Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 11. Dezember 2007
Aktenzeichen: I-23 U 27/07

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 11.12.2007, Az.: I-23 U 27/07)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.02.2007 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Kleve wird zurück-gewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Voll-streckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das auf Grund einer Beleihung nach § 3 Abs. 2 TierNebG vom 25.1.2004 (Tierische Nebenprodukte-Beseitgungsgesetz) i.V.m. §§ 2, 3 AGTierNebG NRW vom 15.2.2005 (Ausführungsgesetz zum Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz) tierische Nebenprodukte verarbeitet und beseitigt. Ihre Entgeltliste Stand 1.1.2005 ist von der Bezirksregierung A gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AGTierNebG NRW vom 15.2.2005 rückwirkend zum 1.1.2005 unter dem Vorbehalt des Widerrufs bei Abschluss der Prüfung der Vorkalkulation vorläufig genehmigt und im Amtsblatt für den Regierungsbezirk A bekannt gemacht worden. Im vorliegenden Prozess verlangt die Klägerin von der Beklagten, einem

Schweineschlachtbetrieb, ein restliches Entgelt für von ihr im Jahre 2005 ausgeführte Leistungen nach dem TierNebG. Die Beklagte verweigert die Bezahlung mit der Begründung, die Entgeltliste der Klägerin entspreche nicht der Billigkeit i.S.v. § 315 Abs. 3 BGB.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Klägerin stehe das geforderte Entgelt auf Grund eines zivilrechtlichen Werk- oder Dienstvertrages i.V.m § 632 Abs. 2 BGB bzw. 612 Abs. 2 BGB zu. Der der Klageforderung zu Grunde liegende Tarif von 0,28 Euro pro Kleinviehschlachtung sei eine "taxenmäßige Vergütung". Die von der Bezirksregierung erteilte vorläufige Genehmigung der Tarife der Klägerin sei ein Verwaltungsakt mit privatrechtsgestaltender Drittwirkung und habe daher unmittelbar Einfluss auf die zivilrechtlichen Beziehungen der Parteien. Sie sei bis zu ihrem Widerruf unbedingt wirksam. Alle Rügen der Beklagten hinsichtlich der Beauftragung der Klägerin und der Genehmigung ihrer Tarife seien für die Entscheidung ohne Bedeutung, denn das Landgericht sei an die Verwaltungsentscheidungen gebunden. § 315 BGB sei angesichts der ausdrücklich geregelten Besonderheit, dass die einseitige Leistungsbestimmung mit Genehmigung und Veröffentlichung gemäß § 6 Abs. 6 AG TierNebG NRW "für alle Beteiligten verbindlich" wird, nicht anwendbar. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren ergebe sich aus § 286 Abs. 3 BGB.

Die Beklagte hat Berufung eingelegt und diese unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens wie folgt begründet: Das Landgericht habe nicht beachtet, dass sie gegen die Bekanntmachung der Entgeltliste mit Schreiben vom 5.12.2006 beim Regierungspräsident A Einspruch eingelegt habe; die Einlegung des Widerspruchs führe dazu, dass die Wirkung des Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehemmt sei. Aus diesem Grund habe das Landgericht Bochum in einem gleichgelagerten Prozess der Klägerin gegen die B GmbH das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt bis zur rechtskräftigen Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Die B GmbH habe inzwischen gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht. Die Entgeltliste sei bis heute nicht endgültig genehmigt worden. Das Landgericht habe sich ferner nicht auseinander gesetzt mit der Frage, ob eine öffentliche Ausschreibung hätte stattfinden müssen. Zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Billigkeitskontrolle im Sinne von § 315 BGB nicht in Betracht komme. Das Landgericht habe die Ausgestaltung der Preisfindung verkannt. Das Entgelt werde nicht von der Bezirksregierung einseitig festgesetzt, vielmehr habe die Klägerin sehr weitgehende Einflussmöglichkeit; sie lege die Entgelte letztlich fest. Die Bezirksregierung habe lediglich das Recht, nicht aber die Pflicht, die Kalkulation der Klägerin zu prüfen. Die von der Klägerin festgesetzten Grundpreise je Stück Groß- und Kleinvieh für die Vorhaltung der Entsorgungsbereitschaft seien im Verhältnis zu den Preisen, die an die tatsächlich zu entsorgenden Mengen anknüpfen, unverhältnismäßig hoch. Nach ihrer Kenntnis sei die Klägerin das einzige Entsorgungsunternehmen, das Stückpreise berechne. Die Preise der Klägerin entsprächen auch nicht der Verordnung über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VOPR 30/53) und den Grundsätzen für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten bei Errechnung eines kalkulatorischen Gewinns von höchstens 4 % auf die Selbstkosten. Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten könne die Klägerin nicht verlangen, da ihr Prozessbevollmächtigter auf Grund einer Honorarvereinbarung nach Zeitaufwand und nicht nach dem RVG abrechne.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen vor: Ihre Entgelte entsprächen der Billigkeit; der Senat möge mitteilen, ob sie ihre Kalkulation vorzulegen habe. Der Widerspruch der Beklagten gegen die Genehmigung der Entgelte sei unzulässig. Die Genehmigung der Entgeltliste sei kein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Der Landesgesetzgeber hätte seine Zuständigkeit überschritten, wenn er Einzelheiten des zivilrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Unternehmer und dem Besitzer geregelt hätte. Daher sei § 6 Abs. 6 AG TierNebG NRW verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Verbindlichkeit nur die an dem Genehmigungsverfahren Beteiligten betreffe. Effektiver Rechtsschutz könne nur bei einer umfassenden Prüfung durch den Zivilrichter gewährt werden. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten werde auf der Basis des RVG geltend gemacht.

