Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Oktober 2002
Aktenzeichen: 7 W (pat) 9/02

(BPatG: Beschluss v. 23.10.2002, Az.: 7 W (pat) 9/02)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß der Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Dezember 2001 aufgehoben und das Patent beschränkt aufrechterhalten mit den am 23. Oktober 2002 übereichten Patentansprüchen 1 - 3, Beschreibung und Zeichnungen nach Patentschrift.

Gründe

I Gegen die Erteilung des Patents 195 16 392 sind zwei auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gestützte Einsprüche erhoben worden. Nach Prüfung dieser Einsprüche hat die Patentabteilung 14 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent durch Beschluß vom 6. Dezember 2001 mit der Begründung widerrufen, daß sein Gegenstand keine patentfähige Erfindung sei.

Im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind zum Stand der Technik folgende Entgegenhaltungen genannt worden:

1) deutsche Offenlegungsschrift 42 30 123 2) deutsche Auslegeschrift 1 137 331 3) deutsche Auslegeschrift 1 154 007 4) deutsche Auslegeschrift 1 630 456 5) deutsche Offenlegungsschrift 40 35 897.

Im Beschwerdeverfahren hat die Einsprechende I noch auf 6) die deutsche Auslegeschrift 1 480 037 und 7) die deutsche Patentschrift 1 207 811 sowie auf die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte 8) deutsche Offenlegungsschrift 42 12 775 hingewiesen.

Gegen den Widerrufsbeschluß hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung eine neue Anspruchsfassung vorgelegt und die Auffassung vertreten, daß der Patentgegenstand in der nunmehr geltenden Fassung eine patentfähige Erfindung darstelle.

Sie hat den Antrag gestellt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den am 23. Oktober 2002 überreichten Patentansprüchen 1 - 3, Beschreibung und Zeichnung nach Patentschrift.

Die Einsprechende I hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hat der Auffassung der Patentinhaberin widersprochen und die Ansicht vertreten, daß auch der beschränkte Patentgegenstand gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik nicht patentfähig sei.

Die Einsprechend II, die - wie schriftsätzlich angekündigt - zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, hat keine Anträge gestellt und sich auch nicht in der Sache geäußert.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Druckmittelantrieb, vorzugsweise hydraulischer Nehmerzylinder mit einer Kolbenstange, die zumindest auf einem Teil ihrer Länge von einer Schutzhülle umschlossen ist und mit ihrem freien Ende über einen Gleitschutz an einem Ausrückelement angreift, wobei durch den Gleitschutz ein von der Schutzhülle umgebener Raum abdichtbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Gleitschutz relativ zur Kolbenstange bewegbar an der Schutzhülle aufgenommen ist und in Abhängigkeit von der Ausfahrstellung der Kolbenstange eine dieser Ausfahrstellung zugeordnete Ausrichtstellung annimmt, wobei der Gleitschutz durch die Kolbenstange in Anlage am Ausrückelement haltbar ist und das Ausrückelement an seiner dem Gleitschutz zugewandten Seite eine Tasche zur formschlüssigen Aufnahme des Gleitschutzes aufweist".

Laut Beschreibung (Patentschrift Sp 1 Z 26 - 29) ist Aufgabe der Erfindung, einen Druckmittelantrieb, der über einen Gleitschutz an einem Ausrückelement angreift, so weiterzubilden, daß dem Verschleißproblem entgegengewirkt werden kann.

Die Ansprüche 2 und 3 sind auf Merkmale gerichtet, mit denen der Druckmittelantrieb nach Anspruch 1 weiter ausgestaltet werden soll.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents.

1. Die geltenden Patentansprüche sind zulässig.

Der Patentanspruch 1 enthält die Merkmale der erteilten Patentansprüche 1, 4 und 5 wobei das Wort "vorzugsweise" im erteilten Anspruch 5 gestrichen wurde. Die kennzeichnenden Merkmale der Ansprüche 2 und 3 entsprechen denen der erteilten Ansprüche 2 und 3.

