Oberlandesgericht Nürnberg:
Beschluss vom 29. März 2011
Aktenzeichen: 11 WF 1590/10
(OLG Nürnberg: Beschluss v. 29.03.2011, Az.: 11 WF 1590/10)
Tenor
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht - Schwabach vom 28.09.2010 und 19.08.2010 werden abgeändert.
2. Die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf 299,88 Euro über den bereits festgesetzten Betrag von 99,96 Euro hinaus festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Schwabach hat Frau A S am 10.12.2009 einen Beratungshilfeschein für die Angelegenheiten "Getrenntleben, Scheidung mit Folgesachen" erteilt.
Die Beteiligte A S hat sich in der Folgezeit von Rechtsanwalt R beraten lassen und ihn mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt. In Ausübung dieses Auftrages hat sich Rechtsanwalt R mit Schreiben vom 30.11.2009 an den Ehemann der Beteiligten A S gewandt.
Die Tätigkeit des Beschwerdeführers umfasste die Scheidung und die Folgesachen Versorgungsausgleich, Sorgerecht, Umgangsrecht, Unterhalt, Kindesunterhalt, Ehewohnung, Hausrat, Zugewinn, Vermögensauseinandersetzung und Trennungsunterhalt.
Mit Antrag vom 20.01.2010 hat Rechtsanwalt R eine Vergütung aus der Staatskasse in Höhe von insgesamt 107,10 Euro beantragt.
Von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Schwabach ist mit Beschluss vom 25.01.2010 die zu erstattende Vergütung auf 99,96 Euro festgesetzt worden. Dabei hat der Rechtspfleger folgende Beträge berücksichtigt:
Geschäftsgebühr, VVRVG Nr. 2503: 70,00 EuroPauschale, VVRVG Nr. 7002 :14,00 EuroSumme:84,00 EuroMehrwertsteuer 19 %:15,96 EuroSumme:99,96 EuroMit Schriftsatz vom 21.04.2010 hat Rechtsanwalt R beim Amtsgericht Schwabach zehn weitere Anträge auf Festsetzung von Beratungshilfevergütung über jeweils 107,10 Euro für seine Tätigkeiten für Frau A S in folgenden Angelegenheiten eingereicht:
Folgesache EhewohnungFolgesache HausratFolgesache elterliche SorgeFolgesache UmgangsrechtFolgesache Kindesunterhalt RFolgesache Kindesunterhalt JFolgesache TrennungsunterhaltFolgesache nachehelicher UnterhaltGüterrechtVermögensauseinandersetzungDer Urkundsbeamte bei dem Amtsgericht Schwabach hat mit Beschluss vom 19.08.2010 den Antrag auf Festsetzung einer weiteren Vergütung zurückgewiesen.
Die hiergegen von Rechtsanwalt R eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht - Familiengericht - Schwabach mit Beschluss vom 28.09.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss, welcher ihm am 13.10.2010 zugestellt worden ist, hat Rechtsanwalt R mit Schriftsatz vom 19.10.2010, eingegangen bei dem Amtsgericht Schwabach an diesem Tag, Beschwerde eingelegt, welche er im wesentlichen damit begründet, dass jede Angelegenheit, in welcher er im Rahmen der Beratungshilfe tätig geworden sei, kostenrechtlich als eine selbständige Angelegenheit zu behandeln sei, weshalb ihm für jede Angelegenheit eine Beratungshilfegebühr zustehe.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth hat bereits im Festsetzungsverfahren am 20.05.2010 Stellung genommen und dabei die Auffassung vertreten, dass es sich bei einer Beratung zu den rechtlichen Problemen, die sich aus der Trennung und Scheidung vom Ehegatten ergeben, für den Bereich der Beratungshilfe um eine kostenrechtliche Angelegenheit handele.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG statthaft und zulässig. Der Beschwerdewert von 200,-- Euro ist erreicht, § 33 Abs. 3 S. 1 RVG. Die Beschwerde ist auch innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG) eingelegt worden.
Das Oberlandesgericht Nürnberg ist als Beschwerdegericht gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG zuständig, weil die angegriffene Entscheidung von dem Amtsgericht - Familiengericht - Schwabach erlassen worden ist. Insoweit gilt die formelle Anknüpfung, auch wenn es sich bei dem Verfahren zur Vergütung im Rahmen der Beratungshilfe auch dann, wenn in einer familienrechtlichen Angelegenheit beraten wird, nicht um eine Familiensache handelt, letztlich also das Familiengericht beim Amtsgericht Schwabach nicht zuständig war (vgl. Zöller, 28. Auflage, Rn. 5 u.8 zu § 119 GVG; BGH FamRZ 1984, 774; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 713).
Gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet im Regelfall der Einzelrichter. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ist die Sache jedoch dem Senat übertragen worden.
In der Sache hat die Beschwerde zum Teil Erfolg. Dem Beschwerdeführer steht eine weitere Vergütung in Höhe von insgesamt 299,98 Euro zu.
Der Erfolg der Beschwerde ergibt sich allerdings nicht bereits aus der mangelnden Zuständigkeit des Familiengerichts, § 65 Abs. 4 FamFG, § 771 Abs. 2 S. 2 ZPO.
Dem Beschwerdeführer steht jedoch eine weitere Vergütung aus der Staatskasse zu, weil er im Rahmen der Beratungshilfe in insgesamt 4 Angelegenheiten tätig geworden ist.
Ein Rechtsanwalt, der im Rahmen der Beratungshilfe tätig wird, erhält gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 RVG eine Vergütung aus der Staatskasse. Die Höhe der Beratungsvergütung bestimmt sich nach VV RVG Nr. 2501 ff.. Besteht die Tätigkeit des Anwalts ausschließlich in der Beratung entsteht eine pauschale Beratungsgebühr in Höhe von 30,-- Euro. Wird der Anwalt über die reine Beratung hinaus tätig, beträgt die Gebühr gemäß VV Nr. 2503 70,-- Euro.