B.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.

I.

Das Landgericht hat der Klägerin zu Recht einen Anspruch gegen die Beklagte auf restliche Vergütung ihrer Leistungen bei der in Auftrag gegebenen Beseitigung von tierischen Nebenprodukten auf der Grundlage der vorläufig genehmigten Entgeltliste i.H.v. 26.869,07 Euro zuerkannt.

1. Die Klägerin hat gegen ihre Kunden einen Anspruch auf Zahlung eines privatrechtlichen Entgelts gemäß der von ihr aufgestellten und von der Bezirksregierung Arnsberg genehmigten und öffentlich bekannt gemachten Entgeltliste. Der Entgeltanspruch ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden privatrechlichen Benutzungsverhältnis. Dieses beruht auf den §§ 8 und 9 TierNebG i.V.m. den §§ 1 und 3 AGTierNebG NRW, wonach die Beklagte als Besitzerin von tierischen Nebenprodukten verpflichtet ist, diese von der insoweit beliehenen Klägerin verarbeiten oder entsorgen zu lassen (Anschluss- und Benutzungszwang), und aus § 6 Abs. 3 AGTierNebG NRW, wonach die Klägerin für ihre Leistungen ein privatrechtliches Entgelt verlangen kann. Das privatrechtliche Benutzungsverhältnis ist durch den Anschluss- und Benutzungszwang einerseits und die private Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses andererseits zu Stande gekommen (s.a. BGH zur Abfallentsorgung und Straßenreinigung: Urt.v. 5.7.2005, X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 f). In diesem Verhältnis gelten die von der Klägerin einseitig festgesetzten und von der Bezirksregierung A genehmigten und bekannt gemachten Tarife ohne besondere Einbeziehungsvereinbarung. Das ergibt sich aus § 6 Abs. 3, 5 und 6 AGTierNebG NRW (s.a. BGH a.a.O.).

2.

Die von der Klägerin festgelegte und von der Bezirksregierung in Arnsberg gemäß § 6 Abs. 5 AGTierNebG NRW unter dem Vorbehalt des Widerrufs genehmigte und im Amtsblatt veröffentlichte Entgeltregelung unterliegt nicht der Nachprüfung durch ordentliche Gericht nach § 315 Abs. 3 BGB.

a. Es ist in der Rechtsprechung des BGH seit langem anerkannt, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines privatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall angewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden müssen und einer Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 Abs. 3 BGB unterworfen sind (vgl. u.a. BGH a.a.O.). Dies ist zum Teil aus der Monopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet worden (BGH Urt.v. 4.12.1986, VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828 für Baukostenzuschuss und Hausanschlusskosten zur Gasversorgung), zum Teil aus dem Anschluss- und Benutzungszwang (BGH Urt.v. 5.7.2005, X ZR 60/04, NJW 2005, 2919 für Abfallentsorgung und Straßenreinigung), wie er hier vorliegt. Die entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, dass die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Erst die vom Gericht neu festgesetzten niedrigeren Tarife sind für den Kunden verbindlich, und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH a.a.O.).