2. Der Gegenstand des angefochtenen Patents in der beschränkten Fassung stellt eine patentfähige Erfindung iSd PatG § 1 bis § 5 dar.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu.

In der deutschen Auslegeschrift 1 480 037 ist eine Vorrichtung zum Steuern des selbsttätigen Ein- und Ausrückens einer Kraftfahrzeugkupplung beschrieben, die einen als Druckmittelantrieb ausgebildeten Stellmotor (8) für die Betätigung der Kupplung (10) über ein Ausrückelement (Gestänge 9) verwendet (Fig 1 u. zugehörige Beschreibung). Die Kolbenstange des Stellmotors ist über ein Kugelgelenk mit dem Ausrückelement verbunden und zwar derart, daß ein am stangenförmigen Ausrückelementende befestigtes becherartiges Teil das freie, kugelförmige Ende der Kolbenstange umklammert und damit fest verbunden hält. Aufgrund der Gelenkfunktion nimmt dieses becherartige Teil bei Lageveränderung eine Ausrichtstellung ein, die der Ausfahrstellung der Kolbenstange entspricht. Um das Kugelgelenk und einen Teil der Kolbenstange herum ist eine Schutzhülle zwischen dem Ausrückelement und einem Gehäuserand an der offenen Zylinderseite angeordnet. Sie dichtet den von ihr umschlossenen Raum nach außen ab und hält das becherartige Teil beweglich zur Kolbenstange.

Von diesem bekannten Druckmittelantrieb unterscheidet sich der gemäß dem geltenden Anspruch 1 u.a. dadurch, daß ein Gleitschutz durch die Kolbenstange in Anlage am Ausrückelement gehalten ist, er also nicht am Ausrückelement befestigt ist, und daß das Ausrückelement eine Tasche aufweist, die den Gleitschutz formschlüssig aufnimmt.

Zumindest das Merkmal einer formschlüssigen Verbindung zwischen einem Ausrückelement und einem Gleitschutzelement fehlt auch bei den Druckmittelantrieben nach den übrigen Entgegenhaltungen.

Der Druckmittelantrieb nach dem geltenden Patentanspruch 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Frage steht, ist auch das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Dadurch, dass beim verteidigten Patentgegenstand zwischen Gleitschutz und Ausrückelement lediglich eine formschlüssige Verbindung besteht und der Gleitschutz gemeinsam mit der Schutzhülle, ohne Einbezug des Ausrückelements, den Kolbenstangenraum am Zylinder abdichtet, ergeben sich die Vorteile, dass bei der Ein- und Ausrückbewegung der Kolbenstange der Gleitschutz ohne wesentliche Gleitbewegung am Ausrückelement gehalten werden kann (Sp 1 Z 48 bis 56 u Z 63 bis Sp 2 Z 2), wodurch selbst bei Staubeintrag aus der Umgebung infolge fehlender Schutzabdeckung der Verbindung ein Verschleiß weitgehend vermieden wird, dass ferner der Druckmittelantrieb mit der Schutzhülle für den Kolbenstangenraum vormontierbar ist, und dass des weiteren die Herstellung der Verbindung zwischen Druckmittelantrieb und Ausrückelement nur einen geringen Montageaufwand erfordert, weil hierfür keine zusätzlichen Befestigungsmittel oder besondere Werkzeuge benötigt werden.

Der aufgezeigte Stand der Technik vermag dem Fachmann - als hier zuständig wird ein Fachhochschulingenieur des Allgemeinen Maschinenbaus mit Tätigkeitsschwerpunkt auf dem Gebiet pneumatischer und hydraulischer Antriebe angesehen - keine Anregungen zur Auffindung der Lehre des Anspruchs 1 zu geben.

