten gesondert in einer Form, die eine Kenntnisnahme durch die Krankenkassen ausschließt. Die Krankenkassen leiten die Angaben an den Versicherten weiter. Eine Mitteilung an die Leistungserbringer über die Unterrichtung des Versicherten ist nicht zulässig. Die Krankenkassen können in ihrer Satzung das Nähere über das Verfahren der Unterrichtung regeln."
b) Schon bei der Einführung der ersten Fassung des § 305 SGB V verdeutlichten die Gesetzesmaterialien, dass die Regelung die Transparenz der Leistungserbringung und Leistungsabrechnung erhöhen und hierdurch einen Beitrag zur Steigerung des Kostenbewusstseins der Versicherten leisten und dass § 83 SGB X unberührt bleiben soll (so Begründung der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen, BT-Drucks 11/2237 S 235 und S 238 zu § 311 des Entwurfs). Daran hat sich in der Folgezeit nichts geändert.
§ 83 SGB X will demgegenüber unter bereichsspezifischer Übertragung der datenschutzrechtlichen Auskunftsrechte des § 19 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) die Rechte der Betroffenen in den Sozialleistungsbereichen verstärken, insbesondere durch erweiterte Auskunftsrechte; so soll der Betroffene sich die Kenntnis von der Verarbeitung seiner Sozialdaten verschaffen können, etwa um die Zulässigkeit der Verarbeitung und Richtigkeit der Daten überprüfen zu können (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuchs über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung anderer Vorschriften, BT-Drucks 12/5187 S 1 unter B. I., S 27 unter A. I. 3. und S 42 zu § 83).
c) Auch das Regelungssystem ist auf eine parallele Anwendung der Auskunftsrechte aus § 83 Abs 1 SGB X und § 305 Abs 1 SGB V ausgerichtet. Für Sozialdaten stehen die einschlägigen Regelungen des SGB I und X grundsätzlich gleichrangig neben den übrigen Büchern des SGB, um einen umfassenden Schutz zu schaffen. Sozialdaten definiert § 67 Abs 1 Satz 1 SGB X als Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Während nach § 37 Satz 1 SGB I das Erste und Zehnte Buch SGB für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs gelten, "soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt", gilt nach § 37 Satz 2 SGB I der Vorbehalt ua nicht für § 35 SGB I. § 35 SGB I wiederum regelt Folgendes:
"(1) Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs 1 SGB X) von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). Die Wahrung des Sozialgeheimnisses umfasst die Verpflichtung, auch innerhalb des Leistungsträgers sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind oder nur an diese weitergegeben werden. ... Der Anspruch richtet sich auch gegen ... die in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, ...
(2) Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten ist nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Zehnten Buches zulässig".
Da ua § 83 SGB X im Zweiten Kapitel des SGB X steht, ist diese Regelung vom Schutzbereich des § 35 SGB I erfasst. KÄVen gehören zu den in § 35 Abs 1 Satz 4 SGB I genannten Stellen, wie auch die Beklagte selbst nicht in Zweifel zieht. Sie sind im Sinne der Regelung eine der "in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen", weil die §§ 75 ff SGB V ihnen Rechte zuerkennen und Pflichten auferlegen.
Soweit sich die Anwendungsbereiche des SGB I, X und V hinsichtlich des Sozialdatenschutzes so überschneiden, dass abweichend vom dargelegten Grundsatz paralleler Anwendung andere Kollisionsregeln gelten, sieht das Gesetz dies ausdrücklich vor. So verweisen zB § 284 Abs 1 Satz 5 SGB V und § 284 Abs 4 Satz 5 SGB V "im Übrigen" auf das SGB I und SGB X in Bezug auf die Verwendung von Sozialdaten durch die KKn und die KÄVen, weil sie gerade an das aufgezeigte Regelungssystem anknüpfen.
Zu Recht hat danach das LSG auch in Einklang mit der einhelligen Auffassung in der Literatur entschieden, dass § 305 SGB V die Rechte der Versicherten aus § 83 SGB X und die damit korrespondierende Auskunftspflicht der darin genannten Stellen über gespeicherte Daten unberührt lässt (vgl U. Schneider in: Wagner/Knittel, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand Juni 2010, § 305 SGB V RdNr 7; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Oktober 2010, K § 305 RdNr 2; Hess in: Kasseler Komm, Stand: Juli 2010, § 305 SGB V RdNr 3, Berstermann in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: April 2010, § 305 SGB V RdNr 6).
d) Die dagegen von der Beklagten erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Die Anwendung des § 83 SGB X ist nicht etwa durch eine vorrangige Anwendung von Bestimmungen des BDSG ausgeschlossen. Wie schon das SG ausgeführt hat, sind vielmehr umgekehrt die Datenschutzregelungen der §§ 67 ff SGB X bereichsspezifisches Datenschutzrecht bezogen auf den Geltungsbereich des SGB iS von § 1 Abs 3 Satz 1 BDSG und daher vorrangig (vgl BSGE 102, 134 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2, RdNr 18, 33 ff mwN).
