Bundesverwaltungsgericht:
Urteil vom 23. Juni 2010
Aktenzeichen: 6 C 36.08

(BVerwG: Urteil v. 23.06.2010, Az.: 6 C 36.08)

Unterliegt ein Telekommunikationsmarkt der nachträglichen Entgeltregulierung (§ 30 Abs. 1 Satz 2, § 38 TKG), ist die Frage einer missbräuchlichen Überhöhung der Entgelte, die das marktbeherrschende Unternehmen erhebt, gemäß § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG vorrangig nach dem Vergleichsmarktprinzip und nur ausnahmsweise, wenn dies nicht möglich ist, anhand konkreter Kostenunterlagen des betroffenen Unternehmens zu beurteilen. Als Vergleichsmärkte kommen regulierte Märkte grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn sie eine Monopolstruktur aufweisen.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 6. November 2008 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Entgelte, die die Klägerin für die Terminierung (Zustellung) von Anrufen, die aus dem Netz der Beigeladenen eingehen, von dieser verlangen kann.

Das öffentliche Telekommunikationsnetz der Klägerin, einer alternativen Teilnehmernetzbetreiberin, ist mit dem Netz der Beigeladenen aufgrund einer Zusammenschaltungsanordnung vom 11. Juli 2003 zusammengeschaltet. Mit bestandskräftig gewordener Regulierungsverfügung vom 29. Mai 2006 verpflichtete die Bundesnetzagentur die Klägerin, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen (weiterhin) die Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Telefonnetz zu gewähren und Verbindungsleistungen für die Anrufzustellung in ihr Festnetz zu erbringen. Ferner beschloss sie, dass die Entgelte für die Gewährung des Zugangs - insoweit abweichend von den der Genehmigungspflicht unterworfenen Entgelten der Beigeladenen - der nachträglichen Regulierung nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 38 Abs. 2 bis 4 TKG unterliegen. Die Regulierungsverfügung beruht auf einer Marktfestlegung der Bundesnetzagentur vom 12. Oktober 2005, wonach die Klägerin ebenso wie die anderen alternativen Teilnehmernetzbetreiber auf ihrem netzweiten Markt für Anrufzustellung über beträchtliche Marktmacht im Sinne des § 11 TKG verfügt.

Nachdem sich die Klägerin mit der Beigeladenen über die Terminierungsentgelte für die Zeit ab dem 1. Juni 2006 nicht einigen konnte, beantragte sie den Erlass einer Entgeltanordnung nach § 25 TKG. Sie stützte sich auf eine von ihr in Auftrag gegebene "Vergleichsmarktuntersuchung Terminierungsentgelte alternativer Teilnehmernetzbetreiber".

Mit Beschluss vom 31. Mai 2006 ordnete die Bundesnetzagentur, befristet bis zum 30. November 2008, für die von der Beigeladenen nachgefragte Terminierungsleistung Entgelte in einer geringeren als der beantragten Höhe an. Zur Begründung führte sie aus, nur in dieser Höhe hielten die Entgelte die Grenze des Preishöhenmissbrauchs ein. Dies sei das Ergebnis einer von ihr durchgeführten internationalen Vergleichmarktuntersuchung, die auf Märkte mit reziproken Entgelten habe beschränkt werden müssen, da gesicherte Daten zu nicht reziproken Tarifen nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Mit der Klage hat die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der beantragten Entgeltanordnung, hilfsweise zur Neubescheidung ihres Antrages begehrt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Neubescheidung des Entgeltantrages der Klägerin verpflichtet: Zwar habe sich die Bundesnetzagentur auf eine Entscheidung über die Entgelthöhe beschränken dürfen, obwohl die Zusammenschaltungsanordnung vom 11. Juli 2003 mit dem Erlass der Regulierungsverfügung vom 29. Mai 2006 gegenstandslos geworden sei; denn die Pflicht zur Zusammenschaltung als solche sei zwischen den Beteiligten unumstritten. Als Prüfmethode zur Bestimmung des anordnungsfähigen Entgelts habe aber das - grundsätzlich vorrangige - Vergleichsmarktprinzip unter den hier gegebenen Umständen nicht angewendet werden dürfen. Denn auf den Terminierungsmärkten finde ein Wettbewerb überhaupt nicht statt, da sie sämtlich von dem jeweiligen Netzbetreiber als dem insoweit einzigen Anbieter beherrscht würden. Daher hätte zur Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises auf Kostenunterlagen der Klägerin zurückgegriffen werden müssen.

Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend, die Vergleichsmarktmethode sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auf den vorliegenden Fall anwendbar. Auch regulierte Märkte seien dem Wettbewerb geöffnet. Die von ihr, der Klägerin, vorgelegte Vergleichsmarktanalyse belege, dass die beantragten Entgelte noch unterhalb des höchsten unverzerrten Wettbewerbspreises lägen und somit die Missbrauchsschwelle nicht erreichten. Verfehlt sei demgegenüber die von der Bundesnetzagentur vorgenommene Länderauswahl, insbesondere hinsichtlich der Beschränkung auf Vergleichsmärkte mit reziproken Entgelten.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils und unter teilweiser Aufhebung des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 31. Mai 2006 die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Entgeltanordnung für die Zusammenschaltungsleistung BT-B.1 antragsgemäß zu erlassen,

hilfsweise: den Antrag auf Erlass einer Entgeltanordnung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Revision der Klägerin zurückzuweisen und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Sie unterstützt zwar die Rechtsauffassung der Klägerin, dass der höchste unverzerrte Wettbewerbspreis nach dem Vergleichsmarktprinzip zu ermitteln sei, verteidigt aber ihre eigene Vergleichsmarktanalyse, die insgesamt auf zutreffenden Annahmen beruhe.

Die Beigeladene beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Revision der Klägerin zurückzuweisen und die Klage in vollem Umfang abzuweisen,

hilfsweise: die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Sie trägt vor, regulierte Märkte seien in Bezug auf die Anforderungen an eine Vergleichsmarktbetrachtung mit Wettbewerbsmärkten gleichwertig. Denn auch durch Regulierung werde der Verhaltensspielraum der jeweiligen Anbieter von Leistungen wirksam kontrolliert. Allerdings habe die Klägerin schon deshalb keinen Anspruch auf höhere als die bislang angeordneten Entgelte, weil bei funktionstüchtigem Wettbewerb nur reziproke Entgelte durchsetzbar seien. Daher könne die Klägerin nur diejenigen Terminierungsentgelte verlangen, die umgekehrt ihr, der Beigeladenen, von der Bundesnetzagentur genehmigt worden seien.

II.

Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind zulässig.

Dies gilt für die Revision der Klägerin auch insoweit, als sie - trotz des in dieser Hinsicht stattgebenden Tenors des verwaltungsgerichtlichen Urteils - hilfsweise die Neubescheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) ihres bei der Bundesnetzagentur gestellten Entgeltantrages begehrt. Eine formelle Beschwer des Klägers als Rechtsmittelführer liegt dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung, soweit sie der materiellen Rechtskraft fähig ist (§ 121 VwGO), hinter seinem Begehren zurückbleibt. Die Rechtskraft eines Bescheidungsurteils wird über dessen Tenor hinaus durch die vom Gericht in den Entscheidungsgründen dargelegte und von der Behörde bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung bestimmt. Ein dem Bescheidungsantrag stattgebendes Urteil beschwert daher den Kläger, wenn sich die vom Gericht für verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit seiner eigenen, für ihn günstigeren Rechtsauffassung deckt (vgl. Urteil vom 3. Dezember 1981 - BVerwG 7 C 30.80 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 157 S. 52; Beschluss vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 47.06 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 1 Rn. 16). So liegt es hier, weil kostenbasierte Terminierungsentgelte nach den plausiblen Darlegungen der Klägerin tendenziell niedriger liegen als vergleichsmarktbezogene Terminierungsentgelte.

Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat nicht möglich, da es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Die Klägerin ist im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, da die in § 25 Abs. 5 TKG vorgesehene Entgeltanordnung auch ihren Interessen zu dienen bestimmt ist. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtungsklage ist auch nach Ablauf der der Entgeltanordnung vom 31. Mai 2006 beigefügten Befristung nicht entfallen, weil die in Vollzug eines stattgebenden Urteils zu erlassende Anordnung eines höheren Entgelts für den Anordnungszeitraum Rückwirkung entfaltet. Soweit § 35 Abs. 5 Satz 3 TKG die Rückwirkung daran knüpft, dass zuvor eine einstweilige gerichtliche Zahlungsanordnung ergangen ist, bezieht sich diese Sonderregelung nur auf solche Entgelte, die gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 31 TKG der vorherigen Entgeltgenehmigung unterliegen, was hier nicht der Fall ist.

2. Die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung des Entgeltantrages der Klägerin verpflichtet hat, hält der Überprüfung nicht stand.

a) Der geltend gemachte Anspruch auf Anordnung eines höheren Terminierungsentgelts stützt sich auf § 25 Abs. 1, 5 TKG. Nach § 25 Abs. 1 TKG ordnet die Bundesnetzagentur, wenn eine Zugangsvereinbarung nach § 22 TKG ganz oder teilweise nicht zustande kommt und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zugangsverpflichtung vorliegen, auf Anrufung durch einen Zugangsbeteiligten den Zugang an. Die Vorschrift knüpft an die in § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 TKG getroffene Regelung an, wonach die Bundesnetzagentur marktmächtige Netzbetreiber durch Regulierungsverfügung verpflichten kann, anderen Unternehmen Zugang zu gewähren. Die betreffenden Zugangsverpflichtungen werden in der Regulierungsverfügung nur abstrakt auferlegt und bedürfen der Konkretisierung durch eine Zugangsvereinbarung bzw. - bei deren Nichtzustandekommen - eine Zugangsanordnung der Bundesnetzagentur (s. auch Urteil vom 24. Juni 2009 - BVerwG 6 C 19.08 - Buchholz 442.066 § 35 TKG Nr. 3 Rn. 15).

Gegenstand einer Zugangsanordnung können, soweit nach Maßgabe des § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG erforderlich, alle Bedingungen einer Zugangsvereinbarung sowie die Entgelte sein (§ 25 Abs. 5 Satz 1 TKG), wobei gegebenenfalls Teilentscheidungen getroffen werden sollen (§ 25 Abs. 6 Satz 1 TKG). Wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, beschränkt die Klägerin danach ihr Begehren im vorliegenden Fall zu Recht auf den Erlass einer (höheren) Entgeltanordnung. Diese Beschränkung ist im vorliegenden Zusammenhang deshalb gerechtfertigt, weil die Bundesnetzagentur bereits am 11. Juli 2003 noch nach altem Recht eine Zusammenschaltungsanordnung erlassen hat, die - mit späteren Änderungen - fortgilt und durch die Regulierungsverfügung vom 29. Mai 2006 nicht gegenstandslos geworden ist. Der Senat hat zwar die Übergangsvorschrift des § 150 Abs. 1 Satz 1 und 3 TKG dahin ausgelegt, dass sowohl solche Verpflichtungen alten Rechts, die unmittelbar kraft Gesetzes bestanden, als auch solche, die marktbeherrschenden Unternehmen durch Verwaltungsakt auferlegt worden waren, so lange wirksam blieben, bis sie durch neue regulatorische Entscheidungen ersetzt wurden (s. Beschluss vom 17. Mai 2006 - BVerwG 6 C 14.05 - BVerwGE 126, 74 = Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 1 Rn. 21, 36). Für das Außerkrafttreten dieser übergangsweise aufrechterhaltenen Verpflichtungen gelten aber je nach ihrer Rechtsnatur unterschiedliche Maßstäbe: Während einstweilen fortbestehende gesetzliche Verpflichtungen mit Wirksamwerden der in § 150 Abs. 1 Satz 1 TKG bezeichneten neuen Regulierungsentscheidung unmittelbar außer Kraft traten, bedarf es bei bestandskräftigen Verwaltungsakten, zu denen auch die hier in Rede stehende Zusammenschaltungsanordnung zählt, einer Aufhebung durch Widerruf oder Rücknahme (s. Urteil vom 14. Februar 2007 - BVerwG 6 C 28.05 - Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 Rn. 22). Da die hier in Rede stehende Zusammenschaltungsanordnung weder durch die Regulierungsverfügung vom 29. Mai 2006 noch sonst aufgehoben wurde, ist sie weiter wirksam.

