Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 18. Juni 2001
Aktenzeichen: AnwZ (B) 10/00

(BGH: Beschluss v. 18.06.2001, Az.: AnwZ (B) 10/00)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 10. Januar 2000 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit 1981 zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt beim Landgericht Berlin, seit 1988 beim Kammergericht, zugelassen. Zum 1. März 1991 ist er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Professor an der Fachhochschule P. (für Familien- und Verwaltungsrecht) ernannt worden. Die frühere Antragsgegnerin, die Präsidentin des Kammergerichts, hat mit Verfügung vom 3. Juni 1998 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO widerrufen. Gegen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs vom 10. Januar 2000, durch den sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft war gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO zu widerrufen, weil er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden ist und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet hat.

1. a) Allerdings ist der angefochtene Beschluß mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet. Denn nachdem der Anwaltsgerichtshof über den Antrag des Rechtsanwalts auf gerichtliche Entscheidung am 12. Juli 1999 mündlich verhandelt hatte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 BRAO), ist seine aufgrund dieser Verhandlung erlassene Entscheidung von allen Richtern erst mit dem 10. Januar 2000 -und damit mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung - unterzeichnet und der Geschäftsstelle zur Zustellung zugeleitet worden.

Es entspricht einem mittlerweile für alle Prozeßarten anerkannten Grundsatz, daß ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil "nicht mit Gründen versehen" (§ 551 Nr. 7 ZPO) ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (vgl. GmS-OGB, Beschluß vom 27. April 1993, LM Nr. 1 zu § 138 VwGO = NJW 1993, 2603). Demgemäß hat auch der Senat (Beschluß vom 30. September 1997 -AnwZ (B) 11/97 - LM Nr. 7 zu § 40 BRAO = BRAK-Mitt. 1998, 93) entschieden, daß der im Zulassungsverfahren nach § 40 BRAO ergangene Beschluß des Anwaltsgerichtshofes dann an einem wesentlichen Verfahrensmangel (§ 40 Abs. 4 BRAO i.V. mit § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 551 Nr. 7 ZPO) leidet, wenn der vollständig abgefaßte und unterschriebene Beschluß erst mehr als fünf Monate nach Verkündung der Beschlußformel zur Geschäftsstelle gelangt. Bei einer Bekanntmachung der aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen Entscheidung durch Zustellung (§ 40 Abs. 4 BRAO i.V. mit § 16 Abs. 2 FGG), ohne daß dieser bereits eine Verkündung der Beschlußformel vorausgegangen ist, gilt -in entsprechender Anwendung dieses verfahrensübergreifenden Grundsatzes -nichts anderes. Vielmehr leidet auch in einem solchen Falle die Entscheidung an einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn der vollständige Beschluß nicht binnen fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Denn die Annahme eines Verfahrensmangels bei Überschreitung der Fünf-Monatsfrist wird -unabhängig davon, ob die jeweilige Verfahrensordnung diese Frist als absolute Frist für die Rechtsmitteleinlegung vorsieht -von der Erwägung bestimmt, daß das richterliche Erinnerungsvermögen abnimmt und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten insbesondere auch nicht mehr gewährleistet ist, daß der Eindruck von der mündlichen Verhandlung noch absolut zuverlässigen Niederschlag in den später abgefaßten Gründen der Entscheidung findet (vgl. Senatsbeschluß vom 30. September 1997, aaO). Diese Erwägung beansprucht unabhängig davon Beachtung, ob nach der mündlichen Verhandlung bereits eine Beschlußformel verkündet worden ist oder nicht. Denn auch im letztgenannten Falle -die Vorschriften der BRAO und des FGG schreiben die Verkündung der Beschlußformel nicht zwingend vor -ist nicht mehr sicher gewährleistet, daß das in der mündlichen Verhandlung Erörterte bei der so viel späteren Abfassung des Beschlusses Berücksichtigung findet, die Entscheidung also noch "aufgrund der mündlichen Verhandlung" (§ 40 Abs. 2 Satz 1 BRAO) ergeht. Soweit der Senat im Beschluß vom 29. September 1997 (AnwZ (B) 27/97 -BRAK-Mitt. 1998, 89 f) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.

b) Der Umstand, daß das Verfahren des Anwaltsgerichtshofes danach mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist, hindert den Anwaltssenat als Beschwerdegericht indessen nicht, im Beschwerdeverfahren, durch das eine neue Tatsacheninstanz eröffnet ist, nach dem Rechtsgedanken des § 540 ZPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen (Senatsbeschluß vom 30. September 1997, aaO). Denn die Sache -die im Kern ohnehin im wesentlichen Rechtsfragen betrifft - ist nach dem vorliegenden Verfahrensstoff und nach Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif.

