Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Juli 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 347/05
(BPatG: Beschluss v. 26.07.2006, Az.: 7 W (pat) 347/05)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Gegen die Erteilung des Patents 103 45 922 mit der Bezeichnung "Verfahren und Einrichtung zum Regeln der HD-Dampftemperatur eines Dampferzeugers", veröffentlicht am 3. Februar 2005, haben die Firmen A... mbH in B... (Einsprechende I), C... AG in D... (Einsprechende II) und E... AG in F... (Ein- sprechende III) Einspruch erhoben. Die Einsprüche sind mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.
Der Einspruch der Einsprechenden I gilt gemäß Beschluss des Bundespatentgerichts vom 1. September 2005 wegen Nichtzahlung der Einspruchsgebühr als nicht erhoben. Die Einsprechenden II und III haben ihre Einsprüche gegen das zwischenzeitlich von der ursprünglichen Patentinhaberin G... GmbH in H... auf die jetzige Patentinhaberin I... e. V. in H... überge- gangene Patent mit am 10. Februar 2006 bzw. 25. Januar 2006 eingegangenen Schreiben zurückgenommen.
Die Einsprüche wurden u. a. auf folgende Entgegenhaltungen gestützt:
D1. DE 199 01 656 A1 D2. "Einsatz und Betrieb von selbstkalibrierenden Miniatur-Fixpunkt-Thermoelementen zur Verbesserung des Wirkungsgrades bzw. zur Reduzierung von C02" von A. Höfle u. a., Seiten 1 bis 9, Vortrag gehalten anlässlich der VGB-Konferenz März 2003.
D3. "Fehlerarme Messung der Frischdampftemperatur im Bereich 600...650¡C", Technische Universität Ilmenau, Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben Nr. 0327066B innerhalb des Verbundforschungsprogramms KOMET 650, Abschlussworkshop Essen, März 2002, Seiten 3 und 7.
Die Patentinhaberin, die die Zugehörigkeit der Inhalte der vorstehenden Unterlagen zum Stand der Technik nicht bestreitet, legt in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 11 und neue Beschreibungsseiten vor. Die Ansprüche 1 bis 4 sind auf ein Verfahren, die Ansprüche 5 bis 11 auf eine Einrichtung zum Regeln der Hochdruck(HD)-Dampftemperatur eines Dampferzeugers gerichtet.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten mit den am 26. Juli 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 11, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, wobei die Absätze 0004, 0007, 0008 und 0009 der Beschreibung ersetzt werden durch die entsprechenden Absätze der Beschreibung vom 26. Juli 2006.
Sie vertritt die Auffassung, dass der Patentgegenstand in der geltenden Fassung der Patentansprüche gegenüber dem insgesamt aufgezeigten Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
"Verfahren zum Regeln der HD-Dampftemperatur eines Dampferzeugers, wobei - der Dampf durch Einspritzen von Speisewasser gekühlt und anschließend überhitzt wird,
- die Einspritzmenge des Speisewassers von einer Regelstruktur in Abhängigkeit von der Temperatur stromab der Überhitzung geregelt wird,
- der Regelstruktur Temperaturwerte aufgeben werden, die aus den Messwerten mindestens eines konventionellen Thermoelements, abgeglichen mit den Messwerten eines selbstkalibrierenden Thermoelements, resultieren,
- die der Regelstruktur aufgegebenen Temperaturwerte sich ergeben aus den Messwerten des konventionellen Thermoelements zuzüglich der Differenz zwischen den Messwerten des konventionellen Thermoelements und den Messwerten des selbstkalibrierenden Thermoelements, und - der Regelstruktur während der Rekalibrierungsphase Temperaturwerte aufgegeben werden, die die Entwicklung der Abweichung zwischen dem konventionellen Thermoelement und dem selbstkalibrierenden Thermoelement berücksichtigen."
Der geltende Patentanspruch 5 lautet:
"Einrichtung zum Regeln der HD-Dampftemperatur eines Dampferzeugers mit - einem Kühler zum Einspritzen von Speisewasser in den Dampf,
- einer Regelstruktur zum Regeln der Einspritzmenge des Speisewassers,
- einem stromab des Kühlers angeordneten Überhitzer,
- mindestens einem stromab des Überhitzers angeordneten konventionellen Thermoelement,
- einem stromab des Überhitzers angeordneten selbstkalibrierenden Thermoelement und - einer Einrichtung zum Abgleichen der Messwerte des konventionellen Thermoelements mit den Messwerten des selbstkalibrierenden Thermoelements."
