Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Mai 2005
Aktenzeichen: 8 W (pat) 332/02

(BPatG: Beschluss v. 12.05.2005, Az.: 8 W (pat) 332/02)

Tenor

Das Patent 198 51 320 wird widerrufen.

Gründe

I Das Patent 198 51 320 mit der Bezeichnung "Angußvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge" wurde am 06. November 1998 beim Patentamt angemeldet. Mit Beschluss vom 22. Februar 2002 wurde hierauf das Patent erteilt und am 01. August 2002 dessen Erteilung veröffentlicht.

Gegen das Patent haben am 29. Oktober 2002 Herr S..., Liederbacher Weg in H...

(Einsprechender 1)

und die Firma H... GmbH + Co. KG.

Im Wiesental in L...

(Einsprechende 2) Einspruch erhoben.

Der Einsprechende 1 ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Patents nach § 21 Abs. 1 Satz 3 PatG widerrechtlich entnommen und dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unzulässig erweitert worden sei.

Die Einsprechende 2 ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Patents nach § 1 bis 5 PatG nicht patentfähig sei und dass eine unzulässige Erweiterung vorliege (§ 21 Abs. 1 Satz 4 PatG).

Sie stützt ihren Einspruch auf folgende Druckschriften:

1. "Plastverarbeiter" 1996, S. 22, Fachbeitragvon Heinz Sowa, 2. "Der Stahlformenbauer" 1/98, Jan/Feb 1998, S. 56, 3. "Einblick in die Konstruktion von Spritzgußwerkzeugen"

von Ing. Karl Mörwald, 1966, 4. "Anleitung für den Bau von Spritzgießwerkzeugen", Menges und Mohren, Carl Hanser Verlag München Wien, 1983, S. 124 bis 126.

In der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2005 hat der Einsprechende 1 die Ansicht vertreten, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber den eingereichten Unterlagen unzulässig erweitert sei, da weder in der Beschreibung noch in den Patentansprüchen der Begriff "Metall-Kunststoff-Verbundstoff" aufgeführt sei und dass in der hergestellten Angußvorrichtung kein Kunststoff mehr enthalten sein könne, da dieser infolge der beim Sintern (beim sogenannten MIM-Verfahren) vorherrschenden hohen Temperaturen nicht mehr in der fertigen Angußvorrichtung enthalten sei. Im übrigen sei die Erfindung von ihm getätigt worden und sei daher sein geistiges Eigentum.

Der Einsprechende 1 beantragt daher, das Patent auf ihn zu übertragen auf Grund widerrechtlicher Entnahme Die Einsprechende 2 hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass der Begriff "Metall-Kunststoff-Verbundstoff" in den eingereichten Unterlagen nicht offenbart sei. Im ursprünglichen Patentanspruch 10 sei wohl eine Aufzählung verschiedener möglicher Werkstoffe aufgelistet, die spezielle Kombination des "Metall-Kunststoff-Verbundstoff" sei jedoch daraus nicht herleitbar. Auch beruhe der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn in der Veröffentlichung "Der Stahlformenbauer", 1/1998 (D2) seien Angußvorrichtungen als Einsätze beschrieben, die die wesentlichsten Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 aufweisen würden. Auch werde in dieser Druckschrift darauf hingewiesen, dass es diese Einsätze in verschiedenen Standard-Ausführungen und Größen gebe. Es sei selbstverständlich, dass, bezogen auf die jeweils in die Form einzuspritzenden Kunststoffe und die herzustellenden Teile, die Einsätze dementsprechend ausgearbeitete Querschnitte und Anschnitte aufweisen müssen. Das Auffinden der geeigneten Werkstoffe für die Einsätze liege im handwerklichen Können eines Durchschnittsfachmannes.

Die Einsprechende 2 beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaber sind dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten. Sie vertreten die Auffassung, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht unzulässig erweitert sei und verweisen hierzu auf die Spalte 3, Zeilen 19 bis 24 der Beschreibung der Offenlegungsschrift. Hier sei der Hinweis zu entnehmen, dass auch andere Verbundwerkstoffe verwendet werden können, insbesondere jene, die gegenüber starken Verschleiß hervorrufenden Spritzmassen verschleißfester seien. Deshalb würde darunter auch der beanspruchte Werkstoff "Metall-Kunststoff-Verbundstoff" fallen. Hinsichtlich der Druckschrift "Der Stahlformenbauer" (D2) sind sie der Ansicht, dass sich der Begriff "Standard" nicht auf die in die Einsätze eingearbeiteten Kanäle beziehe, sondern auf die standardisierten Außenmaße der Einsätze.

Die Patentinhaber beantragen, das Patent mit der Streichung des Merkmals "aus "Metall-Kunststoff-Verbundstoffen bestehen, die" kennzeichnend als Disclaimer beschränkt aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent mit dem Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, im übrigen wie Patentschrift, beschränkt aufrechtzuerhalten.

