Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. Oktober 2005
Aktenzeichen: 14 W (pat) 331/03
(BPatG: Beschluss v. 07.10.2005, Az.: 14 W (pat) 331/03)
Tenor
Das Patent 100 01 699 wird widerrufen.
Gründe
I Die Erteilung des Patents 100 01 699 mit der Bezeichnung
"Verfahren zur Herstellung von Verschlüssen an Kunstdarmabschnitten und mit Verschluss versehener Kunstdarmabschnitt "
ist am 13. Februar 2003 veröffentlicht worden. Das Patent umfasst 11 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1 und 10 wie folgt lauten:
1. Verfahren zur Herstellung von Verschlüssen an Kunstdarmabschnitten, gekennzeichnet durch folgende Schritte:
a. Ablängen von Kunstdarmabschnitten vorbestimmter gewünschter Länge, b. zuführen der Kunstdarmabschnitte zu einer Einführstation, c. zuführen eines im wesentlichen mittig gefalzten Verschlussbandes zu einem offenen Ende des Kunstdarmabschnitts und Einführen des offenen Endes in das gefalzte Verschlußband, d. vernähen des gefalzten Verschlußbandes mit dem Kunstdarmabschnitt und e. trennen des zugeführten Verschlußbandes vom Verschlussbandvorrat.
10. Kunstdarmabschnitt mit einem an seinem einen offenen Ende ausgebildeten, durch Vernähung des Endes ausgebildeten Verschluß, dadurch gekennzeichnet, daß das offene Ende (11) durch ein gefaltetes und/oder gefalztes Verschlußband (12), das mit dem Ende (11) vernäht ist, verschlossen ist.
Zum Wortlaut der Ansprüche 2 bis 9 und 11, die besondere Ausgestaltungen des Verfahrens zur Herstellung von Verschlüssen an Kunstdarmabschnitten nach Anspruch 1 und des Kunstdarmabschnitts nach Anspruch 10 betreffen, wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Gegen dieses Patent ist mit dem am 13. Mai 2003 eingegangenen Schriftsatz Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Behauptung gestützt, dass dem Gegenstand des Anspruchs 10 wegen offenkundiger Vorbenutzung die Neuheit fehle. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 ergebe sich im übrigen für den Fachmann auch in naheliegender Weise. Ein anderes Vorgehen sei für den Fachmann nämlich kaum vorstellbar.
Zum Beleg der offenkundigen Vorbenutzung verweist die Einsprechende auf die Anlagen:
(D1) Rechnung der TEXDA Textildarm GmbH vom 30. November 1987
(D2) Rechnung der TEXDA Textildarm GmbH vom 31. Oktober 1988
(D3) Eidesstattliche Erklärung der Herrn Peter Wolf, geschäftsführender Gesellschafter der TEXDA Textildarm GmbH in der Zeit vom 14. Mai 1980 bis 30. August 2002, vom 13. Mai 2003
(D4) Muster 1 und Muster 2 von abgenähten Kunstdarmabschnitten.
In der mündlichen Verhandlung trägt die Einsprechende vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 10 auch gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents erläuterten Stand der Technik im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen des Fachmanns, belegt durch die vom Senat in einem Zwischenbescheid eingeführte Druckschrift
(5) Großes Textil-Lexikon, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Band A-K (1965), S 318, Stichwort: Einfassen, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.
Der Patentinhaber tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen und bestreitet die Zulässigkeit des Einspruchs, da vor Ablauf der Einspruchsfrist die offenkundige Vorbenutzung nicht substantiiert worden sei. Im Einspruchsschriftsatz sei nämlich nicht ausreichend dargelegt worden, wie der vorbenutzte Gegenstand im Detail ausgesehen habe, und auf welche Weise das Verfahren zur Herstellung von Verschlüssen an Kunstdarmabschnitten vorbenutzt worden sei. Im übrigen tritt sie dem Vorbringen der Einsprechenden in allen Punkten entgegen und trägt vor, dass die Gegenstände der Ansprüche 1 und 10 auch gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents erläuterten Stand der Technik neu seien und auf einer erfinderische Tätigkeit beruhten.
Der Patentinhaber erklärt die Teilung des Patents. Er beantragt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise das Patent aufrechtzuerhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II 1. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen.