Weitere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 sind in Patentansprüchen 2 bis 4, weitere Ausgestaltungen der Einrichtung nach Patentanspruch 5 in Patentansprüchen 6 bis 11, jeweils vom 26. Juli 2006, angegeben.
Dem Patentgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, die mittlere Arbeitstemperatur eines Dampferzeugers und damit den Wirkungsgrad des Prozesses zu erhöhen (Patentschrift Abs. 0003).
II.
1. Der Einspruch ist durch das Patentgesetz § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 1 in der Fassung des Kostenbereinigungsgesetzes Art. 7 Nr. 37 vom 13. Dezember 2001, geändert durch das Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes Art. 1 Nr. 2 vom 9. Dezember 2004 dem Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zur Entscheidung zugewiesen.
2. Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche der Einsprechenden II und III sind zulässig. Sie sind auch begründet.
3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents in der Fassung der Patentansprüche vom 26. Juli 2006 stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.
Als hier zuständiger Fachmann ist ein mit der Prozesssteuerung von Dampfkraftwerksanlagen, insbesondere von Dampferzeugern befasster Maschinenbauingenieur mit mess- und regelungstechnischer Erfahrung anzusehen.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist neu und zweifellos gewerblich anwendbar, es beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
In der Streitpatentschrift (Abs. 0001) ist zum Stand der Technik auf die DE 199 01 656 A1 (D1) Bezug genommen, aus der ein Verfahren zum Regeln der Hochdruck-Dampftemperatur am Austritt eines Dampfüberhitzers bekannt ist. Der Dampf wird durch Einspritzen von Speisewasser gekühlt, anschließend überhitzt und die Einspritzmenge in Abhängigkeit von der Temperatur und dem Druck des Dampfes stromab der Überhitzung mittels einer Regelstruktur geregelt (DE 199 01 656 A1, Titelseite unten, Zusammenfassung und Figur).
Von dem daraus bekannten Verfahren unterscheidet sich das nach dem geltenden Patentanspruch 1 dadurch, dassa) der Regelstruktur Temperaturwerte aufgegeben werden, die aus den Messwerten mindestens eines konventionellen Thermoelements resultieren, die mit den Messwerten eines selbstkalibrierenden Thermoelements abgeglichen sind, b) der Abgleich durch Addieren der Messwerte des konventionellen Thermoelements und der Differenz zwischen den Messwerten des selbstkalibrierenden und des konventionellen Thermoelements erfolgt (im Anspruch 1 sind offensichtlich bei der Differenzangabe die Adjektive "selbstkalibrierenden" und "konventionellen" vertauscht), c) beim Abgleich der konventionellen Temperaturwerte während der Rekalibrierungsphase des selbstkalibrierenden Thermoelements die Entwicklung der Abweichung zwischen konventionellem und selbstkalibrierendem Thermoelement berücksichtigt wird.
Gemäß Streitpatentschrift gelingt es mit diesen Maßnahmen, den Sicherheitsabstand zwischen der mittleren Arbeitstemperatur des Dampfes und der vorgegebenen Material-Temperaturgrenze von bisher +/- 5 K auf nunmehr ca. 1 K zu vermindern und damit - aufgabengemäß - den Wirkungsgrad des Dampferzeugungsprozesses zu steigern, etwa um ca. 0,04 % pro K (Abs. 0003 und 0005).
Die Unterschiedsmerkmale a) bis c) des Anspruchs 1 sind nach Überzeugung des Senats dem Fachmann jedoch durch den Stand der Technik in Verbindung mit seinem fachnotorischen Können zur Anwendung bei einer aus der DE 199 01 656 A1 (D1) bekannten Regelstruktur eines Dampferzeugers nahegelegt.