b) Der Maßstab für die Höhe des anzuordnenden Entgelts wird in § 25 Abs. 5 TKG nicht unmittelbar vorgegeben. Vielmehr nimmt dessen Satz 3 Bezug auf die §§ 27 bis 38 TKG. Dabei handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung (so zutreffend Kühling/Neumann, in: BerlKommTKG, 2. Aufl. 2009, § 25 Rn. 50; Hölscher, in: Scheurle/Mayen, TKG, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 67; Scherer, in: Arndt/ Fetzer/Scherer, TKG, 2008, § 25 Rn. 23) auf die Regelungen über die Entgeltgenehmigung (§ 30 Abs. 1 Satz 1, §§ 31 bis 37 TKG) einerseits und über die nachträgliche Entgeltregulierung (§ 30 Abs. 1 Satz 2, § 38 TKG) andererseits.

Diese beiden Entgeltregulierungsinstrumente, deren Auswahl im Hinblick auf Art. 8, 13 der Richtlinie 2002/19/EG vom 7. März 2002 - Zugangsrichtlinie, ZRL - in das regulatorische Ermessen der Bundesnetzagentur gestellt ist (vgl. Urteile vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 - BVerwGE 131, 41 = Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 1 Rn. 65 ff. und vom 28. Januar 2009 - BVerwG 6 C 39.07 - Buchholz 442.066 § 10 TKG Nr. 3 Rn. 38), unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Zeitpunkts des behördlichen Tätigwerdens, sondern auch in Bezug auf den anzuwendenden Überprüfungsmaßstab: Während genehmigungsbedürftige Entgelte nach § 31 Abs. 1 TKG grundsätzlich (nur) dann genehmigungsfähig sind, wenn sie die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nicht überschreiten, gelten für die nachträgliche Regulierung gemäß § 38 Abs. 2, 4 TKG die Maßstäbe des § 28 TKG. Danach darf ein marktmächtiger Diensteanbieter oder Netzbetreiber seine Stellung bei der Forderung und Vereinbarung von Entgelten nicht missbräuchlich ausnutzen. Ein Missbrauch - in Gestalt des sog. Preishöhenmissbrauchs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG - liegt insbesondere dann vor, wenn das Unternehmen Entgelte fordert, die nur aufgrund seiner beträchtlichen Marktmacht auf dem jeweiligen Markt durchsetzbar sind (s. Urteil vom 2. April 2008 a.a.O. Rn. 68). Für die Entgeltanordnung nach § 25 Abs. 5 TKG folgt daraus, dass die Entgelte, falls sie - wie hier - der nachträglichen Regulierung unterliegen, den höchsten unverzerrten Wettbewerbspreis nicht überschreiten dürfen (Hölscher a.a.O.; Scherer a.a.O.; Tschentscher/Bosch, K&R Beil. 4/2004, 14 <22>).

