Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 11. Dezember 2003
Aktenzeichen: 13 S 2544/03
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 11.12.2003, Az.: 13 S 2544/03)
Das Verbot oder Beschränkungen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die einer ausländerrechtlichen Duldung beigefügt werden, sind keine Akte der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs 7 Satz 1 BRAGebO. Für gerichtliche Verfahren, die diese Auflagen betreffen, erhält der Rechtsanwalt die volle Gebühr gemäß § 31 Abs 1 BRAGebO.
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger werden der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Oktober 2003 - 5 K 3471/02 - und der Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2002 geändert.
Die von dem Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten des Widerspruchsverfahrens sowie des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart werden auf 714,27 EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Von den außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Kläger ¼, der Beklagte ¾.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 553,-- EUR festgesetzt.
Gründe
Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde (vgl. § 146 Abs. 1 und 3 VwGO) ist teilweise begründet. Zu Unrecht sind der Urkundsbeamte des Verwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 17.12.2002 und ihm folgend das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 9.10.2003 davon ausgegangen, dass dem Prozessbevollmächtigten der Kläger für das gerichtliche Verfahren gemäß § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO und für das Widerspruchsverfahren, für welches das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7.11.2002 die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt hat, gemäß § 119 Abs. 2 BRAGO nur jeweils eine 3/10-Gebühr aus dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert in Höhe von 8.000 EUR zustehe. Vielmehr ist lediglich für das Verfahren der Klägerin zu 2 ein Gebührensatz von 3/10 zu Grunde zu legen (1.), während hinsichtlich des Klägers zu 1 eine volle Gebühr für das gerichtliche Verfahren und eine 7,5/10-Gebühr für das Widerspruchsverfahren anzusetzen sind (2.). Da verschiedene Gebührensätze anzuwenden sind, erhält der Prozessbevollmächtigte der Kläger insoweit gesondert berechnete Gebühren (3.). Demgemäß sind die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts zu ändern und ist im Übrigen die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Hinsichtlich der Klägerin zu 2 war Gegenstand des Widerspruchs- wie auch des Klageverfahrens lediglich das Begehren, ihr eine nicht nur auf einen Monat, sondern auf zumindest drei Monate befristete Duldung zu erteilen. Gegen das der Duldung beigefügte Verbot der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wandte sich die Klägerin zu 2 nicht. Dies hat ihr Prozessbevollmächtigter im Klageverfahren mit Schriftsätzen vom 30.8. und 9.9.2002 ausdrücklich klargestellt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 3.5.1999 - 13 S 2427/98 -, AnwBl. 2000, 138, vom 24.11.2000 -13 S 1625/00 -und vom 18.12.2001 - 13 S 2690/01 -) sowie anderer Senate des erkennenden Gerichtshofs (Beschlüsse vom 19.1.1999 - 9 S 3097/98 -, VBlBW 1999, 190 und vom 8.11.1999 - 11 S 2472/99 -, VBlBW 2000, 203) kann der Rechtsanwalt des Ausländers für das allein auf Erteilung einer Duldung gerichtete gerichtliche Verfahren gemäß § 114 Abs. 7 BRAGO nur 3/10 der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren beanspruchen. Denn die ausländerrechtliche Duldung, bei der es sich der Sache nach um eine Aussetzung der Abschiebung (vgl. § 55 Abs. 1 AuslG) handelt, welche die - zu vollstreckende - Ausreisepflicht unberührt lässt (§ 56 Abs. 1 AuslG), ist ein "Akt der Zwangsvollstreckung (des Verwaltungszwangs)" im Sinne des § 114 Abs. 7 BRAGO. Da die zeitliche Befristung nur die inhaltliche Ausgestaltung der Duldung betrifft, ist gemäß § 114 Abs. 7 BRAGO für das gerichtliche Verfahren wie auch gemäß § 119 Abs. 2 BRAGO für die anwaltliche Tätigkeit im Widerspruchsverfahren (vgl. Riedel/Sußbauer, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, 8. Aufl., § 114 BRAGO RdNr. 30) eine 3/10-Gebühr anzusetzen.