In der Entgegenhaltung D2 betreffend den Vortrag "Einsatz und Betrieb von.." (S. 1 Titel i. V. m. Kap. Zusammenfassung) ist bereits ausgeführt, dass durch Verringerung der Toleranz der Dampftemperaturmessung die Dampftemperatur entsprechend angehoben und damit der thermische Kraftwerksprozess, d. h. sein Wirkungsgrad, verbessert werden kann. Dies soll u. a. durch Einsatz von Thermometern (Thermoelement und Elektronik, S. 9 Abs. 2) mit geringerer Messunsicherheit ermöglicht werden. Die geforderte Messunsicherheit der Temperaturmesseinrichtung soll durch regelmäßige Kalibrierungen während des laufenden Prozesses mit Hilfe von neuartigen (selbstkalibrierenden) Miniatur-Fixpunkt (MFP)-Thermoelementen erreicht werden. Auf Seite 9 Kap. "Selbstkalibrierende Thermoelemente" Abs. 3 und 4 wird auch schon auf die Erreichbarkeit einer unter 1 K liegenden Messunsicherheit der kompletten Temperatur-Messeinrichtung sowie den Einsatz einer solchen Einrichtung im Heißdampfbereich (520-580¡C) bzw. in Kraftwerken hingewiesen, wobei auf ein VGB-Forschungsprojekt "Referenz-Thermoelemente und selbstkalibrierende Thermoelemente für den Einsatz im Heißdampfbereich" Bezug genommen ist, dessen Titel schon dem Fachmann die Verwendung von selbstkalibrierenden Thermoelementen als Vergleichseinrichtung zu bestehenden konventionellen Temperaturmesseinrichtungen nahelegt. Auch in D3 ("Fehlerarme Messung der Frischdampftemperatur im Bereich 600...650¡C", Abschlussbericht . .) ist schon ausgeführt, selbstkalibrierende MFP-Thermoelemente als Referenzthermometer zur periodischen Überprüfung anderer Thermometer oder als Arbeitsthermometer in Heißdampfleitungen von Kraftwerken einzusetzen (S. 3 Abs. 1). Damit bot es sich dem Fachmann schon vor dem Anmeldetag des Streitpatents an, entsprechend dem Unterschiedsmerkmal a) des geltenden Patentanspruchs 1 die Führung der Einspritzregelung durch einen herkömmlichen Temperaturfühler beizubehalten und lediglich den gemessenen Temperaturwert mit dem genaueren des MFP-Thermoelementes als Referenzthermometer abzugleichen, d. h. wie der Fachmann ohne Mühe erkennt, entsprechend dem Unterschiedsmerkmal b) des Patentanspruchs 1 dem Messwert des konventionellen Temperaturfühlers die Messwert-Differenz zwischen selbstkalibrierendem und konventionellem Thermoelement aufzuschlagen. Weil die Erzielung einer Messunsicherheit < 1 K bekanntermaßen erfordert, dass die Messeinrichtung in regelmäßigen Abständen insitu zu rekalibrieren ist (D2 S. 5 Abs. 3), und während der Selbstkalibrierungsphase das MFP-Thermoelement keine Referenztemperaturwerte zur Verfügung stellen kann, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie während dieser Phase der Messwert des konventionellen Thermoelementes abzugleichen ist. Zu den routinemäßigen Überlegungen des vor dieser Frage stehenden, mit Messtechnik vertrauten Fachmannes gehört jedoch, den zeitlichen Verlauf der Messwerte der jeweiligen Messfühler bis zur geplanten Unterbrechung eines bestimmten Messgerätes auszuwerten und für die Abschätzung der zu erwartenden Messwerte bzw. der zu erwartenden Abweichung zwischen selbstkalibrierendem und konventionellem Thermoelement während der Ausfallzeit des Messgerätes für die Referenztemperatur heranzuziehen, wobei ggf. vorhandene alterungsbedingte Messwertdriften - soweit überhaupt von signifikantem Einfluss für die Korrektur während der relativ kurzen Rekalibrierungsphase - in der Regel berücksichtigt werden. Nichts anderes fordert das Unterschiedsmerkmal c) des geltenden Patentanspruchs 1. Die Anwendung dieses durch D2, ggf. i. V. m. D3, nahegelegten Konzepts eines Messwertabgleichs zwischen einem konventionellen und einem selbstkalibrierenden Temperaturmessfühler bei einem aus D1 bekannten Verfahren zum Regeln der HD-Dampftemperatur eines Dampferzeugers bot sich dem Fachmann nach alledem ohne weiteres an. Die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Dass in den weiteren Verfahrensansprüchen 2 bis 4 sowie den Vorrichtungsansprüchen 5 bis 11 noch Merkmale von patentbegründender Bedeutung enthalten sind, hat die Patentinhaberin nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.
BPatG:
Beschluss v. 26.07.2006
Az: 7 W (pat) 347/05
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