Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 27. April 2010
Aktenzeichen: 3 U 160/09
(OLG Köln: Urteil v. 27.04.2010, Az.: 3 U 160/09)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. August 2009 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 26 O 250/08 - geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt,
es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, nachfolgende oder mit diesen inhaltsgleiche Bestimmungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen in Verträge über die Beförderung von Paketen mit Verbrauchern einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen ab dem 01.11.2005, zu berufen:
6 Haftung
.........
(4) Zeigt der Absender oder der Empfänger (Teil-)Verlust oder Beschädigung der EIM nicht innerhalb von sieben Tagen nach Ablieferung schriftlich an, so wird vermutet, dass das Gut in vertragsgemäßem Zustand abgeliefert worden ist. Bei Express-Sendungen gilt diese Vermutung auch, soweit äußerlich erkennbare Verluste oder Beschädigungen nicht spätestens bei Ablieferung des Gutes angezeigt werden.
II. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Dezem-ber 2008 zu zahlen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO)
I.
Der Kläger macht im Wege der Verbandsklage gemäß § 1 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) Unterlassungsansprüche bzw. einen Aufwendungsersatzanspruch im Zusammenhang mit den von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen geltend. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Stand: 10/2005) heißt es u.a.:
"6 Haftung
(4) Zeigt der Absender oder der Empfänger (Teil-)Verlust oder Beschädigung der DHL nicht innerhalb von sieben Tagen nach Ablieferung schriftlich an, so wird vermutet, dass das Gut in vertragsgemäßem Zustand abgeliefert worden ist. Bei Express-Sendungen gilt diese Vermutung auch, soweit äußerlich erkennbare Verluste oder Beschädigungen nicht spätestens bei Ablieferung des Gutes angezeigt werden. Ansprüche wegen Überschreitung der Lieferfrist erlöschen, wenn der Absender oder Empfänger der DHL die Überschreitung nicht innerhalb von 21 Tagen nach Ablieferung oder Rückgabe an den Absender schriftlich anzeigt. § 438 HGB bleibt im übrigen unberührt."
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die von dem Kläger beanstandeten Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten seien nicht unwirksam. Ein Verstoß gegen die Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 BGB läge nicht vor. Die Klauseln entsprächen den Vorschriften des § 438 des Handelsgesetzbuches, dessen Geltung im Übrigen auch unter Ziffer 6 Absatz 4 Satz 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich festgehalten werde. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehenden Vermutungen widerlegt werden könnten. Ein aufmerksamer und sorgfältiger Vertragspartner werde die in den Klauseln angesprochenen Vermutungen zutreffend als ungesicherte und folglich widerlegbare Annahmen und eben nicht - irrtümlich - als eine feststehende Gewissheit erkennen. Schließlich hielten die von der Beklagten verwendeten Bestimmungen auch einer Überprüfung nach den sonstigen Vorschriften der § 307 - 309 BGB, insbesondere nach § 309 Nr. 8 b) ee) BGB Stand.
Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung seine Unterlassungsansprüche bzw. den Aufwendungsersatzanspruch weiter. Das Landgericht habe zunächst bereits verkannt, dass die hier in Rede stehende Klausel der Beklagten ausdrücklich die Schriftform gemäß § 126 i.V.m. § 127 BGB vorschreibe, während der Gesetzgeber in § 438 Abs. 4 HGB die Textform (vgl. § 126 b BGB) eröffne. Nach der gesetzlichen Regelung reiche es damit aus, wenn der Verbraucher einen Schaden fristgemäß per E-Mail oder Fax anzeige. Darüber hinaus ordne der Gesetzgeber in § 438 Abs. 4 HGB ausdrücklich an, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung genüge. Von dieser Regelung weiche die beanstandete Klausel ab, da sie unstreitig einen entsprechenden Hinweis nicht enthalte. Damit werde die dem Verbraucher nach dem Gesetz zugestandene Frist erheblich verkürzt.
