Oberlandesgericht München:
Urteil vom 23. Februar 2010
Aktenzeichen: 25 U 3563/09
(OLG München: Urteil v. 23.02.2010, Az.: 25 U 3563/09)
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.06.2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin war im Zeitraum vom 01.08.2000 bis 31.07.2005 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Rechtsanwältin mit einer Berufshaftpflichtversicherung als Einzelpolice versichert.
Die Klägerin war in diesem Zeitraum als angestellte Rechtsanwältin in der Rechtsanwaltskanzlei M., St. und Kollegen in I. tätig.
Im Verfahren 3 O 824/06 vor dem Landgericht Ingolstadt wurde die Klägerin von einem ehemaligen Mandanten, Herrn O. L., als Scheinsozia wegen von den Rechtsanwälten M. und St. unterschlagenen Fremdgeldern auf Schadenersatz in Höhe von € 111.044,11 in Anspruch genommen. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich, in dem sich die Klägerin verpflichtete, zur Abgeltung der dortigen Klageforderung bei monatlicher Ratenzahlung in Höhe von € 200 einen Betrag in Höhe von € 55.000,- zu bezahlen. Die Klägerin hat bislang € 4.400,- bezahlt.
Im Wege der Deckungsklage beantragt die Klägerin Feststellung, dass die Beklagte ihr Deckungsschutz zu gewähren hat, sowie Erstattung der bereits auf den Vergleich geleisteten Teilzahlungen und ihrer außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
Dem Versicherungsvertrag lagen die von der Beklagten als Anlage B 3 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (mit Risikobeschreibung) € AVA-A (im Folgenden: AVB) zugrunde. Die maßgeblichen Vorschriften lauten auszugsweise:
€§ 4 Ausschlüsse Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche€ 3. wegen Schaden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers;€ 5. wegen Schadenverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer behält, wenn dieser Ausschlussgrund nicht in seiner Person und auch nicht in der Person eines Sozius vorliegt € unbeschadet der Bestimmungen des § 7 IV 2 € den Anspruch auf Versicherungsschutz.€€§ 12 Sozien I. 1. Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind.€ III. Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien.€Die weiteren Einzelheiten des Versicherungsvertrags und der AVB ergeben sich aus den Anlagen B 2 und B 3.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.06.2009 Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO)
Das Landgericht Ingolstadt hat die Beklagte durch Endurteil vom 09.06.2009 antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 12 I 1und § 12 III der AVB der Beklagten seien nach § 305 c I BGB unwirksam. Zudem seien sie inhaltlich unangemessen, da sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen werde, nicht zu vereinbaren seien und auch wesentliche Rechte und Pflichten einschränken würden, wodurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet werde ( § 307 II Nr. 1 und Nr. 2 BGB). Hinsichtlich der weitern Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils (S. 8/16L Bl. 49/57 d.A.) Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit ihrer Berufung. Nach ihrer Rechtsauffassung sei der Begriff des Sozius in den Versicherungsbedingungen eindeutig definiert. Die verschuldensunabhängige Haftung von Sozien und Scheinsozien auch für Veruntreuungen dritter Personen sei keine Frage der versicherungsvertraglichen Deckung, sondern ergebe sich aus der Haftpflichtrechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Sozienklausel des § 12 I 1 AVB sei unbedingt erforderlich, um den Gleichlauf der Haftung im Außenverhältnis einerseits und der versicherungsvertraglichen Deckung andererseits sicherzustellen. Die Klausel sei nicht überraschend. Dass Versicherungsschutz wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers ausgeschlossen sei, entspreche der Regelung in § 51 BRAO. Es treffe auch nicht zu, dass ein angestellter Anwalt weniger Einfluss auf die Organisation der Kanzlei und Kontrollmöglichkeiten habe. Denn auch ein echter Sozius habe faktisch keine Möglichkeit, sich gegen Veruntreuungen durch andere Sozien zu schützen. Dass die Klägerin nicht Gesellschafterin sondern nur Angestellte der Sozietät gewesen sei, sei bereits erstinstanzlich mit Nichtwissen bestritten worden. Jedenfalls habe