II 1. Die form- und fristgerecht erhobenen Einsprüche sind substantiiert und auf den Einspruchsgrund der fehlenden Patentfähigkeit und der widerrechtlichen Entnahme gestützt. Sie sind daher zulässig.

Die Einsprüche sind auch sachlich gerechtfertigt, weil der Gegenstand des Patents keine Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG darstellt.

Nach dem erteilten Patentanspruch 1 betrifft der Gegenstand des Patents eine Angußvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge mit einem im Werkzeug geführten Angußkanal an deren Ende ein Anschnitt vorgesehen ist, wobei der Angußkanal und der Anschnitt in einem vorgefertigten Einsatz angebracht sind, der in einer vorgesehenen Aussparung des Werkzeuges eingesetzt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Einsätze (3) aus Metall-Kunststoff-Verbundstoffen bestehen, die als vorgefertigte Wechseleinsätze mit unterschiedlichem Angußkanalquerschnitt und/oder Anschnittquerschnitten vorgesehen sind.

Nach dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag betrifft der Gegenstand des Patents eine Angußvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge mit einem im Werkzeug geführten Angußkanal an deren Ende ein Anschnitt vorgesehen ist, wobei der Angußkanal und der Anschnitt in einem vorgefertigten Einsatz angebracht sind, der in einer vorgesehenen Aussparung des Werkzeuges eingesetzt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Einsätze (3) aus Verbundwerkstoffen bestehen, die als vorgefertigte Wechseleinsätze mit unterschiedlichem Angußkanalquerschnitt und/oder Anschnittquerschnitten vorgesehen sind.

Hinsichtlich der erteilten Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Akte verwiesen.

Gemäß der Patentschrift ist die Aufgabe (Sp 1, Z 65 ff) darin zu sehen, den Anguß für Spritzgießwerkzeuge so zu verbessern, dass auf einfache Art und Weise lange Nachbearbeitungszeiten an den Angußvorrichtungen vermieden werden.

2. Der erteilte Patentanspruch 1 ist nicht zulässig, da er unzulässig erweitert ist.

In der Offenlegungsschrift, die den von den Anmeldern ursprünglich eingereichten Unterlagen entspricht, ist in Spalte 3, Zeilen 19 bis 24 aufgeführt, dass die Angußeinsätze sowohl aus verschiedenen Metallen, Keramiken oder anderen Verbundwerkstoffen herstellbar seien. Diese Formulierung mag offenlassen, ob auch darunter Metall-Kunstoff-Verbundstoffe fallen. Der eingereichte Patentanspruch 10, der nach Auffassung des Senats im Zusammenhang mit der oben zitierten Stelle zu lesen ist, legt aber fest, dass die Angußeinsätze aus Metall, Metallegierungen, Keramik, Kunststoff oder Verbundstoffen bestehen. Verbundstoffe bzw Verbundwerkstoffe sind entsprechend der von den Patentinhabern in ihrer Eingabe vom 14. April 2005 gegebenen Definition.

"Konstruktionswerkstoffe, die aus zwei oder mehreren unterschiedlichen Materialien bestehen, z.B. Fasern, Kunststoff, Metall, Keramik. In die Grundstruktur (Matrix) wird mindestens eine Komponente (z.B. Fasern) eingelagert. Dabei wird versucht, die unterschiedlichen Vorteile der einzelnen Werkstoffe im Endwerkstoff zu kombinieren und deren Nachteile auszuschließen."

Durch diese Definition wird festgelegt, dass die Vorteile eines bestimmten Verbundwerkstoffes ausgenutzt werden sollen, um bestimmte Eigenschaften - in diesem Fall eine höhere Verschleißfestigkeit (Sp 3, Z 23 der Offenlegungsschrift) - zu erzielen. Dass diese Eigenschaften im beanspruchten Metall-Kunstoff-Verbundstoff vorliegen sollen, ist jedoch an keiner Stelle der eingereichten Unterlagen als erfindungswesentlich offenbart und es ist auch kein Hinweis, weder in den zitierten Stellen noch in den Zeichnungen, daraufhin vorhanden, dass genau dieser Werkstoff die Erfindung ausmachen soll. Das Merkmal in Sp 3, Z 60 und 61:

"aus Metall-Kunststoff-Verbundstoffen bestehen, die"

stellt eine den Widerruf des Patents begründende unzulässige Erweiterung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG dar. Aus diesem ursprünglich nicht offenbarten Merkmal können keine Rechte hergeleitet werden. Es muß bei der Beurteilung der Patentfähigkeit daher außer Betracht bleiben.