Im Übrigen könne entgegen der Auffassung des Landgerichts die Regelung im Sinne einer unwiderleglichen Annahme verstanden werde. Jedenfalls müsse bei Anwendung der kundenfeindlichsten Auslegung davon ausgegangen werden, dass es sich um eine unwiderlegliche Vermutung handele. Unabhängig davon liege ein Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte sei gehalten, einen entsprechenden Hinweis auf die Widerleglichkeit der Vermutungen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufzunehmen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 26.08.2009 - 26 O 250/08 zu verurteilen,
I. es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, nachfolgende oder mit diesen inhaltsgleiche Bestimmungen in Verträge über die Beförderung von Paketen mit Verbrauchern einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen ab dem 1. November 2005, zu berufen:
[6. Haftung
(4)] Zeigt der Absender oder der Empfänger (Teil-)Verlust oder Beschädigung der DHL nicht innerhalb von sieben Tagen nach Ablieferung schriftlich an, so wird vermutet, dass das Gut in vertragsgemäßem Zustand abgeliefert worden ist.
[6. Haftung
(4)...] Bei Express-Sendungen gilt diese Vermutung auch, soweit äußerlich erkennbare Verluste oder Beschädigungen nicht spätestens bei Ablieferung des Gutes angezeigt werden.
II. an den Kläger 200,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.12.2008) zu zahlen.
Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte der Kläger den Zeitpunkt der Verträge, bei denen sich die Beklagte auf die genannten Bestimmungen nicht berufen können soll, auf den 1. April 1977 datiert.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Zunächst treffe es nicht zu, dass sie gesetzeswidrig nur die Schriftform ausreichen lassen würde, obwohl gemäß § 438 Abs. 4 HGB die Textform vorgesehen sei. Ansonsten hätte die Beklagte im Internet kein Online-Portal eingerichtet, über das zum Einem die Sendungsverfolgung und Nachforschung möglich sei und zum Anderen die Empfänger Schadensanzeigen einreichen könnten. Unberechtigt sei auch der Vorwurf des Klägers, die Beklagte würde durch das Festhalten an der Schriftform die Frist zur Mängelanzeige und die Brieflaufzeiten bewusst verlängern. Der Kläger berücksichtige nicht hinreichend, dass in der angegriffenen Klausel ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass § 438 HGB im Übrigen unberührt bleibe. Demgemäß achte die Beklagte in der Schadensbearbeitungspraxis auch auf das Absendedatum einer Schadensanzeige und nicht auf das Eingangsdatum. Man habe die Klausel deshalb nicht geändert, weil man die Verbraucher mit der im allgemeinen Sprachgebrauch noch wenig bekannten "Textform" eher verunsichert hätte, insbesondere weil dann dem Verbraucher auch eine E-Mail-Adresse und eine Telefaxnummer hätten bekanntgegeben werden müssen. Dies wiederum hätte bei dem nicht technisch versierten Verbraucher den Eindruck erweckt, dass eine Schadensanzeige "per Brief" nicht mehr möglich gewesen wäre. Überdies sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, in ihren Klauseln darauf hinzuweisen, dass die vorgesehene Vermutung widerleglich sei.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
II.
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte sowohl den mit dem Klageantrag zu I) geltend gemachten Unterlassungsanspruch als auch einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen gem. dem Antrag zu Ziff. II) der Klageschrift.
1. Der Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Verwendung der hier streitgegenständlichen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen - in diesem Sinne ist der Klageantrag zu I) bei interessengerechter Auslegung zu verstehen - durch die Beklagte sowie des Berufens der Beklagten hierauf im Rahmen der Vertragsabwicklung ergibt sich aus § 1 UKlaG.
a) Die Aktivlegitimation des Klägers gemäß den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 UKlaG steht zwischen den Parteien außer Streit. Der Kläger ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragen.
b) Der Senat teilt allerdings die Auffassung des Landgerichts, dass beide von dem Kläger beanstandeten Klauseln nicht deshalb unwirksam i.S.d § 1 UKlaG sind, weil es an einem Hinweis auf die Widerleglichkeit der Vermutung fehlt, wie der Kläger erstinstanzlich ausschließlich und im Berufungsrechtszug vertieft geltend gemacht hat.
aa) Wenn die Klauseln dahingehend zu verstehen wären, dass bei einer fehlenden Anzeige des Absenders oder des Empfängers innerhalb der genannten Fristen unwiderleglich vermutet würde, dass das Gut in vertragsgemäßem Zustand abgeliefert worden ist, läge allerdings ein eindeutiger Verstoß gegen § 309 Nr. 8 b) ee) BGB vor. Hiernach sind Bestimmungen unwirksam, durch die bei Verträgen über Werkleistungen der Verwender dem anderen Vertragsteil für die Anzeige nicht offensichtlicher Mängel eine Ausschlussfrist setzt, die kürzer ist als die nach den Doppelbuchstaben ff) zulässige Frist (Hervorhebung durch den Senat). Vorliegend hat die Beklagte jedoch keine Ausschlussfrist vorgesehen. Hieran ändert der Grundsatz, dass im Verbandsprozess von der sogenannten kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen ist (vgl. hierzu nur BGH NJW 2003, 1237), nichts. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch lässt der Begriff der Vermutung es zu, nachzuweisen, dass die mit der Vermutung verbundene Annahme tatsächlich nicht zutrifft.
