Landessozialgericht Baden-Württemberg:
Urteil vom 5. April 2011
Aktenzeichen: L 11 KR 658/09

(LSG Baden-Württemberg: Urteil v. 05.04.2011, Az.: L 11 KR 658/09)

1. Erhält ein Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV Kenntnis von einem Bescheid der Einzugsstelle, ist darin keine Bekanntgabe iSd § 37 SGB X zu sehen.2. Dem Rentenversicherungsträger kann nach Treu und Glauben die Berufung darauf, dass ihm ein Verwaltungsakt der Einzugstelle nicht bekannt gegeben worden ist, versagt sein (Fall der Verwirkung).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2008 wird zurückgewiesen.Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.Der Streitwert wird endgültig auf 45.555 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der Rentenversicherung ab dem 1. Juni 2003 aufgrund seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) streitig.

Bei der Beigeladenen zu 2) handelt es sich um eine Städtische Wohnungsbaugesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in L./S.. Zweck der Gesellschaft ist es, vorrangig eine sozialverantwortbare Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung sicherzustellen, Maßnahmen der kommunalen Infrastruktur zu unterstützen und städtebauliche Entwicklungs- und Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Die Gesellschaft errichtet, erwirbt, betreut, bewirtschaftet und verwaltet deshalb Wohnungen in allen Rechts- und Nutzungsformen (vgl § 2 Abs 1 und 2 des Gesellschaftsvertrags [GV]). Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 9.500.000 EUR. Alleinige Gesellschafterin ist die Stadt L./S. (§ 3 GV). Organe der Gesellschaft sind die Geschäftsführung, der Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung (§ 4 GV). Mit Geschäftsführern und Mitgliedern des Aufsichtsrats dürfen Geschäfte und Rechtsgeschäfte des § 2 GV nur abgeschlossen werden, wenn der Aufsichtsrat dem Abschluss solcher Geschäfte zugestimmt hat (§ 5 Abs 2 GV). Zur Geschäftsführung ist in den §§ 6 bis 8 GV Folgendes geregelt:

Geschäftsführung § 6

(1) Die Gesellschaft hat je nach der Bestimmung des Aufsichtsrats einen oder mehrere

Gesellschafter/innen.

(2) Die Gesellschaftsführer/innen werden vom Aufsichtsrat auf die Dauer von 5 Jahren bestellt. Wiederholte Bestellung ist zulässig. Die Bestellung kann vorzeitig nur aus wichtigem Grund von der Gesellschafterversammlung widerrufen werden.

(3) Der Aufsichtsrat kann Mitglieder der Geschäftsführung vorläufig ihres Amtes entheben. Der Beschluss bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln aller Mitglieder des Aufsichtsrats. Für die Dauer der vorläufigen Amtsenthebung von Mitgliedern der Geschäftsführung hat der Aufsichtsrat die Fortführung der Geschäfte sicherzustellen; die Gesellschafterversammlung ist unverzüglich einzuberufen. Den vorläufig ihres Amtes enthobenen Mitgliedern der Geschäftsführung ist in der Gesellschafterversammlung Gehör zu geben.

(4) Anstellungsverträge mit Geschäftsführern/innen werden vom Aufsichtsrat auf die Dauer von 5 Jahren abgeschlossen; sie können auch im Falle des Widerrufs der Bestellung als Geschäftsführer/in nur aus wichtigem Grund vom Aufsichtsrat gekündigt werden.

(5) Die Geschäftsführer/innen dürfen ohne Einwilligung des Aufsichtsrats weder ein Handelsgewerbe betreiben noch im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Sie dürfen ohne Einwilligung auch nicht Mitglieder des Vorstands oder Geschäftsführer/in oder persönlich haftende/r Gesellschafter/in einer anderen Handelsgesellschaft sein. Die Einwilligung des Aufsichtsrats kann nur für bestimmte Handelsgewerbe oder Handelsgesellschaften oder für bestimmte Arten von Geschäften erteilt werden. Im Übrigen gilt § 88 AktG entsprechend.

§ 7

(1) Die Geschäftsführung vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Ist nur ein/e Geschäftsführer/in bestellt, so vertritt er/sie die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer/innen bestellt, so vertreten zwei Geschäftsführer/innen gemeinschaftlich oder ein/e Geschäftsführer/in gemeinschaftlich mit einem Prokuristen/einer Prokuristin die Gesellschaft.

(2) Bei Bestellung mehrerer Geschäftsführer/innen und eines/einer oder mehrerer Prokuristen/innen sind Willenserklärungen für die Gesellschaft nur verbindlich, wenn sie von zwei Geschäftsführer/innen oder von einem/einer Geschäftsführer/in und einem/einer Prokuristen/in abgegeben werden.

(3) Die Geschäftsführung führt die Geschäfte der Gesellschaft selbstverantwortlich nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag. Sind mehrere Geschäftsführer/innen bestellt, so können einzelne Geschäftsführer/innen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigt werden.

(4) Die Geschäftsführung hat für jedes Geschäftsjahr einen Wirtschaftsplan aufzustellen. Der Wirtschaftsführung ist eine fünfjährige Finanzplanung zu Grunde zu legen. Wirtschafts- und Finanzplan sind der Stadt L. zur Kenntnis zu bringen.

(5) Die Geschäftsführung hat den Jahresabschluss und den Lagebericht zusammen mit dem Prüfungsbericht des Abschlussprüfers unverzüglich nach dem Eingang des Prüfungsberichts dem Aufsichtsrat vorzulegen. Zugleich ist der Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns vorzulegen.

(6) Die Geschäftsführung hat den Jahresabschluss, den Lagebericht und den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers nebst dem Bericht des Aufsichtsrats über das Ergebnis seiner Prüfung unverzüglich den Gesellschafter/innen vorzulegen.

