Bundespatentgericht:
Urteil vom 19. Februar 2004
Aktenzeichen: 4 Ni 6/03
(BPatG: Urteil v. 19.02.2004, Az.: 4 Ni 6/03)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 489 455 (Streitpatent), das am 21. November 1991 unter Inanspruchnahme der Priorität der schwedischen Patentanmeldung 9003863 vom 5. Dezember 1990 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 691 08 362 geführt wird, betrifft ein Schienenfahrzeugrad. Es umfasst 4 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut hat:
"Schienenfahrzeugrad mit einem Radmittelteil (1), einem mit Flansch versehenen Laufkranz (2) und einer Gummifüllung (3) in einem im allgemeinen U-förmigen, ringförmigen Zwischenraum zwischen dem Radmittelteil, dem Laufkranz (2) und einem Druckring (4), der an einer Seite des Radmittelteils (1) zum Halten der Gummifüllung (3) in ihrer Stellung angebracht ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Gummifüllung aus einem Gummiring (3) mit einem ringförmigen, axialen Körper (3'), der den ihm zur Verfügung stehenden Raum in dem Zwischenraum nicht vollständig ausfüllt, und auf jeder Seite davon aus einem dünneren Flansch (3'') besteht, der integral mit dem axialen Körper (3') verbunden ist und einen stumpfen Winkel von vorzugsweise 60¡ mit der Radachse bildet, und dass der Gummiring (3) bei der Montage leicht vorgespannt wird."
Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin behauptet, die Lehre des Streitpatents sei nicht ausführbar, nicht neu bzw beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:
- SE-A-315 915 (Anlage K5),
- CH-A-156 916 (Anlage K6/1) und CH-A-320 175 (Anlage K6/2), die als gemeinsame Anlage K6 eingereicht wurden,
- GB-A-895 520 (Anlage K7),
- DD 40 158 (Anlage K8),
- Brinkmann, Neue gummigefederte Räder für den Nahverkehr, ETR (26) 11-1977, S. 755 ff.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 489 455 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent für bestandsfähig.
Vom Senat wurde noch die DE-PS 857 302 in das Verfahren eingeführt, die der Beklagten aus dem Erteilungsverfahren zum parallelen US-Patent bekannt ist.
Gründe
Die zulässige Klage, mit der die in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a und b EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und mangelnden Ausführbarkeit geltend gemacht werden, ist nicht begründet.
Der Klägerin ist es nicht gelungen, den Senat vom Vorliegen der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu überzeugen.
1. Das Streitpatent betrifft ein Schienenfahrzeugrad - ein sogenanntes V-Rad - mit einem Radmittelteil, einem mit Flansch versehenen Laufkranz und einer Gummifüllung, die zwischen dem Radmittelteil, dem Laufkranz und einem Druckring angeordnet ist und als Gegensatz zu der starren Verbindung zwischen Radmittelteil und Laufkranz für eine gewisse Elastizität und damit auch Geräuschdämpfung sorgt. Nach der Patentbeschreibung ist bei einigen im Stand der Technik bekannten Rädern, bei denen die Gummifüllung V-förmig mit einem sehr offenen V ausgebildet ist, die vorhandene erhebliche Elastizität in axialer Richtung, in der der Gummi einer Scherung ausgesetzt ist, von Nachteil. Bei anderen Rädern sei eine größere Anzahl von Gummielementen in Umfangsringen zwischen dem Radmittelteil und dem Laufkranz angeordnet. Ein Rad dieser Bauart sei jedoch relativ kompliziert und teuer.
2. Vor diesem Hintergrund formuliert die Streitpatentschrift die Aufgabe, ein Rad zu erhalten, das eine einfache und verhältnismäßig billige Gestaltung des konventionellen V-Rades aufweist, aber eine größere Elastizität in radialer und bessere Steifigkeit in axialer Richtung hat und schwere Lasten tragen kann.
3. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäß ein Schienenfahrzeugrad, welches folgendes aufweist:
1. ein Radmittelteil 1;
2. einen mit Flansch versehenen Laufkranz 2;
3. eine Gummifüllung 3;
3.1. die Gummifüllung 3 ist in einem im allgemeinen U-förmigen, ringförmigen Zwischenraum zwischen dem Radmittelteil 1, dem Laufkranz 2 und einem Druckring 4 vorgesehen;
4. der Druckring 4 ist an einer Seite des Radmittelteils 1 zum Halten der Gummifüllung in ihrer Stellung angebracht;
3.2 die Gummifüllung besteht aus einem Gummiring 3, 3.2.1 der einen ringförmigen, axialen Körper 3' aufweist, der den ihm zur Verfügung stehenden Raum in dem Zwischenraum zwischen dem Radmittelteil 1, dem Laufkranz 2 und dem Druckring 3 nicht vollständig ausfüllt, und 3.2.2 der auf jeder Seite des axialen Körpers 3' einen dünneren Flansch 3 aufweist, 3.2.2.1 der Flansch 3 ist integral mit dem axialen Körper 3' verbunden und 3.2.2 bildet einen stumpfen Winkel von vorzugsweise 60¡ mit der Radachse;
3.2.3. der Gummiring 3 wird bei der Montage leicht vorgespannt.
Der vorstehend wiedergegebene, in Fig 4 des Streitpatentes im Querschnitt dargestellte Gummiring 3, der einen axialen Körper 3' und zwei dünnere Flansche 3'' aufweist, ist im Zwischenraum zwischen Radmittelteil 1, Laufkranz 2 und Druckring 4 angeordnet. Entgegen der Darstellung in der nebenstehend wiedergegebenen Fig 2 des Streitpatentes füllt der axiale Körper 3' des Gummirings 3 den ihm zur Verfügung stehenden Zwischenraum zwischen Radmittelteil 1, Laufkranz 2 und Druckring 3 nach dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 nicht vollständig aus. Bei geringen Belastungen geben die Flansche dem Rad dadurch eine gewisse Elastizität. Bei höheren Lasten wird auch der axiale Körper zunehmend wirksam, so dass sich insgesamt für das Rad eine progressive Federungscharakteristik ergibt.
4. Die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Erfindung ist im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Durchschnittsfachmann sie ausführen kann. Als solcher ist ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau anzusehen, der eine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet des Schienenfahrzeugbaus aufweist.
Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Klage geltend, dass der beanspruchte Gegenstand nicht ausführbar sei, da die Angabe im Patentanspruch 1
- "stumpfer Winkel von 60¡" für den Fachmann nicht nachvollziehbar sei,
- "leicht vorgespannt" unzutreffend und unbestimmt sei und - "dünner" für den Fachmann nicht erkennen lasse, um wie viel dünner die Flansche bemessen sein sollten als der axiale Körper.
Zum ersten Punkt führt sie im wesentlichen aus, dass dem Fachmann ein stumpfer Winkel von vorzugsweise 60¡ (Merkmal 3.2.2.2) nicht bekannt sei. Da in der gesamten Beschreibung und auch in den zugehörigen Zeichnungen keinerlei Hinweis oder Bezug auf die Winkelmessrichtung enthalten sei, könne auch unter Berücksichtigung der gesamten Unterlagen dieser Widerspruch nicht aufgelöst werden. Außerdem sei die Angabe im Merkmal 3.2.3 "leicht vorgespannt" völlig unbestimmt, da es für den Fachmann unmöglich sei zu wissen, was er unter "leicht" zu verstehen habe. Die Angabe im Merkmal 3.2.2, dass der axiale Körper auf jeder Seite einen "dünneren Flansch" habe, stelle zwar ein Verhältnis zwischen der Dicke des ringförmigen axialen Körpers und der Flansche her; für den Fachmann sei jedoch nicht erkennbar, um wie viel dünner die Flansche als der ringförmige axiale Körper bemessen sein sollten und ob beide Flansche in gleicher Weise dünner bemessen sein sollten oder nicht.
