Bundespatentgericht:
Urteil vom 8. November 2001
Aktenzeichen: 3 Ni 39/00

(BPatG: Urteil v. 08.11.2001, Az.: 3 Ni 39/00)

Tenor

Das Patent 29 25 730 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des am 23. Juni 1979 angemeldeten Patents 29 25 730 (Streitpatent), für das die Priorität der amerikanischen Patentanmeldung 918834 vom 26. Juni 1978 in Anspruch genommen worden war. Das Streitpatent betrifft eine Koksofentür und umfasst 3 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung:

"Koksofentür mit einem der Türleibung der Ofenkammer zugekehrten, vom Türrahmen kragarmartig vorspringenden Dichtungselement, dessen zur Dichtungsfläche abgewinkelte, äußere Kante als Dichtungsschneide ausgebildet ist und mit einer bei Verriegelung der Tür die Dichtungsschneide über einen Spannrahmen belastenden Spannvorrichtung, dadurch gekennzeichnet, daß der Spannrahmen aus einer am Türrahmen befestigten und von diesem kragarmartig vorspringenden Federmembran (20) besteht, die über ihre zur Dichtfläche hin abgewinkelte Außenkante (44) mit dem Dichtungselement (30) auf dessen in der Dichtungsschneide endenden, ebenfalls zur Dichtfläche hin abgewinkelten Abschnitt (52) verbunden ist."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen unzulässig erweitert, und beantragt, das Patent 25 29 730 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die Klage ist zulässig.

Das von der Klägerin nachzuweisende Rechtsschutzinteresse für eine Nichtigkeitsklage gegen ein abgelaufenes Patent ergibt sich daraus, daß sie von der beklagten Patentinhaberin in einem Verletzungsverfahren in Anspruch genommen worden ist und daher ein eigenes, über das Interesse der Allgemeinheit hinausgehendes Interesse an der Nichtigerklärung des Streitpatents hat (s Schulte, PatG, 6. Aufl., § 81, Rdnrn 48, 49 mit Hinweisen zur Rspr.)

Auch in der Sache erweist sich die Klage als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 4 PatG. I.

1) Das Streitpatent betrifft eine Koksofentür gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1. Solche Türen müssen gut dichten, um zu verhindern, daß sich brennbare Teile zwischen der Tür und deren Leibungsfläche absetzen und dadurch Rauch, Gas und Flammen austreten. Durch die damit verbundene Wärmeentwicklung kann sich die Türleibung verziehen und es können Schäden sowie eine erhebliche Luftverschmutzung hervorgerufen werden.

Die aus dem Stand der Technik bekannten Maßnahmen wie einstellbare Druckfedern, mit denen der Druck der Ofentürklappe (US-PS 890 175, StrPS Sp 2 Z 3 - 23) oder der Dichtung (US-PS 2 442 348, StrPS Sp 2 Z 24 - 57) verändert werden kann, haben sich als unbefriedigend erwiesen, weil sie Undichtigkeiten nicht verhindern konnten. Dies gilt ebenso für die Vorrichtung nach der amerikanischen Patentschrift 3 881 995 (s StrPS Sp 2 Z 58 - Sp 3 Z 5), bei der die Dichtungskante über ein besonderes Element derart verbreitert wird, daß sie nicht mehr in den sich auf der Dichtfläche der zugehörigen Leibung absetzenden Kohlenstoff eindringen kann. Die amerikanische Patentschrift 3 984 310 (StrP Sp 3 Z 6 - 13) beschreibt eine Einrichtung, bei der am Türrahmen oder an der Leibung vorgesehene Brenner Ablagerungen verbrennen. Die Koksofentür gemäß der amerikanischen Patentschrift 3 875 018 (StrPS Sp 3 Z 13 - 22) verfügt über eine Dichtung, die sich durch Wärme festsetzt. Schließlich setzt die amerikanische Patentschrift 3 149 615 (StrPS Sp 3 Z 23 - 27) einen Verdampfer-Leibungsrahmen zur Abdichtung der Ofentür ein, wobei der Dampf in eine zwischen Tür und Leibung vorgesehene Dichtungskammer eingeleitet wird, während die Vorrichtung gemäß der deutschen Auslegeschrift 11 56 762 (StrPS Sp 3 Z 27 - 45) über eine gesonderte Sperrgaseinrichtung verfügt und hydraulische Spannvorrichtungen zeigt, die die Ofentür in ihrer Lage halten sollen.

