Anwaltsgerichtshof München:
Urteil vom 7. November 2011
Aktenzeichen: BayAGH I - 6/2011, BayAGH I - 6/11
(AGH München: Urteil v. 07.11.2011, Az.: BayAGH I - 6/2011, BayAGH I - 6/11)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Widerruf der Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft.
Der am ... geborene Kläger wurde mit Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 14.11.1977 zur Rechtsanwaltschaft und gleichzeitig als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht Aschaffenburg sowie bei dem Landgericht Aschaffenburg zugelassen. Die Zulassungsurkunde wurde ihm am 25.11.1977 ausgehändigt. Am 25.11.1977 wurde er in die Liste der beim Amtsgericht Aschaffenburg und beim Landgericht Aschaffenburg zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen. Am 25.11.1982 wurde dem Kläger die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Oberlandesgericht Bamberg erteilt.
Zuletzt unterhielt der Kläger seine Kanzlei in der ... Straße ... in K.
Mit Bescheid vom 20.04.2011, dem Kläger am 21.04.2011 zugestellt, widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO.
Gemäß Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - Aschaffenburg vom 4.11.2010 (Az.: 1 In 669/10) war das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts A. eröffnet und Rechtsanwalt S. als Insolvenzverwalter bestellt worden; eine Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgte bislang nicht. Mit Schreiben vom 17.11.2010 hat der Insolvenzverwalter eine Erklärung gemäß § 35 Abs. 2 InsO abgegeben, mit der die Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit erfolgt ist. Nach eigenen Angaben des Klägers war die Unmöglichkeit, eine Forderung von 3.000 EUR zu begleichen, die Ursache für das eingeleitete Insolvenzverfahren. Dort ergaben sich Schulden des Klägers in Höhe von 85.755,16 EUR.
In seiner Klage vom 19.05.2011, bei Gericht am selben Tag eingegangen, vertritt der Kläger die Auffassung, eine Interessengefährdung der Rechtssuchenden sei vorliegend ausgeschlossen. Da er weder Mitinhaber der Kanzleikonten sei noch Verfügungsvollmachten darüber besäße, sei es ausgeschlossen, dass er über dort eingehende Mandanten- und Fremdgelder verfügen könne.
Soweit der Widerruf damit begründet werde, dass der Kläger außerhalb seiner Tätigkeit in der Kanzlei der Rechtsanwälte O. & Kollegen durch die Annahme eigener Mandate mit Fremdgeldern in Berührung kommen und daraus eine Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden entstehen könne, sei dem entgegen zu halten, dass es die Beklagte in der Hand habe, diese Gefahr abzuwenden, indem sie dem Kläger untersage, außerhalb seiner Tätigkeit in der Kanzlei der Rechtsanwälte O. & Kollegen eigene Mandate zu führen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München vom 20.04.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
In ihrer Klageerwiderung vom 09.06.2011 wiederholt und vertieft die Beklagte die Ausführungen im Bescheid vom 20.04.2011. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei vorliegend nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen, da der Kläger in Vermögensverfall geraten sei. Über das Vermögen des Klägers sei das Insolvenzverfahren eröffnet. Damit werde gesetzlich vermutet, dass er sich in Vermögensverfall befinde, § 14 Abs. 2 Nr. 7 2. Halbsatz BRAO. Diese Vermutung des Vermögensverfalls habe der Kläger mangels vollständigen und detaillierten Gläubiger- und Schuldnerverzeichnisses samt erfolgversprechendem Tilgungsplan bis heute nicht widerlegt. Durch diesen Vermögensverfall seien grundsätzlich auch die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet. Zwar sei der Kläger nach seinen Angaben als freier Mitarbeiter in der Kanzlei Rechtsanwälte O. & Kollegen tätig und beziehe von dieser für die Bearbeitung familienrechtlicher Mandate monatlich einen festen Betrag in Höhe von 3.650,62 EUR einschließlich Umsatzsteuer. Es sei jedoch ungewiss, ob dieser Betrag auch weiterhin fließen werde, da es sich gerade nicht um eine Tätigkeit in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis handele. Ebenfalls nicht ausreichend sei der Vortrag des Klägers, dass er weder Mitinhaber der Kanzleikonten sei noch dass er dafür Vollmachten besitze oder eine sonstige Verfügungsberechtigung. Auch eine solche Handhabung sei jederzeit abänderbar. Zudem habe der Kläger seinen Beruf bisher nicht "ohne jede Beanstandung" ausgeübt.
Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.06.2011 (Az.: AnwZ (Brfg) 11/10, veröffentlicht u.a. in NJW 2011, 3234) sei für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach der mit Wirkung ab 01.09.2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren wie in Bayern entbehrlich sei - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung - vorliegend am 20.04.2011 - abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten.
