Bundespatentgericht:
Urteil vom 28. September 2000
Aktenzeichen: 2 Ni 28/99

(BPatG: Urteil v. 28.09.2000, Az.: 2 Ni 28/99)

Tenor

I. Das europäische Patent 0 085 017 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 60.000,--vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 085 017 (Streitpatent), das am 20. Januar 1983 unter Inanspruchnahme der Priorität der französischen Patentanmeldung FR 8201383 vom 26. Januar 1982 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Französisch am 9. April 1986 veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 33 62 844 geführt wird, betrifft eine Vorrichtung zum Strecken, Verdichten und Zuführen einer Faserlunte während eines Spinnvorgangs. Es umfaßt 6 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 in der deutschen Übersetzung gemäß Patentschrift folgenden Wortlaut hat:

"1. Vorrichtung zum Strecken einer Faserlunte (1) während eines Spinnvorgangs, durch den die Faserlunte in Garn verwandelt wird, mit einem hinter dem eigentlichen Streckwerk (2) angeordneten Verdichtungselement, dadurch gekennzeichnet, daß das Verdichtungselement (6) eine bewegliche Führungsfläche aufweist, der die Fasern tangential zugeführt werden und die einerseits bestrebt ist, eine Zugkraft auf die Enden der Fasern auszuüben, und andererseits den Bereich begrenzt, über den die der Lunte von der Spinnvorrichtung erteilte Drehung zurückreicht, welche Führungsfläche als drehbare Führung ausgebildet und mit an eine Saugvorrichtung angeschlossenen Löchern (15) versehen ist."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte das Patent mit nachfolgendem eingeschränkten Anspruch 1 verteidigt:

"1. Vorrichtung zum Verstrecken einer Faserlunte (1) während eines von einem Spinnsystem mit Ring und Läufer ausgeführten Spinnvorganges, der es gestattet, sie in Garn umzuwandeln, mit einem eigentlichen konventionellen Strecksystem (2), welches durch ein Paar von Speisezylindern (3), ein System von Riemchen

(4)

und ein Paar von Streckzylindern (5) gebildet ist, wobei ein Verdichtungselement nach dem eigentlichen Strecksystem (2) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Verdichtungselement (6) sich in Form einer beweglichen Führungsfläche darstellt, auf die die Fasern tangential geliefert werden und die einerseits bestrebt ist, eine Zugkraft auf die Enden der Fasern auszuüben, und andererseits das Zurückgehen der Drehung, die durch das Spinnsystem erteilt wird, begrenzt, wobei die Führungsfläche sich in der Form einer Drehführung darstellt, die von Öffnungen

(15)

durchdrungen ist, die mit einer Saugquelle verbunden sind."

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents gehe in allen Fassungen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassunghinaus. Außerdem sei er aus der deutschen Patentschrift 1 039 422 neuheitsschädlich bekannt bzw. werde von dieser zumindest nahegelegt.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 085 017 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, daß an die Stelle des erteilten Patentanspruchs 1 der Patentanspruch 1 vom 28. September 2000 tritt, an den sich die Unteransprüche 2 bis 6 bei im übrigen unverändertem Wortlaut anschließen sollen ( Hauptantrag ).

Hilfsweise verteidigt sie das Patent gemäß Patentanspruch 1 laut Hilfsantrag vom 28. September 2000, an den sich die Unteransprüche 2 und 4 bis 6 bei im übrigen unverändertem Wortlaut anschließen sollen und beantragt die Klage im übrigen abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in den beschränkt verteidigten Fassungen für patentfähig.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"1. Vorrichtung zum Verstrecken einer Faserlunte (1) während eines von einem Spinnsystem mit Ring und Läufer ausgeführten Spinnvorganges, der es gestattet, sie in Garn umzuwandeln, mit einem eigentlichen konventionellen Strecksystem (2), welches durch ein Paar von Speisezylindern (3), ein System von Riemchen

(4)

und ein Paar von Streckzylindern (5) gebildet ist, wobei ein Verdichtungselement nach dem eigentlichen Strecksystem (2) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Verdichtungselement (6) sich in Form einer beweglichen Führungsfläche darstellt, auf die die Fasern tangential geliefert werden und die einerseits bestrebt ist, eine Zugkraft auf die Enden der Fasern auszuüben, und andererseits das Zurückgehen der Drehung, die durch das Spinnsystem erteilt wird, begrenzt, wobei die Führungsfläche sich in der Form einer Drehführung darstellt, die von Öffnungen

(15)

durchdrungen ist, die mit einer Saugquelle verbunden sind, und wobei die Ansaugung in der Zone unterdrückt ist, welche unmittelbar dem Punkt folgt, wo die Faserlunten-Verdichtungsfunktion verwirklicht ist."

Gründe

I.

Die Klage ist, soweit der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, in vollem Umfang begründet. Dabei kann offenbleiben, ob der Gegenstand des Streitpatents in den noch verteidigten Fassungen über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgeht, da er jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

II.