c) Zur Klärung der Frage, ob die von dem entgeltberechtigten Unternehmen zur Anordnung vorgelegten Entgelte diesem Maßstab genügen, gibt § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG der Bundesnetzagentur eine abgestufte Prüfmethode vor. Danach kann sie, falls ihr eine Überprüfung nach dem Vergleichsmarktprinzip entsprechend § 35 Abs. 1 Nr. 1 TKG nicht möglich ist, "nach § 33 vorgehen", also entsprechend § 33 Abs. 5 Satz 2 Kostenunterlagen der in § 33 Abs. 1 genannten Art unter Fristsetzung anfordern. Schon nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes hat die Vergleichsmarktbetrachtung, nämlich die vergleichsweise Heranziehung solcher Unternehmen, die entsprechende Leistungen auf vergleichbaren, dem Wettbewerb geöffneten Märkten anbieten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG), bei der Missbrauchskontrolle Vorrang gegenüber der Überprüfung von Kostenunterlagen des regulierten Unternehmens. Überlegungen zur Entstehungsgeschichte und zum Zweck des Gesetzes bestätigen dieses Ergebnis. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Telekommunikationsgesetz 2004, der eine dem jetzigen § 38 Abs. 2 Satz 3 entsprechende Regelung noch nicht enthielt, sollten Maßstab für eine Überprüfung der Entgelte diejenigen wettbewerbsrechtlichen Kriterien sein, die auch dem § 19 Abs. 4 GWB zugrunde liegen (s. BTDrucks 15/2316 S. 67 - zu § 26 des Entwurfs - und S. 70 - zu § 36 des Entwurfs -). Gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB liegt ein Marktmachtmissbrauch insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen Entgelte fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden; hierbei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen. Der erst in späterem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens durch den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit angefügte § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG sollte lediglich klarstellen, dass auch im Rahmen einer nachträglichen Entgeltregulierung Kostenprüfungen grundsätzlich möglich sind (vgl. BTDrucks 15/2674 S. 37; BTDrucks 15/2679 S. 14), aber das insoweit als vorrangig vorausgesetzte Vergleichsmarktprinzip nicht in Frage stellen (s. auch Schuster/Ruhle, in: BeckTKG, 3. Aufl. 2006, § 38 Rn. 43; Mielke, in: BerlKommTKG, § 38 Rn. 65; Heinickel/ Scherer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, § 38 Rn. 46).

d) Das Verwaltungsgericht meint, dass eine Überprüfung der von der Klägerin beantragten Entgelte nach dem Vergleichsmarktprinzip unter den gegebenen Umständen nicht möglich sei und deshalb ausnahmsweise nach § 33 TKG hätte vorgegangen werden müssen. Dem ist nicht zu folgen, denn die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen tragen diese Schlussfolgerung nicht.

aa) Wie auch die Vorinstanz nicht verkennt, steht der Anwendung des Vergleichsmarktprinzips nicht der Umstand als solcher entgegen, dass es sich bei dem netzweiten Markt für Anrufzustellung in das öffentliche Telefonnetz der Klägerin ebenso wie bei den anderen europaweit in Betracht zu ziehenden Terminierungsmärkten jeweils um Märkte handelt, die für eine Vorabregulierung in Betracht kommen (s. Märkte-Empfehlung der Europäischen Kommission in der auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung vom 11. Februar 2003, ABl. EU Nr. L 114 S. 45, Anh. Nr. 9) und die auch tatsächlich reguliert werden. Das ergibt sich daraus, dass vergleichbare, "dem Wettbewerb geöffnete Märkte" gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG als Vergleichsmärkte herangezogen werden können. Diese Formulierung unterscheidet sich sowohl von § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB, der von Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren "Märkten mit wirksamem Wettbewerb" handelt, als auch von dem früheren § 3 Abs. 3 TEntgV 1996, der die Vergleichsmarktbetrachtung auf Preise und Kosten solcher Unternehmen bezog, die entsprechende Leistungen auf vergleichbaren "Märkten im Wettbewerb" anboten.

