Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Januar 2008
Aktenzeichen: 5 W (pat) 432/06
(BPatG: Beschluss v. 14.01.2008, Az.: 5 W (pat) 432/06)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 24. April 2006 aufgehoben.
2. Das Gebrauchsmuster 298 24 944 wird gelöscht.
3. Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird als unzulässig verworfen.
4. Die Kosten des Löschungsverfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
I Die Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamts hat das am 3. Juni 1998 angemeldete Gebrauchsmuster 298 24 944 mit der Bezeichnung "Medizinisches Instrument zur Behandlung vom biologischem Gewebe", das die innere Priorität der deutschen Patentanmeldung 197 25 477 in Anspruch nimmt und das am 17. Juli 2003 mit 20 Schutzansprüchen in das Gebrauchsmusterregister eingetragen worden ist, mit Beschluss vom 24. April 2006 teilgelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 16 nach dem Hilfsantrag vom 3./24. April 2006 hinausgeht.
Gegen den vorgenannten Beschluss richten sich die Beschwerden der Gebrauchsmusterinhaberin (Beschwerdeführerin I) und der Antragstellerin (Beschwerdeführerin II).
Zu weiteren Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Akteninhalt verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung überreicht die Gebrauchsmusterinhaberin neue Schutzansprüche 1 bis 14 gemäß Hauptantrag.
Die Gebrauchsmusterinhaberin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Löschungsantrag im Umfang des in der mündlichen Verhandlung übergebenen Hauptantrags zurückzuweisen, im Übrigen die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Antragstellerin stellt den Antrag, den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I vom 24. April 2006 (298 24 944 LÖ I 162/04) abzuändern und das Gebrauchsmuster 298 24 944 in vollem Umfang zu löschen;
im Übrigen die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 unter anderem gegenüber dem den Entgegenhaltungen LLÖ 5 EP 0 317 507 B1 (beglaubigte Übersetzung gemäß LLÖ 5a) und LLÖ 35 US 4 265 228 entnehmbaren Stand der Technik nicht schutzfähig sei.
Der in Merkmalsblöcke gegliederte, ansonsten wörtlich wiedergegebene Schutzanspruch 1 lautet:
M1 Medizinisches Instrument zur Behandlung von biologischem Gewebe, M1.1 mit einer Einrichtung zum Erzeugen von extrakorporalen Druckwellen M1.2 und mit einem Übertragungselement (2) zum Einkoppeln der Druckwellen in den Körper von Lebewesen, dadurch gekennzeichnet, M2 dass das Übertragungselement (2) aus einer metallischen Sonde besteht, M3 die eine stumpfe Sondenspitze (22) mit einer flachen Austrittsgrenzfläche (24) aufweist, M4 die unfokussierte, mechanisch erzeugte Druckwellen in das biologische Gewebe einkoppelt, M5 die von einem auf eine hohe Endgeschwindigkeit von 5 bis 20 m/s beschleunigten und auf das Übertragungselement (2) auftreffenden Schlagteil (10) erzeugbar ist, M6 dessen Schlagfrequenz ca. 1 bis 30 Hz, vorzugsweise 6 bis 20 Hz, beträgt, M7 dass die Einrichtung zum Erzeugen von Druckwellen aus einem in einem Gehäuse (4) geführten, mit Hilfe eines Antriebsmittels (14) hin- und her bewegbaren Schlagteil (10) besteht, das auf das Übertragungselement (2) mehrere Kraftstöße ausübt, M8 dass das Schlagteil (10) infolge des Kraftstoßes eine Druckwelle in das Übertragungselement (10) induziert, M9 dass sich die Druckwelle bis zu der auf die Körperoberfläche aufgesetzte Austrittsgrenzfläche (24) der stumpfen Sondenspitze (22) des Übertragungselementes (2) fortpflanzt und in den Körper einkoppelt, M10 dass zwischen Übertragungselement (2) und dem Gehäuse (4) ein in Axialrichtung wirkendes Feder-/Dämpfungselement (30) angeordnet ist, gegen das ein Ringbund (3) des Übertragungselementes (2) als Anschlagelement anliegt, M11 dass das Feder-/Dämpfungselement (30) das Übertragungselement (2) in Axialrichtung von dem Gehäuse (4) entkoppelt, M12 dass das Feder-/Dämpfungselement (30) die Auslenkung des Übertragungselementes (2) begrenzt, so dass die Sondenspitze (22) einen Hub von weniger als 0,5 mm ausführt, und M13 dass das Übertragungselement (2) an der Austrittsgrenzfläche (24) einen größeren Durchmesser aufweist als an der Eintrittsgrenzfläche (26).
