Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 19. Oktober 2011
Aktenzeichen: 22 K 4905/08
(VG Düsseldorf: Urteil v. 19.10.2011, Az.: 22 K 4905/08)
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben.
Es wird festgestellt, dass die Speicherung der nachstehend näher be-zeichneten Daten durch den Beklagten in der Amtsdatenbank (P) sowie der Landesdatenbank E vom jeweiligen Beginn der Speicherung bis zur Sperrung der zur Person des Klägers gespeicherten Datei in der Amtsdatenbank L (am 21. Juli 2008) rechtswidrig war:
1. sämtliche Daten in der zur Person des Klägers in der Amtsdatenbank (P) gespeicherten Datei,
2. in dem E-Dokument Nr. 1 (Blatt 11 bis 44 des Verwaltungsvorgangs) die Formulierung „Prozessbe-obachtung macht H (J)“,
3. in dem E-Dokument Nr. 2 (Blatt 45 bis 48 des Verwaltungsvorgangs)
a) die Information, dass ein Vortrag des Klägers am
00.0.2007 in E1 zum Thema V-Leute bei den
Rechten angesprochen worden sei,
b) Angaben zur Vergütung, die der Kläger für seinen
Vortrag erhalten habe,
c) die Namensnennung zu Beginn des Dokuments unter
„sonstige“,
4. in dem E-Dokument Nr. 3 (Blatt 49 bis 51 des Verwaltungsvorgangs)
a) die Nennung einer Veranstaltung des Klägers im
0.2007 als bevorstehender Termin,
b) die Formulierung „Thema dieser Veranstaltung soll der
Abbau von Menschenrechten sein“,
c) die Nennung des Namens des Klägers zu Beginn
dieses Dokuments,
5. in dem E-Dokument Nr. 4 (Blatt 52 bis 53 des Verwaltungsvorgangs) das Zitat „dass sie - nach H - an Brandstiftung, Totschlag, Mordaufrufen, Waffenhandel, Gründung einer terroristischen Vereinigung direkt beteiligt waren“,
6. in dem E-Dokument Nr. 5 (Blatt 54 bis 66 des Verwaltungsvorgangs) die Nennung einer Veranstaltung am 00.0.2007 mit dem Zusatz „Netzwerk gegen Rechts“ mit H zum Thema „Innere Sicherheit“,
7. in dem E-Dokument Nr. 6 (Blatt 67 bis 69 des Verwaltungsvorgangs) die Formulierung „als nächster Netzwerktermin ist der 00.0. (H-Veranstaltung) vorgesehen“,
8. in dem E-Dokument Nr. 7 (Blatt 70 bis 72 des Verwaltungsvorgangs)
a) die Namensnennung des Klägers zu Beginn des
Dokuments unter „sonstige“,
b) die Formulierung „00.0.2007 - NGR-VA mit H“,
9. in dem E-Dokument Nr. 8 (Blatt 73 bis 76 des Verwaltungsvorgangs)
a) die Formulierung im Tabellenteil des Dokuments (Blatt
75 bis 76 des Verwaltungsvorgangs) „September VA-
NgR H Demokratieabbau E2“,
b) im Textteil dieses Dokuments (Blatt 73 bis 74 des
Verwaltungsvorgangs) der Hinweis auf diese
Veranstaltung sowie der Satz, der die Finanzierung des
Vortrags betreffe,
10. in dem E-Dokument Nr. 9 (Blatt 77 bis 81 und 87 bis 89 des Verwaltungsvorgangs) die Information, dass der Kläger Funktionsträger in der dort genannten Organisation gewesen sei.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 15 % und der Beklagte zu 85 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, folgt der deklaratorische Ausspruch der Einstellung des Verfahrens aus einer analogen Anwendung des § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Soweit der Kläger die Klage mit seinem Feststellungantrag weiterverfolgt, hat diese Erfolg.
Die Klage ist insoweit zulässig.
Bei dem Feststellungsantrag handelt es sich um eine als Erweiterung des Klageantrages in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes nach § 173 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) privilegierte Klageänderung, weil dem Feststellungantrag in Bezug auf die vom Beklagten beauskunfteten Daten derselbe Lebenssachverhalt wie dem ursprünglich gestellten Auskunftsantrag zugrundeliegt.
Die Klage ist mit diesem Antrag als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft, denn der Kläger begehrt die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne der sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm des öffentlichen Rechts ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache,
vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992 - 3 C 50/89 -, BVerwGE 89, 327 ff. = juris (Randnr. 29), m.w.N.
Der gestellte Antrag betrifft das zwischen den Beteiligten in der Vergangenheit - nämlich bis zum 21. Juli 2008 - aufgrund der vom Beklagten vorgenommenen Speicherung von Daten zur Person des Klägers bestehende Rechtsverhältnis. Diesem liegen die die Verarbeitung personenbezogener Daten betreffenden öffentlichrechtlichen Rechtsnormen des VSG NRW und des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen - DSG NRW) zugrunde, denn bei sämtlichen im Tenor (unter den Nummern 1. bis 10.) genannten Daten handelt es sich um - die Person des Klägers betreffende - personenbezogene Daten. Personenbezogene Daten sind gemäß der in § 3 Abs. 1 DSG NRW gegebenen Definition Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Hierzu gehören grundsätzlich alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen, unabhängig davon, welcher Lebensbereich angesprochen ist, einschließlich der sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen der Person zu ihrer Umwelt,
vgl. zum wortgleichen § 3 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) BVerwG, Urteil vom 24. März 2010 - 6 A 2/09 -, DVBl 2010, 1307 ff. = juris (Randnr. 34); Dammann in Simitis (Hrsg.), Bundesdatenschutzgesetz, 6. Aufl., § 3 Randnr. 7.
