Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Januar 2002
Aktenzeichen: 15 W (pat) 33/00
(BPatG: Beschluss v. 14.01.2002, Az.: 15 W (pat) 33/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse G01N des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. April 2000 aufgehoben und das Patent erteilt.
B e z e i c h n u n g : Vorrichtung zur Optimierung der Behandlung von Nierenleiden A n m e l d e t a g : 3. Mai 1999 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 6, eingegangen am 6. Dezember 2001 Beschreibung Seiten 1 bis 6, eingegangen am 6. Dezember 2001 1 Blatt Zeichnung, eingegangen am 3. Mai 1999
Gründe
I.
Die Anmelderin reichte am 3. Mai 1999 beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung
"Verfahren und Vorrichtung zur Optimierung der Behandlung von Nierenleiden"
ein, die am 14. Dezember 2000 in Form der DE 199 20 233 A1 veröffentlicht wurde.
Mit Beschluß vom 27. April 2000 wies die Prüfungsstelle für Klasse G01N des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurück. Dem Beschluß lagen die am 15. Oktober 1999 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 11 zugrunde. Der Patentanspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:
Verfahren zur Ermöglichung einer Optimierung der Medikation und Behandlung von Nierenleiden, d a d u r c h g e k e n n z e i c h- n e t , dass die Atemluft und/oder die volatilen Anteile des Urins des Patienten mittels einer Gasanalyse analysiert und aus Abweichungen des Gehalts an vorgebbaren Analyten von einem Normalzustand ein Maß für die Dringlichkeit einer Dialyse und/oder für die Klassifizierung des Patientenzustandes in einem vorgegebenen Medikationsplan bestimmt wird.
Die Zurückweisung der Anmeldung wurde hauptsächlich damit begründet, daß das Verfahren nach Patentanspruch 1 ein Diagnostizierverfahren betreffe, das Teil eines therapeutischen Verfahrens zur Behandlung des menschlichen Körpers sei, welches im Sinne von § 5 PatG nicht als gewerblich anwendbare Erfindung angesehen werden könne.
Gegen diesen Beschluß hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt und mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 neue Unterlagen mit 6 Patentansprüchen eingereicht, die folgenen Wortlaut haben:
"1. Vorrichtung zur Optimierung der Medikation und Behandlung von Nierenleiden durch Analyse der Atemluft und/oder der volatilen Anteile des Urins des Patienten, g e k e n n z e i c h n e t d u r c h ein Blas- und/oder Saugrohr mit gegebenenfalls angeschlossener Saugquelle, an die ein Gasdetektor in Form eines Olfaktometers mit einer nachgeschalteten Speicher- und einer ein selbstlernendes Dialysemodell umfassenden Auswerteeinheit angeschlossen ist, wobei die Auswerteeinheit aus Abweichungen des Gehalts an vorgebbaren Analyten von einem Normalzustand ein Maß für die Dringlichkeit einer Dialyse und/oder für die Klassifizierung des Patientenzustandes in einem vorgegebenen Medikationsplan bestimmt und wobei mittels des selbstlernenden Dialysemodells auf der Basis bereits vorhandener Meßdaten und gegebenenfalls zusätzlicher physiologischer Informationen Medikations- und Behandlungsvorschläge errechnet werden.
2. Vorrichtung nach Anspruch 1, d a d u r c h g e k e n n -z e i c h n e t, dass dem Blas- und/oder Saugrohr wenigstens ein Adsorptionsröhrchen mit einem auf ein oder mehrere der überwachten Analyten spezifisch ansprechenden Adsorbens nachgeschaltet ist, das die Analyten aus der Luftprobe herausfiltert, wobei das/die Adsorptionsröhrchen umschaltbar an ein kleines Meßvolumen des Gasdetektors anschließbar ist, um die über einen Thermodesoptionsprozess wieder freigesetzten Analyten in konzentrierter Form wieder untersuchen zu können.
3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e- k e n n z e i c h n e t, dass der Gasdetektor ein Gaschromatograph ist.
4. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e- k e n n z e i c h n e t, dass der Gasdetektor ein Massenspektrometer ist.
5. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e- k e n n z e i c h n e t, dass der Gasdetektor ein spezifischer Gassensor ist.
6. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, d a d u r c h g e- k e n n z e i c h n e t, dass der Gasdetektor ein Array aus unspezifischen Gassensoren ist."
