Bundespatentgericht:
Urteil vom 10. März 2004
Aktenzeichen: 4 Ni 36/02
(BPatG: Urteil v. 10.03.2004, Az.: 4 Ni 36/02)
Tenor
1. Das europäische Patent 0 655 336 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 und 2 für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 655 336 (Streitpatent), das am 28. November 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität der japanischen Patentanmeldungen JP 298194/93 und JP 298195/93 vom 29. November 1993, JP 178877/94 vom 29. Juli 1994 und JP 183681/94 vom 4. August 1994 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 694 17 353 geführt wird, betrifft einen Tintenbehälter, ein Ein- und Ausbauverfahren und ein Gerät zur Anwendung. Es umfasst 19 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
Ein Tintenbehälter (21), der eine Mehrzahl von Tintenspeicherteilen zur Speicherung von einer aus einer Mehrzahl von einem Farbaufzeichnungskopf (201) zuzuführenden Tintenarten (Y, C, M) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass der Innenraum des Tintenbehälters (21) mittels einer im wesentlichen T-förmigen Trennwand (36, 37) unterteilt ist, so dass mindestens drei Tintenarten (Y, C, M) gespeichert werden können.
Wegen des weiter angegriffenen, unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentanspruchs 2 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin behauptet, die Lehre des Streitpatents beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:
- US 4 771 295 (D1)
- US 4 940 998 (D2)
- DE 32 20 939 A1 (D3)
- US 3 887 287 (D4)
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 655 336 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe nur die Kombination der Patentansprüche 1 und 2, mithin Anspruch 2 angegriffen; im übrigen hält sie das Streitpatent für bestandsfähig.
Gründe
Die zulässige Klage, mit der der in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist begründet.
1. Gegenstand der Nichtigkeitsprüfung sind die erteilten Patentansprüche 1 und 2 und nicht nur eine Kombination aus beiden Ansprüchen. Dafür spricht schon der Wortlaut des Klageantrags. Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent "...im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 für nichtig zu erklären". Auch in der Klagebegründung nimmt die Klägerin hinsichtlich beider Ansprüche gesondert zur erfinderischen Tätigkeit Stellung. Der Klagegegenstand ist somit klar festgelegt; der hiergegen gerichtete Einwand der Beklagten, den sie in der mündlichen Verhandlung nicht mehr weiter verfolgt hat, ist unbegründet.
2. Das Streitpatent betrifft einen Tintenbehälter, der in einen Tintenstrahlbausatz und in ein Tintenstrahl-Aufzeichnungsgerät eingebaut werden kann. Nach der Patentbeschreibung wird auf dem Gebiet der Tintenstrahltechnik seit einigen Jahren ein leicht austauschbarer Tintenstrahlbausatz in Form einer Kartusche verwendet, bei der ein Aufzeichnungskopf und ein Tintenbehälter zu einer einzigen Einheit integriert sind, u.a. um die Größe des Geräts zu vermindern und einen wartungsfreien Betrieb zu erreichen. Der Tintenstrahlbausatz werde nach Aufbrauchen der Tinte mit dem Aufzeichnungskopf weggeworfen, obwohl dieser im Bezug zu der Menge der im Tintenbehälter aufnehmbaren Tinte eine extrem lange Lebensdauer habe; dies sei aus Umweltschutzgründen bedenklich. Deshalb sei im Stand der Technik eine Konstruktion vorgeschlagen, bei der der Aufzeichnungskopf und der Tintenbehälter trennbar und dieser deshalb gesondert ersetzbar sei. Diese Konstruktion führe aber insbesondere bei Vollfarben-Aufzeichnungsgeräten, bei denen vier Tintenbehälter parallel zur Abtastrichtung ausgerichtet seien, zu einer unerwünschten Vergrößerung des Geräts.
3. Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, eine Tintenbehälterkonstruktion zu schaffen, die die größte Tintenkapazität innerhalb eines für den Tintenbehälter zur Verfügung stehenden Raumes bietet. Ferner soll es möglich sein, einen derartigen Tintenbehälter in einen Tintenstrahlbausatz oder in ein Tintenstrahl-Aufzeichnungsgerät einzubauen und ihn daraus zu entfernen. Darüber hinaus soll die Erfindung einen Tintenbehälter schaffen, der eine Mehrzahl von Tintenspeicherteilen besitzt, von denen jedes eine aus einer Mehrzahl von dem Farbaufzeichnungskopf zuzuführender Tintenarten speichert, wobei mindestens drei Farbtinten voneinander durch die Trennwände, die den Innenraum des Tintenbehälters aufteilen, voneinander getrennt sind.