Es trifft zu, dass ein Winkel von 60¡ als spitzer Winkel bezeichnet wird, wohingegen ein stumpfer Winkel einen Wert von 90¡ bis 180¡ aufweist. Die von der Klägerin angegriffene Angabe, die in der Beschreibung im übrigen wiederholt wird, stellt somit einen Widerspruch in sich dar. Dies führt jedoch nicht zu einer mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung. Dieser Widerspruch im Merkmal 3.2.2.2 löst der Durchschnittsfachmann nämlich einfach durch einen Blick in die Figuren 2 bis 4 des Streitpatentes auf, die zeigen, dass die seitlichen Flansche 3 des Gummiringes 3 etwa V-förmig nach außen gerichtet sind, wobei zwischen der Außenseite der Flansche und der Radachse jeweils ein Winkel von 60¡ (spitzer Winkel) realisiert ist. Der gegenüberliegende Winkel beträgt übrigens 120¡ (stumpfer Winkel). Dieses Verständnis wird auch durch die im Streitpatent insgesamt vermittelte Lehre gestützt, nach der der wesentliche Unterschied zum konventionellen V-Rad, dessen Schenkel einen Winkel von 30¡ zur Radachse aufweisen, ua darin besteht, dass der Winkel der Schenkel auf 60¡ vergrößert ist (aaO S 6, Abs 2 und S 7, Abs 3 der dt Übersetzung des Streitpatentes). Eine derartige Winkeldefinition stimmt auch mit der in der Beschreibung angegebenen Wirkung einer Winkelvergrößerung überein, da eine Vergrößerung des Winkels nur bei einem spitzen Winkel zu einer Vergrößerung der Scherkräfte und einer Abnahme der Druckkräfte auf den Gummiring führt (aaO S 2, Abs 3 und S 6, Abs 2).
Unter "leicht vorgespannt" versteht der Fachmann unter Berücksichtigung des Offenbarungsgehaltes des Streitpatentes, dass der Gummiring 3 nach der Montage des Druckringes 4 nur so stark belastet ist, dass sein axialer Körper den Zwischenraum zwischen dem Radmittelteil, dem Laufkranz und dem Druckring nicht vollständig ausfüllt (aaO S 5, letzter Absatz). Die Kraftbegrenzung kann - wie in Fig 2 des Streitpatentes dargestellt ist - durch einen Absatz im Radmittelteil erreicht werden, gegen den der Druckring 4 beim Verschrauben stößt.
Auch der weitere von der Klägerin angeführte Grund greift nicht. Die Angabe im Merkmal 3.2.2 "dünnerer Flansch" legt fest, dass jeder Flansch 3 dünner als der axiale Körper ist 3'. Der Rest ist fachübliche Festlegung von sinnvollen Abmessungen.
5. Das im Patentanspruch 1 angegebene Schienenfahrzeugrad ist neu.
Das aus der DE-PS 857 302 bekannte Rad (vgl nachstehend wiedergegebene Figur 2 und die zugehörige Beschreibung S 2, Z 50 bis 67 dieser Schrift) kommt dem beanspruchten Schienenfahrzeugrad am Nächsten. Aus diesem Dokument ist ein elastisches Rad bekannt, das auch bei Schienenfahrzeugen eingesetzt wird (S 2, Z 27 bis 29), so dass es sich um ein Schienenfahrzeugrad handelt. Das Rad weist ein als Radnabe 1 bezeichnetes Radmittelteil, einen zweiteiligen Laufkranz 2, 3, dessen einer Teil 3 als Druckring wirkt, und eine Gummifüllung 5, 6, 8 auf - Merkmale 1, 3 des Patentanspruchs 1 und Merkmal 2 teilweise. Die Gummifüllung ist in einem etwa U-förmigen Zwischenraum zwischen Radmittelteil 1, Laufkranz 2 und Druckring 3 vorgesehen - Merkmal 3.1. Der Druckring 3 ist an einer Seite des Radmittelteils1 angebracht und hält die Gummifüllung in ihrer Stellung - Merkmal 4.