die Beklagte hiervon keine Kenntnis gehabt. Zudem sei der Anspruch auf Herausgabe der unterschlagenen Gelder ein Erfüllungsanspruch. Anspruchsgrundlage sei § 667 BGB i.V.m. § 675 BGB. Erfüllungsansprüche seien vom Versicherungsschutz der anwaltlichen Berufshaftpflichtversicherung nicht umfasst. § 51 BRAO stelle im Übrigen keine auf das Versicherungsverhältnis einwirkende Verbotsnorm dar. Wenn ein Anwalt mit einem Versicherer einen dem § 51 BRAO nicht genügenden Vertrag schließe, sei dieser nicht wegen Gesetzesverstoßes nichtig. Die rechtliche Gleichstellung von Scheinsozien mit echten Sozien durch die Regelung des § 12 I 1 AVB sei berufsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 8 der anwaltlichen Berufsordnung (BORA) sei die Scheinsozietät berufsrechtlich zulässig. Es wäre widersprüchlich und somit treuwidrig, wenn sich der Mandant gegenüber dem Versicherer darauf berufen könnte, dass der Versicherte Anwalt nur Scheinsozius gewesen sei und die Erstreckung des Deckungsausschlusses für Veruntreuungen von Scheinsozien unzulässig sei. Denn wenn der Mandant sich gegenüber einem Anwalt auf Rechtsscheinshaftung berufe, müsse ihm dieser Rechtsschein auch vom Versicherer entgegengehalten werden können. Der Rechtsschein einer Gesellschafterstellung lasse für den Mandanten gerade erkennen, dass bei Veruntreuungen gemäß § 51 III Nr. 5 BRAO kein Versicherungsschutz bestehe. Würde der Versicherer gezwungen, bei Aufnahme von Scheinsozien auf Briefbögen, wovon er keine Kenntnis und worauf er keinen Einfluss habe, Veruntreuungen zu decken, würde dies zu einer unbilligen Belastung von Einzelanwälten und echten Sozietäten führen, da dies zwangsläufig zur Prämienerhöhung führen würde. Es liege allein in Händen des Anwalts, den durch Auftreten für die Sozietät nach außen gesetzten Rechtsschein zu vermeiden. Die mit einer etwaigen Haftung verbundene Härte könne nicht zu Lasten des beklagten Versicherers und der Versichertengemeinschaft gehen. Die Klägerin sei nicht nur auf den Briefbögen der Anwaltssozietät als gleichberechtigte Anwältin geführt worden, sondern auch in Anzeigen, in Telefon- und Adressverzeichnissen. Hinsichtlich des weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf deren Schriftsätze vom 31.07.2009 (Bl. 63/76 d.A.), vom 01.09.2009 (Bl.90/96 d.A.), vom 07.09.2009 (Bl.97/99 d.A.) vom 01.10.2009 (Bl. 100/101 d.A.) sowie vom 14.10.2009 (Bl. 102/103 d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt:
1. Das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 09.06.2009 wird aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
Vorsorglich beantragt sie,
die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt, ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, das angefochtene Urteil als zutreffend.
Die €Sozienklausel€ in den Versicherungsbedingungen der Beklagten sei überraschend. Zudem fehle die Transparenz. Die Sozienklausel in § 12 I AVB sei nicht eindeutig, soweit sie zur Definition des Begriffs €Sozius€ auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach außen abstelle. Eine Zurechnung des Verhaltens der echten Sozien bei freien Mitarbeitern oder Angestellten, auch wenn diese als Scheinsozien auf den Briefkopf erschienen, sei unangemessen. Da ein unabhängiger Versicherungsvertrag bestehe, würde dies auf eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch allgemeine Versicherungsbedingungen hinauslaufen. Die Klausel sei überraschend und mit dem wesentlichen Grundgedanken der Gesetzesregelung nicht zu vereinbaren. Der Versicherungsschutz könne zudem nicht weiter als nach § 51 BRAO zulässig verkürzt werden. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Klägerin wird auf deren Berufungserwiderung vom 06.08.2009 (Bl. 78/87 d.A.) Bezug genommen.
Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.
II.
Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO) jedoch nicht begründet.
1. Der mit der Klage geltend gemachte Feststellungsantrag ist zulässig, da mit Inanspruchnahme der Klägerin ein rechtliches Interesse im Sinn von § 256 ZPO auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Versicherungsschutz gegeben ist (Kummer in Münchner Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, § 11 Rn. 328) .
2. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, wonach § 12 I 1 und § 12 III der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (Anlage B 8) unwirksam sind.
a. Zwar greift nicht die Unklarheitenregel des § 305 c II BGB, da nach dem Wortlaut des § 12 I 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (AVB) der Begriff €Sozien€ dahin definiert ist, dass es allein auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach Außen und nicht auf das Bestehen eines Gesellschaftsvertrages ankommt. Die Klägerin war nicht Gesellschafterin, sondern Angestellte, trat nach außen als Gesellschafterin auf. Sie ist damit Sozia im Sinne von § 12 I 1 AVB. Diese Regelung definiert Sozien als Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind. Sowohl nach ihrem Inhalt wie nach ihrem erkennbaren Zweck der Begrenzung der Leistungspflicht ist die Bestimmung nur dahin auszulegen, dass sogenannte Scheinsozien den echten Sozien gleichgestellt werden sollen.
b) Die Bestimmung verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 BGB, da sie für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer dahin zu verstehen ist, dass es für den Begriff €Sozien€ allein auf die gemeinschaftliche Berufsausübung nach Außen ankommt. Unter Berücksichtigung dessen, dass es um die Bedingungen der Vermögenshaftpflicht für Rechtsanwälte geht, ist davon auszugehen, dass die Regelung wie § 8 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) in dem Sinne, dass auch ein Angestelltenverhältnis darunter fällt, verstanden wird. In § 8 BORA heißt es betreffend die Kundgabe beruflicher Zusammenarbeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft: €Auf eine gemeinschaftliche Berufsausübung darf nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät, in sonstiger Weise (Angestelltenverhältnis, freie Mitarbeit)€€..erfolgt.€
27c) Die Regelung ist jedoch nach § 305 c I BGB unwirksam. Danach werden Klauseln nicht Vertragsbestandteil, mit denen der Vertragspartner nicht zu rechnen braucht. Eine generell nicht überraschende Klausel kann unter § 305 c I BGB fallen, wenn sie in den Text falsch eingeordnet, geradezu versteckt wird. Dies ist hier der Fall. Die Ausschlüsse vom Versicherungsschutz sind in § 4 AVB geregelt. Ungewöhnlich ist, dass der in Teil A €Der Versicherungsschutz (§§ 1 - 4)€ des Bedingungswerks geregelte Deckungsschutz durch die ergänzenden Regelungen in § 12 I 1 und § 12 III AVB weiter eingeschränkt wird. Die Regelung, wonach auch Scheinsozien als Sozien gelten (§12 I 1 AVB) und ein Ausschlussgrund in der Person eines Sozius zulasten aller Sozien geht (§ 12 III AVB), ist bezüglich der Gleichstellung von Scheinsozien mit Sozien überraschend: Eine Kenntnisnahme kann hier nicht erwartet werden, da sie an versteckter Stelle im Regelwerk enthalten ist. Nicht im Zusammenhang mit den in § 4 AVB geregelten Haftungsausschlüssen wird die Gleichstellung vorgenommen, sondern bei den Regelungen unter C €Das Versicherungsverhältnis (§§ 7 bis 15)€. § 12 trägt die Überschrift €Sozien€, was darauf hinweist, dass die Bestimmung eine das Versicherungsverhältnis von Sozien betreffende Regelung enthält. Für einen angestellten Rechtsanwalt ist nicht ohne weiteres zu erwarten, dass sein Versicherungsverhältnis von dieser Regelung betroffen ist. Insbesondere muss er nicht damit rechnen, dass die Bestimmung eine Erweiterung der in § 4 geregelten Ausschlüsse vom Versicherungsschutz beinhaltet. § 4 AVB, der die Haftungsausschlüsse regelt, stellt keinerlei Bezug zu der im Rahmen der Regelung des Versicherungsverhältnisses getroffenen Begriffsbestimmung (§ 12 I 1 AVB) her.
Der Senat hat den Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung, dass eine Begriffsdefinition vorliegt, beachtet. Gleichwohl hält der Senat an der Auffassung fest, dass die Regelung im Bedingungswerk falsch eingeordnet, geradezu versteckt wird. Wie aus anderen Verfahren bekannt ist, verwendet die Beklagte selbst heute wesentlich andere Bedingungen, in denen die Begriffsdefinition von Sozien bereits in § 1 III der Bedingungen und somit in den Regelungen zum Versicherungsschutz (§§ 1 bis 4) enthalten ist. § 12 AVB ist auch nicht als Begriffsdefinition besonders hervorgehoben, die Überschrift des § 12 AVB weist nicht explizit auf eine Definition hin und hebt sich auch nicht von den Bezeichnungen der übrigen Versicherungsbedingungen ab.