Sämtliche im Tenor aufgeführten Daten sind in diesem Sinne Informationen, die etwas über den Kläger aussagen. An einem Personenbezug zum Kläger würde es fehlen, soweit sich der Informationsgehalt der Daten oder eines Teils der Daten ausschließlich auf dritte Personen oder auf sachliche Verhältnisse ohne einen den Kläger betreffenden Aussagegehalt beziehen würde. Dies ist jedoch bei den aufgeführten Daten nicht der Fall. Soweit im Klageantrag unter 3.a) (betreffend das E-Dokument Nr. 2) über den Urteilstenor hinausgehend von "Gesprächen in extremistischen Kreisen" die Rede ist, handelt es sich ersichtlich nicht um einen Datenbestandteil, sondern um eine erläuternde Umschreibung des Kontextes der im Dokument enthaltenen Informationen durch den Beklagten. Der Klageantrag ist aber dahin auszulegen, dass er sich ausschließlich auf die im Dokument selbst enthaltenen Daten bezieht und damit nicht auf die Erläuterung "bei Gesprächen in extremistischen Kreisen".
Das insoweit zwischen den Beteiligten in der Vergangenheit bestehende Rechtsverhältnis erstreckt sich damit nicht nur auf die gezielt zur Person des Klägers in der Amtsdatenbank geführte Datei, sondern auch auf die in den einzelnen Sachaktendokumenten enthaltenen, zur Person des Klägers gespeicherten Daten. Da der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung immer bereits dann berührt ist, wenn die Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, ist dieser unabhängig von der Finalität und dem Speicherort der betreffenden Datenerhebung eröffnet.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. März 2010 - 6 A 2/09 -, juris (Randnr. 31).
In konsequenter Umsetzung dessen hat der Landesgesetzgeber - neben zur Person geführten Dateien und schriftlichen Akten - ausdrücklich elektronische Akten bzw. Sachakten in die Befugnisnorm für die Verarbeitung personenbezogener Daten, § 8 VSG NRW, einbezogen
Schließlich besitzt der Kläger auch das von § 43 Abs. 1 VwGO vorausgesetzte berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Speicherung der in seinem Antrag bezeichneten Daten im genannten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum. Der durch die Speicherung dieser Daten erfolgte Eingriff in sein durch Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf informationelle Selbstbestimmung begründet aus sich heraus das schutzwürdige Interesse, die Rechtmäßigkeit der Speicherung überprüfen zu lassen.
Vgl. allgemein zum Feststellungsinteresse aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs auch bei in der Vergangenheit liegenden Rechtsverhältnissen BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95 -, BVerfGE 96, 27 ff.
Allein schon aufgrund der abstrakten technischen Möglichkeiten moderner elektronischer Datenverarbeitungssysteme - auch der des Beklagten -, gezielt auf personenbezogene Daten zugreifen und dadurch Personenprofile erstellen zu können, liegt in jeder Speicherung personenbezogener Daten potenziell ein tiefgreifender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies gilt bei Speicherungen durch das MIK in Wahrnehmung der Aufgaben als Landesverfassungsschutzbehörde unabhängig davon, ob die Person, zu der Daten gespeichert werden, selbst Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ist (insbesondere in Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW), oder ob der Speicherungszweck nicht unmittelbar an die Person des Klägers anknüpft (insbesondere in Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 VSG NRW). Denn ein außerhalb derjenigen Person, zu der personenbezogene Daten gespeichert werden, liegender Speicherungszweck macht den durch die Speicherung eingetretenen Eingriff nicht weniger tiefgreifend. Das aufgezeigte, grundrechtsrelevante Gefahrenpotenzial ist jedweder Speicherung personenbezogener Daten immanent.
Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die Feststellung nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Soweit der Feststellungsantrag die zur Person des Klägers geführte Datei in der Amtsdatenbank sowie das hierzu referenzierte Sachaktendokument (Dokument 9) betrifft, könnte der Kläger die Beseitigung eines möglichen, durch eine fortdauernde Datenspeicherung herbeigeführten Eingriffs in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht mehr mittels einer auf Löschung gerichteten Verpflichtungsklage erreichen. Denn diese Daten werden vom Beklagten nur auf Antrag des Klägers weiter in Papierform vorgehalten (Sperrung der Daten statt der vom Beklagten beabsichtigten Löschung). Hinsichtlich der in den übrigen Sachaktendokumenten (Dokumente 1 bis 8) zu seiner Person weiterhin elektronisch gespeicherten Daten könnte der Kläger zwar noch einen Löschungsanspruch gerichtlich geltend machen. Mit einer auf Löschung gerichteten Verpflichtungsklage könnte er aber nicht die Feststellung eines Eingriffs in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung in dem mit der vorliegenden Klage zur Überprüfung gestellten Zeitraum bis zum 21. Juli 2008 erreichen. Denn für einen Löschungsanspruch käme es nicht auf die bis zum 21. Juli 2008 - dem Zeitpunkt der (elektronischen) Löschung der zur Person des Klägers geführten Datei - bestehende Sach- und Rechtslage an, sondern es wäre die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich. Diese unterscheidet sich indes maßgeblich von derjenigen Sach- und Rechtslage vor (elektronischer) Löschung der zur Person des Klägers geführten Datei, weil seit dem Löschungszeitpunkt durchgehend bis heute die speziellen Vorgaben des § 8 Abs. 4 Sätze 2 und 3 VSG NRW maßgeblich sind.
Die Klage ist mit dem Feststellungsantrag auch begründet.
Die Speicherung der im Tenor unter 1. bis 10. bezeichneten Daten durch den Beklagten in der Amtsdatenbank (P/L) sowie der Landesdatenbank E vom jeweiligen Beginn der Speicherung bis zur Sperrung der zur Person des Klägers gespeicherten Datei in der Amtsdatenbank L (am 21. Juli 2008) war rechtswidrig. Dies betrifft sowohl den Zeitraum bis zur erstmaligen Speicherung der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank hinsichtlich des damals allein vorhandenen E-Dokuments Nr. 1 (I.), als auch den anschließenden Zeitraum bis zur Löschung der L-Datei (II.), und zwar sowohl in bezug auf die Datei in der Amtsdatenbank selbst (1.) als auch in bezug auf sämtliche neun E-Dokumente (2.).