Er ist zulässig, insbesondere ist er auch in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründet worden. Nach § 59 Abs 1 Satz 4 und 5 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, innerhalb der Einspruchsfrist im einzelnen anzugeben. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände so vollständig dargelegt sind, dass die Patentinhaberin und das BPatG daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Widerrufsgrundes ziehen können (BGH GRUR 1972, 592 - Sortiergerät, 1987, 513 - Streichgarn, 1993, 651 - Tetraploide Kamille). Diesen Anforderungen an die Begründungspflicht ist die Einsprechende in jeder Hinsicht nachgekommen. Sie hat für ihre Behauptung, das angegriffene Patent sei aufgrund offenkundiger Vorbenutzung neuheitsschädlich vorweggenommen, im einzelnen angegeben, wo, wann, wie und durch wen vorbenutzte Kunstdarmabschnitte gemäß Anspruch 10 des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind (vgl BGH aaO - Streichgarn; GRUR 1997, 740 - Tabakdose). Dabei kann, insbesondere wenn fehlende Neuheit geltend gemacht wird, knapper Vortrag ausreichen (vgl Busse, PatG 6. Aufl § 59 Rn 67).
Vor Ablauf der Einspruchsfrist des auf eine offenkundige Vorbenutzung gestützten Einspruchs wurde von der Einsprechenden unter Hinweis auf die Anlagen D1 bis D3 dargelegt, was (mit einem Einfassband abgenähte Kunstdarmabschnitte), wann (November 1987, Oktober 1988 belegt durch die Rechnungen D1 und D2), wo (Möllenstedt KG, Versmold), wie (Auslieferung) und durch wen in öffentlich zugänglicher Weise (Möllenstedt KG) offenkundig vorbenutzt wurde. Im Gegensatz zur Auffassung des Patentinhabers ist im Einspruchsschriftsatz der Gegenstand der Vorbenutzung, also was offenkundig vorbenutzt wurde, so detailliert beschrieben, dass ein Fachmann ihn mit dem patentgemäßen Gegenstand vergleichen kann und feststellen kann, ob die Vorbenutzung der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit entgegensteht (BGH GRUR 1997, 740 - Tabakdose). Auf Seite 2 Abs 2 des Einspruchsschriftsatzes iVm mit der eidesstattlichen Versicherung D3 wird in ausreichender Weise der Aufbau der vorbenutzten, mit einem Einfassband abgenähten Kunstdarmabschnitte erläutert. Aus D3 unter 3. geht dabei eindeutig hervor, dass bei den Kunstdarmabschnitten ein Ende offen war, und das andere durch Vernähen mit einem um das Ende des Kunstdarmabschnitts herum geführten, d.h. gefalteten und/oder gefalzten, Einfassband verschlossen war. Den Gebrauch der Begriffe "Beutel" oder auch "Pfeffersäckchen" im Einspruchsschriftsatz kann der Fachmann, ein Lebensmittelingenieur oder - techniker, mit besonderen Kenntnissen in der Herstellung von Fleisch- und Wurstwaren, unschwer diesen Kunstdarmabschnitten zuordnen. Der Fachmann konnte also aus den innerhalb der Einspruchsfrist vorgelegten Unterlagen genaue Kenntnis vom vorbenutzten Gegenstand erlangen. Dazu war die Einreichung der als Beweismittel vorgelegten Modelle D4 innerhalb der Einspruchsfrist, wie vom Patentinhaber gefordert, nicht erforderlich. Beweismittel, die die Richtigkeit der Tatsachenangaben belegen sollen, können nämlich nachgebracht werden (vgl BlPMZ 53, 340).
Mithin ist der Einspruch hinsichtlich der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung des Kunstdarmabschnitts gemäß Anspruch 10 des Streitpatents ausreichend substantiiert. Nachdem die Zulässigkeit eines Einspruchs, mit dem der Widerruf eines mehrere Nebenansprüche umfassenden Patents begehrt wird, nicht erfordert, dass der Einsprechende Widerrufsgründe gegen sämtliche Nebenansprüche vorträgt, braucht der Frage nicht nachgegangen zu werden, ob auch die Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 ausreichend substantiiert vorgetragen wurde (vgl BGH GRUR 2003, 695 - Automatisches Fahrzeuggetriebe).
Nach alledem ist der Einspruch zulässig. Er führt zum Widerruf des Patents.
2. Gegen die Zulässigkeit der Anspruchsfassung bestehen keine Bedenken. Die weiterhin geltenden erteilten Patentansprüche 1 bis 11 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 11 im Wortlaut.
