Bundespatentgericht:
Urteil vom 26. September 2000
Aktenzeichen: 1 Ni 4/99

(BPatG: Urteil v. 26.09.2000, Az.: 1 Ni 4/99)

Tenor

I. Das europäische Patent 0 389 008 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 16.000,--.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 9. Januar 1990 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 389 008 (Streitpatent), für das die Priorität der niederländischen Patentanmeldung 8900728 vom 23. März 1989 beansprucht ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 690 00 065 geführt wird, betrifft eine Belustigungsvorrichtung für Jahrmärkte und umfaßt 18 Patentansprüche, die sämtlich mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden.

Der erteilte Patentanspruch 1 stellt unter Schutz:

"A fair ground attraction transportable in parts on separate carriages, comprising carrier portions in two or more parts, each carrier portion being transportable in folded condition on one of said carriages, characterized in that the carriages are containers comprising on the upper side of opposed side walls hinges for pivotally connecting the parts of said carrier portions."

In der in der Streitpatentschrift gegebenen deutschen Übersetzung hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:

"Belustigungsvorrichtung für Jahrmärkte, die in Teilen auf einzelnen Wagen transportfähig ist, versehen mit Trägern in zwei oder mehreren Teilen, wobei jeder Träger im zusammengefalteten Zustand auf einem der genannten Wagen transportfähig ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Wagen Behälter sind, die an der Oberseite der entgegengesetzten Seitenwände Gelenke zum drehbaren Verbinden der Teile der genannten Träger aufweisen."

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar hierauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 18 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.

Die Klägerin macht geltend, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents hinsichtlich mehrerer Merkmale über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Des weiteren sei der Gegenstand der Anspruchs 1 nicht patentfähig, da er zum einen vor dem Prioritätstag der Anmeldung mehrfach durch Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei und zum andern gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Auch die Gegenstände der Unteransprüche wiesen keinen erfinderischen Gehalt auf.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 389 008 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent dahingehend eingeschränkt, daß

a) Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut erhält:

"Belustigungsvorrichtung für Jahrmärkte, insbesondere Riesenrad, die in Teilen auf einzelnen Wagen transportfähig ist, versehen mit Seitenteilen mit Trägern in zwei oder mehreren Teilen, wobei jeder Träger im zusammengefalteten Zustand auf einem der genannten Wagen transportfähig ist, dadurch gekennzeichnet, daß jedes Seitenteil zwei Träger aufweist, die heruntergelassen werden können, daß die Wagen Behälter sind, die an der Oberseite der entgegengesetzten Seitenwände Gelenke zum drehbaren Verbinden der Teile der genannten Träger mit den Behältern besitzen, derart, daß einer der Träger drehbar mit dem Wagen verbunden ist und bleibt, der andere Träger lösbar mit dem Wagen verbunden ist und weiter die freien Enden der zwei Träger drehbar miteinander verbunden werden können und durch eine Hauptachse gekuppelt sind, auf der die Speichen des Riesenrades drehbar montiert sind, und daß die Wagen Mittel zum seitlichen Verschieben aufweisen."

b) sich an diesen Patentanspruch 1 die Patentansprüche 2 bis 13 gemäß Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 26. September 2000 anschließen undc) in der Beschreibung des Streitpatents in Spalte 1 die Zeilen 15 bis 18 durch folgenden Passus ersetzt werden:

"Die erfindungsgemäße Lösung ist durch die Merkmale des Anspruchs 1 definiert, insoweit als die dort angegebenen Träger in einer Ausbildung in zwei oder mehreren Teilen, welche über Gelenke zur drehbaren Verbindung der Teile verbunden sind, nicht zum Gegenstand der Erfindung gehören."

Im übrigen beantragt sie, die Klage abzuweisen.

