Landgericht Aachen:
Urteil vom 27. Juni 2006
Aktenzeichen: 41 O 6/06
(LG Aachen: Urteil v. 27.06.2006, Az.: 41 O 6/06)
Zur Klagebefugnis eines Verbandes der Arzneimittelindustrie nach § 8 Abs. 3 Nr .2 UWG
Zur wettbewerbsrechtlichen Bedeutung von Verhaltensempfehlungen eines Verbandes der Arzneimittelindustrie.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit einer Anwendungsbeobachtung für Arzneimittel mit teilnehmenden Ärzten als Honorierung für das Vorlegen eines vollständig ausgefüllten Dokumentationsbogens und gegebenenfalls eines Formblattes Bericht über unerwünschte Arzneimittelwirkung (auch Verdachtsfälle) eine vom Arzt selbst erst noch zu bestimmende Gegenleistung und/oder als Honorierung für sieben Patienten alternativ einen Flachbildschirm 17 Zoll, einen DVD-Rekorder oder einen Pocket-PC und/oder als Honorierung für vierzehn Patienten alternativ einen Laptop oder einen Pocket-PC mit Navigationssystem und/oder für zwanzig Patienten einen Beamer als Vergütung zu vereinbaren, wie mit der Anwendungsbeobachtung insbesondere entsprechend dem als Anlage K1 diesem Urteil beigefügten Formular geschehen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Kläger ist ein von den Mitgliedern des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V. gegründeter Verein mit Sitz in Berlin. Seine satzungsgemäße Aufgabe ist es, als Einrichtung zur Selbstkontrolle der Lauterkeit bei der Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Angehörigen der Fachkreise und medizinischen Einrichtungen zu dienen und zu diesem Zwecke insbesondere beanstandetes Verhalten von Unternehmen der pharmazeutischen Industrie auf seine Lauterkeit und Vereinbarkeit mit den von dem Verein festgelegten Verhaltensregeln sowie mit den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu überprüfen und gegen Verstöße vorzugehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage K13.
Der Kläger hat derzeit mindestens 55 Mitglieder. Bei diesen handelt es sich um Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, die bundesweit Arzneimittel in den Verkehr bringen und bewerben. Der Vorstand des Klägers setzt sich aus neun Mitgliedern zusammen, bei denen es sich um Repräsentanten von führenden deutschen und internationalen Pharmaunternehmen handelt. Der Kläger verfügt über eine eigene Geschäftsstelle und Geschäftsführung. Die Finanzierung des Klägers erfolgt durch den von den Mitgliedern umsatzabhängig zu leistenden Jahresbeitrag, wodurch der Kläger im Jahre 2005 Beitragseinnahmen in Höhe von 632.000 € erzielte. Aufgrund der vom Kläger im Jahre 2005 geführten Beanstandungsverfahren wegen unlauteren Verhaltens flossen dem Kläger 112.000 € zu.
Der Kläger beschloss am 16.02.2004 einen Kodex, der die grundlegenden Anforderungen festlegt, die bei der Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit in Deutschland tätigen Ärzten zu beachten sind ( vgl. Anlage K7 ). Die materiellen Regelungen des Kodex sind inhaltsgleich mit den Verhaltensempfehlungen für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten, die vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. ( ), Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. ( ) und Verband Forschender Arzneimittelhersteller ( ) herausgegeben und von der Beklagten als Mitgliedsunternehmen des BPI anerkannt wurden.
Das Bundeskartellamt notifizierte die Regelungen des Kodex und erkannte sie mit Mitteilung vom 08.04.2004 als Wettbewerbsregeln an.
Mit Wirkung vom 29.04.2004 nahm der Kläger seine Tätigkeit offiziell auf. Ende 2005 wurde eine Änderung des Kodex beschlossen. Er gilt jetzt nicht nur für die Zusammenarbeit mit Ärzten, sondern auch für die mit den Fachkreisen ( vgl. Anlage B3 ).
Die Beklagte ist ein pharmazeutisches Unternehmen und als solches bundesweit tätig. Sie ist nicht Mitglied der Klägerin und erkannte den Kodex nicht an.