bb) Soweit es um die hier formulierte Vermutungswirkung geht, verstoßen die Klauseln auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beklagte hat insoweit lediglich die Formulierung des Gesetzes übernommen. Eine Unübersichtlichkeit oder fehlende Verständlichkeit der Klausel liegt nicht vor. Die Beklagte war nicht gehalten, auf die Widerleglichkeit der Vermutung ausdrücklich hinzuweisen. Wie das Landgericht im Übrigen auch zutreffend ausgeführt hat, ist es rechtlich unerheblich, wie der Verwender eine Klausel tatsächlich handhabt. Maßgeblich ist alleine, wie der Verwender die Klausel nach dem Regelungsgehalt, der ihr bei kundenfeindlichster Auslegung zukommt, handhaben könnte (vgl. BGH NJW 2003, 1237; siehe auch BGHZ 99, 374 [376]). Von daher spielt es keine Rolle, wie sich die Beklagte gegenüber einem Herrn Ballstädt bei der Regulierung eines Schadensfalles verhalten hat.
c) Ziff. 6 Abs. 4 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: erste Klausel) ist jedoch zunächst deshalb unwirksam, weil hierin vorgesehen wird, dass die Schadensanzeige - außerhalb von Express-Sendungen - "schriftlich" innerhalb einer bestimmte Frist erfolgen muss.
aa) Dies verstößt zum einen gegen die Vorschrift des § 438 Abs. 4 HGB. Dort ist nämlich, wie auch von der Beklagten nicht verkannt wird, ausdrücklich die Textform vorgesehen (§ 126 b) BGB), so dass auch eine Schadensanzeige in Form eines Telefax-Schreibens oder einer E-Mail ausreicht. Damit wird aber gegen erhebliche Grundsätze des § 438 HGB und damit gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 BGB verstoßen.
Der Hinweis der Beklagten darauf, dass sie eine Internetseite zur Verfügung stelle, auf der auch in elektronischer Form eine Schadensanzeige angebracht werden könne, ist unerheblich. Wie bereits oben ausgeführt kommt es im Verbandsprozess nicht darauf an, wie der Verwender eine Klausel tatsächlich handhabt, sondern allein darauf, wie er sie nach dem Regelungsgehalt, der ihr bei kundenfeindlichster Auslegung zukommt, handhaben könnte (vgl. BGH NJW 2003, 1237). Es entlastet die Beklagte auch nicht, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Hinweis enthalten ist, dass "im Übrigen § 438 HGB unberührt bleibe". Für einen Durchschnittsverbraucher lässt sich aus dieser Bestimmung nicht, jedenfalls nicht hinreichend deutlich, entnehmen, dass entgegen der Formulierung in der Klausel, wonach Schriftform erforderlich ist, nunmehr auch sonstige Textformen (E-Mail, Telefax) ausreichen. Jedenfalls aufgrund der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung im Verbandsprozess ist deshalb davon auszugehen, dass die Schadensanzeige nur schriftlich erstattet werden kann.
bb) Unabhängig davon folgt die Unwirksamkeit der ersten Klausel wegen des dort normierten Schriftformerfordernisses aber auch aus § 449 Abs. 1 Satz 1 HGB. Nach dieser Bestimmung kann in den Fällen, in denen der Absender ein Verbraucher ist, nicht zu dessen Nachteil von § 438 HGB abgewichen werden. So liegt der Fall aber hier, wenn entgegen den Vorgaben in § 438 HGB in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine schriftliche Schadensanzeige gefordert wird. Dass im Unterlassungsverfahren auch ein Verstoß gegen allgemeines zwingendes Recht geltend gemacht werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. nur BGH NJW 1983, 1320; OLGR München 2006, 868; Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1 UKlaG Rdn. 6 m.w.N.).