4. Patentanspruch 1 beschreibt dem gemäß einen Tintenbehälter mit folgenden Merkmalen:
a) Es handelt sich um einen Tintenbehälter.
b) Der Tintenbehälter umfasst eine Mehrzahl von Tintenspeicherteilen zur Speicherung von einer Mehrzahl von einem Farbaufzeichnungskopf zuzuführenden Tintenarten.
Oberbegriffc) Der Innenraum des Tintenbehälters ist mittels einer im wesentlichen T-förmige Trennwand unterteilt.
d) Durch die Unterteilung des Innenraums des Tintenbehälters können mindestens drei Tintenarten gespeichert werden.
Kennzeichen 5. Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, ist der Tintenbehälter nach Patentanspruch 1 neu, da in keiner der entgegengehaltenen Druckschriften ein Behälter gezeigt wird, bei dem der Innenraum durch eine im wesentlichen T-förmige Trennwand unterteilt ist.
6. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Senat ist überzeugt, dass er dem Fachmann durch den Gegenstand nach der US 4 771 295 und mit seinem bei der Fachhochschulausbildung erworbenen Wissen nahegelegt war.
Fachmann ist hier ein Techniker oder Ingenieur einer Fachhochschule mit beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Tintenversorgung von Druckköpfen in Druckern.
Die US 4 771 295 zeigt einen Tintenbehälter, der alle Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aufweist. Bei diesem Tintenbehälter 10 sind Tintenspeicherteile 12, 14, 16 zum Speichern dreier verschiedenfarbiger Tintenarten Y, C, M vorgesehen, die einem Farbaufzeichnungskopf 28 zugeführt werden können. Die Tintenspeicherteile werden durch gerade Trennwände 62, 64 im Behälter gebildet (Sp 1, Z 68 bis Sp 2, Z 3; Sp 2, Z 17 bis Z 35 und Sp 3, Z 3 bis Z 13; Fig 1, 2). Die Anordnung der Speicherteile ist gemäß Fig 1 so, dass diese parallel zur Aufzeichnungsrichtung des Aufzeichnungskopfes angeordnet sind, was von den Beteiligten auch nicht bestritten wird.
Durch diese Anordnung der Speicherteile des Tintenbehälters parallel zur Aufzeichnungsrichtung wird zusammen mit der maximalen Breite des Aufzeichnungsträgers die Breite des Druckers bestimmt, da der Aufzeichnungskopf mit dem zugehörigen Tintenbehälter mittels des erforderlichen Schlittens über die gesamte Breite des Aufzeichnungsträgers bewegt werden muss, um diesen (nahezu) randlos zu bedrucken.
Ausgehend von diesem Stand der Technik wird die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe vom Senat übereinstimmend mit dem Vortrag der Patentinhaberin dahingehend interpretiert, einen Tintenbehälter mit mehreren Kammern und mit möglichst großer Tintenkapazität zu schaffen, der einen zur Verfügung stehenden Raum optimal ausfüllt und für den Anschluss an einen Aufzeichnungskopf möglichst wenig Montageraum benötigt. Der Montageraum soll dabei in Aufzeichnungsrichtung des Aufzeichnungskopfes (Druckerbreite) minimiert werden.
Ein im Verlauf seiner Fachhochschulausbildung im methodischen Konstruieren unterrichteter Fachmann erkennt ohne weiteres, dass er die Breite des Druckers allein über die Breite des Tintenbehälters beeinflussen kann, da die maximale Größe des Aufzeichnungsträgers und die Gestalt des Aufzeichnungskopfes vorgegeben sind. Er wird dabei selbstverständlich die Menge der verschiedenen Tintenarten beibehalten wollen. Mit diesen Voraussetzungen wird er alle möglichen Lösungen des Problems aufzeigen, diese systematisch bewerten und die optimale Lösung aussuchen.