Gemäß Hauptantrag beantragen die Patentinhaber daher, das genannte Merkmal mit einem Disclaimer zu versehen, wodurch der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag zulässig geworden ist.

3. Die aufgrund ihrer Zweckbestimmung unstrittig gewerblich anwendbare Angußvorrichtung nach Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik als neu zu gelten, denn nach keiner dieser Druckschriften wird eine Angußvorrichtung mit sämtlichen im Patentanspruch 1 angeführten Eigenschaften offenbart.

Die Angußvorrichtung nach dem Patentanspruch 1 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Nach Patentanspruch 1 sollen Angußvorrichtungen für Spritzgießwerkzeuge geschaffen werden, bei denen der Angußkanal und der Anschnitt in einem vorgefertigten Einsatz angebracht sind, der in eine vorgesehene Aussparung des Spritzgießwerkzeugs eingesetzt wird. Dabei sollen die Einsätze als vorgefertigte Wechseleinsätze mit unterschiedlichem Angußkanalquerschnitt und/oder Anschnittquerschnitten versehen sein.

Für diese Maßnahmen vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik dem Durchschnittsfachmann, einem Dipl.-Ing. (FH) der Fachrichtung Kunststofftechnologie mit Kenntnissen im Werkzeugbau ausreichend Anregungen.

In der Veröffentlichung "Der Stahlformenbauer" (D2) ist ein Einsatz für Spritzgießmaschinen beschrieben, der in ein Spritzgießwerkzeug eingesetzt wird und bei dem der Angußkanal und der Anschnitt in dem betreffenden Einsatz angebracht sind. Der Einsatz ist vorgefertigt und damit als Wechseleinsatz vorgesehen. Diesen Wechseleinsatz gibt es ferner in verschiedenen Standardausführungen und Größen. Der Fachbeitrag lässt wohl offen, ob sich der Hinweis auf die verschiedenen Standard-Ausführungen und Größen auf unterschiedliche Angußkanalquerschnitte und/oder Anschnittquerschnitte bezieht oder ob hier zB bei konstanten Querschnitten die Außenmaße der Einsätze angesprochen sind. Da aber beim Spritzgießen nicht immer die gleiche Kunststoffmasse in die Form eingespritzt wird und auch die Fertigteilgeometrie sich immer wieder ändert, müssen zwangsläufig die Anguß- bzw Anschnittquerschnitte an die neuen Bedingungen angepasst werden. Der Fachmann wird daher standardisierte Einsätze vorsehen, die unterschiedliche Anguß- bzw Anschnittquerschnitte aufweisen und dies bei konstanten Außenmaßen der Einsätze. Denn nur dann kann der Spritzgießer bei einem Rohstoffwechsel oder bei neuer Teilegeometrie auf einfache Art und Weise verhältnismäßig lange Unterbrechungen des Spritzgießvorganges vermeiden.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat, da sein Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, somit keinen Bestand.

Die sich daran anschließenden erteilten Patentansprüche 2 bis 8 haben ebenfalls keinen Bestand, da sie bereits aufgrund der Antragsbindung mit dem Hauptanspruch fallen.

4. Der in der mündlichen Verhandlung überreichte Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag ist nicht zulässig.

Im Hilfsantrag wird die unzulässige Angabe "Metall-Kunststoff-Verbundstoffen" durch "Verbundwerkstoffe" ersetzt. Der Begriff "Verbundwerkstoffe" ist wohl in der eingereichten Fassung des Patents offenbart, jedoch erhält das Patent dadurch nachträglich einen erweiterten Schutzbereich. Der Begriff "Verbundwerkstoff" erweitert aufgrund seiner allgemeinen Bedeutung (siehe Kap. 3, Definition der Verbundwerkstoffe) den Schutzbereich (§ 22 Abs 1 PatG). Er geht damit über das erteilte Merkmal "Metall-Kunststoff-Verbundstoff", das einschränkenden Charakter hat, hinaus.

Somit kann auch dem Hilfsantrag nicht stattgegeben werden.

Das Patent war somit zu widerrufen.

5. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage war nicht mehr entscheidungserheblich, ob das Patent darüber hinaus auch wegen widerrechtlicher Entnahme nach § 21 Abs 1 Nr 3 PatG hätte widerrufen werden müssen. Der Tatbestand der widerrechtlichen Entnahme setzt die Patentfähigkeit des angegriffenen Schutzrechts voraus. Schutzunfähiges kann nicht entnommen werden. Durch den Widerruf des Patents gelten die Wirkungen des Patents und der Anmeldung als von Anfang an nicht eingetreten (§ 21 Abs 3 Satz 1 PatG).

6. Es ist somit kein Patent wirksam entstanden, das widerrechtlich hätte entnommen werden können.

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BPatG:
Beschluss v. 12.05.2005
Az: 8 W (pat) 332/02


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