Die Beklagte produziert und vertreibt die Arzneimittel und . Von November 2004 bis Ende Dezember 2005 führte sie mit diesen Arzneimitteln eine Anwendungsbeobachtung durch. Zu diesem Zweck schloss sie mit den an der Anwendungsbeobachtung teilnehmenden Ärzten eine Vereinbarung, die beinhaltete, dass der Arzt für jeden vollständig ausgefüllten Dokumentationsbogen eine Aufwandsentschädigung erhielt. Diese Aufwandsentschädigung konnte nach Wahl des Arztes unterschiedlich ausgestaltet sein. Grundsätzlich erhielt der Arzt für jeden Dokumentationsbogen eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 40 €. Alternativ konnte der Arzt seine Aufwandsentschädigung selbst wählen, für sieben ausgefüllte Patienten-Dokumentationsbögen einen Flachbildschirm 17 Zoll, einen DVD-Rekorder oder einen Pocket-PC erhalten, für vierzehn Patienten einen Laptop oder einen Pocket-PC mit Navigationssystem und für zwanzig Patienten einen Beamer.
Mit vorprozessualem Schreiben vom 18.10.2005 forderte der Kläger die Beklagte auf, dieses Verhalten zu unterlassen, eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben und für die durch die Abmahnung entstandenen Aufwendungen eine Erstattung in Höhe von 290,00 € zu leisten. Die Beklagte lehnte dies ab.
Der Kläger ist der Meinung, das Verhalten der Beklagten stelle eine unlautere Wettbewerbsbeeinträchtigung dar, soweit die Beklagte den an der Anwendungsbeobachtung teilnehmenden Ärzten nicht nur eine Aufwandsentschädigung in Geld in Höhe von 40 € anbiete, sondern darüber hinausgehend auch Elektronikgeräte oder die Aufwandsentschädigung ganz zur Wahl des Arztes stelle. Dies verstoße gegen §§ 5 Abs. 3 und 5, 4 Abs. 3 des Kodex des FS Arzneimittel e.V., gegen die gleich lautenden Ziffern 5.3, 5.5 und 4.3 der Verhaltensempfehlungen für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten sowie gegen Ziffer 15 der Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ( ) zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen vom 12.11.1998. Auch wenn sämtliche Regelwerke keine materiellen Gesetze im Sinne des UWG darstellen, so spiegeln sie doch die allgemein anerkannten anständigen Gepflogenheiten des Marktes der pharmazeutischen Unternehmen wider, so dass ein Verstoß gegen diese dem Anstandgefühl eines verständigen Durchschnitts-Gewerbetreibenden widerspreche und daher indizielle Bedeutung für die Konkretisierung der Unlauterkeit eines Verhaltens habe.
Des Weiteren ist der Kläger der Ansicht, aktivlegitimiert zu sein. Dazu behauptet er, seine Mitglieder repräsentieren über 75 % des deutschen Arzneimittelmarktes. Die Marktbedeutung und das wirtschaftliche Gewicht der Mitglieder des Klägers ergebe sich vor dem Hintergrund des auf die Mitgliedskonzerne des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V., die zugleich Mitglieder des Klägers seien, entfallenden Umsatzes mit in Apotheken abgesetzten Fertigarzneimitteln zu Herstellerabgabepreisen im Jahre 2005. Denn nach zwischen den Parteien unstreitigen Angaben des Marktforschungsinstituts habe der Gesamtmarkt im Jahre 2005 20,7 Mrd. € betragen, wovon auf die -Konzerne ein Umsatz in Höhe von 13,54 Mrd. € entfalle.
Darüber hinaus behauptet der Kläger, seine Tätigkeit beschränke sich entsprechend seiner Satzung nicht auf eine reine Abmahn- und Prozesstätigkeit. Vielmehr befinde er sich zum Zwecke der Förderung, Einhaltung und Erreichung einer allgemeinen Akzeptanz seiner Verhaltensregeln in Kontakt mit anderen Verbänden der Pharmabranche, Vertretern der Politik sowie Unternehmen der Pharmabranche und leiste zudem Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem überprüfe er auch die Beachtung berufsrechtlicher und wettbewerbsrechtlicher Vorschriften und gehe auch gegen diesbezügliche Verstöße vor.