b. Das gilt nach ständiger Rspr. des BGH (a.a.O.) grundsätzlich auch dann, wenn, wie hier, die Tarifbestimmung mit der Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde getroffen worden ist. Die rein öffentlichrechtliche Wirkung der Genehmigung beschränkt sich grundsätzlich nur auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger, da nur der Genehmigungsempfänger Adressat des Verwaltungsaktes i.S. von § 35 Satz 1 VwVfG ist. Daher haben die Kunden des Genehmigungsempfängers grundsätzlich auch nicht das Recht, die Genehmigung anzufechten (BVerwG Urt.v. 25.11.1986, 1 A 20/82, NJW 1987, 1837-1839 zur Genehmigung der Änderung eines Unternehmenstarifs gemäß § 8 Pflichtversicherungsgesetz).

c.

Diese Grundsätze sind auf die Entgeltregelung der Klägerin nicht anwendbar. Die Tarife der Klägerin sind infolge der im Amtsblatt veröffentlichten vorläufigen Genehmigung der Bezirksregierung A der richterlichen Inhaltskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB von vorne herein entzogen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die behördlich genehmigte Entgeltliste bereits kraft Gesetzes gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 AGTierNebG NRW nicht nur für die Klägerin, sondern auch für ihre Kunden verbindlich sein sollte. Die für die Genehmigung zuständige Bezirksregierung hat nämlich bei der Veröffentlichung der genehmigten Entgeltliste der Klägerin durch Bezugnahme auf die in § 6 Abs. 6 Satz 2 AGTierNebG NRW enthaltene Formulierung "Gemäß § 6 Abs. 6 AGTierNebG NRW werden die genehmigten Entgelte/Tarife mit der Veröffentlichung für alle Beteiligten verbindlich." ihren Willen zum Ausdruck gebracht, nicht nur eine an die Klägerin adressierte Genehmigung, sondern eine an alle Betroffenen, also auch an die Kunden der Klägerin adressierte Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 1. Alt. VwVfG zu erlassen.

Diese Allgemeinverfügung richtet sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis. Der Annahme einer Allgemeinverfügung steht nicht entgegen, dass der Personenkreis, an den sich die Verfügung richtet, nicht hinreichend bestimmbar wäre, denn auch Personen, die im Zeitpunkt des Erlasses einer Verfügung noch nicht bekannt sind, wie hier die potentiellen Kunden der Klägerin, können nach allgemeinen Merkmalen bestimmt werden. Ob eine Verwaltungsentscheidung ein Verwaltungsakt oder eine Allgemeinverfügung ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für die Auslegung ist nicht der innere Wille des Bearbeiters, sondern der erklärte Wille maßgeblich, wie ihn der Adressat oder ein Drittbetroffener von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen konnte (objektiver Erklärungswert für den Empfänger). Es ist zunächst vom Wortlaut der Verfügung unter Zuhilfenahme der Begründung auszugehen. Eine Auslegung gegen den erklärten und erkennbaren Willen der Behörde ist nicht möglich. Auf die Bezeichnung der Erklärung allein kommt es nicht an. In Betracht kommen die Umstände vor und beim Ergehen der behördlichen Maßnahme und in gewissem Umfang auch solche, die ihr folgen, z.B. in Form authentischer Interpretation. Als Indizien können herangezogen werden, inwieweit die Behörde verpflichtet oder befugt war, den Sachverhalt zu überprüfen und eine Entscheidung zu treffen (Stelkens / Bonk / Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetzt, 6. Aufl. § 35 Rdn. 38, 39).

Bereits der Wortlaut des Hinweises auf die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 2 AGTierNebG NRW deutet darauf hin, dass die genehmigten und veröffentlichten Tarife eine allgemeine Verbindlichkeit haben sollen in dem Sinne, dass diese auch für die Kunden der Klägerin durch ein Rechtsmittel gegen die Genehmigungsentscheidung angegriffen werden können (vgl. zur Klagebefugnis in solchen Fällen: BVerwG, Urteil vom 13.12.2006 - 6 C 24/05).