1. Zum Hauptantrag Das Streitpatent ist schon ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es in zulässiger Weise nicht mehr verteidigt wird (vgl Benkard, PatG 9. Aufl. § 22 Rdn 33 mit Rechtsberechnungsnachweisen). Im übrigen ist der Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag zwar unstrittig neu, denn keine der im Verfahren genannten Druckschriften beschreibt eine Vorrichtung zum Verstrecken einer Faserlunte während eines Spinnvorganges mit sämtlichen in diesem Anspruch aufgeführten Merkmalen. Diese Vorrichtung beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der DE-AS 1 178 749 (Anlage K5), Fig. 1 und 2 mit zugehöriger Beschreibung, ist eine Vorrichtung zum Verstrecken einer Faserlunte (Vorgarn 11) während eines von einem Spinnsystem mit Ring und Läufer (Ringspindel 29, Beschreibung Sp 4 Z 58/59) ausgeführten Spinnvorgangs, der es gestattet, sie in Garn umzuwandeln bekannt. Diese Vorrichtung weist ein Strecksystem (Streckwerk 15) auf, das mehrere Paare von Zylindern, die ua Speisezylinder (Eingangswalzenpaar 17, 19) und Streckzylinder (ua mittleres Walzenpaar 21, 23) umfassen. Gemäß der Beschreibung, Sp 2 Z 39-44 könnte das gezeigte Streckwerk auch mit Riemchen ausgerüstet sein, so daß offensichtlich ein "konventionelles" Strecksystem im Sinne des Patents vorliegt. Am Ausgang des Strecksystems, nämlich als untere Walze des Ausgangswalzenpaares 25, 27 und damit unmittelbar vor dem Spinnsystem, wie beim Gegenstand des Patentanspruchs 1, ist ein Verdichtungselement (Ausgangsunterwalze 27, vgl Beschreibung Sp 3 Z 9 -64) angeordnet. Damit entspricht dieses Streckwerk im wesentlichen der im Oberbegriff des Anspruchs 1 angegebenen Vorrichtung.

Doch auch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale sind bereits bei diesem Streckwerk nach K5 vorhanden. So stellt sich das Verdichtungselement in Form einer beweglichen Führungsfläche (Oberfläche der rotierenden Hohlwalze 27) dar, auf welche die Fasern tangential geliefert werden und die einerseits bestrebt ist, eine Zugkraft auf die Enden der Fasern auszuüben (Beschreibung Sp 5 Z 40 -55) und die andererseits das Zurückgehen der Drehung, die durch das Spinnsystem 29 erteilt wird, begrenzt (Beschreibung Sp 3 Z 964). Das Begrenzen der Drehung erfolgt an der Klemmstelle N im Zusammenwirken der Walzen 25 und 27. Die Führungsfläche des Verdichtungselements besteht aus einem um eine Achse drehbaren Zylinder (Hohlwalze 27), also einer Drehführung, die von Öffnungen (Luftdurchtrittsöffnungen 31 Fig. 1 bis 4 bzw 131a in den Figuren 6 und 7, Beschreibung Sp 3 Z 45 -64) durchdrungen ist, die mit einer Saugquelle (Saugleitung 33 und Gebläse 36 nach Fig 1) verbunden sind.

Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 lediglich dadurch, daß das Verdichtungselement nach dem eigentlichen Strecksystem angeordnet sein soll, während es nach K5 als Teil des Strecksystems ausgebildet ist. Dieser Unterschied beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da dem Fachmann bspw aus der DE-PS 1 039 422 (Anlage K7), Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung, eine gattungsgemäße Vorrichtung geläufig ist, bei der die Verdichtungseinrichtung (Teil C, Beschreibung Sp 3 Z 35 -37) nach dem eigentlichen konventionellen Strecksystem (Verziehteil B) angeordnet ist. Der Fachmann wird diese konstruktive Variante ohne weiteres für die in K5 beschriebene Vorrichtung in Betracht ziehen, da er hierdurch bspw mehr Flexibilität in der Gestaltung und Betriebsweise der einzelnen Funktionsgruppen erhält. Er gelangt somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Der Senat konnte auch in den auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüchen 2 bis 6 nichts von patentbegründender Bedeutung erkennen. Die Patentinhaberin hat hierzu auch nichts vorgetragen. Diese Ansprüche teilen somit das Schicksal des Hauptanspruchs.

2. Zum Hilfsantrag Der Gegenstand des Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag beruht ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Er unterscheidet sich von demjenigen nach dem Hauptantrag lediglich durch Anfügung der Merkmale "und wobei die Ansaugung in der Zone unterdrückt ist, welche unmittelbar dem Punkt folgt, wo die Faserlunten-Verdichtungsfunktion verwirklicht ist" am Ende des kennzeichnenden Teils.

Auch diese neu aufgenommenen Merkmale vermögen jedoch nicht das Zugrundeliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu begründen, da sie dem Fachmann aus dem einschlägigen Stand der Technik bekannt sind.

So ist schon beim Gegenstand von K5 die Saugzone am Verdichtungselement durch den Schuh 35 am Ende der Saugleitung 33 auf einen Bereich begrenzt, der durch den Kontaktbereich der Faserlunte 11 mit dem Verdichtungselement (Ausgangsunterwalze 27) definiert ist (Sp 3 Z 65 -Sp 4 Z 14). Damit ist die Besaugung in der Zone unterdrückt, die unmittelbar auf die Stelle folgt, in der die Faserlunten-Verdichtungsfunktion abgeschlossen ist (Sp 4 Z 59-64). Ein ähnlicher Sachverhalt ist auch beim Gegenstand von K7 gegeben, da auch dort die Saugzone (Kasten 34 zum Ansaugen, Sp 4 Z 19 -33) auf den Verdichtungsbereich begrenzt ist, wie in Figur 1 deutlich zu sehen ist. Diese Maßnahme bietet sich ohnehin an, da hierdurch die für den Betrieb der Vorrichtung erforderliche Saugleistung möglichst gering gehalten wird, wie der Fachmann ohne weiteres erkennt. Das zusätzliche Merkmal führt auch bei den Unteransprüchen 2 bis 5 zu keiner anderen Beurteilung als beim Hauptantrag.

III.

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.

Kurbel Dr. Henkel Gutermuth Frühauf Skribanowitz Na






BPatG:
Urteil v. 28.09.2000
Az: 2 Ni 28/99


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/996864e5ec32/BPatG_Urteil_vom_28-September-2000_Az_2-Ni-28-99




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share