I. Für den Zeitraum bis zur erstmaligen Speicherung der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank, in dem allein ein elektronisches Sachaktendokument (E-Dokument Nr. 1) mit namentlichem Bezug zum Kläger existierte, ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Speicherung der Daten zur Person des Klägers in diesem Dokument aus einem Verstoß des Beklagten gegen das Verbot der elektronischen Recherchierbarkeit von in elektronischen Sachakten gespeicherten personenbezogenen Daten in analoger Anwendung des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW.
Ermächtigungsgrundlage für die Speicherung personenbezogener Daten durch das MIK in seiner Funktion als Landesverfassungsschutzbehörde ist § 8 VSG NRW. Bei § 8 Abs. 1 VSG NRW handelt es sich um die grundsätzliche Befugnisnorm für die Landesverfassungsschutzbehörde, zur Erfüllung ihrer Aufgaben unter den alternativen Voraussetzungen der Nummern 1. bis 3. personenbezogene Daten in schriftlichen oder elektronischen Akten und in zur Person geführten Dateien zu verarbeiten. Vom Begriff der Datenverarbeitung ist gemäß § 28 VSG NRW i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 1 DSG NRW auch das Speichern personenbezogener Daten erfasst. Beschränkt wird diese Befugnis durch die sich aus § 8 Abs. 3 VSG NRW ergebende Pflicht, die Speicherung auf das zur Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken, sowie durch in § 8 Abs. 4 enthaltene, speziell die Speicherung von personenbezogenen Daten in elektronischen Sachakten betreffende Maßgaben. § 8 Abs. 4 Satz 1 VSG NRW enthält eine Pflicht zur Protokollierung des Zugriffs auf personenbezogene Daten in elektronischen Sachakten; gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 VSG NRW dürfen in elektronischen Sachakten gespeicherte personenbezogene Daten nach Löschung der zur Person geführten Dateien nicht für Aufgaben nach § 3 Abs. 2 verwandt oder an andere Behörden übermittelt werden; nach Satz 3 der Vorschrift dürfen solche Daten nicht elektronisch recherchierbar sein.
Vom ausdrücklichen Anwendungsbereich des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW ist der hier zunächst betrachtete Zeitraum bis zur erstmaligen Speicherung einer Datei zur Person des Klägers in der Amtsdatenbank nicht erfasst. Denn der Regelungsgehalt der Norm knüpft an die Löschung von zur Person geführten Dateien an. Dies ergibt sich aus den Satz 3 des § 8 Abs. 4 VSG NRW einleitenden Worten "solche Daten", welche an die in Satz 2 der Vorschrift genannten Daten im dort genannten Zeitraum anknüpfen, nämlich "in elektronischen Sachakten gespeicherte personenbezogene Daten" "nach Löschung der zur Person geführten Dateien".
§ 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW ist auf in elektronischen Sachakten gespeicherte personenbezogene Daten im hier betrachteten Zeitraum vor erstmaliger Speicherung einer zur Person geführten Datei jedoch analog anwendbar.
Die entsprechende (analoge) Anwendung einer Gesetzesnorm setzt zunächst das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Die Schließung einer planwidrigen Lücke im Wege der Analogie setzt sodann voraus, dass das Gesetz für einen ähnlichen Sachverhalt eine Regelung enthält, die auf den nicht geregelten Sachverhalt übertragen werden kann, weil beide Tatbestände in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsichten gleich zu beurteilen sind.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1995 - 3 C 11.94 -, NVwZ-RR 1996, 393 ff.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Eine planwidrige Regelungslücke liegt hinsichtlich der Frage vor, ob personenbezogene Daten in elektronischen Sachakten vor der erstmaligen Speicherung von zur Person geführten Dateien elektronisch recherchierbar sein dürfen. Indem § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW die Rechtsfolge des Verbots einer elektronischen Recherchierbarkeit an die Löschung einer zur Person geführten Datei anknüpft und die Löschung denknotwendig die vorherige Speicherung einer solchen Datei voraussetzt, lassen sich der Norm Regelungen nur für die Zeit nach Löschung einer solchen Datei (elektronische Recherchierbarkeit untersagt) und im Umkehrschluss daraus für den Zeitraum während der Speicherung einer solchen Datei (elektronische Recherchierbarkeit gestattet) entnehmen.
Plangemäß wäre die bestehende Regelungslücke dann, wenn es dem gesetzgeberischen Willen entspräche, dass die elektronische Recherchierbarkeit von in elektronischen Sachakten gespeicherten personenbezogenen Daten auch vor erstmaliger Speicherung einer zur Person geführten Datei zulässig sein soll. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie eine Analyse der Gesetzgebungsmaterialien zu § 8 Abs. 4 VSG NRW zeigt.
Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2006 (GV S. 620) wurde die in § 8 Abs. 1 VSG NRW geregelte Befugnis der Verfassungsschutzbehörde, zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten in Akten und Dateien verarbeiten zu dürften, dahingehend konkretisiert, dass nunmehr statt von "Akten und Dateien" genauer von "schriftlichen oder elektronischen Akten" und "zur Person geführten Dateien" die Rede ist. Gänzlich neu eingeführt wurde der elektronische Sachakten betreffende Abs. 4 des § 8 VSG NRW.