2. Das der ausländerrechtlichen Duldung beigefügte Verbot und die Beschränkungen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, gegen die sich darüber hinaus der Kläger zu 1 im Widerspruchs- und Klageverfahren wandte, sind keine inhaltlichen Ausgestaltungen der erteilten Duldung (a.), und auch als hiervon unabhängige Anordnungen keine Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung im Sinne der §§ 114 Abs. 7, 119 Abs. 2 BRAGO (b.).
a. Dieses Verbot und diese Beschränkungen teilen nicht die rechtliche Qualifikation der Duldung als Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne der §§ 114 Abs. 7, 119 Abs. 2 BRAGO.
Gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG können einer ausländerrechtlichen Duldung Bedingungen und Auflagen beigefügt werden; insbesondere können das Verbot oder Beschränkungen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angeordnet werden (§ 56 Abs. 3 Satz 3 AuslG). Der Bestand dieses Verbots oder dieser Beschränkungen hängt allerdings nicht von dem der Duldung ab. Vielmehr bleiben sie gemäß § 44 Abs. 6 AuslG auch nach Wegfall der Duldung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nach § 42 Abs. 1 bis 4 AuslG nachgekommen ist. Denn der Ausländer soll nach Wegfall der Duldung hinsichtlich dieses Verbotes oder dieser Beschränkungen nicht besser stehen als zuvor (Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht [GK/AuslR], § 44 RdNr. 83). Diese sind mithin keine inhaltlichen Ausgestaltungen der Duldung, sondern hiervon unabhängige und selbständig anfechtbare Auflagen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.4.2000 - 10 S 2583/99 -, VBlBW 2000, 325; GK/AuslR, § 44 RdNr. 83; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 44 AuslG RdNr. 19; BT-Drs. 11/6321, S. 71; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.3.1996 - 1 C 34.93 -, BVerwGE 100, 335; Urteil des Senats vom 22.9.2000 - 13 S 2260/99 -, VBlBW 2001, 285 jew. zur räumlichen Beschränkung einer Aufenthaltsgenehmigung bzw. Duldung).
b. Verbote oder Beschränkungen der Aufnahme der Erwerbstätigkeit, die der ausländerrechtlichen Duldung beigefügt werden, sind auch als vom Bestand der Duldung unabhängige Anordnungen keine Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung im Sinne der §§ 114 Abs. 7, 119 Abs. 2 BRAGO. Diese Regelungen greifen ihrem Wortlaut und Zweck nach nur dann ein, wenn es sich bei dem Gegenstand des Verfahrens um einen Akt der Zwangsvollstreckung handelt und nicht die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes überprüft wird. Denn dies rechtfertigt angesichts des typischerweise verminderten Arbeitsaufwandes des Rechtsanwaltes eine Reduzierung der Gebühr auf drei Zehntel. Ist dagegen Gegenstand des Verfahrens (auch) der Grundverwaltungsakt, sind die §§ 114 Abs. 7, 119 Abs. 2 BRAGO nicht anwendbar (für § 114 Abs. 7 BRAGO vgl. Beschlüsse des Senats vom 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, VBlBW 1996, 152 und vom 3.5.1999, a.a.O.). So verhält es sich hier. Ein der materiell-rechtlichen Verpflichtung konkretisierender Grundverwaltungsakt ist der Erwerbstätigkeitsauflage nicht vorausgegangen. Das Verbot bzw. die Beschränkung der Aufnahme der Erwerbstätigkeit sind vielmehr selbst der Vollstreckung fähige Grundverwaltungsakte und keine gesetzlichen Zwangsmittel zur Vollstreckung einer materiell-rechtlichen Einzelfallregelung (vgl. zum fehlenden gesetzlichen Sofortvollzug dieser Auflagen nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VWGO, § 12 LVwVG: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.4.2000, a.a.O.). Sie weisen auch sonst keinen rechtserheblichen Bezug zum Vollstreckungsverfahren auf. Mit ihnen wird nicht der Zweck verfolgt, den behördlichen Vollzug der Ausreisepflicht zu fördern. Denn dieser Vollzug ist bereits mit Erteilung der Duldung zeitweise ausgesetzt worden. Vielmehr soll der tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts durch Teilnahme am Erwerbsleben entgegengewirkt werden (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6.4.2000, a.a.O.).