Bei seiner Tätigkeit verfolge er keine eigenwirtschaftlichen Zwecke.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € oder ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit einer Anwendungsbeobachtung für Arzneimittel mit teilnehmenden Ärzten als Honorierung für das Vorlegen eines vollständig ausgefüllten Dokumentationsbogens und gegebenenfalls eines Formblattes "Bericht über unerwünschte Arzneimittelwirkung" (auch Verdachtsfälle) eine vom Arzt selbst erst noch zu bestimmende Gegenleistung und/oder als Honorierung für sieben Patienten alternativ einen Flachbildschirm 17 Zoll, einen DVD-Rekorder oder einen Pocket-PC und/oder als Honorierung für vierzehn Patienten alternativ einen Laptop oder einen Pocket-PC mit Navigationssystem und/oder für zwanzig Patienten einen Beamer als Vergütung zu vereinbaren, wie mit der Anwendungsbeobachtung insbesondere entsprechend dem als Anlage K1 beigefügten Formular geschehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, denn angesichts der zwischen den Parteien unstreitigen Tatsache, dass dem Bundesverband der Arzneimittelhersteller e.V. 307 Mitglieder angehören, könne bei 55- 56 Mitgliedern nicht von einer repräsentativen Vertretung des Pharmamarktes ausgegangen werden. Die Beklagte behauptet, es fehle dem Kläger zudem an der nötigen sachlichen und personellen Ausstattung. Der Kläger bediene sich der personellen Ausstattung des VFA und verfüge selbst über kein ausreichendes Personal. Die Tätigkeit des Klägers beschränke sich auf die Kontrolle, dass der Kodex eingehalten werde. Des Weiteren ist die Beklagte der Ansicht, ein Unterlassungsanspruch bestehe mangels unlauterer Wettbewerbshandlung nicht, die Geltendmachung sei außerdem missbräuchlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst den von ihnen zu den Akten gereichten Urkunden sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 30.5.2006.
E n t s c h e i d u n g s g r ü d e:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 UWG einen Anspruch, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit einer Anwendungsbeobachtung für Arzneimittel mit teilnehmenden Ärzten als Honorierung für das Vorlegen eines vollständig ausgefüllten Dokumentationsbogens und gegebenenfalls eines Formblattes "Bericht über unerwünschte Arzneimittelwirkung" (auch Verdachtsfälle) eine vom Arzt selbst erst noch zu bestimmende Gegenleistung und/oder als Honorierung für sieben Patienten alternativ einen Flachbildschirm 17 Zoll, einen DVD-Rekorder oder einen Pocket-PC und/oder als Honorierung für vierzehn Patienten alternativ einen Laptop oder einen Pocket-PC mit Navigationssystem und/oder für zwanzig Patienten einen Beamer als Vergütung zu vereinbaren, wie mit der Anwendungsbeobachtung insbesondere entsprechend dem als Anlage beigefügten Formular geschehen.
Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Als eingetragener Verein ist der Kläger ein rechtsfähiger Verband. Dieser hat ausweislich § 2 Abs. 1 der Satzung des Klägers die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs als Ziel und bezweckt gemäß § 2 Abs. 3 der Satzung ausdrücklich die Förderung gewerblicher Interessen. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs für die Verfolgung gewerblicher Interessen als ausreichend angesehen (BGH, GRUR 1990, 282, 284). Diese Zielsetzung erscheint auch nicht lediglich als Vorwand, um sich Einnahmen zu verschaffen. Die Mitglieder des Klägers leisten ihrerseits Mitgliedsbeiträge, die die Einnahmen durch Abmahnungen und Vertragsstrafen um das sechsfache übersteigen. Dass der Kläger überhaupt entsprechende Einnahmen erzielt und eine Abmahn- und Prozesstätigkeit entwickelt, widerspricht dem satzungsgemäßen Verbandszweck nicht, sondern liegt in der Natur der Sache, wenn ein Verband sich die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs zum Ziel gesetzt hat. Dabei geht der Kläger, wie sich aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 2.11.2004 - 9 HK O 18577/04 - ergibt, nicht nur gegen Verstöße gegen den von ihm aufgestellten Kodex, sondern auch gegen Verstöße gegen berufsrechtliche Regelungen vor. Dies