Gemäß dem Gesetzentwurf (LT-Drucks. 14/2211 vom 3. Juli 2006, S. 1) handelt es sich bei diesen Gesetzesänderungen um eine Reaktion des Landesgesetzgebers auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Neuerungen u.a. im Bereich der Informationstechnik, wonach konkrete gesetzliche Regelungen erforderlich seien, die die Ermächtigung und ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen eindeutig und klar formulieren. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger sei dabei durch entsprechende tatbestandliche Begrenzungen und verfahrensrechtliche Sicherungen auf das erforderliche Mindestmaß zu beschränken. Gemäß der sich anschließenden Gesetzesbegründung (auf S. 15 ff. der Drucks.) beinhalteten die Gesetzesänderungen deshalb die zur wirkungsvollen nachrichtendienstlichen Tätigkeit erforderlichen gesetzlichen Regelungen, wahrten dabei aber durch neue datenschutzrechtliche Bestimmungen die Balance zwischen den Erfordernissen der inneren Sicherheit und dem Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Zu den Kernpunkten des Gesetzes zähle dabei u.a. eine Ergänzung der Vorschriften zur Verarbeitung personenbezogener Daten durch Regelungen zur elektronischen Sachaktenhaltung, die sich an den Regelungen zur sonstigen Aktenhaltung orientierten. Ganz konkret heißt es sodann zu § 8 Abs. 1 (auf S. 21 der Drucks.): "Die sprachlichen Änderungen in dieser Vorschrift sollen verdeutlichen, dass der Verfassungsschutz personenbezogene Daten nicht nur in herkömmlichen "Papierakten" und in zur Person erstellten Dateien ablegen, sondern auch in elektronischen Sachakten speichern darf." Zu § 8 Abs. 4 heißt es sodann: "Die Vorschrift stellt besondere Regelungen für die in Absatz 1 neu eingeführte elektronische Sachakte auf. Einerseits wird die für eine elektronische Dokumentenverwaltung erforderliche Vollständigkeit der elektronisch geführten Sachakte dadurch gesichert, dass diese nicht zusammen mit der zur Person geführten Datei gelöscht werden muss. Andererseits werden die datenschutzrechtlichen Standards dadurch gesichert, dass die in elektronischen Sachakten enthaltenen personenbezogenen Daten nach Löschung des zur Person gespeicherten Datensatzes weder elektronisch recherchierbar sein, noch für Sicherheitsüberprüfungen und Übermittlungsersuchen verwendet werden dürfen. Die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Schutzvorschriften wird außerdem durch die Implementierung einer Protokollierungspflicht gesichert."
Die Gesetzesbegründung verdeutlicht, dass es der Landesgesetzgeber zusammen mit der durch die Gesetzesänderung beabsichtigten - und auch umgesetzten - Neueinführung der elektronischen Sachakte für geboten hielt, besondere Schutzmechanismen für in diesen gespeicherte personenbezogene Daten zu implementieren. Angesichts der Gefahren für den Umgang mit personenbezogenen Daten, die mit der Einführung der elektronischen Sachakte verbunden sind und daraus resultieren, dass mit den Mitteln der Informationstechnik nunmehr technisch unbegrenzte gezielte Zugriffe (per Volltextsuche) auf diese Daten möglich sind, erweist sich die Schutzvorschrift des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW als eine bereichsspezifische Umsetzung datenschutzrechtlicher Standards. Im Anwendungsbereich dieser Schutzvorschrift wollte der Landesgesetzgeber erkennbar der Möglichkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten in Sachakten in Form des gezielten Zugriffs auf diese per elektronischer Personenrecherche uneingeschränkt einen Riegel dadurch vorschieben, dass er unter bestimmten Umständen bereits die bloße Möglichkeit eines solchen Zugriffs untersagt. Dieser gesetzgeberische Ansatz trägt zum einen dem öffentlichen Interesse an der möglichst effektiven Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde Rechnung, indem er durch das Absehen von einem grundsätzlichen Erfordernis der Löschung, Pseudonymisierung oder sonstigen Unkenntlichmachung bestimmter personenbezogener Daten in elektronischen Sachakten die Vollständigkeit der elektronischen Sachakten ermöglicht, begrenzt aber zugleich den damit verbundenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der von der Speicherung von Daten in elektronischen Sachakten betroffenen Personen. Es handelt sich bei § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW damit um eine Umsetzung der sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Schranken für einen in der Speicherung von personenbezogenen Daten in elektronischen Sachakten liegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Der Regelung des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW liegt damit erkennbar das gesetzgeberische Konzept zugrunde, dass die Möglichkeit der elektronischen Recherchierbarkeit personenbezogener Daten in Sachakten an die gleichzeitige Speicherung einer zu der jeweiligen Person geführten Datei gekoppelt sein soll. Sinnbildlich gesprochen soll sich durch erstmalige Speicherung einer zur Person geführten Datei die Tür zur elektronischen Recherchierbarkeit von Daten zu dieser Person in elektronischen Sachakten öffnen und sich diese Tür durch Löschung der zur Person geführten Datei wieder schließen.
Ausdrücklich geregelt hat der Landesgesetzgeber in § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW allerdings nur die "Türschließerfunktion" (bei Löschung der zur Person geführten Datei), nicht hingegen die "Türöffnerfunktion". Er hat übersehen, dass das Verbot der elektronischen Recherchierbarkeit von personenbezogenen Daten in elektronischen Sachakten sich entsprechend dem gesetzgeberischen Konzept nicht nur auf die Zeit ab Löschung der zur Person geführten Datei, sondern ebenso auf die Zeit bis zur erstmaligen Speicherung der zur Person geführten Datei beziehen muss, sofern bis zu diesem Zeitpunkt - wie im Falle des vorliegenden E-Dokuments Nr. 1 - bereits eine Sachakte mit Daten zu der Person vorhanden ist, zu der noch keine zur Person geführte Datei angelegt worden ist.
Die hierin begründete planwidrige Regelungslücke ist durch analoge Anwendung des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW auf den nicht geregelten Sachverhalt zu schließen, weil der ausdrücklich geregelte und der hier betrachtete nicht geregelte Sachverhalt in den für die gesetzliche Bewertung maßgeblichen Hinsichten gleich zu beurteilen sind.
