Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Oktober 2010
Aktenzeichen: 21 W (pat) 31/06

(BPatG: Beschluss v. 14.10.2010, Az.: 21 W (pat) 31/06)

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird auf der Basis des in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2010 eingereichten Anspruchs 1 an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse H 01 B des Deutschen Patentund Markenamts hat die am 12. Mai 2004 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Kabelsatz" durch Beschluss vom 6. März 2006 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die am 16. Februar 2006 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 6 zugrunde.

Zur Begründung ist in der Entscheidung ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der Entgegenhaltung E1 DE 199 23 469 A1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Zum Stand der Technik wurden im Prüfungsverfahren ferner die weiteren Entgegenhaltungen E2 DE 196 20 921 A1 E3 EP 1 083 069 B1 E4 DE 37 10 642 A1 E5 DE 199 17 765 A1 E6 DE 101 58 230 A1 und E7 DE 199 44 308 C1 in Betracht gezogen. Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Der Vertreter der Anmelderin stellt in der mündlichen Verhandlung den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache auf der Basis des in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2010 eingereichten Patentanspruchs 1 an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen.

Der geltende mit Gliederungspunkten versehene Patentanspruch 1 lautet:

M1 Verfahren zur Herstellung eines Kabelsatzes (2) mit einem Leitungsbündel (4) umfassend eine Anzahl von Einzelleitungen (6), M2 wobei das Leitungsbündel (4) zumindest teilweise von einemformstabilen einstückigen rohrartigen Formbauteil (12) umgeben und in diesem geführt ist, M3a wobei das Formbauteil (12) aus einem expandierten Polypropylen, M3b Polyethylen oder M3c Polystyrol M4 mit einer Dichte im Bereich zwischen etwa 20 -100 kg/m3 besteht, M5 wobei zur Herstellung des Kabelsatzes (2) das Leitungsbündel (4) in ein Formwerkzeug eingelegt und M6 anschließend ein körniges, trockenes Granulat aus dem expandierten Polymermaterial eingebracht und M7 beispielsweise mit Wasserdampf beaufschlagt wird, so dass die einzelnen Granulatkörner zumindest teilweise noch etwas aufquellen und insbesondere miteinander verbacken und dadurch sich das einstückige, um das Leitungsbündel umlaufende Formbauteil bildet.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie formund fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1 und 2 PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Patentamt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 PatG) führt.

1. Patentfähigkeita) Der geltende nunmehr auf ein Verfahren gerichtete Patentanspruch 1 ist zulässig.

Der geltende Patentanspruch 1 umfasst die Merkmale [M1 bis M3a] aus dem ursprünglichen Anspruch 1; die Merkmale [M3b, M3c und M4] stützen sich auf die Offenlegungsschrift, Absätze [0030] und [0031], die Merkmale [M5 bis M7] auf die Absätze [0032] und [0033].

b) Gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik gemäß den Entgegenhaltungen E1 bis E7 ist das zweifelsohne gewerblich anwendbare Verfahren nach Patentanspruch 1 neu und beruht demgegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, der hier ein Maschinenbauingenieur (FH) der Fachrichtung Verfahrenstechnik ist, der sich mit der Fertigung von Kabelbäumen befasst und auf diesem Gebiet über einschlägige Berufserfahrung verfügt.

In Entgegenhaltung E1 ist ein Kabelbaum, insbesondere Motorkabelbaum und ein Verfahren zu dessen Herstellung beschrieben. Der Kabelbaum weist eine Anzahl von Leitern (vgl. Sp. 2 Z. 46, 47 "Rundleiter und/oder Flachleiter" sowie die Figuren 1 bis 4), somit einen gemäß dem Merkmal [M1] des geltenden Verfahrensanspruchs 1 definierten Kabelsatz mit einem Leitungsbündel umfassend eine Anzahl von Einzelleitungen, auf. Der Kabelbaum 1 ist mit einer Schutzumhüllung 3 aus einem Kunststoff-Umschäummaterial 30 versehen, das die Endform des Kabelbaumes 1 zumindest teilweise festlegt (Sp. 2, Z. 64 -Sp. 3, Z. 6); damit ist der Kabelbaum (Leitungsbündel) zumindest teilweise von einem formstabilen einstückigen rohrartigen Formbauteil umgeben und in diesem geführt (Fig. 1 -3) [M2]. Das Umschäummaterial kann beispielsweise Polyurethan(PU)-Schaum (als einem expandierten Material) sein (vgl. Sp. 3, Z. 1 sowie Anspruch 10). Expandiertes Polypropylen, Polyethylen oder Polystyrol mit einer Dichte im Bereich zwischen etwa 20 - 100 kg/m3, wie im Patentanspruch 1 alternativ für das Formbauteil beansprucht, sind nicht vorgesehen. Zum Herstellen des Kabelbaums wird das Leitungsbündel mit dem Umschäummaterial (PU-Schaum) zumindest teilweise als Schutzschicht umspritzt (Verfahrensanspruch 11) und nicht, wie im Patentanspruch 1 weiter angegeben, in ein Formwerkzeug eingelegt, in das anschließend gemäß den Merkmalen [M6] und [M7] ein Granulat eingebracht und bspw. mit Wasserdampf beaufschlagt wird. Von diesem Kabelbaum und seinem Herstellungsverfahren unterscheidet sich das Verfahren nach dem geltenden Patentanspruch 1 sonach durch die Merkmale [M3a] bis [M5] und auch durch die Merkmale [M6] und [M7].