Das Radmittelteil 1 weist einen kegelstumpfförmigen Flansch 4 auf. Die Gummifüllung 5, 6, 8 besteht aus zwei Gummischichten 5, 6, die auf beiden Seiten des Flansches 4 angeordnet sind, und einer dünnen Gummischicht 8, die die Stirnseite des Flansches überdeckt. Alle Gummischichten werden auf den Flansch 4 aufvulkanisiert, so dass ein Gummiring entsteht - Merkmal 3.2. Die Gummischicht 8, die als ringförmiger axialer Körper ausgebildet ist, füllt den ihr zur Verfügung stehenden Raum bei weitem nicht aus, da sie lediglich als dünne, den Kegelstumpf 4 stirnseitig überdeckende Schicht ausgebildet ist (S 2, Z 55 bis 57 und Figur 2) - Merkmal 3.2.1 teilweise. Von jeder Seite der Gummischicht 8 stehen die Flansche 5, 6 ab, die durch das Aufvulkanisieren auf den kegelstumpfförmigen Flansch 4 des Radmittelteils integral mit der Gummischicht 8 verbunden sind und einen spitzen, etwa V-förmigen Winkel zur Radachse bilden - Merkmale 3.2.2.1 und 3.2.2.2 sowie Merkmal 3.2.2 teilweise. Der bekannte Gummiring wird offensichtlich bei der Montage lediglich leicht vorgespannt, da die Gummischichten den ihr zur Verfügung stehenden Zwischenraum nicht vollständig ausfüllen - Merkmal 3.2.3.
Demgegenüber unterscheidet sich der beanspruchte Gegenstand dadurch,
- dass der Laufkranz (2) mit einem Flansch versehen ist,
- dass der ringförmige, axiale Körper (3') den ihm zur Verfügung stehenden Raum nicht vollständig ausfüllt,
- dass die Flansche 3'' dünner sind als der axiale Körper (3).
Die DD 40 158 (K8) (vgl nebenstehende Figur) und die damit übereinstimmende SE 315 915 (K5) zeigen ein Schienenfahrzeugrad, das eine V-förmige Gummizwischenlage 7 zwischen einem Radmittelteil 1, 2, einem Druckring 4 und einem mit einem Flansch versehenen Laufkranz 6 aufweist. Am Scheitelpunkt des V-Profils der Gummizwischenlage ist ein nach innen gerichteter Wulst 8 ausgebildet, dessen Funktion nicht näher beschrieben ist. Der Gummiring einschließlich Wulst füllen den Zwischenraum zwischen Radmittelteil, Laufkranz und Druckring vollständig aus (aaO Sp 3, Z 37 bis 43, Sp 4, Z 13 bis 17 und Fig 2). Zur Verbesserung der Kraftübertragung und des Dämpfungsverhaltens sind die Schenkel der Gummizwischenlage 7 asymmetrisch und unterschiedlich dick ausgebildet (aaO Sp 3, Z 5 bis 20). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Wulst 8 nicht als axialer Körper im Sinne des Streitpatentes anzusehen, da er nicht zwischen den Flanschen angeordnet ist. Dies ergibt sich offensichtlich aus der Tatsache, dass die Außenkontur des Gummiringes keinen axialen Bereich aufweist, sondern wie die Innenkontur des Laufkranzes 6 V-förmig ausgebildet ist (aaO Fig 2).
Von diesem Gegenstand unterscheidet sich der Streitgegenstand nach Patentanspruch 1 somit durch die Merkmale 3.1 und 3.2.1 bis 3.2.3.