spricht für eine tatsächliche Beobachtung des Wettbewerbsgeschehens. Des Weiteren entfaltet der Kläger neben der unmittelbaren Verfolgung von Wettbewerbsverstößen Abmahntätigkeiten, für die er keine überhöhten Abmahnpauschalen im Fall: 250 € netto) fordert. Für die tatsächliche Verfolgung gewerblicher Interessen durch Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs spricht auch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Klageverfahren und im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, wie beispielsweise im Verfahren 9HK O 18577/04 vor dem Landgericht München I oder im Verfahren 2H O 229/05 vor dem Landgericht Memmingen geschehen. Der Kläger beschränkt sich also nicht auf Abmahnungen und die Verfolgung von eigenen Vertragsstrafeansprüchen. Darüber hinaus legt der Kläger dar, zum Zwecke der Förderung, Einhaltung und Erreichung einer allgemeinen Akzeptanz der Verhaltensregeln des Klägers in Kontakt mit anderen Verbänden der Pharmabranche, Vertretern der Politik sowie Unternehmen der Pharmabranche zu sein und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Entgegen der pauschalen Behauptung der Beklagten, dient die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs daher nicht maßgeblich dazu, Aufwendungsersatz und Vertragsstrafen entstehen zu lassen. Angesichts der konkret für die gewerbliche Interessenverfolgung sprechenden, vom Kläger substantiiert dargelegten Umstände, ist der pauschale Hinweis der Beklagten auf ein missbräuchliches Vorgehen des Klägers, wonach die Verfolgung unlauteren Wettbewerbsverhaltens nur Vorwand für eine Einnahmenverschaffung wäre, nicht ausreichend. Es sind keinerlei konkrete Verdachtsmomente dargetan, dass ein etwaiges "Einnahmebestreben" derart bestimmend im Vordergrund steht, dass es den objektiv verfolgten Vereinszweck als vorgeschobenes Mittel zur Verwirklichung der Einnahmeerzielung erscheinen lassen würde.
Aus diesem Grunde ist die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs auch nicht missbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in einem in der mündlichen Verhandlung erörterten Fall zu Beginn des Jahres 2005 ein als unlauter gemeldetes Verhalten nicht weiter verfolgt hat. Denn das gemeldete Verhalten betraf das Verhältnis eines Pharmaunternehmens zu Apotheken, also ein Verhältnis, das vom damals geltenden Text des Kodex nicht erfasst war, also gar nicht verfolgt werden konnte. Erst die ab 2006 geltende Fassung des Kodex lässt nunmehr eine Verfolgung zu.
Des Weiteren ist der Kläger auch ein Unternehmen, dem eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört, die Waren gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges pharmazeutisches Unternehmen. Dies gilt auch für die Mitglieder des Klägers. Der Kläger hat seine Mitgliederliste vorgelegt. Ausweislich dieser Liste gehören dem Kläger über 50 Mitglieder an, die angesichts ihrer Größe, Marktbedeutung und ihres wirtschaftlichen Gewichts den Kreis der Mitbewerber auf dem bundesweit tätigen, pharmazeutischen Markt insoweit repräsentativ vertreten, dass ein missbräuchliches Vorgehen des Verbandes ausgeschlossen werden kann. Der Kläger hat das Ergebnis einer Analyse des Marktforschungsunternehmens vorgelegt, wonach bereits auf einen Teil der Mitglieder des Klägers im Jahr 2005 hinsichtlich der abgesetzten Fertigarzneimittel zu Herstellerabgabepreisen 65 % des Gesamtumsatzes entfielen. Zwar kann diese quotenmäßige Berechnung nicht allein ausschlaggebend sein. Denn die Umsatzzahlen allein vermögen nicht zu belegen, dass nicht ein umsatzstarkes Unternehmen die Verbandstätigkeit missbräuchlich ausübt. Hier korrespondiert jedoch die Marktrelevanz der Mitgliedsunternehmen zugleich mit einer nicht unbedeutenden Anzahl von über 50 Mitgliedern, wobei es sich bei den Mitgliedern um renommierte Unternehmen handelt, deren Sitze über ganz Deutschland verstreut sind. Dabei ist auch von besonderer Relevanz, dass der Kläger seine Tätigkeit erst im Jahre 2004 begonnen hat, somit aller Voraussicht nach noch im Aufbau ist und bereits neben dem Gründerverein über 15 neue Unternehmen beigetreten sind.