(7) Die Geschäftsführung hat dem Aufsichtsrat regelmäßig über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu berichten und in den Sitzungen des Aufsichtsrats, an denen sie auf dessen Verlangen teilnimmt, Auskunft zu erteilen.

§ 8

Geschäftsführer/innen, die ihre Obliegenheiten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Sie haben die Sorgfalt eines/einer ordentlichen Geschäftsmannes/Geschäftsfrau anzuwenden.

Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführer in ihrer Geschäftsführung zu fördern, zu beraten und zu überwachen (§ 10 Abs 1 GV). Ihm obliegt nach vorheriger gemeinsamer Beratung mit der Geschäftsführung die Beschlussfassung über die Grundsätze für den Erwerb und die Veräußerung von bebauten und unbebauten Grundstücken, die Einstellung in und die Entnahme aus anderen Gewinnrücklagen, die Zustimmung zur Bestellung von Prokuristen, die Vorbereitung der Vorlagen an die Gesellschafterversammlung, die Geschäftsanweisung für die Geschäftsführung und die Wahl und Beauftragung des Abschlussprüfers (§ 13 Abs 2 GV). Die Gesellschafterversammlung wird in der Regel von der Geschäftsführung einberufen (§ 16 Abs 1 GV). Ihr unterliegt die Beschlussfassung ua über die Entlastung und den Widerruf der Bestellung des Geschäftsführers (§ 18 Buchst h) und k) GV).

Der am 9. Oktober 1974 geborene Beigeladene zu 1) erlernte zunächst den Beruf eines Industriekaufmanns und bildete sich im Anschluss daran weiter zum Diplom-Betriebswirt und Diplom-Immobilienwirt. Er war von Januar bis März 1995 bei der F. Energie- und Wasserversorgungs AG als Sachbearbeiter, von Februar 1996 bis November 1999 bei der Stadtwerke F. GmbH als Sachgebietsleiter für das Vertragswesen in der Grundstücks- und Immobilienwirtschaft und von Dezember bis Mai 2003 bei der Städtischen Wohnungsbau Gesellschaft L. als Stellvertreter des hauptamtlichen Geschäftsführers beschäftigt. Mit Geschäftsführervertrag (GfV) vom 23. Dezember 2002 bestellte die Beigeladene zu 2) den Beigeladenen zu 1) mit Wirkung zum 1. Juni 2003 zunächst für die Dauer von fünf Jahren und später bis 2013 zu ihrem allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer, dem die verantwortliche Leitung des gesamten Unternehmens obliegt (§ 1 Abs 1 Satz 2 GfV). Er verfügt über eine Alleinvertretungsbefugnis (§ 2 Satz 2 GfV) und hat für die in § 13 GV aufgeführten Geschäfte die vorherige Zustimmung des Aufsichtsrates einzuholen. Es ist ein jährliches Bruttogehalt in Höhe von 75.000 EUR zuzüglich Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung vereinbart (§ 4 Abs 1 GfV). Überstunden werden nicht gesondert vergütet (§ 4 Abs 3 Satz 2 GfV). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit wird in Anlehnung entsprechend der jeweils aktuellen Regelung des Vergütungstarifvertrages für die Beschäftigten in der Wohnungswirtschaft festgesetzt (§ 4 Abs 4 GfV). Bei Krankheit oder sonstiger unverschuldeter Verhinderung wird die vertragsmäßige Vergütung für die Dauer von sechs Monaten fortgezahlt (§ 4a Abs 1 GfV). Der Beigeladene zu 1) hat zudem einen Anspruch auf Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen (§ 7 Abs 1 GfV). Am 8. Januar 2004 schlossen der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) eine Ergänzung des GfV dahingehend, dass ihm nach Beendigung der Probezeit ein Geschäftswagen zur Verfügung gestellt wird.

Am 22. April 2004 haben die Beigeladenen zu 1) und 2) bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) die Überprüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) beantragt. Im Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines fremden Geschäftsführers einer GmbH gaben sie an, der Beigeladene zu 1) sei im Rahmen seiner 55 bis 60 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit de facto vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit, verfüge als einziger Geschäftsführer über die zur Führung des Unternehmens erforderlichen einschlägigen Branchenkenntnisse, unterliege im Hinblick auf Zeit, Ort und Art der Beschäftigung keinem Direktionsrecht der Beigeladenen zu 2), könne von bestimmten wichtigen Geschäften abgesehen seine Tätigkeit frei bestimmen und gestalten, könne auch selbständig Personal einstellen und/oder entlassen, müsse sich seinen Urlaub nicht genehmigen lassen und die monatliche Vergütung von ca 6.300 EUR werde als Lohn/Gehalt verbucht. Am Gewinn des Unternehmens sei er nicht beteiligt. Beigefügt war eine Vereinbarung wegen der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen vom 2. Juli 2004, wonach die von den Sozialversicherungsträgern zurückerstatten Arbeitgeberbeiträge für die Renten- und Arbeitslosenversicherung dem Beigeladenen zu 1) zufließen sollten. Die erstatteten Beiträge seien entsprechend den geltenden steuerlichen Bestimmungen zu versteuern. Zur weiteren Begründung wurde zudem das Schreiben des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Beigeladenen zu 2), Oberbürgermeister Dr. M., vom 2. Juli 2004 vorgelegt, der angab, dass der Beigeladene zu 1) mit seinem Eintritt bei der Beigeladenen zu 2) alle unternehmerischen Entscheidungen, die nicht der Beschlussfassung des Aufsichtsrates nach § 13 Abs 2 Buchst a) bis f) GV bzw der Beschlussfassung des Gesellschaftsvertrages unterfielen, eigenverantwortlich und selbständig nach eigenem Ermessen getroffen habe. Es sei gegenwärtig nicht beabsichtigt, die Weisungsfreiheit einzuschränken.