Aus dem ETR-Artikel (K9) ist ein übliches V-förmiges Schienenfahrzeugrad mit einer V-förmigen Zwischenschicht zwischen Radmittelteil und Laufkranz aus Gummi bekannt, die in Umfangsrichtung unterteilt ist (aaO S 757, linke Spalte, Abs 3 mit Bild 3). Diese Konstruktion unterscheidet sich zusätzlich zu den Merkmalen 3.1 und 3.2.1 bis 3.2.3 noch durch das Merkmal 3.2 vom Beanspruchten.
Die von der Klägerin zur Begründung der Klage genannten, jedoch nicht weiter aufgegriffenen Entgegenhaltungen GB 895 520 (K7) und CH 156 916 (K6/1) zeigen eine Gummifüllung zwischen Radmittelteil und Laufkranz, die aus zwei Gummiringen besteht. Die Gummiringe füllen zusammen einen etwa V-förmigen (K7) bzw U-förmigen (K6/1) Zwischenraum zwischen Radmittelteil, Laufkranz und Druckring aus, wobei bei K7 ein Freiraum 17 zwischen den beiden Gummiringen 15, 16 verbleibt. Die Flansche der Gummiringe sind mindestens so dick wie dessen axiale Teile.
Unterschiedlich hierzu ist beim Streitgegenstand die Ausbildung der Gummifüllung als einteiliger Gummiring mit den in den Merkmalen 3.2.1 bis 3.2.3 angegebenen Abmessungen.
Die Entgegenhaltung CH 320 175 (K6/2) zeigt lediglich eine Gummifüllung für einen V-förmigen Zwischenraum zwischen Radmittelteil 2 und Laufkranz 1, die aus einem oder mehreren Gummikörpern bestehen kann (aaO Fig 4, 5 und S 2, Z 16 bis 26 der Beschreibung). Es fehlt somit zusätzlich zu den Merkmalen 3.2 bis 3.2.3 noch das Merkmal 3.1 hinsichtlich der Form des Zwischenraums.
6. Ein Schienenfahrzeugrad mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 wird dem zuständigen Fachmann durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens nicht nahegelegt.
Wie den das Fachwissen darstellenden Prinzipskizzen in Bild 2 des ETR-Artikels (K9) zu entnehmen ist, hat der Gummiring bei gummigefederten Schienenfahrzeugrädern die Aufgabe, Radial-, Axial und Tangentialkräfte zu übertragen, durch die im Gummiring vorwiegend Druck- oder Schub-(Scher-)spannungen erzeugt werden. Bei Zwischenlage eines V-förmigen Gummiringes zwischen Radmittelteil und Laufkranz ist dieser je nach Öffnungswinkel bei den verschiedenen zu übertragenden Kräften mehr oder weniger auf Schub (Scherung) oder Druck beansprucht. Beim Patentgegenstand ist zusätzlich ein Teil des Gummiringes als axialer Körper ausgebildet. Dadurch erfolgt eine Aufteilung der Kraftübertragung. Zum einen übertragen die Schenkel des Gummiringes weitgehend die Axial- und Tangentialkräfte und in geringem Umfang Radialkräfte, wobei der axiale Körper - wegen des nicht vollständig, jedoch weitgehend ausgefüllten Raumes zwischen Radmittelteil, Laufkranz und Druckring - eine gewisse Elastizität in radialer Richtung aufweist. Bei Auftreten größerer Radialkräfte wird der axiale Körper zunehmend stärker wirksam und verleiht dem Rad eine progressive Federcharakteristik.
Hierfür liefert der zu berücksichtigende Stand der Technik keine Anregung.
