Bundesgerichtshof:
Urteil vom 10. Oktober 2011
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 10/10

(BGH: Urteil v. 10.10.2011, Az.: AnwZ (Brfg) 10/10)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Der inzwischen 75 Jahre alte Kläger war von 1968 bis 1991 als Rechtsanwalt zugelassen. Die Beklagte widerrief mit vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 7. Oktober 1991 (AnwZ (B) 26/91) rechtskräftig bestätigtem Bescheid vom 14. Januar 1991 seine Zulassung wegen Vermögensverfalls. Noch als zugelassener Rechtsanwalt hatte er schwerwiegende Straftaten begangen. Im Einzelnen:

Eine Mandantin hatte aus einem im Februar 1991 abgeschlossenen Abfindungsvergleich 80.000 DM zu beanspruchen. Der Kläger, dessen Anwalts-1 kosten (4.450,71 DM) direkt von der gegnerischen Haftpflichtversicherung erstattet wurden, behielt den Abfindungsbetrag für eigene Zwecke ein, wobei er 40.000 DM einem Geschäftsfreund als kurzfristiges - dann aber nicht zurückgezahltes - Darlehen überließ und die weiteren 40.000 DM zur Tilgung eigener Wechselverbindlichkeiten einsetzte. Der Mandantin händigte er im Jahr 1991 lediglich einen Teilbetrag von 3.000 DM und im Jahr 1994 weitere 500 DM aus. Im Oktober 1995 glich der Kläger dann - nach erfolgter strafrechtlicher Verurteilung in erster Instanz - die noch offene Restforderung seiner Mandantin in Höhe von 78.986,78 DM nebst zwischenzeitlich entstandenen Verfahrenskosten (7.814,33 DM) aus.

Einer weiteren Mandantin spiegelte der Kläger wahrheitswidrig vor, er könne für ihre Ersparnisse einen besseren Ertrag als Bankinstitute bieten. Diese stellte ihm daraufhin am 2. Mai 1991 einen Betrag von 50.000 DM als jederzeit rückzahlbares Darlehen zu einem Zinssatz von 7,5 % zur Verfügung. Der Kläger, der das Geld teils zur Erledigung dringender Zahlungsverpflichtungen verwendete und teils zu einem Zinssatz von 15 % als Kredit an einen belgischen Arzt weitergab, zahlte nach der Kündigung des Darlehens zum 31. Dezember 1991 lediglich im Juni und Juli 1994 Teilbeträge von jeweils 500 DM an die Erbin der zwischenzeitlich verstorbenen Darlehensgeberin zurück. Nach strafrechtlicher Verurteilung in erster Instanz leistete der Kläger aufgrund eines inzwischen abgeschlossenen Vergleichs an die Erbin der Darlehensgeberin weitere 30.000 DM nebst 2.150 DM an Kosten.

Von einem weiteren Klienten erhielt der Kläger, der sich in den neuen Bundesländern auch als Kreditvermittler betätigte, am 13. August 1991 einen Geldbetrag von 40.000 DM mit dem Auftrag, diese Summe für sechs Monate zu einem Zinssatz von 15 % anzulegen. Der Kläger legte den per 31. Januar 1992 3 nebst Zinsen zurückzahlbaren Betrag, für dessen Rückerstattung er die persönliche Haftung übernommen hatte, jedoch nicht an, sondern gab ihn gegen Zahlung von 16 % oder 17 % Zinsen an einen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Geschäftsfreund weiter, der den Kredit nach Ablauf der vereinbarten drei Monate nicht zurückzahlte. Eine Rückzahlung der Geldanlage an den Klienten erfolgte mehrere Jahre lang nicht. Erst nach Erlass eines erstinstanzlichen Strafurteils zahlte der Kläger im Oktober 1995 aufgrund eines mit dem Geschädigten abgeschlossenen Vergleichs 25.000 DM an diesen zurück.