Mit Bescheid vom 4. November 2004, gerichtet an den Beigeladenen zu 1), stellte die Beklagte fest, dass er in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 2) seit dem 1. Juni 2003 nicht abhängig beschäftigt sei, da er de facto von § 181 BGB befreit sei, bezüglich Zeit, Ort und Art seiner Beschäftigung keinerlei Weisungen unterliege und alleinvertretungsberechtigt sei. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, wonach der Beigeladene zu 1) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids Widerspruch erheben könne. Die Beklagte gab diesen Bescheid der Klägerin nicht bekannt. Ab Dezember 2004 wurden für den Beigeladenen zu 1) keine Pflichtbeiträge mehr abgeführt. Die bis dahin gezahlten Beiträge wurden auf einen dahingehenden Antrag vom 16. November 2004 erstattet.

Am 26. Januar 2006 führte die Klägerin bei der Beigeladenen zu 2) eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2005 durch. Hierbei erlangte sie Kenntnis von dem Bescheid der Beklagten vom 4. November 2004. Mit Bescheid vom 24. Februar 2006 forderte die Klägerin von der Beigeladenen zu 2) nach Durchführung der Betriebsprüfung einen Nachzahlungsbetrag von insgesamt 164,18 EUR, nachdem für einen Teil der im Prüfungszeitraum beschäftigten Aushilfskräfte irrtümlich keine Umlagebeiträge abgeführt worden seien. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die zuständige Einzugsstelle (Beklagte) um nochmalige Überprüfung ihrer Entscheidung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung des Beigeladenen zu 1) angehalten werde. Die Beigeladene zu 2) erhalte über das Ergebnis der Prüfung Nachricht.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2006, das dem Beigeladenen zu 1) in Kopie übermittelt wurde, teilte die Klägerin der Beklagten daraufhin mit, im Rahmen der Betriebsprüfung sei zur Frage der versicherungsrechtlichen Beurteilung des Beigeladenen zu 1) der Bescheid vom 4. November 2004 vorgelegt worden. Bei dieser Tätigkeit handle es sich jedoch um eine abhängige versicherungspflichtige Beschäftigung, da keine Beteiligung am Kapital der Gesellschaft bestehe und das unternehmerische Risiko fehle, der Beigeladene zu 1) nur seine Arbeitskraft in den Dienst der Beigeladenen zu 2) stelle und Anspruch auf Gehalt, Urlaub und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall habe, Beschlüsse der Gesellschafter ausführen müsse bzw nur im Rahmen dieser Beschlüsse handeln könne. Die Beklagte werde deshalb um erneute Prüfung des Sachverhalts und um Rücknahme des Bescheids gebeten.

Mit Schreiben vom 8. März 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, man habe die Unterlagen nochmals geprüft und sei nach wie vor der Auffassung, dass der Beigeladene zu 1) als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2) nicht abhängig beschäftigt sei und somit nicht der Sozialversicherungspflicht unterliege. Lediglich ergänzend zu dem Bescheid vom 4.11.2004 wurde ausgeführt, der Beigeladene zu 1) könne bis auf die in § 13 GV aufgeführten außergewöhnlichen Rechtsgeschäfte seine unternehmerischen Entscheidungen vollkommen weisungsfrei ausüben und zudem Personal selbständig einstellen oder entlassen. Als einziger Geschäftsführer verfüge er auch über die für die Unternehmensführung erforderlichen Branchenkenntnisse. Er sei damit Kopf und Seele des Unternehmens. Da mithin das Recht nicht unrichtig angewandt worden sei, sei eine Rücknahme unter Berücksichtigung der §§ 44, 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht möglich.