Die beim Neuheitsvergleich schon gewürdigte deutsche Auslegeschrift 1 480 037 beschäftigt sich nicht näher mit der Gestaltung von Stellmotor und Ausrückelement, so daß aus ihr keine Alternativen zu der nur den Figuren entnehmbaren Ausführung herleitbar sind.

Bei dem Servobremsgerät nach der deutschen Patentschrift 1 207 811 (Fig 1 iVm Sp 4 Z 7 bis 17) ruht in einer Gehäusebohrung (20) gleitbar eine Kolbenstange (33), die über eine am Ausrückelement (Stoßstange 35, Verbindungsglieder, Fußhebel 36) mittels Kugelgelenk verbundene schwenkbare Druckstange (34) kraftbeaufschlagbar ist. Eine Schutzhülle (elastischer Balg 37) ist in Ringnuten am Ausrückelement und am Gehäuse gehalten und dichtet den Raum der Kolbenstange nach außen ab. Wie beim Stellmotor nach der Auslegeschrift 1 480 037 ist der einen Teil des Kugelgelenks bildende Gleitschutz fester Bestandteil des Ausrückelements (Stoßstange 35). Somit liefert auch diese Druckschrift keine Hinweise zur streitgegenständlichen formschlüssigen Verbindung von Gleitschutz und Ausrückelement.

Gleiches gilt für den Antrieb nach der deutschen Auslegeschrift 1 630 456, dem kein grundsätzlich anderer konstruktiver Vorschlag zugrundeliegt. Das für die Betätigung eines Bremsventils verwendete Aus- oder Einrückelement, das hier allerdings als in einem Zylinder (12) gleitender Kolben (14, 15) ausgeführt ist, ist jedenfalls mit einem Gleitschutz (Zapfen 24) fest verbunden, der das freie, halbkugelige Ende eines pendelnden, kolbenstangenähnlichen Betätigungsstößels (26) in einer entsprechenden Ausnehmung aufnimmt. Eine Schutzhülle (balgenförmige Wand 20) dichtet in gleicher Weise wie bei den vorgenannten Vorrichtungen den Raum zwischen Ausrückelement (Endscheibe 16) und Zylinder (12) bzw Gehäuse (10) gegen Schmutzeintrag ab (Fig. 1 iVm Sp 2 Z 12 bis Z 27).

Auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte deutsche Offenlegungsschrift 42 12 775 lehrt eine feste Verbindung von Ausrückhebel und Zylinderkolben-Stelleinheit, wobei der Ausrückhebel hier nicht an der Kolbenstange sondern am Stellzylinder befestigt ist und der Stellkolben über eine Stützstange (9) und einen Druckstopfen (11) an einem Kupplungsgehäuse (1) abgestützt ist (Sp 1 Z 42 bis 46 und Sp 2 Z 32 bis 38 iVm Fig. 1 u 2). Der Druckstopfen (11), der zumindest in bezug auf die Kolben- bzw Stützstange als Gleitschutz aufgefaßt werden kann und der gemeinsam mit einer Faltenbalgabdeckung (12) eine volle Kapselung des Kolbenstangenraumes wie beim Streitgegenstand schafft (Sp 2 Z 54 bis 63), soll aber offensichtlich gewisse Gleitbewegungen entlang der Oberfläche des Kupplungsgehäuses nicht behindern, denn die Kontaktflächen sind eben, also ohne formschlüssigen Eingriff miteinander, gestaltet (Fig. 1 iVm mit Sp 1 Z 44 bis 46, Sp 2 Z 38 bis 39). Zwar ist durch diese Ausbildung die Vormontage einer gekapselten Stelleinheit im Blickfeld des Fachmannes, es fehlen in dieser Entgegenhaltung jedoch Anhaltspunkte, die ihm die anspruchsgemäße Formschlussverbindung hätten nahelegen können.