Mit dem hiervon abweichenden, aber an die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe in Art. 13 Abs. 2 Satz 2 ZRL angelehnten Wortlaut des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG wurde nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 15/2316 S. 69) bezweckt, auch regulierte Märkte als Vergleichsmärkte zuzulassen. Dies erklärt sich daraus, dass inländische wie auch ausländische Telekommunikationsmärkte, die sich zum Vergleich anbieten, in aller Regel ebenfalls reguliert werden, wobei die - fortschreitende - Öffnung für den Wettbewerb gerade das Ziel der Regulierung ist. Würden solche Märkte, auf denen am ehesten vergleichbare bzw. identische Leistungen gehandelt werden, als Vergleichsmärkte deshalb ausscheiden, weil sie im engeren Sinn (noch) keine Märkte mit wirksamem Wettbewerb sind, liefe das Vergleichsmarktprinzip auf dem Sektor des Telekommunikationsrechts praktisch leer (vgl. auch Groebel/Seifert, in: BerlKommTKG, § 35 Rn. 19). Für ein solches Normverständnis besteht umso weniger Anlass, als die Regulierung die sonst dem Wettbewerb zukommende Funktion übernimmt, die Spielräume der jeweiligen Anbieter von Leistungen zu kontrollieren und zu begrenzen, so dass auch die auf solchen Märkten gebildeten Preise zur Aufdeckung missbräuchlicher Entgeltforderungen prinzipiell geeignet sind.

bb) Auch die monopolistische Struktur der Terminierungsmärkte schließt die nach § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG vorrangig anzustellende Vergleichsmarktbetrachtung nicht aus. Zwar trifft es zu, dass die Terminierungsmärkte im Unterschied zu anderen Telekommunikationsmärkten durch die Besonderheit gekennzeichnet sind, dass für jedes Unternehmen, welches Terminierungsleistungen anbietet, ein jeweils eigener Markt für Anrufzustellungen abgegrenzt wurde, auf dem der jeweilige Anbieter naturgemäß über einen Marktanteil von 100 % verfügt. Doch besagt der Umstand, dass auf einem Markt nur ein einziger Anbieter auftritt, nicht automatisch, dass auf diesem Markt kein Wettbewerb stattfindet bzw. stattfinden kann. Eine solche Argumentation übersieht, dass Marktkräfte nicht nur auf der Anbieter-, sondern auch auf der Nachfragerseite wirken. So ist ein Marktanteil von 100 % nur ein - wenn auch wesentlicher - Marktmachtindikator, der im Einzelfall durch andere Umstände, insbesondere eine entsprechend ausgeprägte entgegengerichtete Nachfragemacht, widerlegt werden kann (s. Urteil vom 2. April 2008 a.a.O. Rn. 32 unter Hinweis auf Nr. 78 der Marktanalyse-Leitlinien der Europäischen Kommission vom 11. Juli 2002, ABl. EG Nr. C 165 S. 6).

Im allgemeinen Wettbewerbsrecht ist anerkannt, dass Monopolmärkte sogar als Wettbewerbsmärkte im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB in Betracht kommen können, falls wenigstens eine "schmale Basis" für die Vergleichbarkeit der Preise besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - KVR 17/04 - BGHZ 163, 282 <291>; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2 GWB, 4. Aufl. 2007, § 19 Rn. 165; Bechtold, in: Bechtold/Otting, Kartellgesetz, 5. Aufl. 2008, § 19 Rn. 76); dies legt ihre Berücksichtigungsfähigkeit als (lediglich) dem Wettbewerb geöffnete Märkte im Sinne von § 38 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG erst recht nahe. Die vorstehenden Überlegungen gelten nicht nur für die Terminierungsmärkte anderer alternativer Teilnehmernetzbetreiber, sondern prinzipiell auch für die betreffenden Märkte der früheren Staatsmonopolisten, da die schwerpunktmäßig gegen sie gerichteten Regulierungsmaßnahmen gerade dazu dienen, ihre früher unumschränkte Marktmacht zu brechen und sie dem Wettbewerb auszusetzen. Ob unter Berücksichtigung dessen zwischen den betreffenden Unternehmen eine wenigstens "schmale Basis" für die Vergleichbarkeit der Preise besteht oder nicht, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern nur im jeweiligen Einzelfall feststellen; derartige Feststellungen hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen.