Der Kläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung auch imstande, seine satzungsmäßigen Aufgaben der Verfolgung gewerblicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen. Der Kläger verfügt nach seinem, von der Beklagten nicht hinreichend bestrittenen Vortrag über einen eigenen Vorstand mit neun Vorstandsmitgliedern, bei denen es sich um Repräsentanten renommierter, pharmazeutischer Unternehmen handelt, so dass von einer entsprechenden fachlichen Qualifikation auszugehen ist. Er hat eine eigene Geschäftsführung und Geschäftsräume, die sich von denen des Gründervereins unterscheiden. Der Kläger wird durch die Mitgliedsbeiträge in Höhe von c.a. 600.000 € mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet, die es ihm ermöglichen, seine Fixkosten aus der Existenz, seine Grundausstattung, Grundbetätigung und etwaige gegnerische Kostenerstattungsansprüche abzudecken.
Diese Umstände, die ordnungsgemäße Errichtung des Klägers sowie seine aktiven Tätigkeiten, die auf Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs gerichtet sind, begründen die unwiderlegte Vermutung der tatsächlichen Zweckverfolgung, wie sie in der Satzung dargelegt ist. Dabei hatte der Kläger seine aktive Tätigkeit auch bereits begonnen und entfaltet, als die Beklagte das streitgegenständliche Verhalten begangen hat.
Da die Mitglieder des Klägers ebenso wie die Beklagte bundesweit auf dem pharmazeutischen Markt tätig sind, berühren die wettbewerbsrechtlichen Handlungen der Beklagten die Interessen der Mitglieder des Klägers.
Mit der im Rahmen einer Anwendungsbeobachtung für das von der Beklagten produzierte und vertriebene Arzneimittel getroffenen Vereinbarung einer Aufwandsentschädigung, die entweder frei wählbar war oder in Form von bestimmten Elektronikgeräten für jeweils sieben, vierzehn oder zwanzig Patienten erfolgte, hat die Beklagte eine unlautere Wettbewerbshandlung begangen, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber und Verbraucher nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen.
Mit dem Versprechen, dem an der Anwendungsbeobachtung teilnehmenden Arzt für je sieben, vierzehn oder zwanzig ausgefüllte Dokumentationsbögen ein bestimmtes Elektronikgerät oder eine frei wählbare Honorierung zukommen zu lassen, hat die Beklagte eine Wettbewerbshandlung vorgenommen. Die Durchführung der Anwendungsbeobachtung weist Unternehmens- und Marktbezug auf, zielt objektiv auf die Förderung des Unternehmens der Beklagten und trägt die unwiderlegte Vermutung einer entsprechenden Förderungsabsicht in sich. Die von der Beklagten durchgeführte Anwendungsbeobachtung bezieht sich auf ein Arzneimittel, das von ihr selbst produziert und vertrieben wird. Da die Beklagte ein pharmazeutisches Unternehmen ist, liegt die - für die Annahme einer Absatzförderungsabsicht ausreichende - Vermutung nahe, dass die Beklagte mit der Anwendungsbeobachtung das Ziel verfolgte, die Marktstellung des von ihr produzierten und vertriebenen Arzneimittels durch die spätere Darstellung und Verbreitung positiver Ergebnisse der Studie zu stärken und dadurch den Absatz und Bezug dieses Arzneimittels zu fördern.
