Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 14. Juni 2002
Aktenzeichen: 6 U 59/02
(OLG Köln: Urteil v. 14.06.2002, Az.: 6 U 59/02)
Tenor
1.) Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 26.2.2002 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 33 O 366/01 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:Die am 13.11.2001 im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung (33 O 366/01) wird unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrages aufgehoben.2.) Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die von dem Landgericht erlassene einstweilige Verfügung ist aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag ist zurückzuweisen, weil ein Verfügungsanspruch nicht besteht. Der beanstandete Vertrieb und die Bewerbung des Produktes L. als zertifiziertes Medizinprodukt durch die Antragsgegnerin sind nicht im Sinne des § 1 UWG unlauter.
Medizinprodukte dürfen gem. § 8 MPG grundsätzlich nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine CE-Kennzeichnung aufweisen. Die Antragsgegnerin hat vor diesem Hintergrund L. bei einer gem. § 20 MPG zu diesem Zweck benannten Stelle, nämlich der Landesgewerbeanstalt Bayern, angemeldet. Diese hat das Produkt in beiden Konzentrationen zertifiziert. Zuvor hatte die Antragsgegnerin gem. § 25 MPG der Regierung von Oberfranken angezeigt, dass sie L. als Medizinprodukt herstelle bzw. in Verkehr bringe. L. ist eine Wundspüllösung, die den Bestandteil Polyhexanid enthält. Die Parteien streiten über die Frage, ob das Produkt wegen dieses Bestandteiles tatsächlich nicht ein Medizinprodukt, sondern ein zulassungspflichtiges - und nicht zugelassenes - Arzneimittel ist. Die Abgrenzung hängt mit Blick auf § 3 Ziff.1 S.1 letzter Halbsatz MPG davon ab, ob die unstreitig vorhandene auch arzneiliche Wirkung des Stoffes Polyhexanid nur zur Unterstützung des Produktes dient, das in seiner Hauptfunktion keine arzneiliche Wirkung hat, oder ob die arzneiliche Wirkung des Polyhexanid eine Hauptfunktion des Produktes ist.
Diese Frage hat der Senat indes nicht zu entscheiden. Denn die Antragsgegnerin ist auch dann zum Vertrieb und zur Bewerbung des Produktes befugt, wenn L. entsprechend der Auffassung der Antragstellerin kein Medizinprodukt, sondern ein zulassungspflichtiges Arzneimittel sein sollte.
Der BGH hat in der Entscheidung "Sportwetten-Genehmigung" (GRUR 02,269 f) seine jüngere Rechtsprechung (BGH GRUR 00,237 - "Giftnotrufbox"; 00,1076 - "Abgasemissionen"; 01,354,256 - "Verbandsklage gegen Vielfachabmahner") bestätigt und fortgeführt, wonach auch ein Verstoß gegen sogenannte wertbezogene Normen, also solche, die dem Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter wie der Gesundheit der Bevölkerung dienen, nicht in jedem Falle als wettbewerbswidrig zu bezeichnen sei. Insbesondere handele derjenige grundsätzlich nicht sittenwidrig, dessen Verhalten von den zuständigen Behörden und Gerichten als rechtmäßig bewertet werde. Um eine derartige Konstellation handelt es sich hier. Die Antragsgegnerin hat nicht nur die Zertifizierung für das Produkt in beiden Stärken beantragt und erhalten, sondern sich mit der Anmeldung bei der Regierung von Oberfranken auch an die zuständige Aufsichtsbehörde gewandt. Nachdem letztere keine Einwände erhoben und die zuständige Landesgewerbeanstalt Bayern die Produkte zertifiziert hat, handelt die Antragsgegnerin mit dem Vertrieb der Produkte nicht unlauter.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der oben dargelegte Grundsatz auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Entscheidung "Sportwetten-Genehmigung" des BGH beruht weder auf dem Umstand, dass die Genehmigung von einer Behörde der früheren DDR erteilt worden war, noch darauf, dass gerade ein verbotenes Glücksspiel in Rede stand.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass etwas anderes deswegen gelten müsste, weil im vorliegenden Fall der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung betroffen ist. Auch in der vorgenannten Entscheidung stand der Verstoß gegen eine wertbezogene, nämlich als Straftatbestand (§ 284 StGB) ausgestaltete Norm in Rede. Im übrigen hat der BGH in den beiden Entscheidungen "Hormonpräparate" und "Giftnotrufbox" (jew. a.a.O.) gerade auch für solche wertbezogenen Normen, die - wie der im vorliegenden Verfahren maßgebliche § 21 AMG - dem Gesundheitsschutz dienen, den Satz aufgestellt, dass eine Gesetzesverletzung zwar grundsätzlich zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG darstelle, dass dieser Grundsatz aber nicht ausnahmslos gelte.