cc) Schließlich ist die erste Klausel im Hinblick auf das Schriftformerfordernis, wenn sie nicht schon aus den vorstehenden Ausführungen unwirksam ist, jedenfalls intransparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Es stellt sich nämlich zumindest die Frage, wie das Verhältnis des § 438 HGB, der im übrigen unberührt bleiben solle, zu der in der Klausel geforderten Schriftform ist. Denkbar und nach Auffassung des Senats wegen der Einfügung der Worte "im übrigen" naheliegend ist zum einen die Auslegung, dass § 438 HGB nicht zur Anwendung kommt, wenn und soweit in der Klausel eine speziellere Regelung enthalten ist. Dies ist aber im Hinblick auf die in der Klausel vorgesehene Schriftform anstelle der im Gesetz vorgesehenen Textform der Fall. Nicht ausgeschlossen ist daneben ein Verständnis dahingehend, dass der gesetzlichen Regelung bei etwaigen Abweichungen zu der Klausel in jedem Fall der Vorrang zukommen soll. Was tatsächlich gemeint ist, bleibt unklar.
d) Unabhängig von dem Schriftformerfordernis ist die erste Klausel auch deshalb gemäß den §§ 307 Abs. 2 Nr. 1, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. den §§ 438 Abs. 4, 449 Abs. 1 Satz 1 HGB unwirksam, weil aus ihr nicht hinreichend klar wird, dass zur Fristwahrung bereits die rechtzeitige Absendung der Schadensanzeige genügt. Geht man wiederum aufgrund der kundenfeindlichsten Auslegung davon aus, dass ein durchschnittlicher Verbraucher die Klausel dahingehend versteht, dass die Frist nur gewahrt wird, wenn die Schadensanzeige innerhalb der genannten 7-Tages-Frist bei der Beklagten eingeht, werden diese Fristen, die in § 438 HGB bzw. in der Klausel vorgesehen sind, erheblich verkürzt. Dass die Beklagte nach ihrem Vorbringen in der tatsächlichen Schadensbearbeitungspraxis auf das Absendedatum einer Schadensanzeige und nicht auf das Eingangsdatum achtet, steht der Unwirksamkeit der Klausel nicht entgegen, da es - wie ausgeführt - auf die tatsächliche Handhabung der Klausel durch den Verwender nicht ankommt.
e) Soweit es um Ziff. 6 Abs. 4 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: zweite Klausel) geht, bestehen die hinsichtlich der ersten Klausel dargelegten Wirksamkeitsbedenken dagegen nicht. Verlangt wird hier lediglich - beschränkt auf Express-Sendungen - die Anzeige bei Ablieferung des Gutes, wenn es sich um äußerlich erkennbare Verluste oder Beschädigungen geht. Durch diese Bestimmung wird nicht von § 438 HGB zum Nachteil des Kunden abgewichen. Vielmehr muss nach der gesetzlichen Regelung sogar - darüberhinaus - auch bei Nicht-Express-Sendungen am Ablieferungstage der Schaden angezeigt werden, wenn der Verlust oder eine Beschädigung des Guts äußerlich erkennbar war. Insoweit führt die Regelung mithin zu einer Privilegierung des Kunden. Auch wird für die Schadensanzeige keine besondere Form vorgeschrieben. Ebenso wenig vermag der Senat eine Intransparenz zu erkennen.
f) Die Unwirksamkeit (auch) der zweiten Klausel folgt jedoch aus dem Umstand, dass sie - für sich genommen - keinen Sinn mehr ergibt, wenn die erste Klausel entfällt. Welche "Vermutung auch gilt" (Ziff. 6 Abs. 4 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen), erschließt sich nur, wenn die erste Klausel (Ziff. 6 Abs. 4 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) mit herangezogen wird. Hiernach "wird vermutet, dass das Gut in vertragsgemäßem Zustand abgeliefert worden ist". Ohne die - unwirksame - erste Klausel ist die zweite Klausel deshalb zumindest wegen Intransparenz gem. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, weil offen bleibt, worauf sich die Vermutung bezieht. Eine geltungserhaltende Reduktion der zweiten Klausel kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu nur Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 307, Rdn. 8 ff. m.w.N.).
g) Die für einen Unterlassungsanspruch gem. § 1 UKlaG weitere ungeschriebene Voraussetzung der Wiederholungsgefahr (vgl. hierzu nur Palandt/Bassenge, a.a.O., § 1 UKlaG Rdn. 8 m.w.N.) folgt vorliegend bereits daraus, dass die Beklagte die Wirksamkeit der Klauseln in dem Prozess verteidigt. Im Übrigen würde im Zweifel nur die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die Wiederholungsgefahr beseitigen (vgl. Palandt/Bassenge a.a.O., § 1 UKlaG Rdn. 8). Dies hat die Beklagte jedoch ausdrücklich verweigert.
