Bundespatentgericht:
Urteil vom 28. Juni 2000
Aktenzeichen: 2 Ni 33/99
(BPatG: Urteil v. 28.06.2000, Az.: 2 Ni 33/99)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 700 126 wird im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist für die Klägerin im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 1. September 1994 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 700 126 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 594 04 901 geführt wird und einen Stecker für ein Kabel mit mehreren Adern betrifft.
Patentansprüche 1 bis 3 des insgesamt 10 Ansprüche umfassenden Streitpatents haben in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut: "1. Anordnung von einem Stecker und einem Kabel (1) mit mehreren Adern (2), welche von einem metallenen Schirm (3), der innerhalb einem Kabelmantel (4) verläuft, gemeinsam umschlossen sind, mit einem Steckergehäuse (5, 6), mit einer ersten Vorrichtung (7, 8) zum elektrischen Verbinden der Adern (2) mit je einem im Gehäuse angeordneten Steckerpol (11), wobei die Steckerpole zum Herstellen einer elektrischen Steckverbindung von außerhalb dem Gehäuse zugängliche sind, sowie mit einer zweiten Vorrichtung (12) zum elektrischen Verbinden des Schirmes (3) mit einem Masseoder Erdanschluß (13, 17), dadurch gekennzeichnet, dass die zweite Vorrichtung einen Ring (12) mit zumindest einer metallenen äußeren Mantelfläche (14) aufweist, der lose über das in den Stecker eingeführte Kabelende gelegt ist, dass der aus dem bis in den Bereich des Ringes (12) entfernten Kabelmantel (4) hervortretende Schirm (3) über die äußere Mantelfläche (14) des Ringes (12) geführt ist, und dass innerhalb dem Gehäuse, im wesentlichen entlang der gesamten äußeren Mantelfläche und gegenüberliegend zu dieser, ein elektrisches Kontaktorgan (16.1, 16.2) vorhanden ist, welches elektrisch mit dem Masseoder Erdanschluß (13, 17) verbunden ist.
2.
Anordnung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Ring ein Metallring (12) aus einem elektrisch gut leitenden Material oder ein mit einem Oberflächenüberzug aus einem elektrisch gut leitenden Material versehener Kunststoffring (12) ist.
3.
Anordnung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das elektrische Kontaktorgan ein Anschlagorgan (16.1, 16.2) ist, womit der Ring (12) innerhalb dem Gehäuse (5, 6) bezüglich der Längsachse (15) des Kabels (1) ortsfest gehalten ist, wobei das Anschlagorgan vorzugsweise eine im Gehäuse (5, 6) vorhandene, sich längs dem Umfang des Ringes (12) erstreckende Nut (16.1, 16.2) ist."
Wegen der Patentansprüche 4 bis 10 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, daß dem Gegenstand des Streitpatents die Patentfähigkeit fehle. Er sei nicht neu, zumindest beruhe er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hierzu beruft sie sich auf die folgenden vorveröffentlichten Druckschriften:
europäische Offenlegungsschrift 0 090 539 (Anlage A2); europäische Offenlegungsschrift 0 316 710 (Anlage A3); europäische Offenlegungsschrift 0 610 565 (Anlage A4); PCT-Offenlegungsschrift WO 94/10723 (Anlage A5);
Des weiteren bezieht sie sich auf die Seiten 21-78 und 1-114 bis 1-117 des Produktkataloges der Firma A..., von dem sie unter Beweisantritt behauptet, erstamme aus dem Jahr 1991 (Anlagen A6 und A18), sowie auf eine nach ihrer ebenfalls unter Beweis gestellten Behauptung aus dem Jahr 1988 herrührende Montageanleitung für AMP-Stecker AMP LIMITE HD-20 IS 6609 (Anlage A 24). Weiterhin ist sie der Auffassung, daß der gesamte Gegenstand des Streitpatents im "Katalog 1/94 BKS Kabelservice AG 30. August 94" der Beklagten im Abschnitt 5.1.2. auf den Seiten 4 und 5 mit den Artikelnummern 403-7430 und 403-7440 sowie 403-7445 bis 403-7447 vor dem Anmeldezeitpunkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sei (Anlagen A 11 bis A 17). Hilfsweise macht die Klägerin geltend, der mit der beanspruchten technischen Lehre angegebene und in der Patentschrift zeichnerisch dargestellte Erfolg, ohne Werkzeug auszukommen und den freigelegten Teil des Schirms so gleichmäßig umzustülpen und über den Ring zu führen, daß eine gleichmäßige, umfangsverteilte, auf der Mantelfläche sich an diese anschmiegende Belegung entstehe, sei nicht erreichbar, die technische Lehre daher nicht ausführbar.