Wegen dieser Taten wurde der geständige Kläger mit Urteil des Landgerichts B. vom 20. November 1995 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung auf Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit betrug fünf Jahre. Daneben wurde gegen den Kläger für die Dauer von drei Jahren ein Berufsverbot verhängt. Die Freiheitsstrafe wurde am 1. Januar 2002 erlassen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts B. vom 28. Februar 2000 wurde der Kläger außerdem wegen Urkundenfälschung in drei Fällen und Einkommensteuerhinterziehung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt. Nach den dort getroffenen Feststellungen hat der Kläger seine Einkünfte für das Jahr 1990 im Hinblick auf seine Mieteinnahmen und ihm zuzurechnende Einkünfte aus der von ihm geführten P. Z. KG erheblich zu niedrig angesetzt, was zu einer Einkommensteuerverkürzung von 36.014 DM geführt habe. Außerdem habe er in drei Fällen von gefälschten Urkunden Gebrauch gemacht, indem er am 19. Juni 1990, am 31. Oktober 1990 und am 28. Juni 1992 in steuerlichen Angelegenheiten seines Sohnes Unterlagen beim Finanzamt eingereicht habe, die jeweils mit dessen gefälschten Unterschrift versehen gewesen seien. Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren 5 unter Vorlage eines undatierten Schriftsatzauszugs angekündigt, die Wiederaufnahme dieses Verfahrens zu betreiben, die dann zu einem Freispruch führen werde.

Mit weiterem Urteil des Landgerichts B. vom 6. Dezember 2002 - rechtskräftig seit 14. Dezember 2002 - ist der Kläger zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt worden.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat ein Geschäftspartner des Klägers zur Sicherung eines aufgenommenen Darlehens am 21. Juli 1997 einen PKW an die finanzierende Bank sicherungsübereignet und das Fahrzeug anschließend aufgrund einer mit dem Kläger getroffenen Vereinbarung vom 17. September 1997 diesem leihweise zur Nutzung überlassen. Die genannte Vereinbarung sah weiter vor, dass das Eigentum an dem PKW nach Rückfall an den Geschäftspartner auf den Kläger übergehen sollte. Nach der am 15. Juni 1998 ausgesprochenen Kündigung des zwischenzeitlich notleidend gewordenen Kredites stellte der Kläger das Fahrzeug trotz eines im Dezember 1998 letztmalig gestellten Herausgabeverlangens der Bank nicht zur Verfügung und entzog es auch in der Folgezeit deren Zugriff. Noch vor der Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die finanzierende Bank hatte er auf ein von seinem Geschäftspartner unterhaltenes Konto 49.300 DM als Kaufpreis für den PKW überwiesen. Im Hinblick darauf hat der Kläger im Strafverfahren den Standpunkt vertreten, bereits vor der Sicherungsübereignung an die Bank das Eigentum an dem Fahrzeug erlangt zu haben. Diesen Einwand haben die Strafgerichte unter Hinweis auf einen in diesem Fall erfolgten gutgläubigen Eigentumserwerb der Bank für unbeachtlich gehalten.

Nach dem Verlust seiner Anwaltszulassung arbeitete der Kläger zunächst als Unternehmensberater, später auch als Versicherungs- und Kreditberater. Am 7. September 2009 hat er seine erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Diesen Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2010 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe zum einen die Erfüllung der von ihr als offen aufgelisteten Forderungen nicht nachgewiesen, zum anderen sei er aber auch unabhängig von seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unwürdig, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Denn auch wenn die von ihm begangenen gravierenden Straftaten bereits geraume Zeit zurücklägen, sei der Zeitraum zwischen diesen Taten, bei denen es sich nicht um eine einmalige Entgleisung gehandelt habe, zu kurz, um annehmen zu können, der Kläger sei von seinen Verfehlungen innerlich abgerückt und habe sich charakterlich gewandelt.