Wie das Umspritzen das Kabelbaums mit dem Umschäummaterial im Einzelnen erfolgen soll, ist in der Entgegenhaltung E1 an keiner Stelle näher ausgeführt und es sind somit auch keine Anregungen insbesondere zu den gemäß den Merkmalen [M5] bis [M7] beanspruchten Verfahrensschritten entnehmbar.

Dies trifft auch für die weiteren im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen E2 bis E7 zu.

Die Instrumententafel für ein Kraftfahrzeug aus E5 besteht aus mindestens zwei Formteilen 12, 14 aus geschäumtem Kunststoff (vgl. Anspruch 1). In den Formteilen können auch Ausnehmungen zur Führung von Kabeln vorgesehen sein (Sp. 2, Z. 56, 57). Für den geschäumten -expandierten -Kunststoff sind zwar als geeignete Materialien expandiertes Polypropylen (EPP), expandiertes Polystyrol (EPS) oder expandiertes Polyethylen (EPE) angegeben (Sp. 1, Z. 64 -68), zur Herstellung der Formteile als solche finden sich jedoch keine Hinweise, schon gar nicht im Hinblick auf das Einbringen eines trockenen Granulats aus bereits expandiertem Polymermaterial in ein Formwerkzeug und Beaufschlagen desselben mit Wasserdampf, damit die Granulatkörner noch etwas aufquellen und verbacken.

In E7 ist ein Montagegestell für die Montage von Baueinheiten eines elektrischen Schaltschranks beschrieben. Für das Montagegestell ist ein Formteil aus expandiertem Polypropylen (EPP) besonders gut geeignet, da es u. a. eine gute Formstabilität aufweist (vgl. Sp. 8 ab Z. 66 ff.). Zur Herstellung des Formteils wird zwar Polypropylengranulat unter Druck in eine Spritzform eingeblasen und heißer Dampf eingebracht, um damit das Aufpoppen des Granulats zu Schaumstoffperlen und zudem deren Verkleben zu dem Formteil zu bewirken (Sp. 9, Abs. 1), das verwendete Polypropylengranulat besteht jedoch nicht aus expandiertem Material, dessen Granulatkörner unter anschließender Beaufschlagung von Wasserdampf (zudem) teilweise noch etwas aufquellen, wie es gemäß den Merkmalen [M6] und [M7] des Patentanspruchs 1 zur Herstellung eines Kabelsatzes beansprucht ist.

Demzufolge ist der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem aus der Entgegenhaltung E1 bekannten Stand der Technik neu; er beruht dem gegenüber auch in der Zusammenschau mit den Entgegenhaltungen E5 und E7 auf einer erfinderischen Tätigkeit, wie sich aus den obenstehenden Ausführungen zur Neuheit ergibt.

Die weiteren Entgegenhaltungen E2 bis E4 und E6 liegen dem nunmehr beanspruchten Verfahren nach Patentanspruch 1 noch ferner; sie haben demgemäß in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt.

2. Zurückverweisung Aus den im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen E1 bis E7 ergeben sich somit für den zuständigen Fachmann keine Hinweise auf die Ausgestaltung eines Verfahrens zur Herstellung eines Kabelsatzes mit sämtlichen im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmalen.

Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit dem geltenden Patentanspruch 1 zur weiteren Prüfung an das Patentamt zurückzuverweisen. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Gründe, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, beseitigt werden und eine neue Sachprüfung erforderlich ist. Danach kann die Anmeldung an das Patentamt zurückverwiesen werden, wenn die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl. Busse, PatG, 6. Auflage, 379 Rdn. 64 und 65; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 79 Rdn. 20 bis 22, jeweils m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall.

Da die Recherche insoweit lediglich als vorläufig anzusehen ist, lässt sich nicht ausschließen, dass bei einer somit erforderlichen Nachrecherche bezüglich des geltenden Patentanspruchs 1 noch weiterer entscheidungserheblicher Stand der Technik ermittelt wird. Aus diesem Grund hat der Senat auch davon abgesehen, zu den Unteransprüchen Stellung zu nehmen. In dem vor dem DPMA fortzusetzenden Prüfungsverfahren wird die Anmelderin dann auch Gelegenheit haben, entsprechende Unteransprüche zu formulieren oder Merkmale aus den bisherigen Unteransprüchen oder der Beschreibung in einen neuen Hauptanspruch aufzunehmen.

Aus diesem Grund war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Anmeldung an das Patentamt zurückzuverweisen.

Dr. Winterfeldt Bernhart Dr. Kortbein Veit Pü






BPatG:
Beschluss v. 14.10.2010
Az: 21 W (pat) 31/06


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