h) Inhaltlich hat die Beklagte gem. § 1 UklaG alle Handlungen zu unterlassen, die als Verwendung der unwirksamen Klauseln aufzufassen sind. Hierzu gehört nicht nur ihre Einbeziehung in neue Verträge, sondern auch die Berufung auf die Klauseln bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge (vgl. BGH NJW 1994, 2693; Palandt/Bassenge, a.a.O., § 1 UKlaG, Rdn. 8 m.w.Nw.). Anstelle der unwirksamen Klauseln gelten die gesetzlichen Regeln des § 438 HGB. Bedenken an dem Rechtsschutzbedürfnis des Unterlassungsantrages bestehen nicht (mehr), nachdem der Kläger ihn - bezogen auf das Berufen auf die Klauseln bei der Vertragsabwicklung - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in zeitlicher Hinsicht auf den 1. November 2005 und damit auf den Geltungsbereich der hier in Rede stehenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen beschränkt hat.
2. Begründet ist auch der mit der Klage weiter geltend gemachte Zahlungsanspruch. Gemäß § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG kann der Kläger von der Beklagten die für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen ersetzt verlangen, soweit die Abmahnung berechtigt erfolgt ist. Dies ist hier der Fall. Die Höhe der Abmahnkosten, die der Kläger auf 200,00 € beziffert hat, ist von der Beklagten ausdrücklich zugestanden worden. Der zuerkannte Zinsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB (Rechtshängigkeitszinsen).
3. a) Die Kosten des Rechtsstreits hat gem. den §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 ZPO Abs. 3 ZPO die Beklagte alleine zu tragen. Es wirkt sich kostenmäßig nicht zu Lasten des Klägers aus, dass er die Unwirksamkeit der Klauseln auch darauf gestützt hatte, dass es an einem Hinweis auf die Widerlegbarkeit der Vermutung fehle und er mit diesem Einwand nicht durchdringt. Wenn nämlich - wie hier - der Anspruch gemäß § 1 UKlaG bezüglich einer AGB-Bestimmung auf mehrere Unwirksamkeitsgründe gestützt wird, handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Streitgegenstand und Anspruch, so dass die Klage - bezogen auf die jeweilige Klausel - schon dann begründet ist, wenn nur einer bzw. einige der geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe vorliegen (vgl. hierzu nur BGH NJW 1993, 2053; Palandt/Bassenge, a.a.O., § 1 UKlaG, Rdn. 2). Die Reduzierung des Unterlassungsantrags in zeitlicher Hinsicht, die sich rechtlich als teilweise Klagerücknahme i.S.d. § 269 Abs. 1 ZPO darstellt, rechtfertigt eine anteilsmäßige Kostentragungspflicht des Klägers deshalb nicht, weil es nach Einschätzung des Senats allenfalls wenige - wenn überhaupt - noch nicht abgewickelte Verträge aus der Zeit vor dem 1. November 2005 gibt, in denen sich die Beklagte auf die hier in Rede stehenden Klauseln berufen könnte.
b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Bestimmung einer Sicherheitsleistung bedarf es nicht, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, nicht vorliegen. Der Senat lässt weder die Revision zu (dazu sogleich unter c), noch steht der Beklagten die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs.1 ZPO offen. Es fehlt an einer die Grenze des § 26 Nr. 8 EGZPO (20.000,00 €) übersteigenden Beschwer der Beklagten. Diese beträgt entgegen der von der Beklagten in dem Schriftsatz vom 30. März 2010 vertretenen Auffassung nicht mindestens 22.000,00 €.
