Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 20. Mai 1998
Aktenzeichen: 6 U 24/98
(OLG Köln: Urteil v. 20.05.1998, Az.: 6 U 24/98)
Wird auf der Bundesversammlung eines Verbandes vor zahlreichen Teilnehmern seitens des Vorstandes unter dem hierfür vorgesehenen Tagesordnungspunkt und nach Diskussion davon abgeraten, die Internet-Service-Dienste eines bestimmten Anbieters in Anspruch zu nehmen, obliegt es dem von diesem - vermeintlichen - Boykottaufruf betroffenen Unternehmen, das zuvor bereits die Mitglieder des Verbandes angesprochen hatte und auf der Versammlung jedenfalls mit einem Informationsstand vertreten war, unmittelbar nach Verlautbarung gerichtliche Hilfe im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch zu nehmen. Wartet es bis zum Zugang des Protokolls über die Versammlung, der ca. zwei Monate später erfolgte, ist ein solches Verhalten dringlichkeitsschädlich.
Tenor
1.) Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 25.9.1997 verkündete Urteil des Landgerichts Bonn - 12 O 122/97 - abgeändert und im Hauptausspruch wie folgt neu gefaßt:Die durch Beschluß vom 30.7.1997 - 12 O 122/97 - erlassene einstweilige Verfügung wird aufgehoben und der auf ihren Erlaß gerichtete Antrag wird zurückgewiesen.2.) Die Kosten des Verfahrens auf Erlaß einer einstweili-gen Verfügung beider Instanzen hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie muß bereits deshalb Erfolg haben, weil der der einstweiligen Verfügung vom 30. 7.1997 zugrundeliegende Antrag unzulässig ist. Es kann daher die zweifelhafte Frage dahinstehen, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen eines Verfügungsanspruches glaubhaft gemacht hat. Dies ist allerdings insoweit ersichtlich nicht der Fall, als sie die Unterlassung der Äußerung sogar "in öffentlichen Mitteilungen gegenüber Letztverbrauchern" begehrt. Denn insoweit besteht auch nach der beanstandeten Äußerung des Antragsgegners in der Bundesversammlung und der Versendung der Protokolle an seine Mitgliedsschulen offenkundig weder eine Wiederholungs- noch eine Erstbegehungsgefahr.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist unzulässig, weil es an der erforderlichen Dringlichkeit fehlt. Diese wird in Wettbewerbssachen zwar vermutet (§ 25 UWG), die Vermutung ist aber durch das Verhalten der Antragstellerin widerlegt, die durch ihr Zuwarten gezeigt hat, daß ihr die Geltendmachung ihres angeblichen Anspruches nicht so eilig ist, als daß die längere Dauer eines Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden könnte.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts oblag es der Antragstellerin bereits nach den Äußerungen auf der Bundesversammlung selbst, ihre vermeintlichen Rechte in Anspruch zu nehmen.
Dem steht nicht entgegen, daß das gesprochene Wort in Einzelfällen ein geringeres Gewicht haben mag als das geschriebene und daß das Protokoll mit etwa 1.000 Mitgliedsschulen an einen größeren Empfängerkreis gerichtet war. Angesichts des Umstandes, daß die Zuhörer auf der Versammlung interessierte Vertreter von Musikschulen und damit von potentiellen Teilnehmern am Internet waren, ist es schon bedenklich, dem "nur" gesprochenen Wort eine wesentlich geringere Wirkung als dem geschriebenen zuzusprechen. Zudem handelt es sich bei der Zahl von 388 Zuhörern bei weitem nicht nur um einen kleinen Kreis potentieller Geschäftspartner der Antragstellerin.
Diese Überlegungen können indes sogar dahinstehen. Denn es oblag der Antragstellerin jedenfalls deswegen, unverzüglich nach der beanstandeten Äußerung gegen den Antragsgegner vorzugehen, weil bereits sicher absehbar war, daß dieser über die unmittelbaren Teilnehmer an der Bundesversammlung hinaus einem noch weit größeren Kreis interessierter Musikschulen zugänglich gemacht werden würde. Es wurde nämlich - wie dies auf derartigen Versammlungen selbstverständlich ist und daher auch der Antragstellerin bekannt war - ein Protokoll geführt, das den Mitgliedern später übersandt werden sollte und dementsprechend auch übersandt worden ist. Damit war bereits am 9.5.1997 für die Antragstellerin klar, daß die Äußerung in dem später tatsächlich erfolgten Umfang publik gemacht werden würde. Aus diesem Grunde hat sich die Dringlichkeit durch die Versendung des Protokolls nicht erhöht.