Insoweit tritt sie dem klägerischen Vorbringen in allen Punkten entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich des entgegengehaltenen Standes der Technik, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst hierzu eingereichten Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Das Streitpatent war zunächst insoweit für nichtig zu erklären, als die Beklagte es nicht mehr verteidigt hat (vgl BGH GRUR 1996, 857, 858 "Rauchgasklappe"). Darüber hinaus konnte auch der verteidigte Patentanspruch 1 keinen Bestand haben, da er (ebenso wie der erteilte Patentanspruch 1) über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht; die abhängigen Ansprüche 2 bis 13 teilen diesen Mangel (Art 138 Abs 1 lit c EPÜ; Art II § 6 Abs 1 Nr 3 IntPatÜG).

I 1. Das Streitpatent betrifft eine Belustigungsvorrichtung für Jahrmärkte, insbesondere ein Riesenrad. Diese soll entsprechend dem verteidigten Patentanspruch 1 folgende Merkmale aufweisen:

a) die Belustigungsvorrichtung (insb Riesenrad) ist in Teilenauf einzelnen Wagen transportfähig; b) die Belustigungsvorrichtung ist mit Seitenteilen versehen; c) die Seitenteile weisen Träger in zwei oder mehreren Teilen auf; d) jeder Träger ist im zusammengefalteten Zustand auf einem der genannten Wagen transportfähig; e) jedes Seitenteil weist zwei Träger auf, die heruntergelassen werden können; f) die Wagen sind Behälter; g) die Behälter besitzen an der Oberseite der entgegengesetzten Seitenwände Gelenke; h) die Gelenke dienen zum drehbaren Verbinden der Teileder genannten Träger mit den Behältern; i) das drehbare Verbinden erfolgt derart, daß i1) einer der Träger drehbar mit dem Wagen verbunden istund bleibt, i2) der andere Träger lösbar mit dem Wagen verbunden ist undi3) die freien Enden der zwei Träger drehbar miteinander verbunden werden können;

j) die freien Enden der Träger sind durch eine Hauptachse gekuppeltk) auf der Hauptachse sind die Speichen des Riesenrades drehbar montiert; undl) die Wagen weisen Mittel zum seitlichen Verschieben auf.

2.

Vor dem Hintergrund des in der Streitpatentschrift (insb Sp 1 Z 43 bis 47 und Z 52 ff bis Sp 2 Z 6 sowie Sp 3 Z 49 ff bis Sp 4 Z 6) geschilderten Ausführungsbeispiels, auf dessen Grundstruktur sich die Patentinhaberin im wesentlichen beschränken will, wird dem hier angesprochenen Fachmann -einem Techniker mit zumindest Fachhochschulabschluß und mehrjähriger Erfahrung in Entwicklung, Fertigung und Betrieb von Fahrgeschäften für Jahrmärkte oder Volksfeste -die Lehre vermittelt, daß die aufgestellte Stützkonstruktion des eigentlichen Rades im wesentlichen aus zwei symmetrisch zur Radmittenebene befindlichen Seitenteilen (side portions) besteht (Merkmal b iVm mit insb Fig 3), die ihrerseits jeweils zwei Träger (carrier portions 5 [in Figur 3 fälschlich mit Bezugszeichen 8 gekennzeichnet]) aufweisen (Merkmal e). Diese Träger stützen sich auf der Oberseite der entgegengesetzten Seitenwände von fahrbaren Behältern (container 6, 8) ab (Merkmale f und g iVm insb Fig 1 bis 3). Die nach oben ragenden ("freien") Enden der Träger sind zum einen miteinander (gelenkig) verbunden (Merkmal i3), wodurch sie ein Seitenteil bilden (Fig 3). Zum andern sind diese Enden mit der Hauptachse (main shaft 2) des Rades gekoppelt (Merkmal j), so daß diese von den beiden Seitenteilen getragen wird (Fig 3). Auf der Hauptachse sind die Speichen des Riesenrades drehbar montiert sind (Merkmal k).