2) Demgegenüber ist es Aufgabe des Streitpatents (StrPS Sp 3 Z 46 - 52), für eine Koksofentür der eingangs erwähnten Art eine Abdichtung zu schaffen, die im wesentlichen allein mit mechanischen Mitteln ausgestattet ist und in ihrer Zuverlässigkeit und Einsatzfähigkeit mindestens das Ergebnis von Einrichtungen, wie in der deutschen Auslegeschrift 11 56 762 beschrieben, erreicht.

3) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 1. eine Koksofentür mit einem Dichtungselement, dasa) der Türleibung der Ofenkammer zugekehrt ist, b) vom Türrahmen kragarmartig vorspringt undc) dessen zur Dichtungsfläche abgewinkelte äußere Kante als Dichtungsschneide ausgebildet ist;

2. mit einer Spannvorrichtung, die bei Verriegelung der Tür die Dichtungsschneide übereinen Spannrahmen belastet, 3. wobei der Spannrahmen aus einer Federmembran besteht, diea) am Türrahmen befestigt ist, b) vom Türrahmen kragarmartig vorspringt undc) eine zur Dichtfläche abgewinkelte Außenkante aufweist;

4. wobei die zur Dichtfläche hin abgewinkelte Außenkante der Federmembran mit einem Dichtungselement auf dessen in der Dichtungsschneide endenden, ebenfalls zur Dichtfläche hin abgewinkelten Abschnitt verbunden ist.

II.

Das Streitpatent war für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand über den Inhalt der Fassung der Anmeldung hinausgeht, in der diese bei der zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 3 PatG.

Die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1, 4 und 5 lauten:

1. Koksofentür mit einer in einer Öffnungsleibung des Ofens angeordneten eigentlichen Tür, einer zwischen Tür und Leibung vorgesehenen Dichtung, die ein ringsum die Tür herumführendes, schneidkantenartiges Dichtungselement und eine damit zusammenwirkende Dichtungsfläche aufweist, und einer Vorrichtung zur Erzeugung einer in Richtung der Türachse wirkenden, die Teile der Dichtung in Eingriff haltenden, elastischen Kraft, dadurch gekennzeichnet, daß am Hauptrahmen (16) der Tür (10) eine entlang des gesamten Verlaufs des schneidkantenartigen Dichtungselementes (30) auf dieses eine gleichmäßige Vorspannung ausübende Stützvorrichtung (42) angeordnet ist.

4. Koksofentür nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß am starren Hauptrahmen (16) eine um dessen Umfang herum sich erstreckende Membran (20) und eine Riegelvorrichtung (60, 60') angeordnet ist, mit der die Membran gleichförmig in Richtung auf die Leibung (12) vorspannbar ist.

5. Koksofentür nach Anspruch 4 dadurch gekennzeichnet, daß die Membran (20) eine Blattfeder in Form eines im wesentlichen rechteckigen Rahmens aus elastischem Material ist und unmittelbar einen Teil der Stützvorrichtung (42) für die Dichtungskante (30) überdeckt, wobei die Stützvorrichtung ebenfalls einen im wesentlichen rechteckigen, offenen Rahmen bildet.

Dazu ergänzt die ursprünglich Beschreibung auf Seite 8 Absatz 3:

"Der Hauptrahmen einer erfindungsgemäßen Koksofentür weist vorzugsweise eine Membran auf, die sich um den Umfang des Hauptrahmens herum erstreckt, und teilweise die Stütz- oder Trägervorrichtung der Dichtungsanordnung überlappt. Diese Membran ist vorzugsweise ein im wesentlichen rechteckiges Rahmenstück, das aus einem federnden Material so hergestellt ist, daß es in der Mitte der Längsausdehnung der Tür flexibel ist."

Und auf Seite 17 Absatz 2:

"Die Membran (20), siehe insbesondere Figur 10, kann als eine längliche Blattfeder angesehen werden."

Danach unterscheidet sich der erteilte Patentanspruch 1 vom ursprünglich offenbarten Gegenstand in den Merkmalen 3 und 4 (siehe oben).