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 700 126 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragtdie Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, daß ihr "Katalog 1/94 B... AG 30. August 1994" zum Stand der Technik gehöre. Der 30. August 1994 sei das Datum, zu dem die Druckvorlage abschließend für den Druck aufbereitet worden sei, Lieferdatum der Druckerei für den gedruckten Katalog sei der 30. September 1994 gewesen. Die Vorveröffentlichung des von der Klägerin in Bezug genommenen AMP-Prospekts (Anlagen A6, A18) und der Montageanleitung (Anlage A24) hat die Beklagte zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt. Sie ist aber der Auffassung, daß der Inhalt dieser Druckschriften ebenso wie der übrige von der Klägerin genannte Stand der Technik dem Streitpatent nicht patenthindernd entgegenstehe.
Gründe
Die Klage, mit der die in Art. II § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a) iVm Art. 56 EPÜ und Art. 138 Abs. 1 lit b) EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht werden, ist nur teilweise begründet. Lediglich die in den Patentansprüchen 1 und 2 enthaltene Lehre ist dem Durchschnittsfachmann, einem Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Steckverbindern, durch den Stand der Technik, wie er insbesondere in der Montageanleitung für AMP-Stecker AMP IS 6609 dargestellt ist, nahegelegt.
I.
Das Streitpatent betrifft eine Anordnung von einem Stecker und einem -geschirmten -Kabel mit mehreren Adern, wie sie bei Gebäudeverkabelungen Verwendung finden. In der Beschreibungseinleitung wird zunächst auf bestehende und zukünftige Normen Bezug genommen, deren Anforderungen die patentgemäße Stecker-Anordnung erfüllen soll (Sp.1, Z 15 bis 30). Weiterhin wird in der Beschreibungseinleitung ausgeführt, daß es im Trend des technischen Fortschrittes liege, Gebäudeverkabelungen in Zukunft nicht mehr getrennt für Telefon, für EDV-Anlagen, für Videoanlagen etc., zu erstellen, sondern lediglich ein einziges Gebäudeverkabelungsnetz vorzusehen, über welches die Informationen und Daten von allen in Frage kommenden Diensten übertragen würden. Ein Anfang dazu sei mit ISDN (Integrated Services Digital Network) gemacht worden (Sp.1, Z 31 -38). Ebenfalls im Trend des technischen Fortschrittes liege es, immer größere Datenmengen immer schneller zu übertragen. Deshalb würden an Kabel und Stecker immer höhere Anforderungen zum Erreichen von bestimmten elektrischen Grenzdaten gestellt. Dies gelte insbesondere auch für den Anschluss des Schirmes des Kabels an den Stecker. Heute würden dazu üblicherweise metallene Clips, Ringe oder Anschlussfahnen mittels Werkzeugen um das Schirmende eines in einen Stecker eingeführten Kabelendes gelegt und mittels eines Crimpoder anderen Werkzeugs um den Schirm herum angepreßt. Zum Herausführen des Schirmes aus dem Steckergehäuse zu einem Erdanschluss könne beispielsweise der um das Schirmende gelegte Clip selbst eine radial zum Kabel gerichtete Anschlußfahne aufweisen, welche zum Anstecken eines Kabelschuhs einer Masseoder Erdleitung bestimmt sei. Es könne auch vorgesehen sein, daß zwischen das Schirmende und den um den Schirm gepreßten Teil ein Draht eingelegt sei, der eventuell vorgängig mit dem Schirm verlötet worden und als Erddraht aus dem Stecker herausgeführt sei. Es könne dazu auch ein in vielen Kabeln vorhandener parallel zum Schirm geführter Beilaufdraht verwendet werden (Sp. 1, Z 39 bis Sp. 2, Z 4).