Bei dem aus der DE-PS 857 302 bekannten Schienenfahrzeugrad erfolgt die Kraftübertragung allein durch die beiden Gummischichten 5, 6, die auf beiden Seiten des Kegelstumpfes 4 anvulkanisiert sind (aaO S 2, Z 27 bis 34). Die Gummischichten sind dabei auf Druck und auf Scherung beansprucht. Diese Gummischichten sind so gestaltet, dass bereits mit ihnen eine progressive Federwirkung erreicht wird. Die an der Stirnseite des Kegelflansches angeordnete dünne Gummischicht wird ausschließlich bei besonders starken Stößen allein auf Druck beansprucht (aaO S 2, Z 35 bis 40). Sie dient somit lediglich als Endanschlag, der erst dann wirkt, wenn der Kegelstumpf über den gesamten Zwischenraum zwischen der dünnen Gummischicht und dem Laufkranz eingefedert ist. Für den zuständigen Fachmann besteht keine Veranlassung, an dieser Anordnung Änderungen vorzunehmen, da diese Lösung seine Forderungen sowohl hinsichtlich der gewünschten progressiven Kennlinie als auch hinsichtlich eines Endanschlages erfüllt.
Auch die weiteren Entgegenhaltungen können keine Anregung in Richtung des beanspruchten Gegenstandes geben. Denn keine gibt eine Anregung, zwischen den beiden Schenkeln der bekannten V-förmigen Gummiringe einen integral mit ihnen verbundenen axialen Körper vorzusehen, der den ihm zur Verfügung stehenden Zwischenraum nicht vollständig ausfüllt. Da - wie bereits zur Neuheit ausgeführt wurde - die Dichtungsringe 7 nach den Entgegenhaltungen DD 40 158 (K8) und SE 315 915 (K5) ebenso wie die Dichtungsringe 8, 9 der CH 156 916 (K6/1) den zur Verfügung stehenden Zwischenraum vollständig ausfüllen, kann von ihnen allenfalls die Anregung ausgehen, auch beim Schienenfahrzeugrad nach der DE-PS 857 302 den gesamten Zwischenraum zwischen Radmittelteil, Laufkranz und Druckring vollständig mit dem Gummiring auszufüllen. Auf diese Weise wird die mit dem Streitgegenstand erzielte progressive Federcharakteristik jedoch gerade nicht erreicht.
Die GB 895 520 (K7) vermittelt die Lehre, zwei Gummiringe 15, 16 vorzusehen. Die Kraftübertragung erfolgt im wesentlichen im etwa V-förmig ausgebildeten Zwischenbereich der Ringe. Auch die CH 320 175 (K6/2) zeigt V-förmige Gummiringe, die ein- oder zweiteilig ausgebildet sein können. Beide legen somit nahe, auf einen axialen Körper vollständig zu verzichten. Dies trifft auch auf die Schienenfahrzeugräder nach dem ETR-Artikel (K9) zu. Denn dort sind bei den hier interessierenden Ausgestaltungen nach Fig 2b und Fig 3 die Gummiringe, die ein- oder mehrteilig ausgebildet sein können, ebenfalls in einem V-förmigen Zwischenraum zwischen Radmittelteil und Laufkranz angeordnet.
Für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit spricht außerdem der lange Zeitraum zwischen der Veröffentlichung aller im Verfahren befindlichen Druckschriften und dem Anmeldetag des Streitpatentes. Denn die Druckschriften sind zum Teil weit vor 1977 veröffentlicht worden, wohingegen das Streitpatent Ende 1990 erstmalig angemeldet wurde. Obwohl - von der Klägerin unbestritten - über diesen gesamten Zeitraum ein großes Bedürfnis nach gefederten Schienenfahrzeugrädern vor allem im Nahverkehrsbereich bestanden hat, ist die mit dem Streitpatent beanspruchte Lösung vom zuständigen Fachmann bis dahin nicht gefunden worden.
Als weiteres Beweisanzeichen, dass für das Auffinden des Streitgegenstandes eine erfinderische Tätigkeit erforderlich war, führt die Beklagte den großen wirtschaftlichen Erfolg an, den sie mit den streitpatentgemäßen Schienenfahrzeugrädern erzielt hat. Auch dieser Vortrag ist von der Klägerin unbestritten.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Richter Dr. Schwendy ist wegen Pensionierung an der Unterschriftsleistung verhindert.
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BPatG:
Urteil v. 19.02.2004
Az: 4 Ni 6/03
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