Die hierauf vom Kläger erhobene Klage auf Wiedererteilung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen, wobei er seine Entscheidung nicht auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers wegen Einkommensteuerhinterziehung und Urkundenfälschung gestützt hat. Offen gelassen hat der Anwaltsgerichtshof bei seiner Entscheidung, ob sich der Kläger nach wie vor in Vermögensverfall befindet. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§ 112e BRAO, § 124 Abs. 5 Satz 5, Abs. 6 VwGO), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zwar liegt der Ver-9 sagungsgrund der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) nicht mehr vor. Der Kläger hat jedoch nicht nachgewiesen, dass er sich nicht mehr in Vermögensverfall (§ 7 Nr. 9 BRAO) befindet. Auch auf diesen Grund hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 15. März 2010 die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gestützt.

I.

Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Aus diesem Grund kann die Zulassung nicht mehr versagt werden.

1. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (st. Rspr.; vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, juris Rn. 4; vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 116/09, juris Rn. 7 m.w.N. aus der Rspr.).

Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so sehr an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 10. Mai 2010 12

- AnwZ (B) 117/09, aaO; vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 116/09, aaO Rn. 8 m.w.N.). Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 116/09, aaO m.w.N.; vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, aaO).

2. Bei gravierenden Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts - wie etwa bei Untreue und Betrug zulasten von Mandanten - hält der Senat einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 116/09, aaO Rn. 9; vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, aaO Rn. 6; vom 15. Juni 2009 - AnwZ (B) 59/08, juris Rn. 10; jeweils m.w.N.). Dabei darf auch eine bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand. Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein (Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 116/09, aaO; vom 10. Mai 2010 - AnwZ (B) 117/09, aaO).

Neben dem Zeitablauf kommt besondere Bedeutung der Frage zu, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat. Hat er sich zu seinem Fehlverhalten bekannt, insbesondere den angerichteten Schaden nach Mög-15 lichkeit wiedergutgemacht, und keine weiteren Verfehlungen begangen, schlägt dies positiv zu Buche (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 21/04, juris Rn. 9). Umgekehrt wirkt sich ein Versuch, über das eigene Fehlverhalten zu täuschen, negativ aus (Senatsbeschlüsse vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 21/04, aaO; vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 30/99, BRAK-Mitt. 2000, 194; vom 10. Juli 2000 - AnwZ (B) 40/99, BRAK-Mitt. 2000, 306, 307). Dasselbe gilt, wenn nach der die Unwürdigkeit begründenden Tat neue - selbst kleinere - Verfehlungen hinzugekommen sind (Senatsbeschlüsse vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 21/04, aaO; vom 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 52/95, BRAK-Mitt. 1996, 122 f.). Allerdings muss im Hinblick auf die mit der Versagung der Zulassung verbundene Einschränkung der Berufswahlfreiheit bei der im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung nach § 7 Nr. 5 BRAO der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt beachtet und gewahrt werden (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 12. April 1999 - AnwZ (B) 67/99, NJW-RR 1999, 1219 f.; vom 6. Juli 1998 - AnwZ (B) 10/98, BRAK-Mitt. 1998, 234, 235; jeweils m.w.N.).

3. Gemessen an diesen Maßstäben stehen die vom Kläger begangenen Straftaten dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bei Würdigung aller Umstände nicht mehr entgegen.

a) Zwar wiegen die im Jahr 1991 vom Kläger begangenen strafrechtlichen Verfehlungen, die zu einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einem dreijährigen Berufsverbot geführt haben, entgegen der vom Kläger geäußerten Einschätzung schwer. Denn der Kläger hat in mehreren Fällen das Vertrauen seiner Mandanten und Klienten missbraucht und diesen erhebliche finanzielle Schäden zugefügt. Auch ist er nach den von den Strafgerichten getroffenen Feststellungen in den Jahren 1992 und 1998 erneut straffällig geworden. 17 b) Selbst wenn man aber diese strafrechtlichen Verfehlungen und auch die wegen einer im Jahr 1990 begangenen Einkommensteuerhinterziehung ausgesprochene Verurteilung uneingeschränkt in die Gesamtabwägung einbezieht, kann dem Kläger die Zulassung nicht wegen noch andauernder Unwürdigkeit versagt werden.