Für alle diese im Streitpatent lediglich beispielsweise aufgeführten Anschlusstechniken für den Schirm werde aber stets ein Werkzeug benötigt. Durch das Aufdrücken, Aufpressen oder Umschliessen des Schirmes am Kabelende mit den genannten Techniken werde auf die Adern des Kabels ein radial gerichteter Druck ausgeübt, der die elektrischen Eigenschaften des Kabels verändern könne. Der aus dem Stecker herausgeführte Schirmabgriff gehe meistens von einem einzigen Punkt des Schirmes ab. Insbesondere die zwei letztgenannten Punkte seien einer weiteren Erhöhung der maximalen Übertragungsfrequenz, wie dies beispielsweise bei einem zukünftigen Verkabelungssystem der Klasse E vorgesehen sei, nicht förderlich.
Vor diesem Hintergrund nennt das Streitpatent als technisches Problem ("Aufgabe"), einen Stecker zu schaffen, bei dem der Schirmanschluß für ein Kabel mit mehreren Adern derart verbessert werde, daß die oben genannten Nachteile nicht auftreten.
Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 eine Anordnung von einem Stecker und einem Kabel mit mehreren Adern vor, die - ohne Bezugszeichen in Analogie zur Merkmalsanalyse der Klägerin vom 14. Januar 2000 - folgende Einzelmerkmale oder Merkmalsgruppen aufweist:
1) einen Stecker und 2) ein Kabel 2a) mit mehreren Adern, 2b) welche von einem metallenen Schirm, der innerhalb eines Kabelmantels verläuft, gemeinsam umschlossen sind, 3) ein Steckergehäuse 3a) mit einer ersten Vorrichtung zum elektrischen Verbinden der Adern mit je einem im Gehäuse angeordneten Steckerpol, 3b) wobei die Steckerpole zum Herstellen einer elektrischen Steckverbindung von außerhalb dem Gehäuse zugänglichsind, 3c) sowie mit einer zweiten Vorrichtung zum elektrischen Verbinden des Schirmes mit einem Masseoder Erdanschluß, 4) wobei die zweite Vorrichtung einen Ring 4a) mit zumindest einer metallenen äußeren Mantelfläche aufweist, 4b) der lose über das in den Stecker eingeführte Kabelendegelegt ist, 5) wobei der aus dem bis in den Bereich des Ringes entfernten Kabelmantel hervortretende Schirm über die äußere Mantelflächedes Ringes geführt ist, und 6) wobei innerhalb des Gehäuses, im wesentlichen entlang der gesamten äußeren Mantelfläche und gegenüberliegend zu dieser, ein elektrisches Kontaktorgan vorhanden ist, 6a) welches elektrisch mit dem Masseoder Erdanschluß verbunden ist.
Als weitere Ausgestaltung sieht der Anspruch 2 vor, daß 4) der Ring 4c) ein Metallring aus einem elektrisch gut leitenden Material oder 4d) ein mit einem Oberflächenüberzug aus einem elektrisch gut leitenden Material versehener Kunststoffring ist. Dem Anspruch 3 zufolge ist vorgesehen, daß 6) das elektrische Kontaktorgan 6b) ein Anschlagorgan ist, womit der Ring innerhalb dem Gehäuse bezüglich der Längsachse des Kabels ortsfest gehalten ist, 6c) wobei das Anschlagorgan vorzugsweise eine im Gehäusevorhandene, sich längs dem Umfang des Ringes erstrekkende Nut ist.