Nachdem die Klägerin bereits am 24. und 30. März 2006 intern in die Prüfung eingetreten war, ob vorliegend Anfechtungsklage erhoben werden solle (vgl Schreiben der Klägerin vom 24. März 2006 an den Betriebsprüfdienst in O. und Schreiben vom 30. März 2006 an die Abteilung 17 - Grundsatz und Zentraler Service in K.), hat die Klägerin, nachdem ihr Betriebsprüfdienst in O. mit Schreiben vom 19. Februar 2007 dahingehend Stellung genommen hatte, auf die Einhaltung einer Frist sei vorliegend nicht zu achten, am 8. März 2007 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 4. November 2004 aufzuheben, soweit dieser die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Juli 2003 feststelle. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Beigeladene zu 1) sei als so genannter Fremdgeschäftsführer für die Beigeladene zu 2) tätig und sei nicht an deren Kapital beteiligt, sodass es an dem für eine selbständige Tätigkeit kennzeichnenden Unternehmerrisiko fehle. Alleine daraus, dass das Weisungsrecht bei Beschäftigten höherer Art erheblich eingeschränkt sei, könne nicht auf eine selbständige Tätigkeit geschlossen werden. Der Beigeladene zu 1) sei als Fremdgeschäftsführer in den Betriebsablauf des Unternehmens eingegliedert und unterliege der Überwachung der Beigeladenen zu 2), auch wenn diese große Freiheiten einräume. Der Aufsichtsrat habe zudem gemäß § 13 GV über wichtige Rechtsgeschäfte mitzuentscheiden bzw müsse diese überprüfen. Im Anstellungsvertrag vom 23. Dezember 2002 seien zudem keine Regelungen vereinbart worden, dass sich das Gehalt des Beigeladenen zu 1) am Verlust und Gewinn orientiere. Auch seien keine gewinnabhängigen Tantiemen neben dem Festgehalt zu zahlen. Schließlich sei bei der Beigeladenen zu 2) auch ein Prokurist beschäftigt, der ebenfalls über die einschlägigen Branchenkenntnisse verfüge. Die Klage sei auch zulässig, da die in § 66 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelte Jahresfrist vorliegend keine Anwendung finde. Denn die Beklagte habe es unterlassen, ihre Entscheidung vom 4. November 2004 an sie bekannt zu geben. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass sie anlässlich der Betriebsprüfung am 26. Januar 2006 Kenntnis von diesem Bescheid erhalten habe. Denn hierin liege keine zielgerichtete Mitteilung seitens der Beklagten. Schließlich fehle ihr auch nicht das Rechtschutzbedürfnis mit Rücksicht darauf, dass sie bei der Beigeladenen zu 2) am 26. Januar 2006 eine Betriebsprüfung durchgeführt habe, in deren Rahmen sie nach § 28p Abs 1 Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Befugnis gehabt hätte, durch einen eigenen Verwaltungsakt über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entscheiden. Das allgemeine Rechtschutzbedürfnis für die vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage entfiele nur dann, wenn das mit der Klage erstrebte Ergebnis auf einfachere Weise, dh umfassender, leichter oder schneller erreicht werden könnte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Denn die mit der Klage begehrte Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Juni 2003 sei nicht gemäß § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV durch Verwaltungsakt an die Beigeladene zu 2) zu erreichen gewesen. Denn insoweit hätten die Regelungen der §§ 44 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beachtet werden müssen, mit der Folge, dass Bescheide der Einzugsstellen durch die Rentenversicherungsträger wegen der hohen Anforderungen, die § 45 SGB X stelle, praktisch nicht korrigiert werden könnten. Diese Einschränkungen gälten jedoch nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt von einem Dritten angefochten werde (§ 49 SGB X). Die gesetzliche Privilegierung der Drittanfechtungsklage führe dazu, dass für die vorliegende Klage das Rechtschutzbedürfnis zu bejahen sei. Die Klage sei auch nicht rechtsmissbräuchlich im Hinblick auf den Aspekt der Verwirkung. Dass sie Klage gegen den Bescheid vom 4. November 2004 erst am 8. März 2007 erhoben habe, sei darauf zurückzuführen, dass die Beklagte diesen Bescheid ihr nicht bekannt gegeben habe, worin im Übrigen ein Verstoß gegen das Beteiligungsrecht nach § 12 Abs 2 Satz 2 2. Halbsatz SGB X liege. Schließlich habe sie bereits mit Schreiben vom 24. Februar 2006 auf ihre divergierende Rechtsauffassung hingewiesen. Wolle man die Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG überhaupt vorliegend anwenden, so könne diese frühestens am 10. März 2006 zu laufen beginnen, da zu diesem Zeitpunkt das Schreiben der Beklagten vom 8. März 2006 bei ihr eingegangen sei.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2) sind der Klage entgegengetreten. Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben zur weiteren Begründung ua Auszüge aus dem GV, eine Mitarbeiterliste der Beigeladenen zu 2), den Lebenslauf des Beigeladenen zu 1) vom 8. Juli 2007 sowie mehrere Zeugnisse und Diplomurkunden des Beigeladenen zu 1) vorgelegt (Bl 40 bis 74 der SG-Akte).

Mit Beschluss vom 21. März 2007 hat das SG den Geschäftsführer S. (Beigeladener zu 1) und die Städtische Wohnungsbau GmbH (Beigeladene zu 2) zum Verfahren beigeladen. Auf Nachfrage des SG hat die Klägerin mitgeteilt, sie verzichte auf die Wiederholung des Verwaltungsverfahrens.