Die Rechtsprechung des 6. Senats des BSG (BSGE 102, 134 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2) eignet sich ebenfalls nicht zum Beleg dafür, dass der sozialdatenschutzrechtliche Auskunftsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nach § 83 SGB X ausgeschlossen wäre. Das Urteil betraf die Abrechnung einer Krankenhausträgerin von ambulanten Notfallbehandlungen mit Hilfe eines privatärztlichen Verrechnungsunternehmens gegenüber einer KÄV. Soweit es entschied, dass die Weitergabe von Patientendaten durch Leistungserbringer an private Dienstleistungsunternehmen zum Zwecke der Leistungsabrechnung nach der seinerzeit geltenden Rechtslage nicht erlaubt war, hat das BSG auf das Fehlen einer dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage abgestellt; nur in Bezug auf die betroffene Leistungserbringerin hat das BSG in diesem Zusammenhang die Heranziehung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des SGB I und SGB X verneint, während - abweichend davon und wie oben beschrieben - die im vorliegenden Rechtsstreit beklagte KÄV eine von § 35 Abs 1 Satz 4 SGB I erfasste öffentlich-rechtliche Vereinigung ist, für die gerade die bereichsspezifischen Datenschutzregelungen des SGB Anwendung finden.
Auch die allgemeinen rechtssystematischen Erwägungen der Beklagten führen zu keinem anderen Ergebnis. Ihre Argumentation mit dem Verhältnis der Normen des ersten Kapitels des SGB X - etwa § 25, § 44 und § 48 SGB X - zum SGB V verfängt nicht, weil für diese Regelungen im ersten Kapitel des SGB X - wie oben dargelegt - gerade der in § 37 Satz 1 SGB I formulierte Vorbehalt greift: Bestimmungen des Vertragsarztrechts können als Regelungen des SGB V (in Verbindung mit ergänzendem untergesetzlichem Recht) als einem besonderen Teil des SGB zB den genannten allgemeinen Regelungen des SGB X über das Verwaltungsverfahren vorgehen. § 284 Abs 1 Satz 5 SGB V und § 284 Abs 4 Satz 5 SGB V knüpfen dagegen - wie dargelegt - hinsichtlich der Verwendung von Sozialdaten gerade an das aufgezeigte Regelungssystem an.
e) Nach alledem ist das Auskunftsrecht des Klägers aus § 83 SGB X anwendbar. Auch die Voraussetzungen der Regelung sind erfüllt. Der Kläger hat als Betroffener Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten bei der Beklagten beantragt. Es ist hierfür ohne Belang, dass er sich zunächst nur an seine KK wandte, die seinen Antrag an die Beklagte weiterleitete. Denn er hat mit seinem weiteren Begehren klar zu erkennen gegeben, dass er die Auskunft über die gespeicherten Behandlungsdaten von 2003 von der Beklagten zu erhalten wünschte, was diese auch verstanden hat (zur Auslegung eines Antrags vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 15). Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die bei der Beklagten gespeicherten Daten über die vertragsärztliche Behandlung des Klägers, die Gegenstand seines Auskunftsbegehrens sind, Sozialdaten iS des § 67 Abs 1 Satz 1 SGB X sind.
Die Beklagte ist auch eine zur Auskunft verpflichtete "verantwortliche Stelle" im Sinne der Norm. Nach dem aufgezeigten Regelungszweck und -system sind dies alle Stellen, die Sozialdaten des Betroffenen verarbeitet haben können. Denn er soll sich - wie dargelegt - mittels des Auskunftsanspruchs Kenntnis von der Verarbeitung seiner Sozialdaten verschaffen können, etwa um die Zulässigkeit der Verarbeitung und Richtigkeit der Daten überprüfen zu können. Diese Auskunftsverpflichtung besteht unter Berücksichtigung der og Definition der Sozialdaten in § 67 Abs 1 Satz 1 SGB X jedenfalls nicht nur für Leistungsträger, sondern für sämtliche der in § 35 SGB I genannten Stellen (vgl auch Rombach in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: Juli 2010, K § 83 RdNr 5). Die Beklagte gehört - wie dargelegt - zu den in § 35 Abs 1 Satz 4 SGB I genannten Stellen, wie sie auch selbst nicht in Zweifel zieht.
Unabhängig von der Frage, ob vom Auskunftsbegehren Sozialdaten betroffen sind, die nur deshalb gespeichert sind, weil sie aufgrund gesetzlicher, satzungsmäßiger oder vertraglicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen, oder die ausschließlich Zwecken der Datensicherung oder der Datenschutzkontrolle dienen, liegt der Ausschlussgrund nach § 83 Abs 2 SGB X nicht vor. Denn die Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass eine Auskunftserteilung über die bei ihr für das Jahr 2003 elektronisch gespeicherten Daten über den Kläger einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Nach den Feststellungen des LSG sind die entsprechenden Daten bei ihr vielmehr "eingescannt", in der EDV erfasst und auch noch nicht gelöscht worden. Ausschlussgründe gemäß § 83 Abs 4 SGB X werden weder von der Beklagten vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
BSG:
Urteil v. 02.11.2010
Az: B 1 KR 12/10 R
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