aa) Die Vorgänge, die zur rechtskräftigen Verurteilung des Klägers im Jahr 1995 geführt haben, liegen zwischenzeitlich ungefähr 20 Jahre zurück. Seit den weiteren, nach den Feststellungen der Strafgerichte im Verlauf des Jahres 1992 und Ende des Jahres 1998 begangenen Straftaten ist ebenfalls geraume Zeit (rund 19 Jahre bzw. knapp 13 Jahre) verstrichen. Diese nachfolgenden Straftaten sind zudem schon angesichts ihrer Tatumstände als weitaus weniger gewichtig einzustufen als die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers im Jahr 1991 (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 30/99, aaO). Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass für die in den Jahren 1990, 1992 und 1998 begangenen Vermögensstraftaten keine Freiheitsstrafe verhängt wurde. Die zuletzt - während der laufenden Bewährungsfrist - begangene Tat (Unterschlagung eines PKWs) dürfte zudem auf die gleiche Ursache wie die 1991 erfolgten Untreue- und Betrugshandlungen des Klägers zurückzuführen sein, nämlich auf die Nichtbewältigung des eingetretenen Vermögensverfalls (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senatsbeschluss vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 30/99, aaO).

Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Ablauf der Bewährungszeit (1. Februar 2002) mittlerweile auch schon mehr als 9,5 Jahre zurückliegt. Der Kläger hat außerdem die im Jahr 1991 seinen Mandanten und Klienten zugefügten Schäden im Verlauf des Strafverfahrens (weitgehend) wieder gutge-19 macht. Negativ fällt dagegen der vom Anwaltsgerichtshof angesprochene Umstand ins Gewicht, dass der Kläger sich eher als "Opfer" denn als Täter der ihm zur Last gelegten Straftaten sieht. Dies allein reicht aber angesichts der übrigen Umstände für eine fortdauernde Unwürdigkeit nicht aus.

bb) Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Senat in vergleichbaren Fallgestaltungen den betroffenen Bewerber nach Ablauf einer Zeitspanne von mehr als zwölf Jahren bzw. von mehr als sechzehn Jahren seit der ersten Straftat (Untreue in zwölf Fällen bzw. in achtzehn Fällen) trotz nachfolgender Straftaten (Trunkenheit im Verkehr; Betrug und Fahren ohne Versicherungsschutz in zwei Fällen), die wiederum ungefähr zehn Jahre zurücklagen, nicht mehr als untragbar für den Beruf eines Anwalts angesehen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Juli 2000 - AnwZ (B) 40/99, aaO; vom 13. März 2000 - AnwZ (B) 30/99, aaO). In anderen Fällen, in denen der Betroffene erneut straffällig geworden war, hat der Senat sogar den Ablauf einer Zeitspanne von acht Jahren seit der letzten Straftat für eine Wiederzulassung genügen lassen (Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 52/95, aaO; vom 4. April 2005 - AnwZ (B) 21/04, aaO Rn. 10). Außerdem sind sowohl seit der ersten Verurteilung des Klägers als auch seit seiner letzten Straftat deutlich längere Zeiträume als in den genannten Fällen verstrichen. Nach alledem ist nicht mehr davon auszugehen, dass der Kläger nach wie vor unwürdig ist, den Beruf eines Anwalts auszuüben.

c) Auch die Wertung des § 7 Nr. 3 BRAO, der für den Fall des Ausschlusses aus der Rechtsanwaltschaft eine Sperrfrist für die Wiederzulassung von acht Jahren vorsieht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass diese Sperrfrist mit der Bestandskraft des Widerrufsbescheids - hier eingetreten im Jahr 1991 - in Gang gesetzt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 22 2010 - AnwZ (B) 117/09, aaO Rn. 10 m.w.N.), wäre diese Wartefrist selbst dann eingehalten, wenn sie erst mit der Begehung der letzten Tat oder sogar erst mit der Rechtskraft der letzten strafrechtlichen Verurteilung zu laufen begonnen hätte.