Insoweit kommt es auch nicht darauf an, dass die Versicherung die juristisch geschulte Personengruppe der Rechtsanwälte betrifft, da es um die versteckte Anordnung und nicht das Verständnis der Klausel geht. Insbesondere ist auch in der Regelung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden und AVB-WB (abgedruckt in Prölss/Martin, 27. Aufl., Seite 1502 ff.) die Definition der Sozien (§ 12) nicht unter den in III. das Versicherungsverhältnis betreffenden Regelungen (§§ 7 bis 11) enthalten, sondern in einem eigenen Abschnitt IV betreffend die Besonderheiten für Rechtsanwälte und Notare (§§ 12 und 13). Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass Versicherungsnehmer allgemein gehalten sind, Versicherungsbedingungen insgesamt und nicht nur selektiv wahrzunehmen, ist dies grundsätzlich zutreffend. Der Überraschungseffekt der streitgegenständlichen Klauseln beruht indessen, wie oben dargelegt, nicht auf einer selektiven Wahrnehmung des Versicherungsnehmers, sondern auf der konkreten Gestaltung des Klauselwerkes durch die Beklagte. Ein anderes Verständnis würde der Anwendbarkeit des § 305 c I BGB die Grundlage entziehen.
30d) § 12 I 1 AVB i.V.m. § 12 III AVB ist zudem inhaltlich unangemessen, da sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist und auch wesentliche Rechte und Pflichten einschränkt, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, wodurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 307 II Nr. 1 und 2 BGB).
In § 12 III AVB heißt es: €Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien.€ Nach § 12 I AVB fallen hierunter auch Scheinsozien. Die Regelung erweitert daher die Haftungsausschlussregelung in § 4 AVB, die in Nr. 3 (Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers) und Nr. 5 (wissentliche Pflichtverletzung) im Wesentlichen mit der in § 51 III BRAO zur Berufshaftpflichtversicherung getroffenen Regelung übereinstimmt.
Die Bestimmung des § 51 I BRAO begründet die Verpflichtung des Rechtsanwalts zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung in dem dort genannten Rahmen. Zwar trifft sie keine unmittelbare Regelung des Versicherungsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und der Versicherung. Es liegt jedoch eine Pflichtversicherung vor. Im Versicherungsvertragsgesetz ist zur Haftpflichtversicherung unter II €Besondere Vorschriften für die Pflichtversicherung€ unter § 158 b II VVG a. F. geregelt, dass, wenn zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung eine gesetzliche Verpflichtung besteht, der Versicherer dem Versicherungsnehmer unter Angabe der Versicherungssumme zu bescheinigen hat, dass eine dem zu bezeichnenden Gesetz entsprechende Haftpflichtversicherung besteht. Aus der Natur des Vertrages ergibt sich, dass der Vertragszweck gefährdet ist, wenn durch eine Ausweitung des nach § 51 BRAO zulässigen Haftungsausschlusses der gesetzlich gebotene und von der Versicherung auch bestätigte Versicherungsschutz nach Maßgabe des § 51 BRAO nicht mehr gewährleistet ist.
Sofern nach § 51 III Nr. 5 BRAO die Haftung für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden kann, ist diese Regelung schon nach dem Wortlaut der Bestimmung auf Sozien, d. h. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft begrenzt. Nach ihrem Sinn, einer Kollusion vorzubeugen (Zugehör, Anwaltshaftung, Rn. 2121), lässt die Regelung eine Begrenzung der Haftpflicht der Versicherung zu. Als Ausnahmeregelung ist sie eng auszulegen. Sie betrifft nach ihrem Wortlaut nur die €Sozien€. Einer auf €echte€ Sozien bezogenen Auslegung entspricht auch, dass ein Rechtsanwalt als Kanzleiinhaber oder Sozius auf Personal, wozu auch die Klägerin als angestellte Rechtsanwältin gehört, Angehörige oder Mitgesellschafter Einflussmöglichkeiten hat. Dem hingegen ist im Verhältnis des Angestellten zum Dienstberechtigten ein solcher Einfluss nicht gegeben, so dass im Interesse der Versicherung dem Zweck der Regelung, Kollusion zu verhindern, entsprechend kein Bedürfnis für einen Haftungsausschluss besteht. Soweit auch die Beschränkung des Haftungsrisikos teilweise zur Begründung des Ausschlusses herangezogen wird, kann dies nicht zur erweiternden Auslegung der klaren gesetzlichen Regelung führen, da auch die Interessen des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind. Diese sind bei einer angestellten Rechtsanwältin einem Arbeitgeber bzw. Sozius nicht vergleichbar.