Die Beachtung des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW in direkter bzw. analoger Anwendung ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung bereits der Speicherung der jeweiligen Daten, nicht erst einer möglichen nachgelagerten personenbezogenen elektronischen Recherche. Dies lässt sich dem Wortlaut des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW entnehmen: Untersagt ist nicht erst die "Recherche", sondern bereits die "Recherchierbarkeit", also die bloße Möglichkeit der Recherche. Damit begründet § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW eine Rechtmäßigkeitsanforderung bereits für die Speicherung von personenbezogenen Daten in elektronischen Sachakten, wie sich überdies aus dem Gesetzeszweck ergibt. Nur wenn das Verbot des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW auch kontrollierbar umgesetzt wird, kann die Speicherung als solche rechtmäßig sein, denn anderenfalls ist einer rechtswidrigen Datenverarbeitung unter Missachtung dieses Verbots unkontrollierbar Tür und Tor geöffnet. Nur eine Anknüpfung der Rechtmäßigkeitskontrolle an den Speicherungsvorgang ermöglicht es deshalb, den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Bezug auf in elektronischen Sachakten gespeicherte personenbezogene Daten effektiv zu gewährleisten.
Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Speicherung personenbezogener Daten in elektronischen Sachakten ist demzufolge, dass die Verfassungsschutzbehörde bereits zum erstmaligen Speicherungszeitpunkt personenbezogener Daten in elektronischen Sachakten sicherstellt, dass die Möglichkeit einer gezielten elektronischen Recherche nach diesen Daten wirksam ausgeschlossen ist, solange eine zu dieser Person geführte Datei nicht existiert. Hinsichtlich der Frage der Umsetzung dieser Anforderungen ist dem insoweit gemäß § 28 VSG NRW ergänzend anwendbaren § 10 DSG NRW Weiteres zu entnehmen. Nach § 10 Abs. 1 DSG NRW ist die Ausführung datenschutzrechtlicher Vorschriften durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen. Sofern damit die Einhaltung eines bestehenden datenschutzrechtlichen Verbots nicht bereits durch unüberwindliche technische Schranken sichergestellt wird, sondern durch organisatorische Maßnahmen, müssen diese in ihrer konkreten Ausgestaltung (Umsetzung und Überprüfbarkeit) wirksam sein.
Der Beklagte hat das Verbot des § 8 Abs. 4 Satz 3 - in der hier vorgenommenen analogen Anwendung - weder hinreichend umgesetzt noch war, soweit eine Umsetzung stattgefunden hat, eine Überprüfbarkeit gegeben.
Technische Maßnahmen zur Sicherstellung der datenschutzrechtlichen Vorgabe - etwa in Form technischer Beschränkungen für die elektronische Volltextsuche in elektronischen Sachakten - hat der Beklagte nicht ergriffen.
Hingegen hat das MIK das Verbot des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW ausdrücklich in seine Dienstanweisung aufgenommen, indem es dort unter Bezugnahme auf § 8 Abs. 4 VSG NRW heißt, dass eine personenbezogene Recherche zu Beobachtungszwecken in E unzulässig ist, wenn die betroffene Person nicht zugleich in personenbezogenen Dateien (L; O) gespeichert ist. Damit hat der Beklagte zwar das sich aus § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW ergebende Rechercheverbot - in teils direkter, teils analoger Anwendung - zutreffend auf sämtliche Zeiträume außerhalb der Speicherung zur Person geführter Dateien bezogen. Allerdings hat der Beklagte schon nicht dargetan, dass die Dienstanweisung im hier maßgeblichen Zeitraum vor dem 7. Mai 2007 bereits galt. Die Verwendung des Begriffs der "L"-Datei in der Dienstanweisung, die es nach den Angaben des Beklagten erst seit Dezember 2007 gibt, spricht gegen eine solche Annahme.
Jedenfalls scheitert die Umsetzung des Verbots - auch soweit der Beklagte dieses in seine Dienstanweisung übernommen hat - an der fehlenden bzw. jedenfalls unzureichenden Überprüfbarkeit.
Eine hinreichende Überprüfbarkeit der Einhaltung des Verbots des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW setzt zunächst eine Protokollierung von Zugriffen auf personenbezogene Daten in elektronischen Sachakten voraus. Eine solche fordert auch § 8 Abs. 4 Satz 1 VSG NRW ausdrücklich - gemäß der Gesetzesbegründung zu dem Zweck, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Schutzvorschriften zu sichern. Bezieht man diesen Gesetzeszweck ausdrücklich (auch) auf die datenschutzrechtliche Schutzvorschrift des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW, folgt daraus das Erfordernis, dass aus einer derartigen Protokollierung auch ersichtlich sein muss, ob der Zugriff auf personenbezogene Daten in einer elektronischen Sachakte auf der Grundlage einer elektronischen personenbezogenen Recherche erfolgte, um anhand dieser Protokollierung sodann nachvollziehen zu können, ob im Zeitpunkt der Recherche eine zu der entsprechenden Person geführte Datei existierte oder nicht.
Diesen Anforderungen genügte die Protokollierung von Zugriffen auf Datensätze in der E-Datenbank des Beklagten nicht. In der sog. Historie wurden Angaben dazu protokolliert, welcher Mitarbeiter an welchem Tag auf den jeweiligen Datensatz zugegriffen hat. Hingegen beinhaltete die Protokollierung nicht den jeweiligen Anlass eines Zugriffs. Demzufolge beinhaltete die vom Beklagten vorgenommene Protokollierung auch nicht den Vorgang einer elektronischen Recherche als solchen, insbesondere unter Miterfassung etwa des Recherche- bzw. Suchbegriffs, so dass die erfolgte Protokollierung die Kontrolle der Einhaltung des Verbots des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW von vornherein nicht ermöglichte.