II.
Die Klägerin stützt ihre Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent zuletzt im wesentlichen auf die Montageanleitung IS 6609 für AMP-Stecker AMPLIMITE HD-20 aus dem Jahre 1988, vgl. Anlage 24, insbesondere Abschnitt 5. "Split Ring Ferrule Assembly" iVm den Figuren 6, 8 und 10 nebst zugehöriger Beschreibung.
Dort ist eine Anordnung aus einem Stecker (connector) und einem mehradrigen, mit einem gemeinsamen metallenen Schirm (braid) versehenen Kabel (cable) (Merkmale 1) bis 2b)) offenbart, dessen freiliegende Adern innerhalb eines zweiteiligen abschirmenden Steckergehäuses (cable clamp) aus Metall (zinc die cast) oder metallisiertem Kunststoff (plated plastic) zum Stecker (connector) geführt sind und mit von außen zugänglichen Steckerpolen oder -buchsen verbunden sind, vgl. dort zu den Merkmalen 3) bis 3b) die Figuren 6, 8 und 10 iVm Abschnitt 5. der zugehörigen Montageanleitung.
Des weiteren weist diese Anordnung einen metallenen Ring (split ring ferrule) auf, der lose, d.h. verschieblich (...slide the ferrule onto the cable), über das in den Stecker eingeführte Kabelende gelegt ist und über dessen äußere Mantelfläche der aus dem abgemantelten Kabel hervortretende Schirm (braid) geführt ist, vgl. zu den Merkmalen 4) bis 5) die Punkte 1. bis 3. auf Seite 4/5 der zugehörigen Montageanleitung sowie hinsichtlich des unbestrittenen Teilmerkmals "metallen", vgl. gutachtlich den zugehörigen AMP-Katalog aus dem Jahr 1991 Seite 1-116, unten zum Stecker AMPLIMITE HD-20 (Anlage 18) -Material der Federhülse (splitring ferrule) : Aluminium.
Schließlich wird gemäß dem Punkt 6. dieser Montageanleitung das Kabel und der Steckverbinder derart in die eine Steckergehäusehälfte eingesetzt, daß der Ring am inneren Zugentlastungsvorsprung (strain relief bar) anliegt und somit auch nach der Montage der zweiten Gehäusehälfte gemäß Punkt 7. der Montageanleitung verschieblich bleibt, da die Zugentlastungsvorsprünge (strain relief bar) der Steckergehäusehälften als elektrisches Kontaktorgan nur gegen den umgeschlagenen Schirm -jenseits des Rings -drücken und diesen dadurch elektrisch kontaktieren, vgl. zu den Merkmalen 4b) und 6) die Figuren 6 und 10 iVm den Einführungserläuterungen auf Seite 1, li Spalte, vorle und le Absatz zur Figur 1.
Soweit die Beklagte (Schriftsatz vom 5. Juni 2000 Seite 2, vorletzter Absatz) den Begriff "ferrule" als Preßklemme -d.h. als Ring, der auf das Kabel einen Druck ausübt -interpretiert, steht dem entgegen, daß dieser geschlitzte Ring (splitring ferrule) -wie dargelegt -auf dem Kabel verschiebbar ist, und -im Unterschied zu einer Crimphülse (crimp ferrule assembly -Fig. 11) -auch im montierten Zustand aufgefedert bleibt (slotted opening of ferrule -Fig. 10).