Ergänzend wird auf die Klage vom 19.05.2011, die Klageerwiderung vom 09.06.2011, den Hinweis des Vorsitzenden vom 17.08.2011, die Schriftsätze des Klägers vom 19.09.2011 und vom 02.11.2011, den Schriftsatz der Beklagten vom 20.10.2011 und die von der Beklagten über den Kläger geführte Personalakte sowie die Sitzungsniederschrift vom 07.11.2011 Bezug genommen.
Gründe
I.
Die Klage ist zulässig. Nach Maßgabe von §§ 112 c Abs. 1, 215 Abs. 3 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung. Gemäß Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die Klage ist auch fristgerecht eingegangen, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet und war abzuweisen. Der streitgegenständliche Widerrufsbescheid vom 20.04.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO analog.
1. Rechtsgrundlage des Widerrufs wegen Vermögensverfalls ist § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Diese Voraussetzungen für den Widerruf waren bei Erlass des angegriffenen Bescheids erfüllt.
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall sind die Erwirkung von Schuldtiteln und fruchtlose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. vom 8.2.2010 - AnwZ (B) 11/09 unter II 1 a m.w.N.). Der Vermögensverfall wird nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet ist.
So verhielt es sich hier. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids am 20.04.2011 war ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Die damit verbundene Vermutung des Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO dauert grundsätzlich bis zum - hier noch nicht erfolgten - Abschluss des Insolvenzverfahrens an; die Freigabe des Vermögens aus der selbständigen Tätigkeit mit Schreiben des Insolvenzverwalters vom 17.11.2010 ändert daran bereits deshalb nichts, da damit keine Maßnahmen zum Schutz der Rechtssuchenden verbunden waren (vgl. BGH, Az.: AnwZ (B) 36/09, Beschluss vom 31.5.2010 unter II 2 b, veröffentlicht in juris). Der Kläger hat die Vermutung des Vermögensverfalls auch nicht widerlegt. Der Vortrag, der Kläger sei als freier Mitarbeiter in der Kanzlei Rechtsanwälte O. & Kollegen tätig und beziehe von dieser für die Bearbeitung familienrechtlicher Mandate monatlich einen festen Betrag in Höhe von 3.650,62 EUR einschließlich Umsatzsteuer, ist bereits deshalb nicht geeignet, die Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen, da es sich bereits nicht um eine Tätigkeit in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis handelt, so dass eine hohe Unsicherheit besteht, ob die Zahlungen weiterhin erfolgen werden. Vor allem aber ist der Kläger die grundsätzlich erforderliche substantiierte Vermögensaufstellung unter Angabe aller bestehenden Verbindlichkeiten sowie die Vorlage eines entsprechenden Tilgungsplans schuldig geblieben.
b) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des Vermögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren, waren bei Erlass des Widerrufsbescheids nicht erkennbar. Der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids war nicht sichergestellt, dass der Kläger keinen Zugang zu Fremdgeld hatte. Eine derartige Sicherstellung hat der Kläger insbesondere nicht durch die Behauptung dargetan, die Vereinbarungen unter § 7 Nr. 3 des Arbeitsvertrags vom 1.8.2011 (vorgelegt als Anlage zum Schriftsatz vom 2.11.2011) hätten bereits - mündlich vereinbart - für das Verhältnis als freier Mitarbeiter von Juni 2000 bis Juli 2011 gegolten. Als Rechtsanwalt in Kanzleigemeinschaft, als der er bis zum 1.8.2011 auf dem Briefpapier der Kanzlei O. & Kollegen geführt wurde, musste der Kläger selbst nach § 4 BORA ein Anderkonto für Fremdgelder einrichten. Zudem konnte er als freier Mitarbeiter eigene Mandate annehmen.
2. Ein eventueller nachträglicher Wegfall des Widerrufsgrundes ist nach der neuen, geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, nicht zu berücksichtigen: Nach der mit Wirkung ab 1. September 2009 erfolgten Änderung des Verfahrensrechts besteht die unter der Geltung des Verfahrensrechts der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 40 Abs. 4, § 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F.) aus prozessökonomischen Gründen zugelassene Möglichkeit, einen nachträglichen Wegfall des Widerrufsgrundes im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen, nicht fort. Vielmehr ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zulassungswiderrufs allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren, wie in Bayern (vgl. Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO), entbehrlich ist - auf den Ausspruch des Widerrufsbescheids abzustellen. Die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen - vorliegend also insbesondere des Abschlusses des Arbeitsvertrags vom 01.08.2011 sowie der behaupteten Konsolidierung der Vermögensverhältnisse - ist einem Wiederzulassungsverfahren Vorbehalten (vgl. BGH NJW 2011, 3234 unter II 1 b).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 709 S. 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung waren nicht gegeben, § 124 Abs. 2 VwGO.
AGH München:
Urteil v. 07.11.2011
Az: BayAGH I - 6/2011, BayAGH I - 6/11
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