Zu den Unteransprüchen 1 bis 14 sowie zu den weiteren Unterlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und begründet, da sie zur Löschung des Gebrauchsmusters führt.
Es kann dahinstehen, ob der Schutzanspruch 1 durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt ist. Denn der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 beruht nicht auf einem erfinderischen Schritt. Der zuständige Fachmann ist ein berufserfahrener mit der Konstruktion von medizinischen Geräten befasster Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, der medizinische Belange betreffend einen Arzt zu Rate zieht.
Nach den Angaben in der Streitgebrauchsmusterschrift (Seite 1, Absätze 1 und 2) betrifft das angegriffene Gebrauchsmuster ein medizinisches Instrument zur Behandlung von biologischem Gewebe. Derartige Instrumente dienen dazu, mittels Druck- oder Stoßwellen den Heilungsprozess unter anderem bei Knochenbrüchen aber auch Paradonthose zu beschleunigen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Schmerztherapie. Weiter ist in der Gebrauchsmusterschrift ausgeführt (Seite 1, Absatz 3 bis Seite 2, Absatz 2), dass bei bislang bekannten extrakorporalen Druckwellengeneratoren eine erzeugte Druckwelle auf das Objekt fokussiert wird, was zu einer Beschädigung des Gewebes führen könnte. Hingegen müsse eine gleichmäßige Beaufschlagung beispielsweise eines gesamten Knochenbruchbereichs für ein befriedigendes Behandlungsergebnis erzielt werden.
Daran orientiert sich die dem Gebrauchsmuster zugrunde liegende Aufgabe, einen Druckwellengenerator so auszubilden, dass er auf eine einfache und kostengünstige Weise eine gleichmäßige Energieverteilung der Druckwellen auf einen großflächigen Wirkungsbereich ermöglicht (vgl. Gbm-Schrift, Seite 2, Absatz 3).
Aus der Entgegenhaltung LLÖ 5, die den nächstliegenden Stand der Technik repräsentiert, ist allgemein eine Vorrichtung zur Einwirkung auf ein Objekt mittels Ultraschall-Schwingungen bekannt (vgl. den Patentanspruch 1). Bei der anhand der Figur 1 beispielhaft erläuterten Ausführungsform wirkt die Vorrichtung als Lithotripter zwar auf einen zu zertrümmernden Stein als Objekt ein, jedoch eignet sich die Vorrichtung in ihrer Funktionsweise auch zur Behandlung anderer Objekte, unter anderem zur Behandlung von biologischem Gewebe (vgl. in LLÖ 5a, Seite 12, Abs. 3) [M1]. Die Vorrichtung weist einen Ultraschall-Stoßwellen-Generator (vgl. Anspruch 1), somit eine Einrichtung zum Erzeugen von extrakorporalen Druckwellen auf, da Ultraschallwellen sich in einem Medium bekanntlich als Druckwellen ausbreiten [M1.1]. Gemäß Figur 1 ist in der Vorrichtung ein aus einer metallischen Sonde bestehendes Übertragungselement vorgesehen (vgl. in LLÖ 5a die Beschreibung zur Figur 1 auf Seite 3, vorletzter Absatz "aus Stahl gebildeter Wellenleiter 4") [M2]. Die Länge des Wellenleiters ist dem jeweiligen Anwendungsfall angepasst zu dimensionieren, bei der invasiven Behandlung gemäß Figur 1 (Lithotripter) entsprechend länger, um mit dem freien Ende die Druckwelle direkt auf den zu zertrümmerten Stein zu übertragen (LLÖ 5a Seite 5, Absatz 5), wobei das Ende des Wellenleiters stumpf an einer flachen Austrittsgrenzfläche gestaltet sein muss, damit die Druckwelle direkt auf den Stein einwirkt. Bei einer nichtinvasiven Anwendung (bei entsprechend kürzerem Wellenleiter) wird die unfokussierte, mechanisch erzeugte Druckwelle über den Wellenleiter in das biologische Gewebe des Körpers eingekoppelt, indem die Austrittsgrenzfläche des stumpfen Wellenleiterendes auf die Körperoberfläche aufgesetzt wird [M1.2], [M4], [M9]. Die Druckwellen werden durch ein auf eine hohe Endgeschwindigkeit beschleunigtes und auf den Wellenleiter 4 auftreffendes Projektil 1 als Schlagteil erzeugt [~ M5], dessen Schlagfrequenz etwa 25-30 Hz beträgt (LLÖ 5a, Seite 5, vorletzter Absatz) und somit in dem im Merkmal [M6] angegebenen Bereich liegt. Das Projektil 1 seinerseits ist zum Erzeugen der Druckwellen in einem Gehäuse geführt (Blasrohr 2; vgl. LLÖ 5a, Beschreibung zur Figur 1 ab Seite 3) und übt, mit Hilfe eines Antriebsmittels (Kolben 13, Verdichter 14) hin und her bewegt, auf den Wellenleiter Kraftstöße aus, wobei das Projektil (Schlagteil) in Folge jedes Kraftstoßes eine Druckwelle in den Wellenleiter 4 induziert [M7], [M8]. Ferner ist zwischen dem Wellenleiter 4 und dem Gehäuse (Auflage 12) ein Dämpfungsanschlag 11 angeordnet, der in Axialrichtung als Feder-/Dämpfungselement wirkt und gegen den ein (mit dem Wellenleiter fest verbundener; vgl. LLÖ 5a, Seite 4, Absatz 1) Ring 10 als Anschlagelement anliegt [M10], womit der Wellenleiter vom Gehäuse in Axialrichtung entkoppelt [M11] und zugleich die Auslenkung des Wellenleiters und damit der Hub von dessen freiem Ende begrenzt wird [~ M12].