In dieser Montageanleitung ist zwar nicht explizit von einer elektrischen Verbindung des umgeschlagenen Schirms mit einem Masseoder Erdanschluß die Rede, jedoch ist diese Maßnahme bei geschirmten Steckverbindern für den Fachmann selbstverständlich, um Potentiale eindeutig festzulegen (Schirmerde), vgl. Merkmale 3c) und 6a). Auch sind die elektrischen Kontakte des Steckers gemäß dieser Montageanleitung zwar als Buchsen ausgebildet, jedoch impliziert dies für den Fachmann zugleich auch die hierzu komplementäre Ausbildung mit Steckerpolen, d.h. Kontaktstiften (vgl. hierzu BGH Mitt 1995, 220, 222 li Sp le Abs bis re Sp Abs 2 -"Elektrische Steckverbindung").
Die Anordnung nach dem Patentanspruch 1 ist demnach mangels Neuheit nicht patentfähig.
Nachdem der Ring (splitring ferrule) des AMP-Steckers AMPLIMITE HD-20 unbestritten aus Metall, nämlich aus Aluminium, besteht, können auch die weiteren Merkmale gemäß dem erteilten Patentanspruch 2 die Patentfähigkeit nicht begründen.
Daher hat auch die Anordnung nach Patentanspruch 2 keinen Bestand.
III.
Die Lehre des erteilten Patentanspruchs 3, der aufgrund seiner Rückbeziehung zumindest auch die Merkmale des Patentanspruchs 1 mitumfaßt, ist entgegen der Auffassung der Klägerin patentfähig.
a) Die erteilten Patentansprüche 1 bis 10 sind fraglos zulässig, da das Europäische Patentamt das Streitpatent mit zu den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 10 inhaltsgleichen Anspruchsfassungen erteilt hat, vgl. die EPA-Mitteilung nach Regel 51 (4) EPÜ vom 20. Mai 1997, Bl 20 der EPA-Akte.
b) Die Lehren der erteilten Patentansprüche 1 und 3 sind auch ausführbar, da diese Ansprüche dem zuständigen Fachmann iVm der Beschreibung die entscheidenden Maßnahmen vermitteln, durch die der elektrische Kontakt des über den Ring umgeschlagenen Schirms und zugleich die Zugentlastung des mehradrigen Kabels durch das Zusammenwirken des Ringes mit den Anschlagorganen iVm dem umgeschlagenen Schirm bewirkt wird, ohne daß dieses Kabel radial zusammengedrückt wird, vgl. Streitpatentschrift Spalte 2, 2. Absatz und den die Spalten 8 und 9 verbindenden Absatz.
Was den speziellen Einwand der Klägerin anbetrifft, daß der freigelegte Teil des Schirms nicht so umgestülpt und über den Ring geführt werden könne, daß eine gleichmäßig umfangsverteilte, auf der Mantelfläche sich an diese anschmiegende Belegung entstehe, muß auf die von der Klägerin selbst genannte Montageanleitung AMP-Stecker, Figur 6 hingewiesen werden, wo offensichtlich der geflochtene Schirm über den Ring mit gleichmäßiger Umfangsverteilung umgeschlagen ist. Hieraus ergibt sich, daß das richtige Umschlagen des Schirms mit gleichmäßiger Umfangsverteilung für den Fachmann ebenfalls ausführbar ist.
c) Der zweifelsohne gewerblich anwendbare (§ 5 PatG) Gegenstand gemäß Patentanspruch 3 ist neu (§ 3 PatG), wie es sich aus der nachfolgenden Abhandlung zur erfinderischen Tätigkeit ergibt.
d) Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 3 in seiner direkten Rückbeziehung auf den Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen, eingangs definierten Fachmanns.