Darüber hinaus ist der Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 2 AGTierNebG NRW zu entnehmen, dass der Umfang der Verbindlichkeit der Genehmigung nach dem Willen der Bezirksregierung A entsprechend den Vorgaben dieses Gesetzes erfolgen sollte. Aus den Gesetzesmaterialien und den Vorgaben, die der Genehmigungsbehörde in § 6 Abs. 5 AGTierNebG NRW zur Erteilung der Genehmigung gemacht werden, schließt der Senat, dass der nordrheinwestfälische Landesgesetzgeber eine verbindliche Festlegung der genehmigten und veröffentlichten Tarife für alle Betroffenen, also auch für die Kunden der Klägerin, als staatliche Preiskontrolle bezweckte.

In § 6 Abs. 6 AGTierNebG NRW heißt es: " Die genehmigten Tarife sind von der Bezirksregierung im Amtlichen Mitteilungsblatt bekannt zu machen. Die genehmigten und veröffentlichten Tarife sind für alle Beteiligten verbindlich." In der Begründung zum Gesetzesentwurf Drucksache 13/5930 Landtag NRW 13. Wahlperiode wird ausdrücklich in den Erläuterungen zu § 6 Abs. 6 ausgeführt, dass die von der Bezirksregierung genehmigten und veröffentlichten Tarife für alle Betroffenen verbindlich sein sollen und dass diese Regelung der Straffung von gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Einforderung von Entgelten dienen soll. Durch die gewählte Formulierung "alle Betroffenen" werden nicht nur die am Verwaltungsverfahren zur Genehmigungserteilung Beteiligten, sondern auch die von der Genehmigung "betroffenen" Kunden erfasst. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung wurde unverändert mit dem in der Begründung zum Ausdruck gebrachten Inhalt bei der Schlussabstimmung angenommen (vgl. Drucksache 13/6498 Landtag NRW). Beim Beratungsergebnis der mit beratenden Ausschüsse, die keine Änderungsanträge gestellt haben, wurde auf die Vorlage 13/3078 des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hingewiesen. Aus dieser Vorlage wiederum ergibt sich, dass eine zivilrechtliche Überprüfbarkeit gemäß § 315 Abs. 3 BGB nicht gewollt war, sondern eine abschließende Genehmigung durch die prüfende Genehmigungsbehörde. In der Vorlage heißt es:

" Die staatliche Genehmigung setzt eine Prüfbarkeit der Entgeltberechnung voraus. § 315 BGB als unbestimmter allgemeiner zivilrechtlicher Maßstab ist schon vor dem Hintergrund, dass hier eine öffentliche Aufgabe ohne Wettbewerb mit anderen Anbietern wahrgenommen wird ungeeignet. Der Gesetzentwurf sieht auch deshalb vor, dass die Selbstkostenpreisbestimmungen der VOPR30/53 unter Zugrundelegung eines kalkulatorischen Gewinns von 4 % auf die Selbstkosten als Maßstab heranzuziehen sind und die Unternehmen ihre Kostenkalkulation offen legen müssen. Diese Selbstkostenpreisvorschriften sehen die Anerkennung kostenrechnerisch exakt definierter Vollkosten einschließlich der kalkulatorischen Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals, der kalkulatorischen Wagnisse sowie der Kalkulatorischen Abschreibungen vor. Der kalkulatorische Gewinn addiert sich zu den so ermittelten Selbstkosten."

Die Rechtsprechung des OVG Münster zur alten Gesetzeslage (Urt.v. 12.8.1992 - 13 A 3255/92) ist nicht mehr einschlägig. Die im LTierKBG vom 15.07.1976 in §§ 8 und 9 enthaltene Regelung sah weder eine so umfangreiche gesetzlich vorgegebene Überprüfung der eingereichten Unterlagen zu der Entgeltliste vor Erteilung der Genehmigung, noch die Verbindlichkeit der Genehmigung für alle Beteiligten vor.