Eine Ausnahme liegt nach der zuletzt genannten Entscheidung dann vor, wenn die zuständigen Behörden und Gerichte das Verhalten des Betroffenen ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten. In einem solchen Fall ist der Gewerbetreibende nicht verpflichtet, sich trotzdem vorsichtshalber nach der strengsten denkbaren Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung zu richten. Das muss im vorliegenden Verfahren umso eher gelten, als nicht zur Debatte steht, ob das Produkt überhaupt vertrieben werden kann, sondern nur streitig ist, ob es sich um ein - dann jedenfalls grundsätzlich genehmigungsfähiges - Arzneimittel, oder um ein - auf Grund der erfolgten Zertifizierung verkehrsfähiges - Medizinprodukt handelt. Es kann der Antragsgegnerin nämlich nicht zugemutet werden, nach erfolgter Zertifizierung durch eine hierfür zuständige Stelle nunmehr noch das Genehmigungsverfahren nach § 21 AMG zu durchlaufen, nur weil es nicht unmöglich scheint, dass der in L. enthaltene Bestandteil Polyhexanid über die durch § 3 Ziff.1 S.1 letzter Hs. MPG auch für Medizinprodukte vorgesehene Unterstützung hinaus arzneiliche Wirkungen entfaltet. Das gilt umso eher, als der Begriff der "Unterstützung" hinsichtlich seiner Grenzziehung einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum eröffnet.
Danach ist der Vertrieb von L. in beiden Stärken nicht wettbewerbsrechtlich unlauter. Denn die Landesgewerbeanstalt Bayern hat das Produkt antragsgemäß zertifiziert und die Aufsichtsbehörde von Oberfranken hat Einwände gegen die Zertifizierung nicht erhoben. Dabei macht es keinen relevanten Unterschied, dass die Landesgewerbeanstalt zwar eine Behörde ist, aber nicht als solche, sondern privatrechtlich gehandelt hat. Bei der Landesgewerbeanstalt handelt es sich um eine nach § 20 MPG für die Aufgabe der Zertifizierung benannte und damit um eine derjenigen Stellen, die die Voraussetzungen eines Produktes als Medizinprodukt aufgrund des MPG zu prüfen haben. Die vorstehend wiedergegebenen, von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze sind daher anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O. "Sportwetten-Genehmigung") würde allerdings etwas anderes dann gelten, wenn die Antragsgegnerin die (unterstellte) Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens kennen, sich besserer Erkenntnis verschließen oder auf die Haltung der Landesgewerbeanstalt oder der Aufsichtsbehörde in unlauterer Weise eingewirkt haben würde. Ein derartiger Fall liegt indes nicht vor.
Der Antragsgegnerin ist nicht positiv bekannt, dass es sich tatsächlich - unterstellt - um ein Arzneimittel handelt. Die Abgrenzung hängt - wie schon ausgeführt worden ist - gem. § 3 Ziff.1 S.1 letzter Halbsatz MPG davon ab, ob die arzneiliche Wirkung des Stoffes Polyhexanid nur zur Unterstützung des Produktes dient, das in seiner Hauptfunktion keine arzneiliche Wirkung hat, oder ob die arzneiliche Wirkung eine Hauptfunktion des Produktes ist. Der Antragsgegnerin ist zwar bekannt, dass die Zulässigkeit des Vertriebs von dieser Einordnung abhängt, sie weiß aber nicht positiv, dass die Einordnung entgegen der Auffassung der Landesgewerbeanstalt Bayern im Sinne der Antragstellerin, nämlich als Arzneimittel, vorzunehmen ist. Diese Kenntnis lässt sich auch nicht etwa daraus herleiten, dass die Landesgewerbeanstalt Bayern nach der Behauptung der Antragstellerin eine unzutreffende Klassifizierung vorgenommen hat. Dies soll sich daraus ergeben, dass alle Produkte, die einen Stoff enthalten, der - wie Polyhexanid - bei gesondertem Vertrieb ein Arzneimittel darstellen würde, in die Klasse III gehören, während die Zertifizierung in der Klasse II a erfolgt ist. Selbst wenn man annimmt, dass die Antragsgegnerin die - unterstellte - Unrichtigkeit der Klassifizierung erkennen kann und muss, steht indes nicht fest, dass die Zertifizierung über diese Klassifizierung hinaus insgesamt unrichtig ist, also gar nicht hätte erteilt werden dürfen.