3. Der Gegenstand des Anspruchs 10 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Dem Patent liegt die Aufgabe zugrunde, einen Kunstdarmabschnitt mit sehr viel höherer Effektivität und frei von manueller Handhabung herzustellen, der im Bereich des Verschlusses weitaus höher mechanisch belastbar ist als bisher, wobei er weitgehend fettundurchlässig sein soll und sein Aussehen verbessert ist (Streitpatentschrift Sp 2 Abs [0009]).
Die Aufgabe soll nach Anspruch 10 durch einen Kunstdarmabschnitt gelöst werden, bei dem das offene Ende durch ein gefaltetes und/oder gefalztes Verschlussband, das mit dem Ende vernäht ist, verschlossen ist.
Zur Lösung der Aufgabe konnte der Fachmann von dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents beschriebenen, vom Patentinhaber unbestritten als bekannt vorausgesetzten Stand der Technik ausgehen, wonach sowohl ein Band auf der Oberseite als auch ein Band auf der Unterseite des zu verschließenden Endes des Kunstdarms postiert und mit dem Kunstdarm vernäht wird (Sp 1 Abs [0004]). Um die mechanische Belastbarkeit zu erhöhen und eine weitgehende Fettundurchlässigkeit zu erreichen, brauchte der Fachmann lediglich auf sein allgemeines Fachwissen zurückzugreifen, wie es beispielsweise im großen Textillexikon (5) unter dem Stichwort "Einfassen" für Teppichkanten oder für Schnittkanten mit Futterstoff beschrieben ist, und die von dem offenen Ende des Kunstdarmabschnitts gebildete Kante anstelle der an Ober- und Unterseite vernähten Bänder mit einem gefalteten bzw gefalzten Band zu vernähen, womit er ohne erfinderisch tätig zu werden zum Gegenstand des Anspruchs 10 gelangt.
Das Einfassen von Kanten oder Verschlüssen mit Verschluss- oder Einfassbändern ist für den mit der Herstellung von Wurstwaren betrauten Fachmann eine allgemein bekannte Maßnahme aus der Textilverarbeitung. Der Fachmann weiß nämlich auch über allgemeine Grundlagen der Textilverarbeitung Bescheid, wie insbesondere der ihm vertraute, in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents in Sp 1 Z 34 bis 40 erläuterte Umgang mit Industrienähmaschinen zeigt. Die Auffassung des Patentinhabers, dass es sich bei dieser lediglich beispielhaft zum Beleg des allgemeinen Fachwissens genannten Druckschrift (5) um einen gattungsfremden Stand der Technik handle, kann daher nicht nachvollzogen werden. Auch die Angabe in (5), dass durch das Einfassband bei Teppichen ein Ausfransen verhindert wird und nicht, wie beim Streitpatent zwei Lagen vom Einfassband umnäht werden, wie der Patentinhaber vorträgt, kann den Fachmann nicht von der Lösung der patentgemäßen Aufgabe abhalten. Denn (5) dient lediglich beispielhaft zum Beleg allgemeinen Fachwissens und ist außerdem nicht auf die Anwendung zum Einfassen von Teppichen beschränkt, sondern beschreibt beispielhaft auch das Einfassen von Kanten bei Bekleidungsstücken mit Futterstoff, wobei zweilagig gearbeitet wird. Dass das Umnähen mit einem Einfassband gegenüber einer Naht ohne Einfassband eine Verstärkung der Naht und einen verbesserten Verschluss gegen Fettdurchtritt bewirkt, liegt dabei auf der Hand.
Der Anspruch 10 kann daher mangels erfinderischer Tätigkeit seines Gegenstandes keinen Bestand haben.
4. Die übrigen Ansprüche 1 bis 9 und 11 teilen das Schicksal des Anspruchs 10 (vgl BGH GRUR 1997, 120 - elektrisches Speicherheizgerät). Abgesehen davon wird bezüglich des unabhängigen Verfahrensanspruchs 1 darauf hingewiesen, dass diesem Anspruch keine Maßnahmen zu entnehmen sind, die die Patentfähigkeit des Verfahrens begründen könnten, nachdem, wie die Einsprechende zutreffend vorträgt, die Verschlüsse an Kunstdarmabschnitten zwangläufig auf die im Anspruch 1 angegebene Weise hergestellt werden müssen.
Schröder Harrer Proksch-Ledig Gerster Na
BPatG:
Beschluss v. 07.10.2005
Az: 14 W (pat) 331/03
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