Der Landesgesetzgeber war zur Schaffung der neuen gesetzlichen Regelung befugt. In § 11 Abs. 3 Tierische Nebenprodukte Beseitigungsgesetz vom 25.01.2004 werden die Länder ermächtigt, zu regeln, inwieweit und in welchem Umfange für tierische Nebenprodukte ein Entgelt zu gewähren oder zu entrichten ist oder Kosten (Gebühren und Auslagen) zu erheben sind.

c)

Unabhängig von der Tatsache, dass bereits nach dem Willen der Bezirksregierung und des Landesgesetzgebers eine Nachprüfungskompetenz durch die ordentlichen Gerichte gemäß § 315 Abs. 3 BGB entfällt, ist auch aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens nach § 6 Abs. 5 AGTierNebG NRW eine richterliche Kontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Durch die Art und Weise der gesetzlich vorgegebenen behördlichen Aufsicht und Genehmigung der Entgeltliste wird die abschließende und verbindliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Vertragsbeteiligten bezweckt und der privatautonome Spielraum des Verwenders der Entgeltliste beseitigt.

aa.

Der BGH hat in diesem Sinne bisher nur bei den Leistungsentgelten im Monopolbereich der Telekommunikation gem. § 4 Abs. 1 PTRegG (Urt.v. 2.7.1998, III ZR 87/97, NJW 1998, 2107-2112) und gem. §§ 35, 39, 25 I TKG 1996 (Urt.v. 24.5.2007, III ZR 468/04) entschieden und seine Entscheidungen wie folgt begründet:

Nach § 13 Abs. 3 TKV 1995 dürfe die Deutsche Telekom AG für Monopoldienstleistungen nur die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 PTRegG genehmigten Leistungsentgelte erheben. Der gesetzliche Ausgangspunkt für diese Regelungen sei § 5 Abs. 1 PTRegG, wonach genehmigungsbedürftige Entgelte nicht vor der Genehmigungserteilung wirksam würden. Auch gem. §§ 39, 29 I TKG 1996 dürften ausschließlich die von der Regulierungsbeehörde genehmigten Entgelte verlangt werden, solange die Genehmigung nicht aufgehoben sei. Aus diesen Vorschriften ergebe sich, dass Verträge mit von den genehmigten Tarifen abweichenden Preisvereinbarungen grundsätzlich nach § 134 BGB nichtig seien. Das bedeute, dass nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Regulierung der Telekommunikation und des Postwesens sowie der TKG 1995 ein privatautonomer Spielraum der Deutschen Telekom AG hinsichtlich der von den Kunden zu erhebenden Tarife und Entgelte nicht mehr vorhanden sei, wenn die Voraussetzungen für ein generelles Einbeziehen bzw. Wirksamwerden der geänderten AGB in die bestehenden oder neu abzuschließenden Telefonanschlussvertragsverhältnisse erfüllt seien. Bei dieser Sachlage bestehe keine Rechtfertigung dafür, dass ordentliche Gerichte die genehmigten Tarife nach den Maßstäben des § 315 Abs. 3 BGB überprüfen.

Mit diesen Entscheidungen steht im Einklang, dass das BVerwG in seiner Entscheidung vom 13.12.2006, 6 C 24/05 davon ausgegangen ist, dass der Kunde gem. § 42 II VwGO geltend machen kann, durch den Genehmigungsbescheid in seinen Rechten verletzt zu sein.

bb. Hinsichtlich einer Entgeltforderung eines mit der Tierkörperbeseitigung beliehenen Unternehmens hat das OLG Frankfurt / Main in seinem rechtskräftigen Urteil vom 26.4.2006 - 4 U 94/02 - für den Zeitraum 1998 bis 2001 entschieden, dass dem Zivilgericht eine Überprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB verwehrt sei. Nach der Begründung des OLG Frankfurt verblieb nach den auf der Grundlage des § 6 IV HessAusfGTierKBG ergangenen Übertragungsverfügungen Nr. 4 und 5 dem beliehenen Tierkörperbeseitigungsunternehmen kein eigener Bereich erwerbswirtschaftlicher Preisbestimmung, weil es auf Grund der eingehenden Regelung in Nr. 5 der Übertragungsverfügung keinen Einfluss auf die Preisgestaltung hatte. Hinzu kam, dass es sich bei der ersten mit der Übertragungsverfügung "genehmigten Entgeltliste" um die von der öffentlichrechtlichen Körperschaft vor der Übertragung verwendeten Liste handelte. Vor diesem Hintergrund hat das OLG Frankfurt eine Bindung des beliehenen Unternehmens an die Preisvorgabe der zuständigen Behörde angenommen.