Unter diesen Umständen liegt auch nicht der Fall vor, dass sich die Antragsgegnerin besserer Erkenntnis verschließt. Erst Recht ergeben sich keine Anhaltpunkte für die Annahme, dass sie - was die Antragstellerin auch nicht behauptet - auf die Behörde unlauter eingewirkt, der Sache nach also falsche Angaben gemacht haben könnte.
Ob neben den von dem BGH aufgeführten, vorstehend erörterten Fällen auch dann der Gewerbetreibende nicht auf die Rechtsauffassung der Behörde bzw. hier der benannten Stelle vertrauen darf, wenn diese erkennbar unsorgfältig gearbeitet hat, bedarf ebenfalls keiner Entscheidung. Denn ein Anlass, an der Qualifikation und sorgfältigen Arbeit beider an der Zertifizierung beteiligten Stellen zu zweifeln, besteht kein Anlass. Bei der Landesgewerbeanstalt Bayern handelt es sich um eine benannte Stelle im Sinne des § 20 MPG. Der Umstand, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin die Antragsgegnerin die Möglichkeit hatte, sich von mehreren in Betracht kommenden eine Zertifizierungsstelle auszusuchen, spricht nicht dafür, dass die Landesgewerbeanstalt Bayern unsorgfältig gearbeitet haben könnte. Es kommt hinzu, dass die Regierung von Oberfranken als Aufsichtsbehörde anlässlich des vorliegenden Verfahrens nochmals mit dem Vorgang befasst worden ist und ihre Auffassung aufrechterhalten hat. Der dabei für den Fall erklärte Vorbehalt, dass das um Stellungnahme gebetene Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine andere Rechtsauffassung vertreten sollte, besagt nicht, dass die Aufsichtsbehörde an der Zulässigkeit der Zertifizierung zweifelt. Vielmehr berücksichtigt der Vorbehalt lediglich die Tatsache, dass das BfArM als Bundesbehörde weitergehende Kompetenzen als die Aufsichtsbehörde hat. Auch der Umstand, dass sie das BfArM überhaupt eingeschaltet hat, besagt nicht, dass die zuständige Aufsichtsbehörde das Produkt nicht als Medizinprodukt qualifiziert, zumal das auf der bloßen Tatsache der vorliegenden Auseinandersetzung beruhen kann. Jedenfalls derzeit darf nach der eindeutig erklärten Auffassung der Regierung von Oberfranken L. vielmehr als Medizinprodukt vertrieben werden.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann schließlich auch nicht etwa angenommen werden, die Landesgewerbeanstalt Bayern habe die Frage, ob ein Arzmeimittel oder ein Medizinprodukt vorliege nicht untersucht. Ein Produkt ist gem. § 2 Abs.3 Ziff.7 AMG entweder ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt, wenn nicht - was im vorliegenden Fall aber ersichtlich nicht der Fall ist - die dort aufgeführte Ausnahme vorliegt. Damit enthält die Zertifizierung als Medizinprodukt die Aussage, dass es sich nicht um ein Arzneimittel handele; Anhaltspunkte dafür, dass die Gewerbeanstalt die ihr obliegende Abgrenzungsfrage - grob pflichtwidrig - nicht geprüft habe, sind nicht ersichtlich.
Soweit die Antragstellerin sich schließlich im Rahmen des § 1 UWG auch auf einen Verstoß gegen § 3 a HWG beruft, kann auch hierauf der Antrag nicht mit Erfolg gestützt werden. Aus den vorstehenden Gründen handelt die Antragsgegnerin nicht unlauter wenn L. nicht als Arzneimittel, sondern als zertifiziertes Medizinprodukt bewirbt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs.2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 14.06.2002
Az: 6 U 59/02
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