aa) Im Verbandsprozess bemisst sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die der Senat teilt, das Interesse der Prozessparteien und ihre Beschwer ausschließlich nach dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung der gesetzwidrigen AGB-Bestimmung (vgl. BGH NJW-RR 1991,179; BGH NJW-RR 1998,401; BGH NJW-RR 2001, 352, BGH NJW-RR 2007, 497). Um die Verbraucherschutzverbände bei der Wahrnehmung der ihnen im Interesse der Allgemeinheit eingeräumten Befugnis, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu befreien, vor Kostenrisiken möglichst zu schützen, wird der wirtschaftlichen Bedeutung der Verbote, bestimmte Klauseln zu verwenden, bei der Bemessung der Beschwer hingegen keine ausschlaggebende Bedeutung eingeräumt. Dies gilt nicht nur für die Beschwer des im Prozess unterlegenen Verbraucherschutzverbandes, sondern in gleicher Weise für die Beschwer des zur Unterlassung verurteilten Verwenders von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. die Fallgestaltungen in BGH NJW-RR 1991,179; BGH NJW-RR 1998,401; BGH NJW-RR 2001, 352). Angemessen erscheint insoweit ein Regelstreitwert von 2.500,00 € je Klausel (vgl. BGH NJW-RR 2007, 497; Palandt/Bassenge, a.a.O., § 5 UKlaG 5 Rdn. 14). Damit ergibt sich vorliegend eine Beschwer der Beklagten in Höhe von 2 x 2.500,00 € = 5.000,00 €.
bb) Auf die Druckkosten für den Neudruck der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann aber auch unabhängig von den vorstehenden Ausführungen nicht abgestellt werden. Die Beklagte ist lediglich zur Unterlassung der Verwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. zur Unterlassung des Berufens auf die Bedingungen verurteilt worden, nicht jedoch zu einer Neufassung. Dies hat zur Folge, dass sie die bereits gedruckten und noch vorhandenen Exemplare nicht mehr verwenden darf und insoweit einen Wertverlust erleidet. Da die Beklagte für den Druck im Jahre 2005 nach ihrem Vorbringen einen Betrag in Höhe von 20.056,84 € aufgewendet hat und seit dieser Zeit nahezu fünf Jahre vergangen sind, in denen eine Vielzahl der Exemplare bereits verwendet wurde, beläuft sich der Nachteil der Beklagten im Hinblick auf die unnütz aufgewendeten Druckkosten auf einen deutlich geringeren Betrag als 20.000,00 €. Dass ihr durch die Unterlassungsverpflichtung sonstige Nachteile entstehen, die isoliert oder zusammen mit den unnütz aufgewendeten Druckkosten 20.000,00 € übersteigen, ist ebensowenig ersichtlich.
c) Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erfüllt. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch bedarf es einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Dass die hier in Rede stehenden Klauseln jedenfalls aus den vom Senat ausgeführte Gründen unwirksam sind, unterliegt keinen vernünftigen Zweifeln. Der Sache nach wird dies auch von der Beklagten selbst zugestanden, weil sie nach ihrem eigenen Vorbringen in der Berufungserwiderung vor dem Hintergrund der Neufassung des § 438 Abs. 4 HGB ("Textform") im Internet ein Online-Portal zur Verfügung stelle, in dem die Empfänger Schadensanzeigen online einreichen könnten und bei der Schadensbearbeitungspraxis auf das Absendedatum einer Schadensanzeige und nicht auf das Eingangsdatum einer Schadensanzeige achte. Eine tatsächliche Praxis führt nach der eindeutigen und von dem Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch nicht zur Wirksamkeit der AGB-Klausel. Dass die vom Senat entschiedenen Rechtsfragen u.U. auch Bedeutung für andere Paketdienstleister haben, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebensowenig, da die Quantität keine taugliches Kriterium ist. Entscheidend ist das Erfordernis einer grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit, die allenfalls für die Frage erwogen werden könnte, ob die Klauseln auch wegen des fehlenden Hinweises auf die Widerleglichkeit der Vermutung unwirksam sind. Auf diese Frage kommt es vorliegend im Ergebnis jedoch nicht an, weil die Unwirksamkeit bereits aus anderen Gründen folgt. Eine nicht entscheidungserhebliche Frage vermag jedoch eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu rechtfertigen.
Berufungsstreitwert: 5.000,00 €
Die obigen Ausführungen zur Bemessung des Interesses der Prozessparteien in einem Verbandsprozess gelten für die Festsetzung des Berufungsstreitwerts entsprechend, so dass das von dem Berufungskläger mit seinem Berufungsantrag verfolgte Interesse (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) 2 x 2,500,00 € = 5.000,00 € beträgt. Der mit der Klage weiter geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 200,00 € bleibt gemäß § 43 Abs. 1 GKG als Nebenforderung unberücksichtigt.
OLG Köln:
Urteil v. 27.04.2010
Az: 3 U 160/09
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