Bei der Steckeranordnung nach der vorstehend abgehandelten Montageanleitung für AMP-Stecker IS 66 09, Abschnitt 5. iVm den Figuren 6, 8 und 10 wird zwar der innere Zugentlastungsvorsprung (strain relief bar) als einseitiges Anschlagorgan für den auch im montierten Zustand verschieblichen Ring (split ring ferrole), jedoch wird der Ring von diesem Anschlagorgan bezüglich der Längsachse des Kabels nicht in dem Sinne ortsfest gehalten, daß dieser im Zusammenwirken mit dem Anschlagorgan eine Zugentlastung des Kabels bewirken kann. Vielmehr wird gemäß dieser Montageanleitung der elektrische Kontakt zum umgeschlagenen Schirm und die Zugentlastung des Kabels durch Festklemmen des Kabels mittels der Zugentlastungsvorsprünge (strain relief bar) jenseits des Rings erreicht (vgl dort S 1, liSp vorle und le Abs).
Somit vermochte diese Montageanleitung dem Fachmann keinen Hinweis darauf geben, das elektrische Kontaktorgan (Merkmal 6) als Anschlagorgan derart auszubilden, daß es den Ring bezüglich der Kabellängsachse ortsfest hält (Merkmal 6b)), um so zugleich eine von Radialdrücken freie Zugentlastung des Kabels relativ zum Stecker zu realisieren.
Aber auch die weiteren, Steckeranordnungen für mehradrige geschirmte Kabel betreffenden Entgegenhaltungen können dem Fachmann nicht zu der Lehre des Patentanspruchs 3 anregen.
So geht die europäische Offenlegungsschrift 0 090 539 -soweit insbesondere den Figuren entnehmbar -nicht über den Inhalt der vorstehend abgehandelten Montageanleitung für AMP-Stecker IS 6609 hinaus.
Die Steckeranordnung für ein mehradriges, geschirmtes Kabel nach der europäischen Offenlegungsschrift 0 316 710 enthält zwar einen über das Kabelende aufgesteckten metallenen Ring (Stopfen 6), über dessen äußere Mantelfläche der Schirm (Abschirmnetz 3) geführt (umgestülpt) ist, jedoch wird dort die Zugentlastung des Kabels mittels Eindrückungen (14) des Halsteiles (8) des Ringes (6) in das Kabel (1) erreicht, vgl dort die einzige Figur iVm der Beschreibung Sp 1, Zeile 46 bis Spalte 2, Zeilen 19.
Daher vermag auch diese Druckschrift, den Fachmann nicht zu der erfindungsgemäßen Lehre des Patentanspruchs 3 anzuregen.
Die europäische Offenlegungsschrift 0 610 565 betrifft ebenfalls eine Steckeranordnung für mehradrige, geschirmte Kabel, bei der über das abgemantelte Kabelende (6, 7) ein Ring (konusartige Hülse 22) aufgeschoben ist, über dessen äussere Mantelfläche der Schirm (Schirmgeflecht) geführt (herumgelegt) ist, wobei der Ring (22) mit samt dem Schirm in einen Kabelhalter (5) aus Metall oder metallisiertem Kunststoff eingedrückt ist, um mittels dessen Rastnasen (24) eine feste leitende Verbindung zwischen dem Schirm und dem Kabelhalter (5) zu gewährleisten, vgl dort die Figuren 1 bis 4 iVm der zugehörigen Beschreibung, besonders auf Seite 3, Zeilen 10 bis 20. Ohne daß dies in der Entgegenhaltung angesprochen ist, mag sich durch die Maßnahme, daß jeder Kabelhalter (5) jeweils in eine U-förmige Querausnehmung (18) des Grundkörpers (11) eines Leistenhalters (8) eingesetzt ist (vgl. den Anspruch 3 iVm Seite 3, Absatz 3 zur Figur 3), zwar eine Zugentlastung des Kabels ergeben. Im Unterschied zum Streitpatent ist jedoch -wie dargelegt -zusätzlich zu dem Ring (22) ein spezieller Kabelhalter (5) erforderlich, der in einer Querausnehmung (18) des Grundkörpers (11) gehalten ist.
Somit vermag diese Druckschrift, den Fachmann nicht zu der erfindungsgemäßen Lehre des Patentanspruchs 3 anzuregen, gemäß der mittels des Anschlagorgans iVm dem ortsfest gehaltenen Ring eine von Radialdrücken freie Zugentlastung des Kabels bewirkt wird.