Denn nach der ursprünglichen Offenbarung besteht die Dichtungsvorrichtung 18 für die Koksofentür 10 aus einem dichtenden Schneideelement (schneidkantenartiges Dichtungselement, Schneidkantenelement) 30 und einer Stütz- oder Trägervorrichtung (Stützglied, Dichtungskantenträgerelement) 42. Dabei besteht das Schneideelement 30 aus den Teilabschnitten 48, 50 und 52 und die Stütz- oder Trägervorrichtung 42 aus den Abschnitten 44 und 46 (vgl ursprüngliche Beschreibung Seiten 7/8 Brückenabsatz, Anspruch 1, S 8 Abs 3, S 11 Abs 2 bis S 12 und Fig 10). Die Funktion, die das ursprüngliche Stützelement 42 haben soll, wird im ursprünglichen Patentanspruch 1 dadurch beschrieben, daß auf das schneidkantenartige Dichtungselement (30) eine gleichmäßige Vorspannung ausgeübt werden soll. Das Material, das für die Stützvorrichtung verwendet werden soll, ist nicht beschrieben.

Fakultativ kann als zusätzliches Material zur Erhöhung der Vorspannung eine Membran 20 verwendet werden, die aus einem elastischen, federnden Material hergestellt ist und unmittelbar einen Teil der Stützvorrichtung 42 überdeckt (vgl ursprüngliche Patentansprüche 2 und 5 iVm S 8 Abs 3 und S 17 Abs 2). Eine solche Dichtungsvorrichtung ist in Figur 10 der ursprünglichen Unterlagen und der Patentschrift 29 25 730 dargestellt. Die Angaben zu Funktion und Material der fakultativ einsetzbaren Membran sind ausführlicher. Sie kann zur Verstärkung des Stützglieds eingesetzt werden und soll eine Blattfeder oder Membran sein (ursprüngliche Patentansprüche 4 und 5 iVm der ursprünglichen Beschreibung S 17 Abs 2), die aus elastischem, federndem Material hergestellt ist und unmittelbar einen Teil der Stützvorrichtung überdeckt (ursprüngliche Beschreibung S 8 Abs 3). Aus diesem Hervorheben der physikalischen Eigenschaften der Membran wird der Fachmann, ein Fachhochschulingenieur des Maschinenbaus, ableiten, daß das ursprüngliche Stützelement 42 andere physikalische Werkstoffeigenschaften aufweisen wird, als die fakultative zusätzlich eingesetzte Membran. Er wird auf eine relativ starre Konstruktion der Dichtvorrichtung 18 schließen, die aus dem Schneidelement (30) und der fest mit ihm verbundenen (zB durch Niete) Stützvorrichtung 42 besteht, die durch eine zusätzliche Federmembran - wie auch immer - noch verstärkt werden soll.

Nach dem erteilten Patentanspruch 1 enthält die Dichtungsvorrichtung 18 auch ein Schneideelement 30 mit den Abschnitten 48, 50 und 52. Jedoch entfällt dort die ursprüngliche zwingend notwendige, relativ starre Stütz- und Trägervorrichtung 42 mit den Abschnitten 44 und 46. Es wird jetzt vielmehr eine Koksofentür mit einer Dichtvorrichtung (18) beansprucht, bei der die Stützvorrichtung 42 nicht starr ist, sondern aus einem elastischen, federnden Material besteht.

Daß die ursprüngliche Stützvorrichtung 42 durch die Federmembran 20 mit neuer räumlicher Gestaltung ersetzt werden kann, ist aber aus den ursprünglichen Unterlagen nicht herleitbar.

Die Patentinhaberin ist zwar der Auffassung, daß die Ausführung der Stützvorrichtung als Federmembran ursprünglich offenbart sei; jedoch ist aus der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Unterlagen aufgrund der dort gezielt unterschiedlich verwendeten Begriffe "Stützvorrichtung" einerseits und "Membran" andererseits nicht herleitbar, daß eine federelastische Membran als Stützvorrichtung dienen kann (vgl BGH Mitt. 1999, S 304 bis 309 - Spannschraube; BGH GRUR 2001, S 232 bis 235 - Brieflocher).

Damit ist der erteilte Patentanspruch 1 jedoch unzulässig erweitert und das Patent für nichtig zu erklären.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Dr. Niklas Dr. Jordan Sredl Dr. Feuerlein Pr






BPatG:
Urteil v. 08.11.2001
Az: 3 Ni 39/00


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