Nach alledem unterscheidet sich der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 von der aus LLÖ 5 bekannten Vorrichtung lediglich durch die Dimensionierungsangaben in den Merkmalen [M5], [M12] und [M13].
Was den angegebenen Bereich von 5 bis 20 m/s für das beim Auftreffen auf das Übertragungselement auf die Endgeschwindigkeit beschleunigte Schlagteil betrifft, so ist zum Induzieren der beabsichtigten Druckwelle in das Übertragungselement die kinetische Energie des auftreffenden Schlagteils maßgeblich, die bekanntlich durch die Masse und die Geschwindigkeit des Schlagteils bestimmt ist (E = 1/2 mv2). Der in [M5] angegebene Bereich von 5 bis 20 m/s bewegt sich im Rahmen der erforderlichen Geschwindigkeit gegenüber Projektilen zum Induzieren einer Druckwelle. Beispielsweise ergibt sich aus der LLÖ 35, wie es die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 9. November 2007 auf Seite 2 unter c) zutreffend ausführt, durch die einfache Berechnung aus obiger Formel aus dem angegebenen Wert der kinetischen Energie und der Masse des Projektils eine Geschwindigkeit von etwa 7 m/s, welche damit im angegebenen Bereich liegt. Die in [M5] angegebenen Grenzen für den beanspruchten Bereich ergeben sich daher für den Fachmann durch einfache Versuche ohne erfinderisches Zutun.
Diese Bewertung trifft auch für die in [M12] beanspruchte Hubbegrenzung der Sondenspitze zu, zumal bei der Vorrichtung aus LLÖ 5 das am zu behandelnden Objekt anliegende freie Ende des Wellenleiters nur einen möglichst geringen Hub ausführen darf, damit nur die Druckwelle auf dem Stein einwirkt und dieser nicht durch eine zusätzliche axiale Bewegung des Wellenleiters unerwünscht verlagert wird, was der durch die Druckwelle verursachten Abschabwirkung am Stein entgegenliefe. Der Fachmann ist deshalb in LLÖ 5 angehalten, den Dämpfungsanschlag 11 so zu dimensionieren, dass die Auslenkung des Wellenleiters nur einen möglichst geringen Hub an dessen Spitze ausführt.
Schließlich wird der Durchmesser der Austrittsgrenzfläche des Übertragungselements, die auf der Körperoberfläche aufsitzt, wie in [M13] angegeben, von dem zu behandelnden biologischen Gewebe bestimmt. Diese Dimensionierung hat der Fachmann deshalb in Absprache mit dem zu behandelnden Arzt, mit dem er in ständigem Kontakt steht, ohne erfinderisches Zutun vorzunehmen.
Nach alledem beruht der Schutzanspruch 1 nicht auf einem erfinderischen Schritt und ist daher nicht schutzfähig.
Mit dem Schutzanspruch 1 fallen auch die Unteransprüche 2 bis 14, da sie eine schutzbegründende Substanz nicht enthalten und eine solche von der Gebrauchsmusterinhaberin auch nicht geltend gemacht wurde.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin erweist sich auf Grund des in der mündlichen Verhandlung gestellten Hauptantrags, der im Umfang hinter dem angefochtenen Beschluss zurückbleibt, mangels Beschwer als unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Absatz 2 Satz 2 GbmG i. V. m. § 84 Absatz 2 PatG, §§ 91 ff. Absatz 1 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.
Müllner Dr. Morawek Bernhart Pü
BPatG:
Beschluss v. 14.01.2008
Az: 5 W (pat) 432/06
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