Gemäß § 15 Abs. 1 RVG gelten die gesetzlich festgesetzten Gebühren grundsätzlich, soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit ab. Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann ein Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.
Wird, wie vorliegend, Beratungshilfe für die Angelegenheiten "Getrenntleben, Scheidung mit Folgesachen" gewährt, ist umstritten, wie der Begriff "dieselbe Angelegenheit" zu definieren ist.
Zum Teil wird vertreten, dass der bei Trennung und Scheidung auftretende Beratungs- und Regelungsbedarf in verschiedenen Bereichen gebührenrechtlich lediglich als eine einzige Angelegenheit zu bewerten sei, weil es sich um einen einheitlichen Lebensvorgang handle, welcher die hieraus resultierenden Gegenstände, zu denen eine Regelung bzw. Beratung erforderlich ist, zu einer Angelegenheit verbindet (vgl. OLG München MDR 1988, 330; OLG Nürnberg, 7. Senat, FamRZ 2005, 740 ff.).
Die gegenteilige Auffassung nimmt prinzipiell für jeden Beratungsgegenstand, welcher im Zusammenhang mit einer Scheidung oder der Trennung steht, gebührenrechtlich eine gesonderte Angelegenheit an und erkennt jeweils gesonderte Gebühren für erteilte Beratungshilfe an (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; OLG Dresden, Beschluss vom 07.02.2011, Az.: 20 WF 1311/10, zitiert nach juris; OLG Frankfurt FamRZ 2010, 230).
25Eine dritte Meinung differenziert zwischen der Scheidung und den zugehörigen Folgesachen einerseits und Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung andererseits und stellt ansonsten für die Beurteilung des Vorliegens einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn auf den konkreten Lebenssachverhalt ab (vgl. KG RVGreport 2010, 141; Brandenburgisches Oberlandesgericht MDR 2009, 1417; OLG Rostock NJW Spezial 2011, 92).
26Der Senat schließt sich im Grundsatz der zuletzt genannten Meinung an. Die Auffassung, nach welcher sämtliche Probleme, welche im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung von Ehegatten auftauchen, im Falle der Bewilligung von Beratungshilfe als eine einzige Angelegenheit zu betrachten seien, steht im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31.10.2001 (NJW 2002, 429). Das Bundesverfassungsgericht hat u. a. ausgeführt:
"Zwar spricht aus verfassungsrechtlicher Sicht viel dafür, die Beratung über den Unterhalt des Kindes und das Umgangsrecht des Vaters nicht als dieselbe Angelegenheit gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) anzusehen, um den Rechtsanwalt, der in der Beratungshilfe ohnehin zu niedrigen Gebühren tätig wird, nicht unnötig zu belasten."
Die Annahme nur einer gebührenrechtlichen Angelegenheit kann auch nicht auf § 16 Nr. 4 RVG gestützt werden. Diese Vorschrift betrifft nur das gerichtliche Verbundverfahren, nicht die außergerichtliche Beratung, bei welcher bereits begrifflich eine Verbundsache nicht vorliegen kann. Auch eine analoge Anwendung kommt wegen der unterschiedlichen Sachlage nicht in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244; OLG Dresden, Beschluss vom 07.02.2011, 20 WF 1311/10, zitiert nach juris; OLG Frankfurt FamRZ 2010,230; OLG Rostock NJW-Spezial 2011,92; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, PKH- und VKH, Beratungshilfe, 5. Auflage, Rn 1022; a.A. Mayer/Kroiß RVG, 4. Auflage, Rn. 17 zu § 16 RVG).
Zu weit geht die Ansicht, wonach die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf im Zusammenhang mit einer Trennung und Scheidung anfällt, eine eigene Gebühr auslöst. Diese Meinung berücksichtigt nicht, dass zwischen den einzelnen Beratungsgegenständen, welche im Zusammenhang mit einer Trennung und Scheidung auftauchen können, häufig ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, weshalb aus allgemein gebührenrechtlichen Gesichtspunkten von dem Vorliegen einer einheitlichen Angelegenheit auszugehen ist. Besonders deutlich wird dies, soweit der Beschwerdeführer jeweils eine gesonderte Gebühr für die Beratungsgegenstände Kindesunterhalt für R und Kindesunterhalt für J beansprucht.
30Unter Berücksichtigung des inneren Zusammenhangs der unterschiedlichen Lebenssachverhalte erscheint es vorliegend sachgerecht, gebührenrechtlich von insgesamt vier Komplexen (Angelegenheiten), nämlich der Scheidung als solcher, den Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht), den Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehewohnung und dem Hausrat sowie den finanziellen Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht und Vermögensauseinandersetzung) auszugehen.
Die Beratungshilfegebühr für jede dieser Angelegenheiten beläuft sich auf 99,96 Euro nach folgender Berechnung:
Gebühr VV 2503:70,00 EuroAuslagenpauschale VV 7002(20 % der Gebühr, höchstens 20,00 €): 14,00 EuroMehrwertsteuer 19 %:15,96 EuroSumme:99,96 EuroDem Beschwerdeführer steht daher ein Vergütungsanspruch gegenüber der Staatskasse in Höhe von insgesamt 399,84 Euro zu. Da bereits eine Vergütung in Höhe von 99,96 Euro festgesetzt worden ist, verbleibt ein Betrag in Höhe von 299,88 Euro.
Kosten:
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, § 33 Abs. 8 RVG.
Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft, § 33 Abs. 4 S. 3 RVG.
OLG Nürnberg:
Beschluss v. 29.03.2011
Az: 11 WF 1590/10
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