Mit Urteil vom 27. November 2008, der Beklagten zugestellt am 15. Januar 2009, hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage sei unzulässig. Allerdings scheitere sie nicht an der Einhaltung einer Klagefrist. Denn vorliegend habe weder die Monatsfrist aus § 87 SGG noch die Jahresfrist aus § 66 Abs 2 SGG zu laufen begonnen, da beide Vorschriften den Beginn der Frist an die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes knüpften. Der Bescheid vom 4. November 2004 sei der Klägerin gegenüber jedoch nie bekanntgegeben worden. Die Zulässigkeit der Klage scheitere auch nicht am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis, da es die Klägerin selbst in der Hand gehabt habe, den angefochtenen Bescheid vom 4. November 2004 im Rahmen der Betriebsprüfung aufzuheben. Zwar treffe es zu, dass ein Rechtschutzbedürfnis regelmäßig fehle, wenn der Kläger das angestrebte Ergebnis einfacher erreichen könne. Vorliegend habe kein einfacherer Weg zur Durchsetzung des im Klagewege verfolgten Begehrens bestanden. Denn die Klägerin wäre hierbei an die strengen Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB X gebunden gewesen, deren Vertrauensschutzbestimmungen während eines sozialgerichtlichen Verfahrens einer Aufhebung nach § 49 SGB X gerade nicht entgegengestanden hätten. Da die Klägerin bei Beginn der Betriebsprüfung noch keine Kenntnis von dem später beanstandeten Bescheid gehabt habe, könne ihr das Rechtschutzinteresse nicht versagt werden. Ansonsten hinge das Rechtschutzbedürfnis im Ergebnis von dem - zufälligen - Umstand ab, auf welche Weise der Rentenversicherungsträger von einem ihm nicht bekanntgegebenen Bescheid erfahre. Anderenfalls führte dies zu dem nicht überzeugenden Ergebnis, dass der Rentenversicherungsträger einen solchen Bescheid nicht mehr im Klagewege anfechten könnte, wenn er ihn erst im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgefunden habe, dies aber möglich bleibe, wenn er von ihm auf andere Weise erfahre. Offenbleiben könne die Frage, ob das Rechtschutzbedürfnis deshalb fehle, weil die Rechtsposition der Klägerin wegen des bestandskräftigen Bescheids vom 8. März 2006 nicht mehr verbessert werden könne. Zwar treffe es zu, dass grundsätzlich kein Rechtschutzinteresse bestehe, wenn auch im Falle des Obsiegens kein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht werden könne. Vorliegend sei jedoch fragwürdig, ob das Schreiben der Beklagten vom 8. März 2006 ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X darstelle und dieser gerade die in dem Bescheid vom 4. November 2004 enthaltene Feststellung treffe. Es spreche einiges dafür, dass die Regelung sich in der Ablehnung des Aufhebungsantrags der Klägerin erschöpfe und keine erneute Feststellung mit Regelungscharakter beinhalte. Die Klägerin habe ihr Recht zur Erhebung einer gegen den Bescheid vom 4. November 2004 gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage am 8. März 2007 jedoch verwirkt. Eine längere Zeitspanne im Sinne des so genannten Zeitmoments liege vor dem Hintergrund der gesetzlichen Wertung des § 66 Abs 2 SGG jedenfalls regelmäßig dann vor, wenn seit dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger von dem anzufechtenden Verwaltungsakt erfahren habe, mehr als ein Jahr vergangen sei. Dies sei vorliegend der Fall. Denn die Klägerin habe von dem Verwaltungsakt vom 4. November 2004 bereits am 26. Januar 2006 Kenntnis erlangt und erst am 8. März 2007 Klage erhoben. Die Erhebung der Klage zu diesem späten Zeitpunkt erscheine aus Sicht des Beigeladenen zu 2) (gemeint Beigeladener zu 1) nicht mehr als zumutbar. Denn die Klägerin habe die Beklagte unter dem 24. Februar 2006 dazu aufgefordert, ihre in dem fraglichen Bescheid zugrunde gelegte Rechtsauffassung aufzugeben und diesen Bescheid aufzuheben. Der Beigeladene zu 2) (gemeint Beigeladener zu 1) sei hiervon auch unterrichtet worden. Zumindest er (der Beigeladene zu 1) habe aus diesem Schreiben schließen dürfen, dass die Klägerin bereits im Januar 2006 in eine Prüfung eingetreten sei, ob sie Schritte zur Beseitigung des beanstandeten Bescheides unternehmen wolle oder nicht. Angesichts dessen, dass der Beigeladene zu 1) offenkundig Dispositionen für seine Altersvorsorge habe treffen müssen, habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin ihre dahingehende Prüfung zumindest binnen eines Jahres nach erstmaliger förmlicher Beanstandung abschließen und gegebenenfalls in Gestalt einer Klageerhebung umsetzen werde. Selbst wenn man unterstellen wolle, dass der Beigeladene zu 1) von den unter dem 24. Februar 2006 formulierten Bedenken der Klägerin erst am 27. Februar 2006 erfahren habe (Rechtsgedanke des § 37 Abs 2 SGB X), habe es vor dem Hintergrund der ersichtlichen wirtschaftlichen Bedeutung dieser Entscheidung für ihn als illoyal erscheinen müssen, eine Klage auch noch nach Ablauf des Februars 2007 zu erheben. Die Klage sei daher als unzulässig abzuweisen.