Zur Begründung ihrer Beschwerde hat die Anmelderin insbesondere vorgetragen, daß durch das Abstellen der nunmehr geltenden Unterlagen auf eine Vorrichtung, die Bedenken der Prüfungsstelle gegenstandslos geworden seien.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und ein Patent unter Zugrundelegung der mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2001 eingereichten und am 6. Dezember 2001 eingegangenen Unterlagen und der ursprünglich eingereichten Figur zu erteilen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II Die Beschwerde ist zulässig (PatG § 73) und unter Berücksichtigung des jetzt vorliegenden Patentbegehrens auch begründet.
Bezüglich ausreichender Offenbarung des Gegenstandes der Patentansprüche 1 bis 6 bestehen keine Bedenken, da deren Merkmal aus den ursprünglichen Unterlagen herleitbar sind (vgl Erstunterlagen Ansprüche 1 und 2 sowie 5 bis 11 iVm S 4 Abs 4 und S 6 Abs 3).
Die Neuheit des Gegenstandes gemäß Patentanspruch 1 ist anzuerkennen.
Gegenstand dieses Patentanspruchs ist eine Vorrichtung
(1) zur Optimierung der Medikation und Behandlung von Nierenleiden
(2) durch Analyse
(2.1) der Atemluft und/oder
(2.2) der volatilen Anteile des Urins des Patientengekennzeichnet durch
(3) ein Blas und/oder Saugrohr
(3.1) mit gegebenenfalls angeschlossener Saugquelle, an die
(4) ein Gasdetektor in Form eines Olfaktometers angeschlossen ist, dieses weist eine
(5) nachgeschaltete Speichereinheit und
(6) eine Auswerteeinheit auf,
(6.1) die aus Abweichungen des Gehalts an vorgebbaren Analyten von einem Normalzustand ein Maß für die Dringlichkeit einer Dialyse und/oder für die Klassifizierung des Patientenzustandes in einem vorgebbaren Medikationsplan bestimmt
(6.2) und die ein selbstlernendes Dialysemodell umfaßt, das auf der Basis bereits vorhandener Meßdaten und gegebenenfalls zusätzlicher physiologischer Informationen Medikations- und Behandlungsvorschläge errechnet.
Zwar wird in der DE 3 823 736 A1 (5) ebenfalls eine Vorrichtung zur Prüfung menschlicher Ausatemluft, dort zum Nachweis von Halitose, beschrieben, die ebenfalls die anmeldungsgemäßen Merkmale (2), (2.1), (3), (4), (5) und (6) aufweist (vgl Anspruch 1 iVm Sp 2 Z 63 bis 67 und Sp 12 Z 49 bis Sp 13 Z 4). Eine mit einem selbstlernenden Dialysemodell gemäß Merkmal (6.2) programmtechnisch eingerichtete Auswerteeinheit ist dieser Druckschrift jedoch nicht zu entnehmen.
Dies gilt auch für die weiteren im Prüfungsverfahren ermittelten Druckschriften.
So betrifft die DE 2 624 384 A1 (1) ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Bestimmung von Harnstoff in Blut, wobei eine mit immobilisierter Urease gepackte Säule mit dem aus einer künstlichen Niere ausströmenden Dialysat in Kontakt gebracht und der dabei gebildete Ammoniak mit einer Gaselektrode bestimmt und über den erhaltenen Meßwert mit Hilfe einer Rechenschaltung die Harnstoffkonzentration im Blut und bestimmte die Dialyse betreffende Faktoren berechnet werden (vgl Anspruch 1 und 2).
Die FR 2 695 208 A1 (2) hat ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Bestimmung von volatilen Produkten der Peroxidation von mehrfach ungesättigten Fettsäuren, zB von Ethan und Pentan in der Atemluft mittels thermischer Desorption und Gaschromatographie nach zunächst erfolgter Adsorption dieser Gase zum Gegenstand (vgl Ansprüche 1 und 5).
In der DE 3 932 784 A1 (3) wird ein Verfahren zur Diagnose des Gesundheitszustandes sowie zur Therapieüberwachung von Krankheiten der Lunge und der Atemwege beschrieben, bei dem flüchtige und insbesondere nichtflüchtige Substanzen ohne oder mit vorhergehender Anreicherung, zB massenspektroskopisch analysiert werden (vgl Ansprüche 1 bis 4 und 8).