Zum Aufund Abbau (vgl ua Fig 4a) ist diese Abstützung im Hinblick auf jedes Seitenteil so ausgeführt, daß jeweils auf den entgegengesetzten Seitenwänden der fahrbaren Behälter einer der Träger-Abstützpunkte als Drehgelenk zwischen Behälter und einem der Träger ausgebildet ist (Merkmale g, h und i1). Der zweite Träger ist lösbar mit dem Behälter verbunden, hingegen am anderen (freien) Ende mit dem freien Ende des anderen Trägers drehbar verbunden (Merkmale i2 und i3), so daß sich beim Abbau die beiden Träger gegeneinander falten und auf einen der Behälter umlegen bzw. herabdrehen und liegend transportieren lassen (vgl Merkmal d). Die übrigen Teile des Riesenrades sind ebenfalls auf einzelnen fahrbaren Behältern transportfähig (Merkmal a iVm Merkmal f). Die Behälter weisen zum korrekten Positionieren Mittel zum seitlichen Verschieben auf (Merkmal l iVm Sp 4, Z 18 und 19).

3.

Das Merkmal c des verteidigten Patentanspruchs 1 lehrt -übereinstimmend mit dem erteilten Anspruch 1 -, daß die Träger aus zwei oder mehreren Teilen bestehen sollen. Eine derartige Ausbildung läßt sich jedoch aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht herleiten.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte insoweit auf den in der ursprünglichen Anmeldung formulierten Patentanspruch 1. Dieser lautete (vgl EP 0 389 008 A1, Sp 5 Z 52 bis 55):

"A fairground attraction transportable in parts, characterized in that the attraction comprises two or more parts that are transportable in folded condition on separate carriages or containers."

Die Ausführung "in two or more parts" bezog sich dort somit auf die gesamte Belustigungsvorrichtung. Daß darüber hinaus auch die einzelnen Träger (carrier portions; vgl zB aaO Sp 1 Z 51 f) in sich mehrteilig ausgebildet sein sollen, lehren die Anmeldungsunterlagen nicht.

Eine andere Beurteilung ergibt sich - entgegen den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung -auch nicht aus der in den Figuren 2 und 3 der ursprünglichen Anmeldung gezeigten mehrstrebigen Ausführung der Träger. Derartig stets fest miteinander zu einem (einstückigen) Träger verbundene Streben stellen nicht mehrere Teile im Sinne des (erteilten und insoweit verteidigten) Patentanspruchs 1 des Streitpatents dar. Dort vermittelt das Merkmal c im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Merkmal d, daß die Träger derart zwei oder mehrere Teile aufweisen, daß diese zum Zwecke des Transports in sich zusammenfaltbar sind. Ursprünglich offenbart ist hingegen lediglich eine Ausführungsform, bei der die einstückig ausgebildeten Träger gegeneinander faltbar sind. Darauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.

Die genannte Erweiterung des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 wird, worauf in der mündlichen Verhandlung ebenfalls hingewiesen wurde, auch durch den Disclaimer-Einschub in der Beschreibung nicht beseitigt. Darin verzichtet die Beklagte auf eine Ausbildungsform, bei welcher Träger in zwei oder mehreren Teilen über Gelenke zur drehbaren Verbindung der Teile verbunden sind. Nicht verzichtet ist damit jedoch auf eine vom Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 erfaßte, ursprünglich aber nicht offenbarte Ausführungsform, wonach die Träger selbst aus zwei oder mehreren -beispielsweise voneinander lösbaren oder teleskopartig verbundenen -Teilen bestehen (Merkmal c).

4. Bei dieser Sachlage braucht nicht weiter untersucht zu werden, ob die Einbeziehung der Merkmale des erteilten Patentanspruchs 10 als Merkmalsgruppe i) in den verteidigten Patentanspruch 1 zu einer gegenüber dem Merkmal h in sich widerspruchsfreien technischen Lehre oder aber zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs des erteilten Anspruchs 1 führt.

Des weiteren kann dahinstehen, ob die ursprüngliche Beschreibungsstelle in Spalte 2, Zeilen 5 bis 8 der A1-Schrift das Merkmal g zu stützen vermag, zumal nun das eine Gelenk, das zum drehbaren Verbinden der Teile der Träger mit den Behältern dienen soll, durch das Merkmal i2 dieser beanspruchten Funktion wieder beraubt wird.

II Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 709 Satz 1 ZPO.

Dr. Hacker Dr. K. Vogel Dr. Henkel Dr. W. Maier Dr. van Raden Be






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Urteil v. 26.09.2000
Az: 1 Ni 4/99


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