Hiergegen richtet sich die am 10. Februar 2009 beim Landessozialgericht (LSG) erhobene Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, die Verwirkung setze zunächst voraus, dass ein Klagerecht über einen längeren Zeitraum hinweg nicht geltend gemacht werde. Hier sei schon fraglich, ob dieser erforderliche längere Zeitraum nach etwas über einem Jahr seit Kenntniserlangung bejaht werden könne. Das SG habe verkannt, dass der Bescheid vom 4. November 2004 niemals offiziell zugestellt oder eröffnet worden sei. Nach ca 13 Monaten bereits eine Verwirkung wegen Zeitablaufs anzunehmen, erscheine deshalb als etwas überzogen. Zudem habe sie mit ihrem Schreiben vom 24. Februar 2006 bei der Beigeladenen zu 2) (gemeint Beigeladener zu 1) nicht einen Vertrauenstatbestand geschaffen, sondern das Gegenteil sei der Fall. Ab diesem Zeitpunkt habe dieser gerade kein Vertrauen mehr bilden dürfen. Des Weiteren müsse grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, eine strittige Rechtsfrage zunächst im Verhandlungswege klären zu lassen. Dementsprechend habe sie nach Abschluss der Betriebsprüfung die Beklagte mit Schreiben vom 24. Februar 2006 gebeten, ihre Rechtsauffassung zu überprüfen und den Bescheid zurückzunehmen. Dies sei zunächst der einzig gangbare Weg gewesen, soweit man nicht sofort die Anfechtungsklage habe erheben wollen. Dass diesem Ansinnen nicht Rechnung getragen wurde, sei ihr erst mit Schreiben der Beklagten vom 28. März 2006, bei ihr eingegangen am 4. März 2006, mitgeteilt worden. Erst in diesem Moment habe sie davon ausgehen müssen, dass eine einvernehmliche Regelung nicht möglich sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. November 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2004 aufzuheben, soweit diese die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 1. Juni 2003 feststellt und festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) als Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 2) seit dem 1. Juni 2003 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung ist.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2) und 3) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) weisen darauf hin, dass entgegen der Ansicht des SG bereits das Rechtschutzbedürfnis der Klägerin fehle. Denn nach § 28p SGB IV sei die Klägerin mit der Anordnung der Betriebsprüfung dafür zuständig gewesen, Verwaltungsakte über die Versicherungspflicht oder das Fehlen der Versicherungspflicht unter Ausschluss der Beklagten als Einzugsstelle zu erlassen. Denn mit der Anordnung der Betriebsprüfung verliere die Einzugsstelle ihre Entscheidungskompetenz, über die Versicherungspflicht bzw -freiheit zu entscheiden. Die Klägerin habe es daher selbst in der Hand gehabt, über die Versicherungspflicht bzw -freiheit des Beigeladenen zu 1) in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) entscheiden. Im Rahmen dessen sei möglicherweise die Beklagte als Einzugsstelle zu beteiligen gewesen. Die Klägerin habe aber keinesfalls der Einzugsstelle das Entscheidungsrecht zuweisen können. Wenn aber die Klägerin selbst hätte entscheiden müssen, sei dies nicht nur der einfachere und schnellere Weg gewesen, die von ihr gewünschte Entscheidung in der Sache herbeizuführen, sondern der einzige Weg, der vom Gesetz vorgesehen sei. Das Rechtschutzbedürfnis fehle auch deshalb, weil die Beklagte mit Bescheid vom 8. März 2006 über denselben Sachverhalt nochmals entschieden habe. Dieser Bescheid sei jedoch von der Klägerin nicht angefochten worden, obwohl er ihr bekannt gegeben worden sei. Dieser Bescheid sei daher bestandskräftig und von der Klägerin zu beachten. Bei dem Schreiben vom 8. März 206 handle es sich auch um einen förmlichen Verwaltungsakt über die Feststellung der Versicherungspflicht bzw -freiheit. Mit dem SG sei zudem auszugehen, dass das Klagerecht verwirkt sei. Denn die Klägerin habe von ihrem Recht nach § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV, Bescheide der Einzugsstelle aufzuheben oder abzuändern, keinen Gebrauch gemacht. Sie habe nur Bedenken formuliert, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Es treffe auch nicht zu, dass aufgrund des Schreibens vom 24. Februar 2006 dauerhaft kein Vertrauen mehr habe gebildet werden können. Denn das Vertrauen sei durch den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2006 wieder hergestellt worden. Ziehe man diesen Zeitraum von dem Gesamtzeitraum ab, den das SG zugrundegelegt habe, nämlich den Zeitraum vom 26. Januar 2006 bis zum 8. März 2007, sei die Jahresfrist immer noch überschritten.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2010 hat der Senat die Kaufmännische Krankenkasse Allianz - Pflegekasse - (Beigeladene zu 3) und die Bundesagentur für Arbeit (Beigeladene zu 4) zum Verfahren beigeladen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Klägerin vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die gemäß §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs 1 iVm § 124 Abs 2SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Denn das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin hatte ihr Recht zur Erhebung einer gegen den Bescheid vom 4. November 2004 gerichteten formulierten Anfechtungs- und Feststellungsklage zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 8. März 2007 verwirkt.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1, § 55 Abs 1 Nr 1 SGGstatthaft. Die Klägerin ist auch klagebefugt, weil sie als Rentenversicherungsträger durch den angefochtenen Bescheid vom 4.November 2004 beschwert ist (vgl BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B12 KR 2/99 R = SozR 3-2400 § 28 h Nr 9). Die mit der Anfechtungsklage kombinierte Feststellungsklage ist ebenfalls zulässig, insbesondere verfügt die Klägerin im Hinblick auf Beitragserstattungsforderungen der Beigeladenen zu 1) und 2) über das gemäß § 55 Abs 1 SGG notwendige Feststellungsinteresse. Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, da vorliegend ein Versicherungsträger klagt (§ 78 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGG; vgl hierzu auch Senatsurteil vom 5. April 2011 - L 11 KR 965/09).

Die Klagefrist ist eingehalten. Die Klagefrist endet nach § 87Abs 1 Satz 1 SGG nach Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Bekanntgabe im Sinne des § 37 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist die zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsaktes durch die Behörde (Krasney in Kasseler Kommentar,§ 37 SGB X Rdnr 3, Stand 2009). Richtet sich ein Bescheid (Verwaltungsakt) an mehrere Beteiligte oder sind mehrere von ihm betroffen, genügt für eine Bekanntgabe, dass der Regelungsinhalt dem Betroffenen in der Absicht zugeleitet wird, dass auch dieser davon Kenntnis nimmt; die Übermittlung einer Kopie an diesen genügt, die Übergabe einer förmlichen Ausfertigung ist nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 17. September 2008 - B 6 KA 28/07 R -mwN; Engelmann in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Auflage 2010, § 37 Rdnr 9). Die Einzugsstelle hat demnach die Pflicht, ihre Entscheidung unverzüglich allen Beteiligten - dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer und den Versicherungsträgern - gegenüber unverzüglich bekanntzugeben (BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R =SozR 3-2400 § 28 h Nr 9; BSGE 25, 34, 36). Daran fehlt es hier.Denn die Beklagte hat den Bescheid vom 4. November 2004 der Klägerin nicht im Sinne von § 37 Abs 1 SGB X bekanntgegeben. Diese hat vielmehr erst im Verlaufe der Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 2) am 26. Januar 2006 (ohne Wissen und Wollen der Beklagten) Kenntnis vom angefochtenen Bescheid erlangt. Damit lief für die Klägerin auch nicht die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG.Denn Voraussetzung hierfür ist, dass der angefochtene Bescheid bekanntgegeben wurde und nur die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008,§ 66 Rdnr 13 a; Leitherer, ebenda, § 87 Rdnr 4 c; Merten in Hauck/Noftz, § 49 SGB X Rdnr 9, Stand September 2007; vgl allgemein hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 11. März 2010 - 7 B 36/09 = NJW2010, 1686).