Zudem würde selbst eine Protokollierung im für die Überprüfung der Einhaltung des Verbots des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW erforderlichen Umfang allein noch nicht ausreichen. Die Einhaltung dieses Verbots ist nur dann in einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise sichergestellt, wenn insoweit eine systematische, regelmäßige und effektive Kontrolle gewährleistet ist. Eine regelmäßige Kontrolle, ob personenbezogene Recherchen in elektronischen Sachakten ausschließlich zu einem Zeitpunkt erfolgten, in dem eine zu der Person, zu der recherchiert wurde, geführte Datei existierte, war vom Beklagten jedoch nicht vorgesehen.
II. Für den Zeitraum ab erstmaliger Speicherung der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank (zunächst P, anschließend L) am 7. Mai 2007 bis zur elektronischen Löschung dieser Datei am 21. Juli 2008 ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Speicherung sämtlicher im Tenor aufgeführten Daten aus einem Verstoß gegen die sich aus § 28 VSG NRW i. V. m. §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 10 Abs. 1 DSG NRW ergebende Verpflichtung zur effektiven Gewährleistung des Zweckbindungsgebots.
1. Dies gilt zunächst für die in der Amtsdatenbank zur Person des Klägers geführte Datei.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 DSG NRW dürfen personenbezogene Daten nur für Zwecke weiterverarbeitet werden, für die sie erhoben worden sind. Als Ausnahme von diesem Grundsatz erlaubt § 13 Abs. 2 DSG NRW unter abschließend aufgelisteten Voraussetzungen die Weiterverarbeitung solcher Daten für Zwecke, für die sie nicht erhoben worden sind. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um die landesgesetzliche Umsetzung des verfassungsrechtlich aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zwingend vorgegebenen Zweckbindungsgebots, wonach Daten von vornherein nur zu bestimmten, bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegten Zwecken gespeichert werden dürfen,
vgl. BVerfG, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. -, BVerfGE 65, 1, 46 = juris (Randnr. 155 f.) und vom 2. März 2010 - 1 BvR 265/08 u.a. -, BVerfGE 125, 260 ff. = juris (Randnr. 266),
und damit um das Kernstück der durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Datenschutzes (GFD) vom 15. März 1988 (GV.NW, S.160) eingeführten Neukonzeption datenschutzrechtlicher Regelungen in Reaktion auf die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983,
vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 5. Januar 1987, LT-Drucks. 10/1565, Seiten 1 und 52.
Nach § 28 VSG NRW gilt § 13 DSG NRW auch im Rahmen der Erfüllung der verfassungsschutzbehördlichen Aufgaben, soweit nicht das VSG NRW bereichsspezifisch abschließende Sonderregelungen zur Einhaltung des Zweckbindungsgebots enthält. Solche bereichsspezifisch abschließenden Regelungen existieren im VSG NRW hinsichtlich der Verarbeitung von Daten in einer zur Person geführten Datei nicht.
Ergänzt wird die Vorschrift des § 13 DSG NRW durch § 10 DSG NRW, insbesondere mit seinen Absätzen 1 und 3 Satz 1, wonach die Ausführung datenschutzrechtlicher Vorschriften durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist und die zu treffenden technischen und organisatorischen Maßnahmen auf der Grundlage eines zu dokumentierenden Sicherheitskonzepts zu ermitteln sind. Hieraus ergibt sich, dass es auch in Bezug auf das Zweckbindungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 2 DSG NRW zu einer Rechtswidrigkeit bereits der Speicherung personenbezogener Daten dann kommt, wenn die Einhaltung des Zweckbindungsgebots nicht durch technische oder organisatorische Maßnahmen im Sinne des § 10 Abs. 1 DSG NRW sichergestellt ist. Denn ebenso wie der bereits dargestellte Fall einer nicht vorhandenen oder unzureichenden Umsetzung des Verbots des § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW führt auch eine nicht vorhandene oder unzureichende Sicherstellung des Zweckbindungsgebots dazu, dass einer verbotenen zweckwidrigen Weiterverarbeitung solcher Daten unkontrollierbar Tür und Tor geöffnet ist, weil eine solche, wenn sie erfolgt, gar nicht feststellbar ist. Es ist damit zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verfassungsrechtlich zwingend, die Rechtmäßigkeit bereits der Speicherung von Daten daran festzumachen, ob während des gesamten Speicherungszeitraums Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 DSG NRW, die die Einhaltung des Zweckbindungsgebots gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 DSG NRW effektiv und kontrollierbar ermöglichen, ergriffen wurden.
Die Speicherung der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank des Beklagten war rechtswidrig, weil nicht - wie von § 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 DSG NRW vorausgesetzt - durch technische oder organisatorische Maßnahmen die Überprüfbarkeit der Einhaltung des ursprünglichen Speicherungszwecks bzw. der Vorgaben für einen möglichen Zweckwechsel nach § 13 Abs. 2 DSG NRW sichergestellt war.
Ob dabei entsprechend der - allerdings spezifisch die Rechtmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen betreffenden - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
Urteile vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - und vom 2. März 2010 - 1 BvR 265/08 u.a. -, a.a.O.,
auf den gesetzlich bestimmten Zweck der Datenverarbeitung oder aber auf einen behördlich für den Einzelfall zu konkretisierenden engeren Zweck abzustellen ist,
vgl. etwa die Ausführungen des BVerwG im Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 C 30/86 -, NJW 1990, 2768 ff. = juris (Randnr. 16) zum dort entschiedenen Einzelfall; vgl. auch Dammann in Simitis (a.a.O.), § 14 Randnr. 39 ff.,
kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn im Falle der zur Person des Klägers geführten Datei war nicht einmal die Bindung an den gesetzlichen Speicherungszweck überprüfbar.
Aus § 8 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 VSG NRW lassen sich mindestens zwei gesetzlich vorgegebene landesverfassungsschutzrechtliche Datenverarbeitungszwecke ableiten, zwischen denen zu differenzieren ist.