Diese Wettbewerbshandlung ist unlauter i.S.v. § 3 UWG. Mit der Honorierung der Teilnahme an der Anwendungsbeobachtung durch Sachleistungen oder völlig im Ermessen des Arztes stehende sonstige Leistungen, verstößt die Beklagte gegen §§ 5 Abs. 3 und 5, 4 Abs. 3 des Kodex des FS Arzneimittel e.V. (alte Fassung, entspricht § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 3 und 5 neue Fassung) sowie gegen die Ziffern 5.3, 5.5 und 4.3 der Verhaltensempfehlungen für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten. Diese Regelungen schreiben ausdrücklich vor, dass die Vergütung nur in Geld bestehen darf und die Geldleistung angemessen, möglichst orientiert an der Gebührenordnung für Ärzte sein soll. Allerdings folgt aus diesem Verstoß nicht zugleich die Unlauterkeit der Wettbewerbshandlung. Es handelt sich bei den genannten Regelwerken nicht um gesetzliche Vorschriften i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG. Ungeachtet dessen kommt den Verhaltensempfehlungen ebenso wie dem Kodex insoweit Bedeutung zu, als sie ein Indiz dafür darstellen, welches Wettbewerbsverhalten nach der Auffassung der beteiligten Verkehrskreise als unlauter anzusehen ist. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in einer Wettbewerbsrichtlinie auch eine besonders strenge Auffassung der beteiligten Berufskreis, ein Bemühen um vorbeugenden Schutz des lauteren Wettbewerbs, gegebenenfalls auch ein Versuch, den Wettbewerb zu beschränken, ihren Niederschlag gefunden haben kann und damit möglicherweise ein Fall vorliegt, in dem die Wettbewerbsrichtlinie die Freiheit des Wettbewerbs in einem Umfang beschränkt, der durch das Gebot der Lauterkeit des Wettbewerbs nicht gefordert wird; deshalb ist stets, wenn eine Wettbewerbsrichtlinie ein bestimmtes Verhalten als wettbewerbsrechtlich unzulässig bezeichnet, erforderlich, dass es auch vom Standpunkt der ebenfalls betroffenen Allgemeinheit aus als unlauter erscheint (BGH, GRUR 1991, 462, 463).
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es fraglich, ob der Verstoß gegen das pauschale Verbot, Aufwandsentschädigungen für Anwendungsbeobachtungen in Form von Sachleistungen zu erfüllen, zur Unlauterkeit der Wettbewerbshandlung führt. Ein tragender Gesichtspunkt, weshalb die Honorierung mittels Zahlung von 40 € zulässig, mittels eines Gegenstandes im Wert von 40 € aber nicht zulässig sein soll, ist allenfalls in der fehlenden Kontrollmöglichkeit des Wertes der Sachzuwendung zu sehen. Ob dies bereits vom Standpunkt der Allgemeinheit her die Wettbewerbshandlung als unlauter erscheinen lässt, erscheint fraglich, kann jedoch in diesem Fall dahin stehen. Denn die Honorierung erfolgte hier nicht bloß durch eine Sachleistung, die jeweils den Aufwand für das Ausfüllen eines Dokumentationsbogens entschädigte. Stattdessen wurde der Anreiz gesetzt, gewisse Zielvorgaben zu erreichen, nämlich sieben, vierzehn oder zwanzig Patientendokumentationen auszufüllen. Es ist nahe liegend, dass ein nicht unwesentlicher Teil des angesprochenen Verkehrskreises ( Ärzte ), der beispielsweise die Honorierung durch einen Laptop anstrebt, durch dieses Ziel in der Weise motiviert wird, dass er, wenn er bislang lediglich elf Dokumentationsbögen ausgefüllt hat, drei sich bietende Gelegenheiten, das von der Beklagten produzierte Arzneimittel verschreiben zu können, nutzt oder sogar sucht, um dadurch einen weiteren Anwendungsfall dokumentieren zu können. Die Zielvorgaben, die jeweils in Verbindung mit einer bestimmten Sachleistung stehen, bergen die Gefahr in sich, dass der Arzt nicht die Anwendung so häufig dokumentiert, wie er sie ohnehin verschreibt, sondern dass er bei knapper Unterschreitung einer solchen Zielvorgabe motiviert wird, noch ein oder zwei weiteren Patienten das Arzneimittel zu verschreiben. Dies wirkt sich sowohl zum Nachteil der Patienten, also der Verbraucher, als auch zum Nachteil der Mitbewerber aus. Denn ohne diese sachfremde Motivation hätte sich der Arzt möglicherweise für ein anderes Bluthochdruckmittel entschieden. Jedenfalls liegt für den siebten, vierzehnten oder zwanzigsten Patient der Verdacht nahe, dass der Arzt sich nicht allein von medizinischen Erwägungen und der Qualität der auf dem Markt zur Behandlung von Bluthochdruck zur Verfügung stehenden Arzneimitteln hat leiten lassen. Allein durch diesen Verdacht können negative Rückwirkungen auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung eintreten und das Gesundheitssystem und der diesbezügliche Wettbewerb Schaden nehmen.