Soweit in § 51 III Nr. 1 BRAO Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden können, entspricht dies dem im privaten Versicherungsrecht geltenden Prinzip (§ 61 VVG a.F.), dass der Versicherer von der Leistungspflicht frei wird, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. § 152 VVG a. F. trifft eine Sonderregelung für die Haftpflichtversicherung dahin, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Der Vorsatz braucht sich nicht auf den Schadenseintritt beziehen. Es genügt, dass der Schaden auf einer wissentlichen Pflichtverletzung beruht (Henssler/Prütting, 2. Aufl., § 51 BRAO, Rn. 97). Eine wissentliche Pflichtverletzung der Beklagten als Versicherungsnehmerin, die einen Ausschluss nach § 51 III Nr. 1 BRAO begründen kann, liegt nicht vor. Es kann dahinstehen, ob die Erweiterung des Ausschlusses auch im Falle, dass der Ausschlussgrund in der Person eines Sozius vorliegt (§ 4 Nr. 5 AVB), zulässig ist. Jedenfalls stellt die Erweiterung auf sog. Scheinsozien in § 12 I 1, III AVB eine unangemessene Benachteiligung dar, da in der Person der Klägerin der Haftungsausschlussgrund €wissentliche Pflichtverletzung€ (§ 51 III Nr. 1 BRAO) nicht gegeben ist und insoweit der nach § 51 I BRAO zwingend vorgeschriebenen Versicherungspflicht nicht genügt wird.
Eine unangemessene Benachteiligung liegt auch darin, dass die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 II Nr. 1 BGB). Im Versicherungsrecht erfolgt die Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens durch eine dritte Person im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung nur dann, wenn der Dritte Repräsentant des Versicherungsnehmers ist. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (BGH VersR 1996, 1229, 1230 unter 2. b aa). Dies ist nicht der Fall. Die Klägerin hat keinerlei Aufgaben und Befugnisse auf die Sozien übertragen. Sie war ihrerseits als Angestellte in deren Auftrag tätig. Wie in dem im Parallelverfahren 25 U 5188/07 ergangenen Urteil des 25. Senats des Oberlandesgerichts München vom 08.08.2008 und im Hinweisbeschluss des Senats vom 13.07.2009 ausgeführt, stellt die Zurechnung eines durch einen Sozius begangenen Verstoßes auf freie Mitarbeiter oder Angestellte faktisch eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch Allgemeine Versicherungsbedingungen dar und benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen (so auch v. Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 26, Rn. 296). Selbstverständlich hat der Versicherer ein Interesse daran, für wissentliche Pflichtverletzungen und Veruntreuungen in keinem Fall - auch nicht im Wege des Versicherungsschutzes für die Rechtsscheinhaftung für Scheinsozien - einstehen zu müssen und bezüglich der Haftung von Sozien und Scheinsozien gegenüber Dritten in gleicher Weise die versicherungsrechtlichen Deckung auszuschließen. Die Beklagte hat aber durch die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen ihre Leistungsfreiheit einseitig zu Lasten der aus Rechtsscheinsgesichtspunkten in Anspruch genommenen Scheinsozien durchgesetzt.
Diesen Erwägungen steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 2007, 2490 entgegen, wonach das deliktische Verhalten eines Scheinsozius wegen des gesetzten Rechtsscheins der Sozietät entsprechend § 31 BGB zuzurechnen ist. Diese Entscheidung betrifft nicht die Frage, inwieweit im Verhältnis zur Versicherung ein Dritter Repräsentant des Versicherungsnehmers sein kann. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (BGH VersR 1996,1229,1230). Dies setzt voraus, dass ihm wesentliche Aufgaben und Befugnisse zur selbständigen umfassenden Erledigung tatsächlich übertragen worden sind. Weder die Sozietät noch deren Gesellschafter sind im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverhältnisses Repräsentanten der Klägerin.
Die Beklagte meint, dass auch echte Sozien vor Veruntreuungen durch Mitgesellschafter nicht sicher sein können. Dies mag zutreffen. Ein angestellter Scheinsozius ist in seiner Stellung gegenüber den Mitgliedern der Sozietät aber einem echten Sozius nicht vergleichbar. Ihm stehen weder Mitwirkungsrechte (§ 712 BGB), noch Kontrollrechte (§ 716 BGB) zu. Die gesellschaftsrechtliche Möglichkeit der Einflussnahme besteht nicht.
