Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 29. April 1999
Aktenzeichen: 4 U 206/98

(OLG Hamm: Urteil v. 29.04.1999, Az.: 4 U 206/98)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. September 1998 verkündete Urteil der II. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlußberufung wird das Urteil teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr außerhalb der Fachkreise für das Mittel „T“ zu werben mit der Aussage „bremst das Prostatawachstum“ oder/und „hemmt das Prostatawachstum“, wie in der Anzeige vom 15.10.1997 (Zeitschrift H) geschehen.

2.

Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung zu Ziffer 1. Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei letztere an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist.

Die Kosten des Berufungsrechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagte mit 100.000,00 DM.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,00 DM abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger seinerseits Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

Jegliche Sicherheitsleistung kann auch durch Beibringung der unbedingten, unbefristeten und selbstschuldnerischen Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen deutschen Kreditinstituts erbracht werden.

Tatbestand

Die Beklagte vertreibt das Arzneimittel "T", dessen Wirkstoff Brennesselwurzeltrockenextrakt ist. Das Mittel ist arzneimittelrechtlich zugelassen für Beschwerden beim Wasserlassen bei gutartiger Vergrößerung der Prostata (Stadium I und II).

Mit einer in der Zeitschrift H Nr. 43 vom 15.10.1997 erschienenen Anzeige bewarb die Beklagte das Mittel wie nachfolgend abgelichtet:

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, daß die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Ihm gehören u.a. 21 Hersteller von Naturheilmitteln, Naturkosmetik und Öko-Produkten sowie 51 Hersteller und Vertreiber pharmazeutischer Produkte aller Art an.

Der Kläger hat geltend gemacht, daß die in der Anzeige enthaltenen Aussagen, das Mittel "bremst das Prostatawachstum" sowie "hemmt das Prostatawachstum" gegen das Irreführungsverbot nach § 3 Nr. 1 sowie Nr. 2 a HWG verstießen. Der enthaltene Wirkstoff sei nicht geeignet, eine vorhandene Vergrößerung der Prostata zu beheben oder eine weitere Vergrößerung zu verhindern. Mit der Angabe "bremst" werde der Eindruck eines sicheren Erfolges hervorgerufen, ohne daß das Mittel dies gewährleisten könne. Darüber hinaus verstoße die Werbung gegen das Laienwerbeverbot des § 12 Abs. 1 HWG i.V.m. der Anlage A Nr. 5 e, wonach außerhalb der Fachkreise nicht mit dem Anwendungsgebiet organischer Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane geworben werden dürfe.

Der Kläger hat beantragt,

der Beklagten bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr außerhalb der Fachkreise für das Mittel "T" zu werben:

a) "Bremst das Prostatawachstum",

b) "gleicht ... die hormonellen Einflüsse aus ...",

c) "hemmt das Prostatawachstum".

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, daß der Wirkstoff Brennesselwurzelextrakt tatsächlich das Prostatawachstum verhindere oder zumindest verlangsame. Die Anzeige beziehe sich auch nicht auf eine Krankheit, sondern nur auf ausschließlich altersbedingte Veränderungen der Prostata.

Das Landgericht hat den Klageantrag zu b) abgewiesen, im übrigen jedoch der Klage stattgegeben, wobei das Höchstmaß des Ordnungsgeldes nicht angegeben war. Es liege ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 HWG i.V.m. der Anlage A Nr. 5 e vor. Das Prostatawachstum, das mit dem beworbenen Mittel gebremst oder gehemmt werden solle, sei als krankhafter, von der Norm des gesunden Körpers abweichender Zustand anzusehen. Die Werbung richte sich an Männer, die bereits an Beschwerden in der Folge der Prostatavergrößerung litten.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung macht die Beklagte mit näheren Ausführungen geltend, daß es sich bei dem in der Werbung angesprochenen altersbedingten Wachstum der Prostata nicht um eine organische Krankheit, sondern vielmehr eine normale Alterserscheinung, die keinen Krankheitswert habe, handele. Auch ein Verstoß gegen § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 a HWG liege nicht vor.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des am 15.09.1998 verkündeten Urteils des Landgerichts Bielefeld insgesamt abzuweisen,

sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

ihm nachzulassen, die gemäß § 711 ZPO zu bestimmende Sicherheitsleistung auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen,

im Wege der Anschlußberufung den Tenor des landgerichtlichen Urteils wegen offensichtlicher Unvollständigkeit unter Ziffer 2 dahin zu ergänzen, daß ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM festgesetzt werde,

sowie den Unterlassungsantrag weiter um den Zusatz zu ergänzen "wie in der Anzeige vom 15.10.1997 (Zeitschrift H) geschehen".

Der Kläger verweist darauf, daß auch ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Ziff. 4 HWG vorliege, weil die Beklagte mit der behaupteten Eignung, das Prostatawachstum zu hemmen und/oder zu bremsen, ein Anwendungsgebiet bewerbe, das von der Zulassung nicht umfaßt sei. Im übrigen vertieft der Kläger seine Ausführungen zu § 3 Nr. 1 und Nr. 2 a sowie § 12 Abs. 1 HWG.