Die Beschränkung der Beklagten dahingehend, keine mit bestimmten Zielvorgaben verbundenen Sachleistungen als Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an einer Anwendungsbeobachtung anzubieten, begrenzt die Beklagte auch nicht unangemessen in ihren geschäftlichen Interessen. Die Beklagte hatte zum Ziel, eine Anwendungsbeobachtung durchzuführen. Charakteristikum einer solchen ist gerade die weitestgehende Nichtbeeinflussung des behandelnden Arztes in Bezug auf Indikationsstellung sowie Wahl und Durchführung der Therapie im Einzelfall (vgl. Ziffer 1 der Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ( ) zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen vom 12.11.1998).
Bei widerspruchsfreiem Verhalten müsste es also gerade auch im Interesse der Beklagten liegen, die von ihr durchgeführte Anwendungsbeobachtung nicht durch motivierende Zielvorgaben zu verfälschen. Auf Gegenteiliges kann sich die Beklagte jedenfalls nach Treu und Glauben (venire contra factum proprium) nicht berufen.
In keiner Weise mehr zu kontrollieren ist die Angemessenheit der Aufwandsentschädigung und damit die Lauterkeit der Wettbewerbshandlung, wenn der Arzt im Einzelfall sein Honorar mit der Beklagten selbst aushandeln kann. Die hierdurch eintretende Gefahr der Verfälschung der Verschreibungstätigkeit des Arztes bezüglich des jeweiligen Arzneimittels ist nicht zu überblicken. Es ist nicht auszuschließen, dass auf diesem Wege "Aufwandsentschädigungen" versprochen werden, die zu dem durch das Ausfüllen eines oder mehrer Dokumentationsbögen entstehenden Aufwand in höchst unangemessenen Verhältnis stehen und so den Verdacht einer sachfremden Motivation zur Verschreibung dieses Arzneimittels begründen. Die oben bezüglich der Zielvorgaben aufgezeigten Konsequenzen für die Verbraucher und Mitbewerber gelten auch für diesen Fall.
Diese unlauteren Wettbewerbshandlungen sind auch geeignet, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Durch die Möglichkeit der Erreichung einer bestimmten Zielvorgabe, der durch das Versprechen einer bestimmten, vom Arzt eventuell angestrebten Sachleistung Attraktivität verliehen wird, bzw. durch die Möglichkeit der Erreichung eines völlig frei wählbaren Honorars für die Ausfüllung eines Dokumentationsbogens wird der allein an der Leistung orientierte Wettbewerb gefährdet. Dadurch wird zum einen der Patient als Verbraucher, der auf die medizinischen Kenntnisse des Arztes und dessen unbeeinflusster, allein an Leistung und Qualität orientierter Auswahl des Arzneimittels angewiesen ist, als auch die Mitbewerber geschädigt. Darüber hinaus würde bei Zulassung einer derartigen Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an Anwendungsbeobachtungen die Gefahr der Nachahmung eintreten. Denn neben der absatzfördernden Wirkung solcher Zielvorgaben ist die Art der Aufwandsentschädigung durch Sachleistungen, wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt wurde, für das die Anwendungsbeobachtung durchführende Unternehmen auch noch günstiger als die Honorierung in Form von Geldleistung, da es aufgrund der großen Mengen der Gegenstände Rabatte bei den Herstellerunternehmen erhalten kann.
Die Beklagte ist vom Kläger ergebnislos entsprechend § 12 Abs. 1 S. 1 UWG mit Schreiben vom 18.10.2005 abgemahnt worden.
Da die Beklagte die von ihr angebotene Art der Aufwandsentschädigung insbesondere in Form von Sachleistung bei der Erreichung einer bestimmten Anzahl von ausgefüllten Dokumentationsbögen für zulässig hält und sie als pharmazeutisches Unternehmen aller Voraussicht nach auch zukünftig Anwendungsbeobachtungen durchführen wird, bei der sie eine entsprechende Honorierung anbietet, ist die Wiederholung dieser unlauteren Wettbewerbshandlung zu besorgen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
Streitwert: 100.000 €
Q N C
LG Aachen:
Urteil v. 27.06.2006
Az: 41 O 6/06
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