Die Versicherungsbedingungen der Beklagten bieten für die Klägerin zudem, wollte man den Ausschluss für gerechtfertigt ansehen, keinen angemessenen Schutz, da nach § 4 Ziffer 4 AVB (Anlage B 8) der Versicherungsschutz aus der Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Angestellter ausgeschlossen ist, also Tätigkeiten, die die Beklagte als Angestellte ausführt, von der von ihr abgeschlossenen Haftpflichtversicherung nicht erfasst sind. Der Abschluss einer eigenen Haftpflichtversicherung der Beklagten als angestellte Rechtsanwältin ist aber nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (§ 51 BRAO) gleichwohl erforderlich (vgl. Sassenbach im Münchner Anwaltshandbuch, VersR, § 17 Rn. 7).
Der Einwand der Beklagten, die Klägerin müsse sich aufgrund des von ihr gesetzten Rechtsscheins auch der Versicherung gegenüber als Gesellschafterin behandeln lassen, greift nicht. Zum einen ist es nach § 8 BORA berufsrechtlich zulässig, dass echte Sozien und angestellte Rechtsanwälte auf den Briefkopf der Rechtsanwaltsgesellschaft gemeinsam nach Außen auftreten. Zum anderen besteht kein Grund, inwiefern der Versicherungsschutz im Falle einer Rechtscheinshaftung unbillig wäre.
4. Der Umfang der Haftung der Klägerin ergibt sich aus dem im Haftpflichtprozess abgeschlossenen Vergleich.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht ersichtlich, dass über den vorliegenden Fall hinaus die Entscheidung für die Allgemeinheit von Bedeutung ist. Eine entscheidungserhebliche klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BVerfG NJW 2009, 572, 573), liegt nicht vor. Gegenstand der Beurteilung ist die spezielle Regelung in den konkreten Versicherungsbedingungen der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Weder in den von der Beklagten selbst verwendeten Bedingungen, noch in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden und AVB-WB (abgedruckt in Prölss/Martin, 27. Aufl., Seite 1502 ff.) ist die Sozienklausel in entsprechender Weise versteckt eingegliedert. Ein abstraktes Klärungsinteresse, ob die Regelung wegen der konkreten Einordnung in das Klauselwerk überraschend ist, kann angesichts der speziellen Regelung nicht bejaht werden. Selbst wenn bei der Beklagten per August 2009 noch 18.010 Versicherungsverträge mit dem streitgegenständlichen Bedingungswerk geführt werden, ergibt sich hieraus nicht, dass sich die klärungsbedürftige Rechtsfrage tatsächlich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen wird. Die Beklagte war selbst nicht in der Lage, neben den die ehemalige Kanzlei M., St. und Kollegen betreffenden Fällen weitere aktuelle Fälle zu benennen, weshalb sie sich veranlasst sah, auf eine entsprechende Fallkonstellation zu beziehen, über die der BGH im Jahre 1990 zu befinden hatte. Dass ein Rechtsanwalt als Mitglied einer Sozietät Mandantengelder veruntreut, für die ein angestellter Scheinsozius in Anspruch genommen wird, dürfte eine absolute Ausnahmesituation darstellen.
Ob die Revision im Hinblick auf die Frage eines Verstoßes der Regelung gegen § 307 BGB zuzulassen wäre, kann letztlich dahinstehen. Denn diese Frage ist hier nicht entscheidungserheblich, weil bereits nach dem im konkreten Einzelfall verwendeten Bedingungswerk die in Frage stehenden Klauseln nach § 305 c I BGB nicht Vertragsbestandteil geworden sind. Die hierzu unter II. 2 c . dargelegten Gründe tragen die Entscheidung. Die Zulassung der Revision setzt voraus, dass die zu klärende Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Daran fehlt es, wenn wie hier die Entscheidung auf eine zweite Begründung gestützt wird, die das Ergebnis trägt (Musielak/Ball, 6. Aufl., § 543 ZPO Rn. 9 k).
Die Zulassung der Revision ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 35.6.3009 ( 3 U 115/08; Anlage BE 1) betrifft eine völlig andere Fallkonstellation, wie das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung ( a.a.O. S. 8, 10) selbst hervorhebt, weshalb sich dem Senat nicht erschließt, weshalb das OLG Frankfurt angesichts seiner eigenen Ausführungen die Revision zugelassen hat.
OLG München:
Urteil v. 23.02.2010
Az: 25 U 3563/09
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