Die Nummern 1 und 2 des § 8 Abs. 1 VSG NRW verweisen auf die Vorschrift des § 3 Abs. 1 VSG NRW und damit auf die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde, Informationen über im einzelnen aufgeführte Bestrebungen und Tätigkeiten zu sammeln und auszuwerten. Allgemeiner Gesetzeszweck von Datenverarbeitungen auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nummern 1 und 2 ist es demzufolge, die Sammlung und Auswertung der genannten Informationen zu ermöglichen.
Nummer 3 des § 8 Abs. 1 VSG NRW verweist auf § 3 Abs. 2 VSG NRW, wonach die Verfassungsschutzbehörde bei der Sicherheitsüberprüfung bestimmter Personen sowie bei bestimmten technischen Sicherheitsmaßnahmen sowie in den übrigen gesetzlich vorgesehenen Fällen mitwirkt. Allgemeiner gesetzlich vorbestimmter Zweck von Datenverarbeitungen auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 3 ist es demnach, die Wahrnehmung der gesetzlich geregelten Mitwirkungsaufgaben durch die Verfassungsschutzbehörde zu ermöglichen.
In seiner Dienstanweisung hat das MIK folgerichtig geregelt, dass Informationen über Personen, die auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW gespeichert wurden (Personen, bei denen ein Verdacht für Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 VSG NRW vorliegt, sog. "dolose Personen") für Mitwirkungsaufgaben nach § 3 Abs. 2 VSG NRW im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen verwendet werden dürfen, indem diese Personen bei Überprüfungsmaßnahmen als mit Erkenntnissen belastete Personen angezeigt werden, bei Anfragen z.B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz oder dem Luftsicherheitsgesetz als Treffer herausgefiltert werden und im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens einer weiteren Prüfung unterzogen werden müssen. Damit hat das MIK klargestellt, dass der Teilbereich der auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 1 VSG NRW gespeicherten Daten nicht nur dem Zweck des § 3 Abs. 1 VSG NRW, sondern zugleich auch dem Zweck des § 3 Abs. 2 VSG NRW dient. Damit folgt die Dienstanweisung dem Gedanken, dass der Sinn und Zweck der Mitwirkungsaufgaben gemäß § 3 Abs. 2 VSG NRW darin besteht, auf die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde über die sog. "dolosen Personen", also auf diese Personen betreffende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von verfassungsfeindlichen Bestrebungen i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 VSG NRW zurückgreifen zu können.
Bezüglich Personen, über die Informationen auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 2 VSG NRW gespeichert werden (Personen, die nicht die Voraussetzungen der Nr. 1 erfüllen, aber deren Speicherung dennoch zu Auswertungszwecken erforderlich ist - sog. "undolose Personen"), hat das MIK in seiner Dienstanweisung hingegen geregelt, dass solche Personen im Rahmen von Mitwirkungsverfahren nicht weiter überprüft werden und auch nicht als Treffer im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung angezeigt werden.
Diese rechtliche Verwendungsbeschränkung von Speicherungen auf der Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 2 VSG NRW ist unter dem Gesichtspunkt des Zweckbindungsgrundsatzes auch rechtlich zwingend, denn ein über den Sammlungs- und Auswertungszweck nach § 3 Abs. 1 VSG NRW hinausgehender Mitwirkungszweck nach § 3 Abs. 2 VSG NRW lässt sich für Daten über Personen, für die weder Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen noch auch nur ein Verdacht hierfür vorliegen, nicht erkennen. Informationen über solche Personen dürfen im Rahmen von Abfragen zu Mitwirkungszwecken gemäß § 3 Abs. 2 VSG NRW deshalb nicht angezeigt werden.
Die Beachtung dieser gesetzlichen Zweckbindung war im Falle der zur Person des Klägers zu Sammlungs- und Auswertungszwecken nach § 3 Abs. 1 VSG NRW gespeicherten Datei nicht gewährleistet. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass die vom MIK zur Sicherstellung des Zweckbindungsgebots vorgesehene Kennzeichnung der in L gespeicherten Datensätze dahingehend, ob es sich um eine Speicherung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VSG NRW handelt, im Falle der zur Person des Klägers geführten Datei erfolgt ist. Eine solche Kennzeichnung enthielten die Datensätze in der bis Dezember 2007 verwendeten P-Datenbank überhaupt noch nicht. Im Falle der zur Person des Klägers seit Dezember 2007 geführten L-Datei ist zudem nach deren Löschung anhand der erstellten Ausdrucke nicht mehr nachprüfbar, ob die genannte Kennzeichnung jemals (nachträglich) erfolgt ist.
Dies führt für den Zeitraum ab der Speicherung der P-Datei am 7. Mai 2007 bis zur Löschung der L-Datei am 21. Juli 2008 zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Speicherung personenbezogener Daten des Klägers in der zu seiner Person geführten Datei in der Amtsdatenbank. Eine Beschränkung der Verwendung der gespeicherten Daten auf die Zwecke des § 3 Abs. 1 VSG NRW unter Ausschluss der Möglichkeit der Verwendung für Zwecke des § 3 Abs. 2 VSG NRW war weder technisch noch organisatorisch sichergestellt. Für den Zeitraum ab Überführung der P-Datei in die L-Datei im Dezember 2007 bis zur Löschung der L-Datei am 21. Juli 2008 kann zwar nicht mehr festgestellt werden, ob der Beklagte eine Beschränkung der Verwendung der gespeicherten Daten auf die Zwecke des § 3 Abs. 1 VSG NRW technisch oder organisatorisch sichergestellt hat, die Unaufklärbarkeit insoweit geht aber im Rahmen einer Beweislastentscheidung zu Lasten des Beklagten.
Die Antwort auf die Frage, wer die (materielle) Beweislast trägt, ergibt sich im Verwaltungsrechtsstreit aus dem materiellen Recht derart, dass die Unerweislichkeit der Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, zu ihren Lasten geht, es sei denn, dass der Rechtssatz selbst eine besondere Regelung trifft.
BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1965 - VIII C 293.63 -, BVerwGE 20, 209 ff. = juris (Randnr. 9).