Vor diesem Hintergrund steht der Anwendbarkeit des Vergleichsmarktprinzips auf die hier in Rede stehenden Monopolmärkte auch nicht der Umstand entgegen, dass die Bundesnetzagentur in ihrer der Regulierungsverfügung vom 29. Mai 2006 zugrunde liegenden Marktfestlegung vom 12. Oktober 2005 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass auf den Terminierungsmärkten der alternativen Teilnehmernetzbetreiber kein anderer Marktteilnehmer - unter Einschluss der Beigeladenen - über eine ausreichende entgegengerichtete Nachfragemacht verfügt. Daraus folgt zwar, dass die Teilnehmernetzbetreiber sich auf ihrem jeweiligen Markt in beträchtlichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern und Endnutzern verhalten können, also über beträchtliche Marktmacht in Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 3 TKG verfügen. Abgesehen davon, dass diese Feststellung naturgemäß nur für die deutschen, nicht aber für die internationalen Vergleichsmärkte Gültigkeit beansprucht, führt aber auch sie nicht über die Erkenntnis hinaus, dass die Terminierungsmärkte der Klägerin wie auch der anderen alternativen Teilnehmernetzbetreiber regulierungsbedürftig im Sinne von § 9 Abs. 2 TKG sind. Dies lässt indessen, wie schon gezeigt, noch nicht auf die Untauglichkeit dieser Märkte als "für den Wettbewerb geöffnete" Vergleichsmärkte im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG schließen.

3. Tragen nach alldem die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen nicht den Ausspruch, dass die Beklagte verpflichtet ist, über den Entgeltantrag der Klägerin auf der Grundlage noch anzufordernder Kostenunterlagen der Klägerin neu zu entscheiden, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat ist daran gehindert, nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO unmittelbar in der Sache zu entscheiden. Insbesondere kann er nicht selbst feststellen, ob die Bundesnetzagentur beim Erlass der umstrittenen Entgeltanordnung im Rahmen der Vergleichsmarktbetrachtung den "höchsten unverzerrten Wettbewerbspreis" zutreffend ermittelt hat oder nicht. Daher ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit sie Gelegenheit erhält, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.

Das Verwaltungsgericht wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass die Anordnung nicht-reziproker Terminierungsentgelte zwar - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - nicht bereits dem Grunde nach gegen das Missbrauchsverbot des § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TKG verstößt. Das Argument der Beigeladenen, jedes höhere als das ihr selbst genehmigte Entgelt sei schon deshalb missbräuchlich, weil die Klägerin bei wirksamem Wettbewerb nur reziproke Entgelte durchsetzen könnte, verkennt den unterschiedlichen Regelungsgehalt der - vorgreiflichen - Regulierungsverfügungen, wonach nur für die Beigeladene die Entgeltgenehmigungspflicht nach § 30 Abs. 1 Satz 1, § 31 TKG und damit der Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung festgelegt wurde (s. Regulierungsverfügung vom 5. Oktober 2005 - BK 4-05-002/R -), während für die Klägerin, wie bereits erörtert, (nur) der Missbrauchsmaßstab gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 38, 28 TKG gilt. Dies schließt es aus, die hinsichtlich der Terminierungsentgelte der Klägerin durchzuführende Vergleichsmarktbetrachtung von vornherein auf einen Vergleich mit dem Terminierungsmarkt der Beigeladenen zu beschränken. Demgegenüber ist es aber nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen, im Rahmen der internationalen Vergleichsmarktuntersuchung Märkte mit reziproken Terminierungsentgelten heranzuziehen. Der Zweck der Vergleichsmarktbetrachtung, einen "Als-ob-Wettbewerbspreis" zu simulieren, gebietet, dass bei der Auswahl der Märkte der jeweilige Grad der Annäherung an Wettbewerbsverhältnisse unter Einschluss der auf den Märkten vorherrschenden Preisbildungsregeln zu berücksichtigen ist (vgl. Groebel/Seifert, a.a.O. § 35 Rn. 20). Von daher kann die Überlegung, inwieweit und innerhalb welcher Zeiträume sich auf Wettbewerbsmärkten reziproke Preise für reziproke Leistungen einstellen, bei der Feststellung des höchsten unverzerrten Wettbewerbspreises bedeutsam sein.

4. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten.






BVerwG:
Urteil v. 23.06.2010
Az: 6 C 36.08


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