Die deutsche Auslegeschrift 1 137 331 beschreibt eine Duplexbremse mit einem Bremszylinder (Bezugszeichen a, Abb. 2), der einen Kolben (f), eine als Kugel (b) ausgebildete Kolbenstange und eine um die Kugel schwenkbare Druckscheibe (c) für die Betätigung zweier Ausrückelemente (Bremsbacke g, Zwischenhebel i mit Bremsbacke h) aufweist, wobei die als Gleitschutz auffaßbare Druckscheibe mittels eines nicht näher beschriebenen ringzylindrischen und funktionsnotwendig elastischen Mantelelements am Zylindergehäuse befestigt ist und mit diesem Mantelelement zusammen auch den Kugelraum gegenüber der Umgebung abdichtet (Abb. 1 u 2). Die beiden Ausrückelemente liegen über Druckpilze (m, m') spiegelsymmetrisch zur Mittenachse der Druckscheibe an derselben an, wobei die Druckpilze in als Kugelpfannen ausgebildete Ausnehmungen (Sp 3 Z 14) aufgenommen sind. Diese Anordnung dient dem Zweck, auch bei ungleichem Verschleiß der Bremsbeläge eine gleiche Bremskraft bzw Bremswirkung an beiden Bremsbacken zu erzielen (Sp 2 Z 43 bis 46), indem nach der Kolbenbetätigung bei Anlage der ersten Bremsbacke - das ist die, die den geringeren Belagverschleiß aufweist - an der Trommel die Druckscheibe um eine zur Zeichnungsebene senkrechte Kugelachse verschwenkt und damit gleichzeitig das andere Ausrückelement weiter bewegt wird, bis die ihm zugeordnete Bremsbacke ebenfalls zur Anlage an der Trommel gekommen ist. Ersichtlich gleiten beim Verschwenken der Druckscheibe die Flächen der Kugelpfannen entlang den Kopfflächen der Druckpilze, da die Druckpilze ihre Ausrichtposition konstruktionsbedingt im wesentlichen beibehalten. Eine Gleitbewegung der Kontaktflächen zueinander kann wegen ihrer kreissymmetrischen Gestaltung auch nicht ausgeschlossen werden, wenn Kippbewegungen der Ausrückelemente oder der Druckscheibe um Achsen erfolgen, die der Nabenachse oder dazu parallelen Achsen entsprechen. Danach war auch der deutschen Auslegeschrift 11 37 331 der streitpatentgemäße Gedanke völlig fremd, eine formschlüssige Verbindung zwischen Ausrückelement und Druckscheibe derart zu gestalten, dass nahezu keine tangentialen Bewegungen zwischen den Kontaktflächen auftreten.

In der deutschen Offenlegungsschrift 42 30 123 ist ein Druckmittelantrieb mit allen Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 beschrieben. Weitergehende Übereinstimmungen mit dem Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sind daraus schon deshalb nicht herleitbar, weil mangels Offenbarung über die Ausbildung eines zweifellos als existent zu unterstellenden Ausrückelements nur spekuliert werden kann.

Die deutsche Auslegeschrift 1 154 007 und die deutsche Offenlegungsschrift 40 35 897 haben im Beschwerdeverfahren keine Rolle mehr gespielt. Ihre Offenbarungen kommen dem angegriffenen Patentgegenstand nicht näher als die vorstehend gewürdigten Entgegenhaltungen.

Die entgegengehaltenen Druckschriften sind danach nicht geeignet, einzeln oder in ihrer Gesamtheit dem Fachmann die Lehre des geltenden Anspruchs 1 des angefochtenen Patents nahezulegen. Sie ist daher als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend zu werten.

Das Patent hat nach alledem mit dem geltenden Anspruch 1 und den auf ihn zurückbezogenen Ansprüchen 2 und 3 im beschränktem Umfang Bestand.

Dr. Schnegg Eberhard Dr. Pösentrup Frühauf Cl






BPatG:
Beschluss v. 23.10.2002
Az: 7 W (pat) 9/02


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