II.

Der beantragten Wiederzulassung steht jedoch der nicht ausgeräumte Vermögensverfall des Klägers (§ 7 Nr. 9 BRAO) entgegen.

1. Nach § 7 Nr. 9 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich in Vermögensverfall befindet. Ein solcher wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bewerbers eröffnet oder dieser in das vom Insolvenzgericht (§ 26 Abs. 2 InsO) oder vom Vollstreckungsgericht (§ 915 ZPO) zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Eine derartige Vermutung besteht im Streitfall nicht (mehr). Der Kläger hatte zwar am 28. November 2006 die eidesstattliche Versicherung abgegeben und war dementsprechend im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts R. eingetragen. Diese Eintragung ist jedoch inzwischen wieder gelöscht worden.

2. Dem Kläger obliegt aber unabhängig von den Vermutungstatbeständen des § 7 Nr. 9 BRAO die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm infolge zwischenzeitlich eingetretener Umstände gelungen ist, den im Jahr 1991 eingetretenen Vermögensverfall zu beseitigen. Denn der von der Beklagten im Jahr 1991 ausgesprochene Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls ist vom Bundesgerichtshof rechtskräftig bestätigt worden (AnwZ (B) 26/91). Infolgedessen hat der Kläger nun darzulegen und nachzuweisen, dass sich die Sachlage verändert hat, es ihm also gelungen ist, den Vermögensverfall (nachhaltig) zu beseitigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. Dezember 2007 - AnwZ (B) 1/07, juris Rn. 8, 3; vom 9. Dezember 1996 24

- AnwZ (B) 35/96, NJW-RR 1997, 1558 unter II 2 m.w.N.). Hierfür ist zunächst erforderlich, dass der betroffene Rechtsanwalt seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend dartut und belegt. Insbesondere muss er eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobener Forderungen vorlegen und im Einzelnen konkret und nachvollziehbar vortragen, ob Forderungen zwischenzeitlich getilgt worden sind oder in welcher Weise er die bestehenden Verbindlichkeiten zu tilgen gedenkt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 1991 - AnwZ (B) 40/91, juris Rn. 6; vom 10. August 2009 - AnwZ (B) 40/08, juris Rn. 10). Zudem setzt eine Konsolidierung seiner Vermögensverhältnisse voraus, dass der Rechtsanwalt über die Begleichung der aufgelaufenen Schulden oder ihre geordnete Rückführung hinaus nachweislich erreicht, dass dauerhaft keine neuen Schulden entstehen, deren ordnungsgemäße Begleichung nicht sichergestellt ist, etwa durch entsprechende Geldmittel oder eingehaltene Zahlungsvereinbarungen mit den jeweiligen Gläubigern (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 113/09, juris Rn. 10). Eine nachhaltige Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt nur wirtschaften kann, indem er neue Schulden auflaufen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 113/09, aaO m.w.N.).

3. Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht von einer Konsolidierung der finanziellen Verhältnisse des Klägers auszugehen. Der Kläger hat zwar zu den in der Aufstellung der Beklagten vom 4. Januar 2010 aufgeführten Forderungen Stellung genommen und dabei dargelegt und teilweise belegt, welche Schritte er unternommen hat, um die darin aufgelisteten Verbindlichkeiten zu tilgen. Weiter hat er seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse und seine sonstigen, in der Liste der Beklagten nicht berücksichtigten Verbindlichkeiten offen gelegt. Er hat jedoch weder den Nachweis erbracht, dass er die von ihm eingegangenen Ratenzahlungsverpflichtungen einhält und die von ihm behaup-27 teten Tilgungen erbracht hat, noch hat er belegt, dass er über die geordnete Rückführung der bisherigen Schulden hinaus erreicht, dass dauerhaft keine neuen Schulden entstehen, deren ordnungsgemäße Begleichung nicht sichergestellt ist.

a) Der Kläger hat trotz gerichtlichen Hinweises bereits nicht nachgewiesen, dass eine Tilgung der derzeit noch offenen Forderungen gesichert ist. Die Aufstellung der Beklagten vom 4. Januar 2010 enthält 16 Positionen, wovon nach der Berechnung der Beklagten noch ein Gesamtbetrag von 11.232,65 € offen stehen soll. In drei Fällen (Positionen 12, 14, 16) wurden die gegen den Kläger erhobenen Zahlungsklagen abgewiesen, in einem weiteren Fall (Position 9) kam es zu einer Klagerücknahme. Die Forderungen Nr. 4 und Nr. 6 sind nach dem Vorbringen des Klägers getilgt. Er bleibt hierfür jedoch jeden Beweis schuldig. Hinsichtlich der Forderungen Nr. 1 und Nr. 5 hat der Kläger zwar Ratenzahlungsvereinbarungen mit den Gläubigern vorgelegt, jedoch nicht belegt, dass die vereinbarten Zahlungen, die von seiner Ehefrau geleistet werden sollen, laufend erbracht werden. Er hat keine Quittungen, Kontoauszüge oder sonstige Unterlagen vorgelegt. Die übrigen in der Aufstellung der Beklagten aufgelisteten Forderungen sind auch nach dem Vortrag des Klägers noch offen. Der Kläger hat insoweit lediglich geltend gemacht, sich an sämtliche Gläubiger mit der Frage gewandt zu haben, ob noch Forderungen offen stünden. Da er von diesen keine Rückmeldung erhalten habe, gehe er davon aus, dass entsprechende Forderungen nicht mehr geltend gemacht würden. Belegt hat er dieses Vorbringen nicht; insbesondere hat er die an diese Gläubiger gerichteten Schreiben nicht vorgelegt. Bezüglich weiterer vier - in der Aufstellung der Beklagten nicht berücksichtigter - Forderungen hat der Kläger zwar ebenfalls Ratenzahlungsvereinbarungen behauptet und auch teilweise belegt. Er hat jedoch 28 nicht nachgewiesen, dass seine Ehefrau die offenen Forderungen auch vereinbarungsgemäß bedient.

b) Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht dargelegt und nachgewiesen, dass er aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage ist, künftig entstehende Verbindlichkeiten ordnungsgemäß zu tilgen. Er verfügt lediglich über ein belegtes Renteneinkommen in Höhe von 283,83 € monatlich sowie über ein - unbelegtes - unentgeltliches Wohnrecht in dem von ihm bewohnten Anwesen. Ebenfalls keine Nachweise hat der Kläger für seine Behauptung vorgebracht, seine Ehefrau unterstütze ihn finanziell durch Begleichung seiner Krankenversicherungsbeiträge und der von ihm geschuldeten Raten. Gleiches gilt für sein Vorbringen, seine Kinder würden im Falle der Wiederzulassung zur Anwaltschaft den ihnen schenkweise überlassenen Hausrat und die Büroeinrichtung an ihn zurückübertragen.

Nach alledem bleibt dem Kläger die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen des von ihm nicht ausgeräumten Vermögensverfalls versagt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

Kessal-Wulf König Fetzer Frey Braeuer Vorinstanz:

AGH Hamm, Entscheidung vom 11.06.2010 - 1 AGH 28/10 - 31






BGH:
Urteil v. 10.10.2011
Az: AnwZ (Brfg) 10/10


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