Ausgehend von den nebeneinander angeordneten Tintenspeicherteilen des Tintenbehälters nach der US 4 771 295 bietet es sich dem Fachmann an, die Breite des Tintenbehälters um eine oder um zwei Breiten der Tintenspeicherteile zu verringern, da dies konstruktiv sehr einfach zu verwirklichen ist. Soll die Breite des Tintenbehälters um zunächst eine Breite eines Tintenspeicherteils verringert werden bieten sich dem systematisch denkenden Fachmann zwei Möglichkeiten:
a) Die Tintenspeicherteile werden in Aufzeichnungsrichtung schmäler und senkrecht dazu länger.
b) Zwei Tintenspeicherteile bleiben parallel in Aufzeichnungsrichtung angeordnet, das Dritte wird in senkrecht zur Aufzeichnungsrichtung vor oder hinter den beiden anderen angeordnet und in der Breite diesen angepasst.
Die Variante b) erschließt sich dem Fachmann aufgrund der mathematischen Ausbildung in Geometrie an der Fachhochschule über die Betrachtung von Variationsmöglichkeiten der Anordnung rechteckiger Körper. Das Auffinden beider einfacher Varianten ist für den Fachmann nicht mit einer erfinderischen Tätigkeit verknüpft, sondern das Ergebnis einfacher systematischer Überlegungen.
Eine Bewertung der Variante a) zeigt dem Fachmann, dass er konstruktive Schwierigkeiten erwarten muss, wenn er seine Tintenabflussöffnungen in der bisherigen Größe beibehalten will, da die Zwischenwände eventuell mit diesen kollidieren bzw der Übergang von Zwischenwand und Tintenabflussöffnung aufwendig gestaltet werden muss. Ferner kann es in diesem Bereich zu Verformungen kommen, wenn der Tintenbehälter spritzgegossen wird. Der Fachmann wird daher diese Lösung nicht näher in Erwägung ziehen.
Mit der konstruktiven Anordnung der Tintenspeicherteile in der Variante b) ergibt sich in naheliegender Weise das beanspruchte kennzeichnende Merkmal, wonach der Innenraum des Tintenbehälters durch eine T-förmige Trennwand unterteilt ist. Bei dieser Variante treten die bei a) geschilderten Nachteile nicht auf, da ausreichend Platz für die Tintenabflussöffnungen vorhanden ist. Ferner ist der Tintenbehälter als Spritzgussteil einfach herzustellen, da die T-förmige Trennwand den Behälter zusätzlich gegen temperaturbedingte Verformung schützt.
Die weitere mögliche Variante a), bei der drei Tintenspeicherteile in Reihe senkrecht zur Aufzeichnungsrichtung angeordnet sind, wird der Fachmann nicht in Betracht ziehen, da sich längere Tintenzufuhrkanäle zum Aufzeichnungskopf ergeben, die für eine rasche und störungsfreie Tintenzufuhr zum Kopf nicht förderlich sind. Außerdem ist ein derartig schmal und lang ausgebildeter Tintenbehälter schwieriger auf dem Schlitten zu befestigen und zu entnehmen. Der Fachmann wird daher für seinen Tintenbehälter aus zuvor genannten Gründen auf die Variante b) zurückgreifen.
Der von der Patentinhaberin beanspruchte glückliche Griff bei der Auffindung der Merkmale des Patentanspruchs 1 liegt nicht vor, diese Merkmale liegen vielmehr aus vorgenannten Gründen im Griffbereich des Durchschnittsfachmannes. Das Streitpatent ist daher bezüglich seines Patentanspruchs 1 für nichtig zu erklären.
7. Der Gegenstand nach Anspruch 2 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der US 4 771 295 ist bereits bekannt, die Tintenabflussöffnungen 22, 24, 26 der drei Tintenarten Y, M, C zum Aufzeichnungskopf 28 so anzuordnen, dass die Tintenzufuhrkanäle 108, 110, 112 zwischen Tintenabflussöffnung und Aufzeichnungskopf möglichst kurz ausgebildet sind. Werden sehr kurze Tintenzufuhrkanäle auch bei dem Tintenbehälter nach Anspruch 1 angestrebt, so ist es dem Fachmann unmittelbar einsichtig, alle Tintenabflussöffnungen nahe dem Punkt anzuordnen, an dem sich die drei Tintenspeicherteile unmittelbar gegenseitig berühren.
Das Streitpatent ist daher auch bezüglich seines Patentanspruchs 2 für nichtig zu erklären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
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