cc)

Der vorliegende Fall ist mit den Fällen, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des OLG Frankfurt zu Grunde lagen, vergleichbar. Auf Grund der in § 6 Abs. 5 AGTierNebG NRW festgelegten Vorgaben, wie die beliehenen Tierkörperbeseitigungsunternehmen die von ihnen zur Genehmigung vorzulegenden Entgeltlisten zu kalkulieren haben, verbleibt der Klägerin kein eigener Bereich erwerbswirtschaftlicher Preisbestimmung. Die nach dem Gesetz anwendbaren, in §§ 5 ff. der Verordnung PR 30/53 und in den Leitsätzen für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten (LSP) niedergelegten Selbstkostenpreisvorschriften sind insbesondere unter der gesetzlich vorgegebenen Zugrundelegung eines kalkulatorischen Gewinns von maximal 4 % auf die Selbstkosten so eng, dass eine Preisbestimmung durch das kalkulierende Unternehmen nicht mehr möglich ist. Bei den ermittelten und genehmigten Preisen handelt es sich um Festpreise, von denen das Unternehmen nicht abweichen darf.

3.

Daraus folgt, dass diese Tarifgenehmigung der Bezirksregierung Arnsberg wie jeder Verwaltungsakt vom ordentlichen Gericht grundsätzlich zu beachten ist, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben ist. Nur dann, wenn ein Verwaltungsakt auf eine so grobe Weise fehlerhaft ist, dass er gesetzlich überhaupt nicht gerechtfertigt werden kann und von jedermann als rechtsunwirksam zu erkennen ist, könnte sich ein ordentliches Gericht über ihn, weil er dann als "nichtig" anzusehen wäre, hinwegsetzen (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.1978 - VI ZR 43/77 - aaO; BGH, Urteil vom 18.12.1987 - V ZR 163/86 - NJW 1988, 1026-1028; BVerwG, Urteil vom 28.11.1986 - 8 C 122-125/84 - NvWZ 1987, 496 ff. zit.n. Juris).

a)

Diese Grundsätze gelten auch für Verwaltungsakte, die unter dem Vorbehalt einer späteren abschließenden Entscheidung ergehen. Hierbei handelt es sich um eigenständige Verwaltungsakte sui generis (vgl. Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., § 36 Rdnr. 9).

b)

Die im Verwaltungsverfahren vorgesehene Hemmung der Wirkung des Verwaltungsaktes bei Einlegung eines Widerspruchs, § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO entfaltet im Zivilverfahren nach den oben angeführten Grundsätzen keine Wirkung.

Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes hat gegenüber anderen Behörden und Gerichten zum Inhalt, dass der Verwaltungsakt und die durch ihn für einen bestimmten Rechtsbereich getroffene Regelung als gegeben hingenommen werden müssen. Solange also die Genehmigung der Entgeltliste nicht widerrufen, zurückgenommen, anderweitig aufgehoben, durch Zeitablauf oder auf sonstige Weise erledigt ist (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG), müssen die Beklagte und jeder andere Betroffene sowie Gerichte und Behörden die Wirksamkeit dieser Regelung kraft ihrer Tatbestandswirkung gegen sich gelten lassen. Auch die Klägerin ist an deren Inhalt gebunden, d.h. sie kann keine veränderten Entgelte verlangen (vgl. hierzu BVerwG, NvWZ 1987, 496 ff.).

c)

Ein möglicher Verstoß gegen Bestimmungen des öffentlichen Vergaberechts, §§ 97 ff. GWB hindert die Wirksamkeit der Genehmigung der Entgeltliste in Form eines Verwaltungsaktes nicht. Betroffener im Sinne des Vergaberechts, der auch ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer einleiten kann, ist allein ein Unternehmen, das ein Interesse am Auftrag hat. Im vorliegenden Fall wäre dies nur ein Unternehmen, das an Stelle der Klägerin die Verarbeitung und Beseitigung von tierischen Nebenprodukten gegen Entgelt durchführen wollte, nicht aber die Beklagte als Nutzerin.

d)

Für eine Nichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen grober, für jeden sofort erkennbarer Fehlerhaftigkeit der erteilten Genehmigung liegen keine Anhaltspunkte vor.