Die DE 19 710 525 A1 (4) betrifft eine Vorrichtung zur Probenahme in fluiden Phasen mit einem Diffusionskörper in Form einer speziell ausgebildeten und angeordneten, analytbevorzugenden Diffusionsmembran (vgl Anspruch 1).
Die DE 42 09 200 A1 (6) hat eine Vorrichtung zur Untersuchung von Gasen, insbesondere Atemluft, nach Verunreinigungen mit mehreren Untersuchungskanälen zum Gegenstand, die unabhängig voneinander über einen Zeitmechanismus geöffnet und geschlossen werden können (vgl Anspruch 1).
In der Literaturstelle "Meas. Sci. Technol. Vol 9 (1998) S 120 bis 127" (7) wird die Verwendung einer elektronischen Nase zur Erkennung und Bestimmung der Wachstumsphase spezieller Bakterienarten durch Gasanalyse der von diesen erzeugten gasförmigen Sekundärmetaboliten beschrieben. Die Vorrichtung enthält neben sechs Metalloxid-Geruchssensoren und Gasleitungen auch eine Auswerteeinheit, die einen lernenden Algorithmus umfaßt (vgl Abstract iVm Fig 2). Ein selbstlernendes Dialysemodell, das auf Basis bereits vorhandener Meßdaten und gegebenenfalls zusätzlicher physiologischer Informationen Medikations- und Behandlungsvorschläge bei Nierenleiden errechnet, gemäß vorliegendem Merkmal (6.2) ist jedoch auch dieser Druckschrift nicht entnehmbar.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, eine Vorrichtung zur Optimierung der Medikation und Behandlung von Nierenleiden bereitzustellen, durch die bisher übliche, aufwendige Untersuchungsmethoden, wie die Bestimmung der Blut- und Urinzusammensetzung entfallen können.
Gelöst wird diese Aufgabe durch eine Vorrichtung mit den vorstehenden Merkmalen (1) bis (6.2) mit der die Atemluft oder volatile Anteile des Urins des Patienten mit Hilfe eines Olfaktometers analysiert und die erhaltenen Daten über ein selbstlernendes Dialysemodell ausgewertet werden.
Die Entwicklung dieser Vorrichtung beruht auf der Erkenntnis, daß zwischen einem in der Ausatemluft des Patienten wahrnehmbaren Geruch, der durch Aminoverbindungen, wie Ammoniak, Methyl-, Dimethyl- und Trimethylamin verursacht wird und der Beeinträchtigung seiner Nierenfunktion ein bestimmter Zusammenhang besteht. Durch Erfassen und Bewertung der Konzentration dieser Stoffe mit der anmeldungsgemäßen Vorrichtung kann sowohl die erforderliche Medikation als auch der Zeitpunkt einer anstehenden Dialyse einfach und ohne den Patienten zu belasten ermittelt werden (vgl S 3 Abs 4 bis S 4 Abs 1 iVm S 5 Abs 3 der ursprünglich eingereichten Unterlagen).
Erst in Kenntnis dieses Zusammenhangs war es somit möglich, die anmeldungsgemäße Vorrichtung mit Olfaktometer und selbstlernendem Dialysemodell bereitzustellen.
Wie sich bereits aus der vorstehenden Erörterung der entgegengehaltenen Druckschriften zur Neuheit ergibt, ist diese Erkenntnis, die Grundvoraussetzung zur Entwicklung der beanspruchten Vorrichtung war, aus keiner dieser Druckschriften herleitbar. Damit kann die Bereitstellung einer Vorrichtung zur Optimierung der Medikation und Behandlung von Nierenleiden, wie sie im vorliegenden Patentanspruch 1 charakterisiert wird, durch diesen Stand der Technik auch nicht nahegelegt werden. Denn dort finden sich, auch bei gemeinsamer Betrachtung dieser Druckschriften, keine Anregungen dahingehend, einen Gasdetektor in Form eines Olfaktometers mit einer Auswerteeinheit auszurüsten, die ein selbstlernendes Dialysemodell umfaßt, das auf Basis bereits vorhandener Meßdaten und gegebenenfalls zusätzlicher physiologischer Informationen Medikations- und Behandlungsvorschläge für Patienten mit Nierenleiden errechnet.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist somit neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so daß dieser Anspruch gewährbar ist.
Das gleiche gilt für die auf dem Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6, die bevorzugte Ausführungsformen betreffen.
Kahr Niklas Jordan Harrer Hu
BPatG:
Beschluss v. 14.01.2002
Az: 15 W (pat) 33/00
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