Auch wenn die Klägerin vorliegend eine Klagefrist nicht zu wahren hatte, war die am 8. März 2007 beim SG erhobene Klage nicht mehr zulässig, weil die Klägerin durch eine gegen Treu und Glauben verstoßene Verzögerung der Klageerhebung ihr Klagerecht verwirkt hat. Dies hat das SG zutreffend erkannt. Auch der Senat teilt diese Auffassung.

In besonders gelagerten Fällen - wie vorliegend - kann die Anwendung der Grundsätze der Verwirkung im Ergebnis dazu führen,dass dem Kläger nach Treu und Glauben die Berufung darauf versagt ist, dass ihm der Verwaltungsakt nicht bekanntgegeben wurde und ihm gegenüber deshalb keine Fristen in Lauf gesetzt worden sind (vgl nur Schenke in Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2009, § 74 Rdnr 19; Keller,aaO, vor § 60 Rdnr 14 a; Merten, aaO, § 49 Rdnr 9). Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) auch im Sozialversicherungsrecht anerkannt (BSGE 7, 199, 200; 59, 87, 94;80, 41, 43). Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (hierzu ausführlich BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R =veröffentlicht in Juris Rdnr 31 mwN). Solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, aaO). In diesem Zusammenhang hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass auch Beigeladene bei einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung (wie vorliegend) durch die Verwirkung geschützt sein können (vgl hierzu Keller, aaO, vor § 60 Rdnr 14a; allgemein hierzu BVerwG, Beschluss vom 31. August 1999 - 3 B 57/99 = NVwZ-RR 2000, 259 = Juris Rdnr 8). Soweit das BSG im Zusammenhang mit der rückwirkenden Erhebung von Säumniszuschlägen ausgeführt hat, an das Verwirkungsverhalten seien grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R = Juris Rdnr 33) ist vorliegend zu beachten, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 4.November 2004 um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt.Diese (Drittwirkungs-)Konstellation ist nach Ansicht des Senats grundsätzlich bei der Frage, ob Verwirkung eingetreten ist, zu beachten (näher hierzu weiter unten).

Vorliegend sind sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment erfüllt. Denn die Klägerin hat die Ausübung ihres Rechts (Drittanfechtungsklage) während eines längeren Zeitraums unterlassen und es liegen auch besondere Umstände vor, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls das verspätete Geltendmachen des behaupteten Rechts nach Treu und Glauben den Beigeladenen zu 1) und 2) gegenüber als illoyal erscheinen lassen.

Was die längere Zeit anbelangt, während der ein Recht nicht ausgeübt worden ist, obwohl dies den Berechtigten möglich gewesen wäre, lassen sich zwar keine allgemein geltenden Bemessungskriterien angeben. Vielmehr hängt die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf das Gebot von Treu und Glauben von einer Verwirkung des Rechts die Rede sein kann, entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Verfahrensrechtliche Rechtsbehelfsfristen können aber als Anhaltspunkt für die Bemessung eines Mindestzeitraums für die Verwirkung herangezogen werden (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991- 4 C 4/89 = NWwZ 1991, 1182). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Berechtigter seine Überlegungs- und Handlungsfristen ausschöpfen kann, die ihm das Gesetz - bei ordnungsgemäßer Bekanntgabe des Verwaltungsakts - einräumt. Vor oder während des von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten regulären Zeitraums für die Rechtsverfolgung kann deshalb keine Verwirkung eintreten.Im Hinblick auf § 66 Abs 2 SGG kann daher im Regelfall vor Ablauf der Jahresfrist nicht von einer Verwirkung ausgegangen werden (vgl hierzu auch Schenke, aaO, § 74 Rdnr 20).

Ein Automatismus, wonach bei Überschreiten der Jahresfrist regelmäßig Verwirkung angenommen werden kann, besteht ebenfalls nicht (Keller, aaO, vor § 60 Rdnr 14 b). Es kommt - wie bereits dargelegt - vielmehr auf den Einzelfall an. Hierbei ist jedoch insbesondere von Bedeutung, ob es sich um eine Drittanfechtung handelt. Denn in diesen Konstellationen muss berücksichtigt werden,dass das Vertrauen des durch einen Verwaltungsakt Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsaktes regelmäßig nur während des Laufs von verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfsfristen eingeschränkt ist (§49 SGB X). Wird aber einem Dritten der begünstigende Verwaltungsakt nicht bekanntgegeben und laufen für ihn deshalb keine Rechtsbehelfsfristen, so muss der Begünstigte unter Umständen noch Jahre danach mit einer (Dritt-)Anfechtung rechnen, obwohl es nicht in seine Sphäre fällt, dass der Verwaltungsakt nicht an den Dritten bekanntgegeben worden ist. In dieser Situation sind nach Ansicht des Senats an den Verwirkungstatbestands nicht übermäßige Anforderungen zu stellen.