Das kann auch nicht etwa aus dem Weglassen des Wortes "zunächst" in dem Protokoll geschlossen werden, weil dies inhaltlich nahezu keinen Unterschied ausmacht. In der Versammlung ist ersichtlich das Ziel verfolgt worden, die Mitgliedsschulen dazu anzuhalten, sich dem von dem Antragsgegner installierten System anzuschließen. Das kommt auch unverändert durch die Fassung des Protokolls zum Ausdruck. Für diejenigen Schulen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - in das System nicht "Einlinken" wollen, verbleibt sodann - wie das Wort "zunächst" zum Ausdruck bringt - der übrige Markt der Anbieter. Das ist indes selbstverständlich und ergibt sich daher - wenn auch unausgesprochen - auch aus dem schriftlichen Protokoll, das damit nur stilistisch und marginal von der wörtlichen Fassung des Redebeitrages abweicht.
Es ist auch entgegen dem neuerdings erfolgenden Bestreiten der Antragstellerin davon auszugehen, daß diese bereits am 9.5.1997 von dem Inhalt des Redebeitrages erfahren hat.
Es ist zunächst völlig unglaubhaft, daß die Antragstellerin an der Versammlung - zumindest während der Behandlung des einschlägigen Tagesordnungspunktes 5.2 "Der VdM im Internet" - nicht teilgenommen haben will. Das ergibt sich aus dem naheliegenden erheblichen wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an diesem Punkt und ihrem übrigen Verhalten.
Die Antragstellerin hatte vor dem Kongreß Musikschulen angeschrieben und für ihr Produkt geworben. Sie hatte dabei sogar - was zu der protokollierten Äußerung des hierüber befremdeten Antragsgegners geführt hat - selbst zu dem Kongreß "eingeladen". Sie unterhielt überdies mit dem alleinigen Ziel, ihr Produkt zu vermarkten, auf dem Kongreß einen Stand. Darüberhinaus war ihr die ablehnende Haltung des Antragsgegners aus dessen Schreiben vom 8.5.1997 bekannt, woraus die Antragstellerin wußte, daß der Antragsgegner sich auf der Bundesversammlung nicht für ihr Produkt aussprechen würde. Schließlich hatte sie als Mitglied des Antragsgegners auch die Befugnis, an der Versammlung teilzunehmen.
Angesichts der vorstehenden Umstände ist es nahezu ausgeschlossen, daß die Antragstellerin die Gelegenheit versäumt haben könnte, die Einstellung und Begründung des Antragsgegners aus erster Hand in Erfahrung zu bringen und möglicherweise durch einen eigenen Beitrag auf die Entscheidung Einfluß zu nehmen. Jedenfalls aber ist dies von der Antragstellerin, die ohne nähere Erklärung lediglich bestreitet, an der Bundesversammlung teilgenommen zu haben, nicht glaubhaft gemacht worden. Es kommt hinzu, daß die Antragstellerin, die die entsprechende Darstellung in dem landgerichtlichen Urteil auch nicht als unrichtig rügt, der Behauptung des Antragsgegners, sie habe (auch) an der Bundesversammlung teilgenommen, in erster Instanz nicht widersprochen hat.
Nachdem die beanstandete Äußerung bereits am 9.5.1997 auf der Bundesversammlung gefallen war, hat die Antragstellerin durch die späte Abmahnung vom 11.7.1997 gezeigt, daß ihr die Verfolgung ihrer angeblichen Rechte nicht eilig ist. Es wäre ihr nämlich ohne weiteres möglich gewesen, in wesentlich kürzerer Frist als nach über 2 Monaten den Antragsgegner abzumahnen oder sogleich den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 545 Abs.2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 25.000 DM.
OLG Köln:
Urteil v. 20.05.1998
Az: 6 U 24/98
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