Die Befugnisnormen des VSG NRW und - soweit gemäß § 28 VSG NRW ergänzend anwendbar - des DSG NRW, welche der Verfassungsschutzbehörde eine Verarbeitung personenbezogener Daten erlauben, beinhalten die Behörde begünstigende Rechtsfolgen in Form der entsprechenden Verarbeitungsbefugnisse. Die Verfassungsschutzbehörde hat deshalb das Vorliegen sämtlicher tatbestandlichen Voraussetzungen für eine durchgeführte Verarbeitung personenbezogener Daten zu beweisen, somit nicht nur das Vorliegen der Voraussetzungen der Befugnis-Grundnorm - wie hier § 8 VSG NRW -, sondern auch aller die Befugnis-Grundnorm ergänzenden Vorschriften - wie hier § 10 Abs. 1 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2 DSG NRW. Kann die Verfassungsschutzbehörde - wie hier der Beklagte im Falle der Speicherung der personenbezogenen Klägerdaten - nicht beweisen, dass sie entsprechende technische oder organisatorische Schutzmaßnahmen ergriffen hat, geht dies im Rahmen der materiellen Beweislast zu ihren Lasten.
2. Auch für die in den neun (E-)Sachaktendokumenten enthaltenen Daten zur Person des Klägers im Zeitraum zwischen erstmaliger Speicherung der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank und der Löschung dieser Datei am 21. Juli 2008 ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Speicherung aus einer Nichtbeachtung der aus § 28 VSG NRW i. V. m. §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 10 Abs. 1 DSG NRW folgenden Verpflichtung zur effektiven Gewährleistung des Zweckbindungsgebots durch technische und organisatorische Maßnahmen.
Im genannten Zeitraum während des Bestehens der zur Person des Klägers geführten Datei in der Amtsdatenbank war der Schutz auch der personenbezogenen Daten in den Sachaktendokumenten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 DSG NRW sicherzustellen. Insbesondere enthält § 8 Abs. 4 Satz 3 VSG NRW - in direkter bzw. analoger Anwendung - für diesen Zeitraum keine abschließende Regelung, die dem Verweis auf das DSG NRW in § 28 VSG NRW entgegenstünde.
Die - ebenfalls bereits dargestellte - technisch unbegrenzt bestehende und nicht kontrollierbare Möglichkeit des MIK auch während dieses Zeitraums, gezielt auf die in den elektronischen Sachakten enthaltenen Klägerdaten zuzugreifen, führt dazu, dass sich die soeben festgestellte Rechtswidrigkeit der Speicherung der zur Person des Klägers geführten (P- bzw. L)-Datei in der Amtsdatenbank auch auf die in den Sachakten enthaltenen, zur Person des Klägers gespeicherten Daten erstreckt. Durch die technisch unbegrenzte verfassungsschutzbehördliche Zugriffsmöglichkeit auf diese Daten war der Beklagte verpflichtet, die durch § 28 VSG NRW i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2 DSG NRW vorgeschriebene Begrenzung der Zulässigkeit der Weiterverarbeitung auch dieser Daten für den Erhebungszweck gemäß § 10 Abs. 1 DSG NRW durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen.
Hinsichtlich der in Sachaktendokumenten gespeicherten Klägerdaten, die nach den Angaben des Beklagten lediglich "beiläufig" erfolgte mit dem einzigen Ziel, eine Vollständigkeit der Sachakten zu gewährleisten, kommt - ebenso wie bereits für die gezielt zur Person des Klägers geführte Datei in der Amtsdatenbank - allein die Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 2 VSG NRW und demzufolge der Speicherungszweck des § 3 Abs. 1 VSG NRW - Sammlung und Auswertung - in Betracht. Die Rechtmäßigkeit der Speicherung der Klägerdaten in den neun Sachaktendokumenten setzte demzufolge gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 10 Abs. 1 DSG NRW voraus, dass durch technische oder organisatorische Maßnahmen sichergestellt war, dass die Einhaltung des ursprünglichen Speicherungszwecks bzw. ein im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 DSG NRW ggf. zulässiger Zweckwechsel kontrollierbar war.
Eine derartige Kontrollierbarkeit war auch in Bezug auf die personenbezogenen Daten in den elektronischen Sachakten nicht gegeben. Die Zugriffsmöglichkeiten auf sämtliche in den elektronischen Sachakten enthaltenen Klägerdaten hat der Beklagte im hier relevanten Zeitraum aufgrund der Existenz der zur Person des Klägers gespeicherten Datei in der Amtsdatenbank weder technisch noch organisatorisch begrenzt. Lieferte aber die Existenz der zur Person des Klägers gespeicherten Datei in der Amtsdatenbank die Legitimationsgrundlage für gezielte Zugriffe auf die in den elektronischen Sachakten gespeicherten Klägerdaten, hängt die Kontrollierbarkeit der Zweckbindung dieser Daten zwingend davon ab, ob bereits die Zweckbindung der zur Person gespeicherten Datei in der Amtsdatenbank kontrollierbar sichergestellt war. Dies kann indes - wie oben ausgeführt - nicht (mehr) festgestellt werden und geht im Rahmen einer Beweislastentscheidung zu Lasten des Beklagten.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Soweit der Klage stattgegeben wurde, hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen - dies betrifft 70 % der gesamten Kosten des Rechtsstreits. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, folgt das Gericht der von den Beteiligten mitgeteilten Einigung über die Kostentragung - dies betrifft 30 % der Kosten des Rechtsstreits, so dass der Beklagte zu den bereits zu tragenden 70 % der Kosten des Rechtsstreits weitere 15 % und der Kläger die verbleibenden 15 % der Kosten zu tragen haben.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
VG Düsseldorf:
Urteil v. 19.10.2011
Az: 22 K 4905/08
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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/98ec84c64e9f/VG-Duesseldorf_Urteil_vom_19-Oktober-2011_Az_22-K-4905-08