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände ist der Senat -zusammen mit dem SG - zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin dadurch, dass sie länger als ein Jahr untätig geblieben ist, ihr Klagerecht verwirkt hat. Für den Beginn des Zeitraums, der vorliegend zur Verwirkung führt, ist auf die Kenntnisnahme der Klägerin vom Bescheid vom 4. November 2004 abzustellen. Zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass die Klägerin anlässlich der Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 2) am 26.Januar 2006 Kenntnis vom Bescheid vom 4. November 2004 erlangt hat.Dies ist der Beginn des für die Verwirkung maßgeblichen Zeitraums,da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt hinreichend zuverlässige Kenntnisse über einen (möglichen) Eingriff in ihre geschützte Rechtsstellung erlangt hat. Dies hat sie gegenüber der Beigeladenen zu 2) in ihrem Bescheid vom 26. Januar 2006 auch hinreichend deutlich gemacht, indem sie darauf hingewiesen hat, dass sie die Einzugsstelle (Beklagte) um eine nochmalige Überprüfung ihrer Entscheidung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung des Beigeladenen zu 1) anhalten werde. Dass die Klägerin von ihrem Anfechtungsrecht bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis hatte, zeigt bereits der Umstand, dass sie organisationsintern am 24. März 2006(und später am 30. März 2006) in die Prüfung eingetreten war, ob vorliegend Anfechtungsklage erhoben werden soll. Unabhängig von diesen konkreten Umständen des Einzelfalls kann bei der Klägerin als Sozialversicherungsträgerin davon ausgegangen werden, dass sie ihre Drittanfechtungsrechte - anders als etwa der Nachbar im Baurecht - kennt. Wer jedoch insbesondere als Behörde von seinem Drittanfechtungsrecht Kenntnis hat, muss sich sein längeres Untätigsein zurechnen lassen. Anders ausgedrückt: In einer derartigen Situation kann der Begünstige (hier: Beigeladener zu 1)darauf vertrauen, dass der Dritte (hier: Klägerin) sein Drittanfechtungsrecht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis des (anzufechtenden) Verwaltungsaktes ausübt. Die positive Kenntnis vom Drittanfechtungsrecht rechtfertigt im vorliegenden Fall auch die Annahme, dass besondere Umstände im Sinne eines Verwirkungstatbestandes vorliegen. Hinzu kommt, dass bei einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung die Schaffung von Rechtsklarheit im Hinblick auf die (formelle) Bestandskraft des streitigen Verwaltungsakt insbesondere für den Begünstigten von enormer Bedeutung ist. Denn gerade in den Fällen, in denen die Einzugsstelle als gesetzliche Prozessstandschafterin(BSG, Urteil vom 1. Juli 1999 - B 12 KR 2/99 R = SozR 3-2400 § 28 h Nr 9) über die Versicherungsfreiheit eines Angestellten entscheidet, muss dieser Dispositionen zur privaten Vorsorge treffen, die in der Regel nur erschwert wieder rückgängig gemacht werden können bzw deren Rückgängigmachung mit erhöhten Kosten verbunden sind. Da er es jedoch nicht in der Hand hat, ob die Einzugsstelle die Entscheidung möglichen Drittbetroffenen bekannt gibt, trifft ihn - wie bereits dargelegt - das latente Risiko einer (unter Umständen erst nach Jahren) erfolgenden Drittanfechtung.Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände geht der Senat davon aus, dass eine Anfechtung nach Treu und Glauben verwehrt werden muss, wenn der Drittbetroffene (hier die Klägerin) Kenntnis von der belastenden Drittwirkung erlangt und den Verwaltungsakt nicht binnen einer angemessenen Frist angefochten hat. Wie bereits dargelegt, wird im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass sich die angemessene Frist auf ein Jahr beläuft (hier: 26. Januar 2007). Diese Frist war jedoch bei Klageerhebung am 8.März 2007 verstrichen.

Die Frist lief auch - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht erst ab dem 24. März 2006. Zum einen wurde der Klägerin das Schreiben der Beklagten am 8. März 2006 bereits am 10. März 2006bekanntgegeben (vgl Bl 19 der Verwaltungsakte). Zum anderen kommt es auf das Schreiben der Beklagten vom 8. März 2006, der Antwort auf den klägerischen Überprüfungsantrag vom 24. Februar 2006, nicht an. Denn bei dem Schreiben vom 8. März 2006 handelt es sich allenfalls um eine Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Überprüfung/Rücknahme nach §§ 44 ff SGB X des Bescheids vom 4.November 2006, hingegen nicht um eine erneute versicherungsrechtliche Beurteilung mit Drittwirkung.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob der Klägerin auch ein Rechtsschutzbedürfnis zusteht, nicht entscheidungserheblich.Allerdings weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er ein Rechtsschutzbedürfnis bejaht. Denn auch wenn davon auszugehen ist, dass der Rentenversicherungsträger bei einer Arbeitgeberprüfung gemäß § 28 p Abs 1 Satz 5 SGB IV befugt ist,Verwaltungsakte der Einzugsstellen abzuändern bzw aufzuheben (vgl hierzu Seewald in Kasseler Kommentar, § 28 p SGB IV Rdnr 1a und b,Stand April 2010; Sehnert in Hauck/Noftz, § 28 p SGB IV Rdnr 19,Stand Oktober 2008; siehe auch SG Kassel, Urteil vom 25. April 2007- S 12 KR 421/I05 = veröffentlicht in Juris), bestand zum Zeitpunkt der Klageerhebung kein einfacherer Weg zur Erreichung des Klageziels. Denn die Befugnis, entgegenstehende Verwaltungsakte der Einzugsstelle zu ändern, endete mit Abschluss des Prüfungsverfahrens am 26. Januar 2006.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs 1 SGG iVm § 154Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197 a Abs 1 Satz 1Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, 47 Abs 1, § 52 Abs 1Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass nach den Angaben der Klägerin Gesamtbeiträge (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) iHv insgesamt 45.555 EUR ausstehen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.






LSG Baden-Württemberg:
Urteil v. 05.04.2011
Az: L 11 KR 658/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/94ad8dee9618/LSG-Baden-Wuerttemberg_Urteil_vom_5-April-2011_Az_L-11-KR-658-09




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