In der PCT-Offenlegungsschrift WO 94/10723 ist zwar das Problem einer zu starken radialen Quetschung des Kabels zum Zweck einer zuverlässigen Zugentlastung explizit angesprochen (vgl S 1, 2. Abs), jedoch führt die dort angegebene Lehre, derzufolge der Ring (Stützhülse 15) mit einem Innengewinde (21) an dessen Kontaktteil (19) auf das Kabelende aufgeschraubt, danach der Schirm (Kabelschirm 20) auf das Kontaktteil (19) umgestülpt und mittels eines Crimpelements (14) festgeklemmt wird (vgl Fig 3 und 4 nebst zugehöriger Beschreibung auf S 6, 2. Abs), von der erfindungsgemäßen Lehre nach dem Patentanspruch 3 weg. Daher vermag auch diese Entgegenhaltung den Fachmann nicht zur erfindungsgemäßen Lehre des Patentanspruchs 3 anzuregen.
Der übrige von der Klägerin genannte druckschriftliche Stand der Technik geht seinem Inhalt nach nicht über denjenigen der vorstehend abgehandelten Druckschriften hinaus, so daß auch diese Entgegenhaltungen die Lehre des Patentanspruchs 3 nicht nahelegen konnten.
Zur von der Klägerin geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung ist festzustellen, daß, selbst wenn als Publikationsdatum des BKS-Katalogs (Anlagen 10 bis 17) -entgegen den glaubwürdigen Ausführungen der Beklagten zum Publikationsdatum -der 30. August 1994 unterstellt würde, den Abbildungen dieses Katalogs die Lehren gemäß den zusammengefaßten Patentansprüchen 1 und 3, insbesondere das Teilmerkmal des lose über das in den Stecker eingeführte Kabelende gelegten Ringes, nicht entnommen werden kann. Ebensowenig kann aus dem Katalog die beanspruchte spezielle Lösung der Zugentlastungsproblematik entnommen werden, vgl. Anlage A12, Seite 4 Bauteile-Nr 403-7430 und 403-7440 iVm Seite 5 Bauteile-Nr 403-7445, 403-7446 und 403-7447 bzw Anlagen 13 und 14.
Somit konnte der BKS-Katalog -selbst bei unterstellter Vorveröffentlichung -, den Fachmann nicht zu der Lehre des Patentanspruchs 3 in seiner Rückbeziehung auf den Patentanspruch 1 anregen.
Daher ist der Patentanspruch 3 rechtsbeständig Nachdem die erteilten Patentansprüche 4 bis 10 weitere vorteilhafte Ausgestaltungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 3 betreffen, sind diese Ansprüche in ihrer Rückbeziehung auf den Patentanspruch 3 ebenfalls rechtsbeständig.
IV.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 84 Abs. 2 S. 2 PatG. Zwar ist mit der Nichtigerklärung vor allem des Patentanspruchs 1 der Gegenstand des Streitpatents erheblich eingeschränkt worden, da nunmehr nur noch Steckeranordnungen mit der speziellen Zugentlastung unter Schutz stehen. Der Senat hat aber gleichwohl die Kostenaufhebung aus Billigkeitsgründen für angemessen erachtet, um einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß die Klägerin erst im Termin vom 11. Mai 2000 die Klage erweitert und zusätzlich neuen Stand der Technik vorgelegt hat, was einen neuen Termin mit weiterem Kostenaufwand (auch) auf Seiten der Beklagten erforderlich gemacht hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit, die sich nur noch auf den Kostenerstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Gerichtskosten bezieht, beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Kurbel Meinel Gottschalk Baumgärtner Lokys Lo/Na/Ko
BPatG:
Urteil v. 28.06.2000
Az: 2 Ni 33/99
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