4.

Der Rechtsstreit ist auch nicht gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des Verwaltungsverfahrens auszusetzen.

Gemäß § 148 ZPO kann das Gericht die Entscheidung aussetzen, wenn sie ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Hier ist nicht das Bestehen eines Rechtsverhältnisses in Streit sondern eine einzelne Bedingung daraus, nämlich die Höhe der Vergütung. Die Parteien stehen in einem Rechtsverhältnis zueinander, denn sie haben unstreitig einen Vertrag zur Beseitigung der Tiernebenprodukte geschlossen. Die Klägerin hat die beauftragten Leistungen auch erbracht. Über das bestehende Rechtsverhältnis hat weder die Verwaltungsbehörde im Widerspruchsverfahren noch das Verwaltungsgericht im Prozess zu entscheiden (vgl. auch LG Düsseldorf, Urteil vom 19.06.2002 - 43 O (Kart) 108/01 - zit.n.juris).

b)

Unzulässig ist die Aussetzung eines entscheidungsreifen Verfahrens, um eine in Aussicht stehende Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse abzuwarten, z.B. Gesetzesänderung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.02.1962 - I B 14/62 - NJW 1962, 1170; Greger in Zöller, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl., § 148 Rdnr. 4). Im vorliegenden Fall ist der Prozess zur Entscheidung reif. Eine verbindliche Regelung der geforderten Entgelte ist durch Verwaltungsakt getroffen worden, an den sich die Zivilgerichte nach der oben angeführten Rspr. zu halten haben. Ob eine Veränderung dieser rechtlichen Verhältnisse durch die angestrengten Verfahren in Aussicht steht, ist zweifelhaft. Jedenfalls führt dies nicht zur Aussetzung.

c)

Schließlich steht die Anordnung der Aussetzung im Ermessen des Gerichts. Bei der Ermessensentscheidung sind auch Umstände wie die geringen Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und eine Prozessverzögerung zu berücksichtigen (vgl. Zöller-Greger, aaO § 148 Rdnr. 7). Bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien sprechen die überwiegenden Gründe gegen eine Aussetzung des Verfahrens. Zum einen ist nicht absehbar, wann Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und Gerichte zu der angegriffenen Genehmigung der Entgeltliste ergehen. Ein Erfolg der Rechtsmittel ist derzeit nicht absehbar. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass § 6 Abs. 5 AGTierNebG NRW den Genehmigungsbehörden eine genau vorgegebene und exakte Prüfung der Entgeltliste vorschreibt, lässt an einer Aufhebung oder Änderung der Genehmigung zweifeln. Jedenfalls sind die Erfolgsaussichten nicht offenbar. Darüber hinaus erleidet die Beklagte durch eine Anwendung der bestehenden Entgeltliste keine finanziellen Nachteile. Stellt sich später im Gerichtsverfahren heraus, dass die Tarifentgelte in der ursprünglich genehmigten Höhe nicht zulässig waren und der Genehmigungsinhalt geändert wird , führt dies gemäß § 134 BGB zur Teilnichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages. Der Vertrag bleibt mit dem zulässigen Preis aufrechterhalten (Vgl. Heinrichs in Palandt, Kommentar zum BGB, 65. Aufl., § 134 Rdnr. 27). Der aufgrund der ursprünglichen Genehmigung zu viel gezahlte Betrag kann gemäß § 812 BGB zurückgefordert werden.

II.

Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus § 286 Abs. 3 BGB. Die Berechnung der Klägerin zur Höhe des Erstattungsbetrages nach den Vorschriften des RVG im Schriftsatz vom 06.11.2006 ist nicht zu beanstanden.

Als Schaden zu ersetzen ist stets der erforderliche Geldbetrag, d.h. die Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Dieser Geldbetrag errechnet sich hier nach den gesetzlich vorgegebenen Geschäftsgebühren gemäß Nr. 2400 VV RVG. Das vereinbarte Zeithonorar, das unstreitig nicht niedriger liegt als die gesetzlichen Gebühren, ist in seiner Höhe nicht erforderlich und damit nicht erstattungsfähig.

III.

Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts und auch deshalb zu, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 26.869,07 Euro.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 11.12.2007
Az: I-23 U 27/07


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