Damit fallen hier für das das Verbot oder die Beschränkungen der Aufnahme der Erwerbstätigkeit betreffende Klageverfahren gemäß §§ 31 Abs. 1, 114 Abs. 1 BRAGO eine volle, für das Widerspruchsverfahren gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine 7,5/10-Gebühr an.
3. Da der Rechtsanwalt für die Kläger in derselben Angelegenheit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO tätig geworden ist, erhält er nach dieser Vorschrift die Gebühren nur einmal. Dabei erhöhen sich die Geschäfts- und die Prozessgebühr nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO um ein Drittel, da aufgrund der unterschiedlichen Begehren der Kläger der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht derselbe war. Vielmehr werden die Werte der beiden Begehren der Kläger gemäß § 7 Abs. 2 BRAGO zusammengerechnet. In solchen Fällen werden die Gebühren grundsätzlich aus den zusammengerechneten Werten entnommen (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl., § 7 BRAGO RdNr. 3). Da hier aber für die Begehren der Kläger unterschiedliche Gebührensätze anzuwenden sind, erhält der Prozessbevollmächtigte der Kläger insoweit gemäß § 13 Abs. 3 BRAGO für diese Teile gesondert berechnete Gebühren (zur Anwendbarkeit des § 13 Abs. 3 BRAGO auf Fälle des § 7 Abs. 2 BRAGO vgl. Riedel/ Sußbauer, a.a.O., § 13 BRAGO RdNr. 28 f.). Dabei wird der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit vorliegend dadurch bestimmt, dass der durch Zusammenrechnung der (Einzel-)Streitwerte in entsprechender Anwendung des § 5 ZPO vom Verwaltungsgericht festgesetzte Streitwert durch Auflösung der Zusammenrechnung ermittelt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.12.1979 - XI 2095/79 - juris; HessVGH, Beschluss vom 22.3.1994 - 5 TM 1120/93 -, NVwZ-RR 1995, 181). Demgemäß sind in diesem Fall die Geschäfts- und Prozessgebühren des Rechtsanwalts aus einem Gegenstandswert in Höhe von 4.000 EUR je Begehren der beiden Kläger zu berechnen. Damit fallen für die anwaltliche Tätigkeit für das Begehren des Klägers zu 1 eine 0,75/10-Gebühr für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 183,75 EUR und eine volle Gebühr für das Klageverfahren in Höhe von 245 EUR sowie für das Begehren der Klägerin zu 2 im Widerspruchs- und im Klageverfahren je eine 3/10-Gebühr in Höhe von 73,50 EUR an. Diese Gebühren übersteigen nicht die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr (vgl. § 13 Abs. 3 letzter Halbsatz BRAGO). Zu diesen Gebühren sind - antragsgemäß - nach § 26 Satz 2 BRAGO die Auslagenpauschale für das Widerspruchs- und das Klageverfahren sowie die Mehrwertsteuer (§ 25 Abs. 2 BRAGO) hinzuzurechnen, so dass sich die von dem Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 714,27 EUR belaufen. Soweit die Kläger mit der Beschwerde einen hierüber hinausgehenden Betrag geltend machen, ist diese zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sind den Klägern aufzuerlegen, da sie nur anfallen, soweit die Beschwerde erfolglos geblieben ist (Kostenverzeichnis - Anlage 1 zu § 11 Abs. 2 GKG - Nr. 2504; vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, a.a.O., § 61 BRAGO RdNr. 24). Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei; zu erstattende gerichtliche Auslagen sind nicht entstanden.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 13 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
VGH Baden-Württemberg:
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Az: 13 S 2544/03
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