Die Beklagte rügt hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Nr. 4 HWG Klageänderung und Verjährung.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Unterlagen verwiesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Soweit die ausdrückliche Bezugnahme auf die Anzeige vom 15.10.1997 als konkrete Verletzungsform aufgenommen worden ist, handelt es sich lediglich um eine Klarstellung, die nicht zur Teilabweisung der Klage führt, denn schon in der Klageschrift war auf die beigefügte Anzeige abgestellt und daraus die angegriffenen Aussagen wörtlich entnommen worden.

Das Landgericht hat der Beklagten mit Recht gemäß § 1 UWG untersagt, in ihrer Werbung die angeführten Aussagen aus der genannten Anzeige zu verwenden, weil diese gegen § 12 Abs. 1 HWG i.V.m. der Anlage A Nr. 5 e verstoßen. Nach dieser gesetzlichen Regelung darf sich die Werbung für Arzneimittel außerhalb der Fachkreise u.a. nicht auf die Linderung von Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane beziehen. Genau das ist hier der Fall.

Eine Krankheit im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes liegt immer dann vor, wenn eine Störung der normalen Beschaffenheit des Körpers besteht, die geheilt werden kann (vgl. BGH, NJW 1998, 820, 821 Lebertran I). Gerade auf einen solchen Fall beziehen sich die untersagten Werbeaussagen. Angesprochen wird hier nicht eine unausweichlich im Alter eintretende Veränderung des menschlichen Körpers, sondern eine bestimmte Störung des Normalzustands, die die Beklagte mit ihrem Mittel gerade lindern will.

Es kann offen bleiben, ob einer Prostatavergrößerung immer Krankheitswert zuzuerkennen ist. Tatsächlich kommt es etwa bei 60 % aller Männer jenseits des 50. Lebensjahres zu einer Vergrößerung der Prostata (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl., Stichwort Prostata-Adenom). Nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten des Privatdozenten Vahlensieck bleiben immerhin ca. 1/3 der Männer mit nachgewiesener Prostatavergrößerung beschwerdefrei (Anlage B 6, S. 2 unten). Danach könnte zweifelhaft sein, ob der beschwerdefreie Personenkreis an einer Krankheit leidet. Die Beklagte wendet sich mit der angegriffenen Werbung jedoch ausdrücklich an Männer, bei denen das Prostatawachstum Beschwerden verursacht. Es werden der quälende vor allem nächtliche Harndrang und Probleme beim Wasserlassen angesprochen. Diesem Personenkreis will die Beklagte Erleichterung verschaffen, damit "Mann" das Leben wieder unbeschwerter genießen kann. Das Mittel der Beklagten soll gerade den lästigen Harndrang lindern.

Jedenfalls die Beschwerden verursachende Prostatavergrößerung ist eine Krankheit im Sinne des Heilmittelwerbegesetzes. Denn es geht insoweit nicht um die normale Beschaffenheit des Körpers, sondern um einen Zustand, der, auch wenn er im Alter häufig vorkommt, behandlungsbedürftig ist. Die Beklagte verspricht ausdrücklich eine Linderung bestimmter Beschwerden, also eine Verbesserung konkret vorhandener Störungen.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Gutachten des Privatdozenten Vahlensieck, auf das sich die Beklagte stützt. Auch dieses hält bei Beschwerden eine Behandlung für indiziert (Anlage B 6, S. 3 Mitte) und spricht dann von einer Erkrankung (Seite 2 letzter Absatz).

Die untersagten Aussagen beziehen sich nach alledem auf eine organische Krankheit der männlichen Harn- und Geschlechtsorgane. Hierauf darf sich die Werbung gemäß § 12 HWG nicht beziehen. Ob daneben auch eine Irreführung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 a HWG und ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Nr. 4 HWG gegeben ist, kann dahingestellt bleiben.

Der Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz ist zugleich wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG. Es ist mit den guten kaufmännischen Sitten unvereinbar, die zum Schutze der Gesundheit des einzelnen und der Allgemeinheit erlassenen Vorschriften nicht zu beachten (vgl. BGH, NJW 1998, 820, 821 Lebertran I).

Die beanstandeten Werbeaussagen sind auch geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt wesentlich zu beeinträchtigen, § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das Verbot, für Arzneimittel unter Bezugnahme auf besonders schwerwiegend erscheinende und häufig auftretende Krankheiten zu werben, dient dem Schutz vor den Gefahren der Selbstmedikation. Schon die Beeinträchtigung des hohen Schutzgutes der Gesundheit läßt den gerügten Verstoß als eine wesentliche Beeinträchtigung erscheinen (vgl. BGH, a.a.O.).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Die Beschwer war höher als der durch das Klägerinteresse begrenzte Berufungsstreitwert festzusetzen, weil die Beklagte nachvollziehbar ein höheres wirtschaftliches Interesse an der Beseitigung des ausgesprochenen Verbots dargetan hat (vgl. BGH, WM 1997, 2049).






OLG Hamm:
Urteil v. 29.04.1999
Az: 4 U 206/98


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