c) Für die Entscheidung über die Beschwerde kommt es schließlich auch nicht darauf an, ob dem Antragsteller -wie er meint -im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ein etwaiger Verfahrensmangel wäre dadurch geheilt, daß der Antragsteller vor dem als Tatsacheninstanz beschließenden Senat rechtliches Gehör hatte (Senatsbeschluß vom 24. Oktober 1994 -AnwZ (B) 30/94 - BRAK-Mitt. 1995, 76 f). Einen Anspruch auf zwei Tatsacheninstanzen hat der Antragsteller nicht (BGHZ 77, 327, 329).

2. a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt zum Beamten auf Lebenszeit ernannt wird und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Die Vorschrift ergänzt mithin § 7 Nr. 10 BRAO für die Fälle, in denen die Berufung in dieses Beamtenverhältnis erst nach der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erfolgt. Beide Regelungen haben ihren Grund in der Unvereinbarkeit des Berufs eines Beamten mit der Stellung als Rechtsanwalt. Diese Unvereinbarkeit hat ihren Ursprung im Berufsbild des in freier Advokatur tätigen Rechtsanwalts, das durch innere und äußere Unabhängigkeit geprägt ist. Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit sind neben der Dienstpflicht zur Erfüllung übertragener Aufgaben dagegen wesentliche Merkmale des Beamtenverhältnisses. Der Beamte steht zu seinem Dienstherrn in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, das ihm besondere Pflichten auferlegt und ihn bei der Übernahme und dem Umfang anderer Tätigkeiten grundsätzlich von Genehmigungen seines Dienstherrn abhängig macht. Dieser Inhalt des Beamtenverhältnisses steht nicht in Einklang mit der Stellung eines Rechtsanwalts. Das hat der Senat wiederholt und in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht (BGHZ 71, 23, 24 f.; 92, 1, 2 ff.; Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 1995 -AnwZ (B) 82/94 -BRAK-Mitt. 1995, 214; vom 26. Januar 1998 -AnwZ (B) 62/97 -BRAK-Mitt. 1998, 155; vom 18. Oktober 1999 -AnwZ (B) 99/98 - BRAK-Mitt. 2000, 44, 45; vom 19. Juni 2000 -AnwZ (B) 58/99 - BRAK-Mitt. 2000, 255, 256).

b) Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO lassen es nicht zu, die Vorschrift -entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut -dahin auszulegen, daß Professoren an Fachhochschulen -wenngleich Beamte auf Lebenszeit - von ihr nicht erfaßt werden (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Oktober 1999, aaO zu § 7 Nr. 11 BRAO a.F.). Der Gesetzgeber hat -wie auch mit § 7 Nr. 10 BRAO - aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit eine generalisierende und formalisierende Entscheidung getroffen, die eine einfache Handhabung gewährleisten soll und die allein auf die Rechtsstellung als Beamter im aktiven Dienst abstellt (st. Rspr. vgl. Beschluß vom 19. Juni 1995, aaO; vom 18. Oktober 1999, aaO). Demgemäß kommt es auch nicht darauf an, ob die Stellung und die Tätigkeit als Beamter im Einzelfall zu Schwierigkeiten bei der Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt geführt haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Dezember 1982 -AnwZ (B) 29/82 -BRAK-Mitt. 1983, 86 und vom 26. Januar 1998, aaO). Die Regelung beruht auf der grundsätzlichen Trennung zwischen dem öffentlichrechtlichen Status als Träger staatlicher Verwaltung und dem Anwaltsberuf. Diese Trennung steht im überragenden Allgemeininteresse und gehört zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft.

c) In dieser Auslegung begegnet die Vorschrift -auch mit Blick auf den mit ihr verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit -keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn an die Voraussetzungen für den Zugang zu einem Zweitberuf und für den Verbleib in ihm sind nicht die gleichen hohen Anforderungen wie für einen Erstberuf zu stellen. Das hat der Senat in ständiger Rechtsprechung - sowohl für die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO als auch für § 7 Nr. 11 BRAO a.F., § 7 Nr. 10 BRAO -wiederholt ausgesprochen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 1995, aaO m.w.N.; vom 26. Januar 1998, aaO; vom 18. Oktober 1999, aaO) und zuletzt mit Beschluß vom 19. Juni 2000 (aaO) bekräftigt. Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung.

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BGH:
Beschluss v. 18.06.2001
Az: AnwZ (B) 10/00


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